Die Angst vor einer Wieder- kehr der Pocken, vor der An- steckung durch SARS, so- gar vor einem Anschlag mit Anthrax-Bakterien, hat viele Menschen veranlasst, nach ei- ner Impfung dagegen zu fra- gen. Viele hätten aber keinen Impfschutz gegen Diphtherie, Tetanus oder Poliomyelitis – Erkrankungen, die ebenso ge- fährlich sind und die viel wahr- scheinlicher akquiriert wer- den können, berichtete Prof.
Adolf Windorfer (Hannover) in Wiesbaden.
Hier zeigt sich, wie unzurei- chend die Bevölkerung über Sinn und Nutzen von Stan- dardimpfungen informiert ist.
Windorfer lehnt es ab, von
„Impfmüdigkeit“ zu sprechen, da die Verantwortung für die Information damit auf dieje- nigen abgeschoben wird, die das Wissen über die Gefähr- dung gar nicht haben kön- nen. Es sei vielmehr zu bekla- gen, dass die im Gesundheits- wesen tätigen Berufsgruppen versagen, die eine ständige Informationsarbeit über die Notwendigkeit des Impfschut- zes leisten müssten. Das be- trifft Ärzte, Arzthelferinnen, Hebammen, Rettungsassisten- ten, Krankenschwestern und die Ausbildung von Medizin- studenten.
Schulung von Multiplikatoren gefordert
Es gibt keine Impfkurse für Medizinstudenten an Hoch- schulen und Universitäten.
Über Impfungen wird für Ärz- te allenfalls in Abendveran- staltungen gesprochen,die mei- stens von Impfstoffherstellern gesponsert sind,und ohne kon- sequente Informationen jen- seits einzelner Impfungen.
Windorfer fordert daher ge- zielte Maßnahmen auf Landes- ebene, vor allem die Schulung von Multiplikatoren: Schulung
der niedergelassenen Ärzte, der Arzthelferinnen und Fort- bildung für Impfberaterinnen und Hebammen. Wichtig ist auch die Schulung von Medi- zinstudenten. Seit 2002 wird für Studenten der Medizini- schen Hochschule Hannover vom Niedersächsischen Lan- desgesundheitsamt zweimal jährlich ein 16-stündiger Impf- kurs angeboten, der von den Studierenden sehr stark ange- nommen wird.
Ärzteschaft ist
„impfmotivationsmüde“
Als wichtigste Maßnahme auf kommunaler Ebene nannte Windorfer die gezielte Infor- mation der Bevölkerung durch die medizinischen Berufsgrup- pen und durch kommunale Gesundheitsämter, denn nicht die Bevölkerung ist „impfmü- de“, sondern immer noch sind Teile der Ärzteschaft „impf- motivationsmüde“. Hier muss angesetzt werden.
Ein gutes Beispiel für diese Situation ist die Tollwutimp- fung. Trotz regen Fernreise- verkehrs wird die Impfung gegen das Tollwut-Risiko nur selten durchgeführt. Dabei ist eine Tollwutinfektion immer tödlich. Nach einer Studie der European Travel and Health Advisory Board (ETHAB) sind rund 95 Prozent der Fern- reisenden nach Südostasien, Südamerika, Indien, China oder Osteuropa nicht gegen Tollwut immunisiert.
Dabei sterbe in Asien im Durchschnitt alle 15 Minuten ein Mensch an Tollwut; jähr- lich stürben weltweit mehr als 60 000 Personen an dieser Ra- bies-Virus-Infektion, berich- tete Dr. Christian Schönfeld (Berlin). In 90 Prozent aller Fälle ist der Haushund der Überträger. In Deutschland ist die Ansteckungsrate zu vernachlässigen: Rund 0,001
bis 0,005 pro 100 000 Ein- wohner bekommen diese In- fektion.
Die ETHAB-Studie ver- deutlichte auch die alarmie- rende Fehleinschätzung der Reisenden in Hochrisikoge- biete. Auf die Frage, warum eine Tollwutimpfung nicht in Anspruch genommen wurde, antworteten 37 Prozent: „Für mich besteht kein Risiko.“
Etwa sieben Prozent waren sich der Krankheit nicht be- wusst, neun Prozent sagten:
„Ich mag keine Impfstoffe.“
Sieben Prozent verließen sich auf eine angeblich früher er- haltene Impfung und 24 Pro- zent sagten: „Es ist nicht wichtig.“
Hier zeigt sich, wie sinnvoll eine gezielte Aufklärung und Beratung aller Reisenden in die Tollwut-Risikogebiete ist.
