9. Kraft
Eine Verminderung der rohen Kraft wird als Parese, eine vollständige Aufhebung der aktiven Motilität als Paralyse bezeichnet. Wenn ganze Gliedmaßen befallen sind, wird man bei homolateraler Lähmung von Arm und Bein von einer Hemi- parese, bei beidseitiger Lähmung der Extremitäten von Paraparese, bei Lähmung aller vier Extremitä- ten von Tetraparese sprechen.
Die Verteilung der motorischen Ausfälle wird, je nach Lokalisation der Läsion im Nervensystem, ganz unterschiedlich sein.
Eine stumpfsinnige Durchtestung jedes einzelnen Muskels ist prak- tisch kaum durchführbar und sel- ten nötig. Man wird vielmehr ge- zielt auf Grund der aus Anamnese und bereits beobachteten Sympto- men abgeleiteten Vorstellungen vorgehen. Wenn aus der Vorge- schichte eine Halbseitenlähmung vermutet wird, vergleiche man in entsprechenden Abschnitten die Kraft zwischen rechts und links.
Bei zunehmender Gehbehinderung oder beim Vorliegen beidseitiger Pyramidenzeichen der Beine wird man gezielt die Kraft der beiden unteren Extremitäten prüfen, zum Beispiel, indem der Patient auf ei- nen Stuhl hinaufsteigen muß, sich aus der Hocke erheben muß, den Fußspitzen- oder Hackengang aus- führen wird usw.
Liegt hingegen anamnestisch eine Armplexuszerrung mit motorischer Schwäche des Armes vor, dann wird man gezielt jeden Muskel des betreffenden Armes testen müssen, und ähnlich wird man auch bei ei- ner peripheren Nervenläsion die einzelnen Muskeln distal von der Läsionsstelle exakt untersuchen und ihre Leistung quantitativ testen müssen. Überhaupt ist es notwen- dig, die erhaltenen Ergebnisse quantitativ festzuhalten. Gut brauchbar ist hier die Skala des British Research Council:
0 = keinerlei sichtbare Innervation 1 = Muskelkontraktion sichtbar, aber ohne jeglichen Bewegungsef- fekt
2 = Bewegung unter Ausschaltung der Schwerkraft möglich
3 = Bewegung auch unter Über- windung der Schwerkraft möglich 4 = Bewegung gegen Widerstand möglich
5 = normale Kraft
Zur Registrierung der so quantita- tiv definierten Befunde und um bei späteren Kontrollen exakt verglei- chen und eine Besserung oder eine Verschlechterung definieren
*) Teil I wurde in Heft 47/1974, Seite 3392 ff., Teil II in Heft 48 11974, Seite 3463 ff., Teil III in Heft 49/1974, Seite 3551 ff. veröffentlicht
Fett- und Wasserlöslichkeit, ihrem lonisationsgrad, ihrer Molekülgrö- ße und Konzentration noch vom pH der Milch (im allgemeinen leicht sauer) und dem pK-Wert der Ein- zelsubstanz ab.
Neugeborenes
Die bis zu sechswöchige Phase der neonatalen Adaptation ist gekenn- zeichnet durch eine nur geringe Pharmaka-Abbau-Kapazität auf Grund einer „Unreife der Ferment- systeme", eine limitierte Eiweißbin- dungskapazität (zum Beispiel Bili- rubinfreisetzung durch konkurrie- rende Steroide oder Sulfonamide), einen erhöhten H2O-Umsatz mit vergrößerter Gewebsdurchlässig- keit, eine niedrige Blut-Liquor- Schranke, aus der beispielsweise eine hohe Empfindlichkeit für Opia- te und Sedativa resultiert, und eine translaktale Beeinflußbarkeit durch
„mütterliche" Pharmaka.
Bei einer erforderlichen Pharma- kotherapie der stillenden Wöchne- rin mit Substanzen, die das Neuge- borene schädigen würden, kann man während der Therapie vor- übergehend abpumpen und die Milch verwerfen oder definitiv ab- stillen. Des weiteren besteht beim Neugeborenen im Vergleich zum Kleinkind eine nur geringe Acidität im Magen, eine schnellere enterale Resorption und eine höhere Fähig- keit zur perkutanen Aufnahme von Pharmaka.
Pränatal ist durch Substanzen, die eine Enzyminduktion in der Leber bewirken, eine vorzeitige Reifung der Fermentsysteme zu erreichen.
