A 626 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 13|
29. März 2013 Mit seinen Bestsellern „Das Jahr-hundert der Chirurgen“ (1956) und
„Das Weltreich der Chirurgen“
(1957) malte Jürgen Thorwald (1915–2006) kräftig am Bild des Halbgottes in Weiß. Dieses ist in- zwischen verblasst. Auch dazu hat Thorwald beigetragen, als er das Denkmal Ferdinand Sauerbruch vom Sockel stieß („Die Entlas- sung“, 1960). Die Sauerbruch-Ge- schichte beschreibt der Medizinhis- toriker Udo Schagenin einem Thor- wald gewidmeten Band der Zeit- schrift Non Fiktion. Er geht auch auf das Versagen der kollegialen und öffentlichen Kontrolle im Fall des erkrankten, zur Selbstkontrolle nicht mehr fähigen Chirurgen ein.
Von der Medizin konnte Thor- wald Zeit seines Lebens nicht las- sen, in späteren Jahren schwankend zwischen Bewunderung und Skep- sis, zwischen den scharfsinnigen Forensikern und Toxikologen im
„Jahrhundert der Detektive“ und den kühnen, aber zwiespältig gese- henen Gehirnchirurgen („Im zer- brechlichen Haus der Seele“, 1986).
Zum geplanten „Jahrhundert der Gynäkologie“ kam es trotz Drängen des Verlegers, der ein Bombenge- schäft witterte, nicht (die Verlags- beziehungen des Autors sind ein amüsantes Kapitel für sich). Thor- wald zog es vor, eine Geschichte der Juden in Amerika zu schreiben.
Eine Wiedergutmachung?
Angefangen hatte Heinz Bon- gartz aus Solingen, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Jürgen Thorwald umbenannte, als Militär- schriftsteller in NS-Blättern und als Propagandist in spezieller Mission für Luftwaffe und Marine. Hier traf er unter anderem auf Henri Nan- nen, in dessen „stern“ er später pu- blizieren durfte und der ihm auch bei der Organisation Gehlen oder dem Bundesnachrichtendienst wie- der begegnete. Die Nachrichtler waren auf Thorwald aufmerksam geworden, weil er so fesselnd und in ihrem Sinne über Flucht und Vertreibung geschrieben hatte, und JÜRGEN THORWALD
Der Jahrhundert-Schreiber
sie fütterten ihn mit Stoff über eine neue Story („Rotarmisten gegen Stalin“). Doch da liegt noch einiges im „Nebel“ (so Nannens Deckna- me beim BND), wie der Geheim- dienstspezialist Erich Schmidt- Eenboom vermerkt.
Zu Thorwalds Mystifizierung nach dem Krieg gehört, er habe in
Köln Medizin studiert. Dafür gibt es keine Belege, wohl aber für ein bruchstückhaftes Studium der Germanistik und Geschichte (Ja - nine Katins). Die medizinischen Kenntnisse hat sich Thorwald of- fenbar selbst erarbeitet. Er war bekannt für seine ausufernden Recherchen, seine „pathologische Neigung zur Vollständigkeit“
(Thorwald über sich selbst). Das Ergebnis beeindruckte selbst die Fachleute. So gestand der Chirurg Rudolf Nissen nach der Lektüre der „Chirurgen“, „dass ich in den letzten zehn Jahren kein Buch ge- lesen habe, das mich so gefesselt hat“. Der Gynäkologe Felix von Mikulicz-Radecki empfahl: Das Buch „sollte nicht nur von Laien, sondern auch von Medizinstuden- ten und jungen Ärzten gelesen werden, damit deren Respekt steigt vor der Arbeit der alten Chir urgengeneration“.
Thorwald gelingt es, jene alte Chirurgengeneration seinen Lesern mit einem Trick nahezubringen: Er lässt einen fiktiven Großvater auf- treten, einen Chirurgen, der in aller Welt herumreiste und bei jeglichen wichtigen Neuerungen als Zaungast dabei war. Der Autor gibt angeblich nur wieder, was Opa erzählt hat.
Dank des begnadeten Geschichten- erzählers vermeint der Leser, aus erster Hand informiert zu werden, ja fast selbst Augenzeuge gewesen zu sein. Norbert Jachertz David Oels (Hrsg.): Jürgen Thorwald.
Aus der Reihe: Non Fiktion. Heft 1/2–2011.
Wehrhahn, Hannover 2011, 282 Seiten, kartoniert, 29,50 Euro
Der Bundesverband Deutscher Schriftsteller-Ärzte (BDSÄ) trifft sich zum diesjährigen Jahreskon- gress vom 1. bis 5. Mai in Münster/Westfalen.
Für alle Interessierten findet in diesem Rahmen am 3. Mai von 19 bis 22 Uhr die öffent liche Hauptlesung statt – „. . . als wär’s mein bester Text . . .“, Ärztinnen- und Ärzte-Autoren lesen ihre selbstverfassten Texte. Ort der öffentlichen Le- sung wird der Große Ratssaal im Stadt weinhaus (Prinzipalmarkt 8–9) in Münster sein. Musikalisch begleitet wird die Lesung vom „Ensemble salsifis“, einem Klarinetten-Sextett aus Münster.
Der Eintrittspreis beträgt fünf Euro.
Der Bundesverband Deutscher Schriftsteller- Ärzte wurde 1969 gegründet. Mitglieder sind Ärz-
te, Psychotherapeuten und Zahnärzte. Er gehört dem internationalen Weltdachverband UMEM (Union Mondial des Écrivains Médecins) an, des- sen Präsident gleichzeitig der derzeitige BDSÄ- Präsident ist, der Neurologe und Psychiater Dr. med. Harald Rauchfuss aus Neustadt/Aisch.
Das Archiv mit den Werken der Ärzteschrift- steller befindet sich wie auch die Geschäftsstelle des BDSÄ in Räumen der Fortbildungsakademie der Landesärztekammer Hessen in Bad Nauheim, ein weiteres Archiv ist in der Bibliothek des Ärzt - lichen Vereins in Hamburg entstanden.
Die Mitgliedschaft im Verband soll vor allem das Kennenlernen von und den Gedanken- und Ideen- austausch mit anderen Arztautoren ermöglichen. EB