Schönfeld formulierte mögli- che Empfehlungen:
> eine generelle Aufklä- rung über die Tollwutgefahr und eine individuelle Impf- beratung aller Reisenden in Tollwut-Risikogebiete;
> den besten Schutz vor ei- ner Tollwutinfektion auf Rei- sen in Endemiegebiete bie- tet die präexpositionelle Imp- fung;
> individuelle Nutzen-Ri- siko-Bewertung hinsichtlich einer Tollwutinfektion nicht von der Länge oder der Art des Aufenthaltes in Endemie- gebieten abhängig machen;
> die Öffentlichkeit sollte in einer verantwortungsvollen und sachlichen Weise über ein individuelles Infektionsrisiko jenseits der Reiseindikation informiert werden;
> mit zunehmender Ei- genverantwortung des Rei- senden sollte auch das Recht auf ausführliche Informatio- nen über das individuelle Ri- siko von Infektionskrankhei- ten, wie zum Beispiel Tollwut, verbunden sein. Siegfried Hoc
Pressegespräch „Leben schützen von An- fang an – Notwendige Impfungen jen- seits der Pockenhysterie“ anlässlich des Internistenkongresses 2003 in Wiesba- den, Veranstalter: Chiron Behring V A R I A
A
A3184 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4828. November 2003
Standard- und Sonderimpfungen
Bevölkerung zu größerer
Impfbereitschaft motivieren
Unternehmen
Akute Otitis media bei Kin- dern – Das Azalidantibioti- kum Azithromycin (Zithro- max®) der Firma Pfizer GmbH ist bei Kindern mit akuter Otitis media jetzt auch zur Einmalgabe zugelassen.
Demnach können die jungen Patienten die gesamte thera- peutische Dosis Azithromy- cin von 30 mg/kg Körperge- wicht in einer einzigen Gabe erhalten.
Bei besserer Verträglich- keit ist die Einmalgabe nach Firmenangabe klinisch ge- nauso wirksam wie die Thera- pie mit Vergleichsantibiotika (Amoxicillin/Clavulansäure), die über zehn Tage eingenom- men werden müssen. Die bis- herige Dosierung von Azi- thromycin bei der akuten Oti- tis media von täglich 10 mg/kg Körpergewicht über drei Ta- ge ist weiterhin gültig.
Lamotrigin – Der Wirkstoff La- motrigin (GlaxoSmith Kline), der als Antiepileptikum im Handel ist, kann nun auch zur Prävention depressiver Epi- soden bei Patienten mit bi- polaren Störungen (Handels- name Elmendos®) verordnet werden. Sowohl die Einzel- auswertungen als auch die Metaanalyse zeigten, dass La- motrigin in der Verhinderung affektiver Episoden ebenso wirksam war wie Lithium. Bei- de Substanzen unterschieden sich jedoch im Wirksamkeits- profil: Lithium verhinderte den Ausbruch manischer Epi- soden, Lamotrigin nicht. Da- gegen verhinderte Lamotrigin den Rückfall in eine depres- sive Episode, Lithium jedoch nicht. Die Frequenz manischer Episoden wurde unter Lamo- trigin aber nicht negativ be-
einflusst. EB
Kurz informiert
Obwohl eine Reihe schneller und einfacher Demenz-Tests für die Praxis zur Verfügung steht, haben die Ärzte in Deutschland wenig Interesse an der Diagnostik der Alzhei- merschen Krankheit. Diesen Schluss zieht Dr. Rainer Zer- faß (Pfizer) aus den Daten ei- ner Untersuchung im Raum Bonn. Dort hatte man für das erste Quartal 2001 das Ab-
rechnungsverhalten aller 943 niedergelassenen Ärzte aus- gewertet. Die Demenz-Tests vorbehaltenen EBM-Num- mern 890 bis 892 waren dabei 91-mal aufgetaucht, im Ver- gleich zu weitaus aufwendige- ren, aber häufigeren Untersu- chungen wie Langzeit-EKG (EBM Nr. 612 = 445-mal) und Langzeitblutdruck (EBM Nr.
606 = 325-mal).
Die Firmen Pfizer und Ei- sai, die gemeinsam Donepezil (Aricept®) zur Therapie des Morbus Alzheimer vertrei- ben, wollen nun die Ärzte bei ihrer Diagnostik unterstützen, indem sie Vordrucke für die wichtigsten Demenztests ko- stenfrei zur Verfügung stellen (Pfizer GmbH, Sabine Kunz- mann, Pfizerstraße 1, 76139 Karlsruhe, oder Fax: 07 21/
62 03 93 72).Es handelt sich um den Uhrenzeichentest, „für al- le, die es besonders eilig ha- ben“, den neuen DemTect®, der besonders gut zwischen Gesunden und Kranken diffe- renzieren kann, sowie den Mi- ni-Mental-State-Test, der sich gut zur quantitativen Bewer- tung einer Demenz eignet.
Beim DemTect, der in acht bis zehn Minuten erhoben wer- den kann, soll noch im Herbst eine kostenfreie digitale Versi- on verfügbar sein.Michael Simm V A R I A
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4828. November 2003 AA3185