Dies kommt dem Neugeborenen zugute, das auf Grund seiner ge- steigerten Biotransformation leich- ter mit antenatal, subpartual und postnatal zugeführten Pharmaka fertig wird.
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. med. J. Hüters 69 Heidelberg
Voßstraße 9
Neurologischer
Untersuchungskurs
IV. Teil")
Marco Mumenthaler
Aus der Neurologischen Universitätsklinik Bern (Chefärzte: Professoren Marco Mumenthaler, Albert Bischoff und Kasimir Karbowski)
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 2 vom 9. Januar 1975 79
Name: Jg.: Untersucher:
Datum R Muskel Datum
Temporalis V
Masseter V
Pterygoidei V
Stirne VII
Orbicularis oculi VII
Mund VII
Platysma VII
Weicher Gaumen IX, X
Pharynx IX, X
Sternocleidomastoideus XI
Trapezius XI
Zunge XII
Zwerchfell C3 4 5
Levator scapulae C3 4 5
Rhomboides 4 5
Serratus anterior 5 6 7
Supraspinatus 4 5 6
Infraspinatus 4 5 6
Pectoralis maior 5 6 7
Subscapularis 5 6 7
Latissimus dorsi 6 7 8
Teres maior 5 6 7
Deltoideus 5 6
Biceps und Brachialis 5 6
N. radialis
Triceps C6 7 8
Brachioradialis 5 6
Ext. carpi rad. longus 6 7 8) Ext. carpi rad. brevis 6 7 8)
Supinator 5 6 7
Ext. digitorum communis 6 7 8
Ext. digiti quinti 7 8
Ext. carpi ulnaris 7 8
Abd. pollicis longus 7 8
Ext. pollicis longus 7 8
Ext. pollicis brevis 7 8
Ext. indicis proprius 7 8
N. medianus
Pronator teres C6 7
Flexor carpi radialis 6 7
Palmaris longus 7 8 Thl
Flexor dig. sublimis 7 8 I Flex. dig. prof. II, III 7 8 1 Flex. pollicis longus 7 8 1
Pronator quadratus 7 8 I
Abductor pollicis brevis 8 1 0 = Keine Aktivität. 1 = Sichtbare Kontraktion ohne motorischen Effekt.
2 = Bewegungen unter Ausschaltung der Schwerkraft, 3 = Bewegungen gegen die Schwerkraft.
4 = Bewegungen gegen Widerstand. 5 = Normal.
• Fortsetzung auf Seite 83
Tabelle 10: Prüfung der Kraft einzelner Muskeln
Aktuelle Medizin
Neurologischer Untersuchungskurs
zu können, ist ein Schema wie zum Beispiel in Tabelle 10 nützlich.
10. Die Reflexe
Als Reflexe bezeichnen wir vom Willen unabhängige konstante Be- antwortungen eines äußeren Rei- zes durch den Organismus. Diese Reizbeantwortung kann in motori-
schen oder zum Beispiel auch in vegetativen Phänomenen bestehen.
Der adäquate auslösende Reiz kann sensibel oder sensorisch sein. Der Reflexablauf wird außer- dem von einer ganzen Reihe weite- rer Einflüsse auf das Zentralorgan mitbestimmt. Nur dank zahlloser Reflexmechanismen ist ein rei- bungsloser Ablauf wichtiger Vor- gänge im Organismus und in der
Auseinandersetzung desselben mii seiner Umwelt gewährleistet.
Ein Reflex ist nicht oder nicht in nennenswertem Maße vom Willen des Untersuchten abhängig. Der Reflexablauf gestattet dem Untersu- cher einen Rückschluß darauf, in welchem Anteil des Nervensystems eine Läsion vorliegt. Nachfolgend sollen die wichtigsten Typen von Reflexen beschrieben und deren Normabweichungen dargelegt wer- den.
Es sei auf die Schilderung der praktisch nur selten bedeutsamen Stellreflexe, Tonusreflexe, Fixa- tionsreflexe usw. verzichtet. Für den praktischen Arzt wichtig sind zunächst die Muskeleigenreflexe, andererseits die Gruppe der Fremd- reflexe.
Die Muskeleigenreflexe sind zu- mindest zum wesentlichen Teil mo- nosynaptische Reflexe (Abbildung 22). Als auslösender Reiz wird ein kurzer energischer Schlag auf die Sehne eines Muskels oder auf ei- nen Gliedmaßenabschnitt, an wel- chem der Muskel ansetzt, wirken.
Dadurch werden die im Muskel eingelagerten Muskelspindeln kurz gedehnt. Dies bewirkt eine Entla- dung aus den Spindelafferenzen über die Hinterwurzeln, wobei im Rückenmark im gleichen Segment die unmittelbare (monosynapti- sche) Umschaltung auf die moto- rischen Vorderhornganglienzellen des gedehnten Muskels sowie auf seine Synergisten geschieht. Da- durch kommt es zu einer Kontrak- tion der Arbeitsmuskelfasern die- ser Muskeln. Zugleich jedoch wer- den auch inhibitorische Schaltzel- len erregt und eine Hemmung der Antagonisten bewirkt.
Auch aus den Golgi-Endigungen in den Sehnen der gedehnten Mus- keln können unter Umständen hemmende Impulse die Entladung der Vorderhornganglienzellen ver- hindern. Der Reflex ist lebhafter, wenn die Muskelspindeln vorher durch Kontraktion der gammafa- seri'nnervierten intrafusalen Muskel- fasern verkürzt („vorgespannt")
82 Heft 2 vom 9. Januar 1975 DEUTSCHES ARZTEBLATr
Opponens pollicis Flex. poll. brevis (superfic.) N. ulnaris
Flexor carpi ulnaris Flex. dig. prof. IV, V Hypothenar Palmaris brevis Interossei Adductor pollicis Flex. poll. brevis (prof.) Rücken
Abdomen Ileopsoas Adductoren
Abductoren (Glut. med.) Innenrotation Oberschenkel Aussenrotation Oberschenkel Glutaeus maximus Quadriceps femoris Kniebeuger, innere
Biceps femoris (äuss. Kniebeug.) N. peronaeus
Tibialis anterior Ext. digitorum longus Ext. hallucis longus Peronaei
Ext. digitorum brevis N. tibialis
Gastrocnemius, Soleus Tibialis posterior Zehenflexoren
8 I 8 1 C7 8 Th1 78 I 8 I 8 I 8 I 8 1 8 I Th6 — 9 L 1 2 3 4
2 3 4 4 5 SI 45 1 4 5 1 2
5 1 2 2 3 4
4 5 1 2 5 I 2 L4 5 S1
4 5 1 4 5 1 4 5 1 4 5 1 5 I 2 51 5 1 2
Datum R Muskel L Datum
Datum Kopf von Kissen abheben
Kopf vorwärtsneigen Kopf rückwärtsneigen Arm seitwärtshoch Arm vorwärtshoch Hand in den Nacken Aufrichten aus Rückenlage Aufstehen von Stuhl Hinaufsteigen auf Stuhl
re li Herabsteigen von Stuhl
re li Aufstehen aus Hocke Trendelenburg Fussspitzengang Hackengang
Tabelle 10: Prüfung der Kraft einzelner Muskeln (Fortsetzung von Seite 82)
wurden. Eine allgemeine Gamma- faseraktivierung geschieht bei- spielsweise durch eine Anspan- nung anderer Muskelgruppen. Die verschiedenen hierzu führenden Handgriffe sind in Abbildung 23 dargelegt. Pyramidenbahnimpulse haben eine hemmende Wirkung auf die Muskeleigenreflexe, was deren Steigerung bei Pyramidenbahnlä- sion erklärt. Die Technik für die Auslösung der wichtigsten Muskel- eigenreflexe sowie deren Bezie- hung zu peripheren Nerven und Wurzeln ist in Tabelle 11 darge- stellt.
Das Fehlen einzelner Muskeleigen- reflexe kann auf eine Läsion eines peripheren Nervs oder einer Wur- zel beruhen. (Symmetrisches) Feh- len mehrerer Reflexe ist zum Bei- spiel bei einer Polyneuropathie zu finden, dann aber auch bei Polyra- dikulitis, fortgeschrittener spinaler Muskelatrophie oder Myopathie, bei Tabes, funikulärer Spinaler- krankung, gewissen spino-zerebel- lären Degenerationen (zum Bei- spiel Friedreichscher Ataxie) oder Adie-Syndrom (siehe auch Tabelle 6). Eine Steigerung der Muskelei- genreflexe ist praktisch gesehen Ausdruck einer Schädigung des zentralen motorischen Neurons (der Pyramidenbahn).
Den Fremdreflexen liegt ein polysyn- aptischer Reflexbogen zugrunde.
Der Reiz wird an einem anderen Organ appliziert, also nicht am Er- folgsorgan. Afferenter und efferen- ter Schenkel des Reflexbogens können somit je durch eine andere Wurzel beziehungsweise einen an- deren peripheren Nerv geleitet werden. Dies ist bei der topischen Deutung des Fehlens eines sol- chen Reflexes zu berücksichtigen.
Die Pyramidenbahnen wirken bahnend auf diese Reflexe. Dem- entsprechend werden Fremdre- flexe bei Pyramidenbahnläsion (zentraler Parese) abgeschwächt sein oder fehlen. In Tabelle 12 sind die wichtigsten Fremdreflexe dar- gestellt. Der praktisch wichtigste ist der Bauchhautreflex. Ein (scheinbares) Fehlen desselben als einziger Befund bei der neurologi-
schen Untersuchung ist meist be- deutungslos. Schlaffe Bauchdek- ken, starke Adipositas oder wenig wirksame Untersuchungstechnik können hierfür verantwortlich sein.
In Begleitung anderer Befunde al- lerdings kann das Fehlen der Bauchhautreflexe entweder auf eine radikuläre Schädigung der un-
teren thorakalen Wurzeln hinwei- sen oder bei (homolateraler) Steige- rung der Muskeleigenreflexe Teil- symptom einer zentralen spasti- schen Lähmung sein.
Die pathologischen Reflexe sind jene Reflexe, die bei Gesun- den fehlen und deren Auslösbar-
DEUTSCHES ARZTEBLATT
Heft 2 vom 9. Januar 1975
83b
c
Aktuelle Medizin
Neurologischer Untersuchungskurs
keit als solche schon ein Beweis für eine Läsion des zentralen Ner- vensystems ist. Sie sind in Tabelle 13 zusammengestellt und die Aus- lösung der drei wichtigsten durch die Abbildung 24a bis c illustriert.
Diese drei, die geläufigsten „Pyra- midenzeichen" der unteren Extre- mitäten, sind für den Praktiker die wichtigsten. Ist das Babinski-Zei- chen vorhanden, dann erübrigt es sich, die zwei anderen überhaupt zu prüfen. Sie sollen höchstens dann gesucht werden, wenn Pyra- midenzeichen auf Grund von Anamnese oder übrigen Befunden erwartet werden, jedoch der Ba- binski wider Erwarten fehlt. Bei starken Hohlfüßen oder bei sehr lebhaften Fluchtreflexen ist eine ra- sche Dorsalextension der Großze-
he gegen ein echtes Babinski-Zei- chen abzugrenzen.
Von den vegetativen Reflexen, stets polysynaptische Reflexe, sind nur zwei von Bedeutung für den Prakti- ker. Die Fasern für die Schweißse- kretion gelangen durch die Vorder- wurzeln von Th 2 bis L 3 über die Rami communicantes albi in den sympathischen Grenzstrang. Hier werden sie auf das letzte Neuron umgeschaltet und gelangen über die Rami communicantes grisei und die Spinalnerven mit deren sensiblen Verzweigungen zu den Schweißdrüsen der Haut. Die Schweißsekretion beziehungsweise der Ausfall derselben kann färbe- risch auf der Haut dargestellt wer- den. Die Topographie einer
Schweißsekretionsstörung erlaubt Rückschlüsse auf den Ort, wo eine Unterbrechung der sudorisekretori- schen Fasern stattgefunden hat. Ist trotz vollständigem Ausfall der Sensibilität an einer Extremität die Schweißsekretion jedoch in die- sem gleichen Bezirk noch erhalten, dann muß die Läsion sehr proximal an der Wurzel stattgefunden ha- ben, bevor also die Rami communi- cantes grisei aus dem Grenzstrang die Plexuswurzel erreichen. Liegt dagegen ein lokalisierter Ausfall der Schweißsekretion ohne ande- ren neurologischen Ausfall, insbe- sondere bei erhaltener Sensibilität vor, dann ist die Läsion im Grenz- strangbereich zu suchen. So kann zum Beispiel eine Anhidrose einer Fußsohle der erste Hinweis auf
Abbildung 22 (links): Anatomisches Substrat für den Muskeleigenreflex. A: Pyramidenbahn, B: Beugermuskel, 0: Gol- gi-Endigung in der Muskelsehne, D: Streckermuskel (Antagonist). 1 und 2: Hemmneurone, 3: aktivierendes Zwischen- neuron, 4-7: Motoneurone im Rückenmarkvorderhorn (aus M. Mumenthaler, Hexagon Roche, Basel 1974) — Abbil- dung 23 (rechts): Drei Methoden zur Fazilitierung von Muskeleigenreflexen. a) Jendrassikscher Handgriff, b) kräftiges Neigen des Kopfes nach vorne, c) aktives Flektieren des Fußes (aus M. Mumenthaler, Hexagon Roche, Basel 1974)
84 Heft 2 vom 9. Januar 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Skapulohumeral- Schlag auf media- Adduktion und Infraspinatus und Supraskapularis C 4 — C 6 reflex len Rand der unte- Außenrotation des Teres minor und Axillaris
ren Skapulahälfte herabhängenden Armes
Bizepsreflex Schlag auf Bizeps- Beugung Ellen- Biceps brachii Muskulokutaneus C 5 — C 6 sehne bei gebeug- bogen
tem Ellenbogen
C 5 — 6 Brachioradialis- Schlag auf Flexion im Ellen- Brachioradialis Radialis
reflex distales Radius- bogen (+ Biceps brachii Muskulokutaneus („Supinatorreflex", ende bei leicht und brachialis)
„Radius-Periost- gebeugtem Ellen- Reflex") bogen und pronier-
tem Vorderarm
Trizepsreflex Schlag auf Trizeps- Extension im Triceps brachii Radialis C 7 — C 8 sehne bei gebeug- Ellenbogen
tem Ellenbogen
Daumenreflex Schlag auf Sehne Flexion der Flexor pollicis Medianus C 6 — C 8 des Flexor pollicis Daumenend- longus
longus am distalen phalanx Drittel des Vorder-
armes
Handgelenksreflex Schlag auf Dorsum Extension von Hand- und lange Radialis C 6 — C 8 des Handgelenks, Hand und Fingern Fingerextensoren
proximal vom (inkonstant) Radiokarpalgelenk
Fingerflexoren- Schlag auf den Beugen der Lang- Flexor digitorum Medianus C 7 — C 8 reflex Daumen des Unter- finger (Flexion superficialis (Ulnaris) (Th 1)
suchers, welcher Handgelenk) (Flexores carpi) in die Handvola
des Patienten ge- legt wird. Oder:
Schlag auf die Beugersehnen vo- lar am Handgelenk
Trömner-Reflex Herunterhängende Flexion der Finger- Flexores digitorum Medianus C 7 — C 8 Patientenhand am endglieder (ein- (profundi) (Ulnaris) (Th 1) Mittelfinger gehal- schließlich Dau-
ten. Schlag von men) volar gegen Mittel- fingerendglied
Adduktorenreflex Schlag auf media- Adduktion des Adduktoren Obturator L 2 — L 4 len Kondylus des Beines
Fernurs
Quadriceps- Schlag auf Quadri- Extension im Knie Quadriceps Femoralis (L 2)
femoris-Reflex zepssehne unter- femoris L 3 — L4
halb Patella, leicht flektiertes Knie
Tibialis- Schlag auf Sehne Supination des Tibialis posterior Tibialis L 5 posterior-Reflex des Tibialis Fußes (inkonstant)
posterior hinter dem Malleolus
medialis • Fortsetzung auf Seite 86
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 2 vom 9. Januar 1975 85
Aktuelle Medizin
Tabelle 11: Spinale Muskeleigenreflexe — Beziehung zu p eripheren Nerven und Segmenten
(Nach Mumenthaler und Schliack, 1973) (Fortsetzung von Seite 85)
Reflex Auslösung Ergebnis Muskel(n) Peripherer Nerv Segment(e)
Peronäusmuskeln- Fuß leicht flektiert Dorsalextension Lange Fuß- und Peronäus L 5 — S 1 reflex (Fuß- und supiniert. und Pronation des Zehenextensoren,
extensorenreflex) Finger des Unter- Fußes Peronaei suchers über di-
stale Metatarsalia.
Schlag darauf, be- sonders Metatarsa- lia 1-2
Semimembranosus- Schlag auf Sehne Spürbare Kontrak- Semimembranosus Ischiadikus S1 und Semitendino- der medialen Knie- tion der Muskeln und Semitendino-
susreflex beuger (Patient sus
in Bauchlage, Knie leicht flektiert und entspannt)
Biceps-femoris- Schlag auf Sehne Kontraktion des Reflex der lateralen Knie- Muskels
beuger (Patient in Bauchlage, Knie leicht flektiert und entspannt)
Biceps femoris Ischiadikus S 1 — S 2
S1 — S 2 Triceps-surae- Schlag auf Achil- Plantarflexion des Triceps surae Tibialis
Reflex lessehnen (Knie Fußes (und andere Fuß- („Achillessehnen- leicht gebeugt, flexoren) reflex") Fuß in Rechtwin-
kelstellung)
Tal eile 12: Die wichtigsten (spinale) ;;Indreflexe (Na; Mumenthafer und Schliack, 1972)
-e4
Reflex Auslösung Ergebnis Muskel(n) Peripherer Nerv Segment(e)
C 6 — Th 1 Mayerscher Forcierte passive Adduktion und Adduktor und Ulnaris und
Fingergrund- Beugung des Oppositionsbe- Opponens pollicis Medianus gelenkreflex Grundgelenks von wegung des ersten
Mittel- und Ring- Metakarpale finger
Epigastrischer Rascher Nadel- Einziehen des Reflex strich von Mamilla Epigastriums
abwärts
Oberste Fasern Interkostales Th 5 — Th 6 und des Trans-
versus abdominis
Bauchhautreflex Rasches Be- Verschieben der Abdominal- Interkostalnerven, Th 6 — Th 12 („Bauchdecken- streichen der Bauchhaut und des muskulatur Hypogastrikus und
reflex") Bauchhaut von Nabels zur gereiz- llioinguinalis lateral gegen die ten Seite hin
Mittellinie
R. genitalis des L 1 — L 2 Genitofemoralis
Kremasterreflex Bestreichen der Hochsteigen der Kremaster Haut an oberer Testes
Innenseite des Oberschenkels (Kneifen, proximale Adduktoren)
Glutäalreflex Bestreichen der Kontraktion Glutaeus medius Glutaeus superior L 4 — S 1 Haut über Glutaeus maximus und maximus und inferior
Glutaeus maximus (inkonstant)
Fortsetzung auf Seite 87
86 Heft 2 vom 9.Januar 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Bulbokavernosus- Leichtes Kneifen reflex der Glans penis oder Stechen der Haut am Dorsum penis
(an Peniswurzel am Damm oder bei Rektalpalpation spürbar) Stechen der
perianalen Haut oder am Damm, Patient in Seiten- lage, Hüfte und Knie gebeugt
Sichtbare Kontrak- Sphincter ani tion des Anus externus
Pudendus S 3 — S 5
Analreflex
Tabelle 13: Einige pathologische Reflexe
Reflex Auslösung Ergebnis Bedeutung
Wartenbergscher Langfinger des Patienten Beugen des Daumens deutet auf Pyramidenbahn-
Reflex leicht gebeugt, durch den läsion
Untersucher eingehakelt und kräftig gezogen
Palmo-mental-Reflex kräftiges Bestreichen von Daumenballen oder übriger Handvola mit Fingernagel oder Holzstab
homolateral dazu Kontrak- tion der Kinnmuskulatur
bei diffusen zerebralen Schädigungen, zum Beispiel Zerebraiskierose, postan oxisch, hirnatrophische Pro zesse. Wenn nur einseitig, deutet dies auf Läsion der kontralateralen Hirnhälfte hin (?)
Greifreflex
Nachgreifen (grasping and groping, Magnet- phänomen)
Bestreichen der Handinnen- fläche
Finger beugen bis zum Fest- halten des Reizgegenstan- des
Gegenstand wird der Hand Hand folgt mit Greifbewe- (des nicht bewußtlosen) Pa- gungen dem Gegenstand tienten näher gebracht wie einem Magnet
normal beim Säugling. Spä- ter bei diffuser Hirnschädi- gung, vor allem Stirnhirn.
Kontralateral bei Stirnhirn- läsion, homolateral bei Stammganglienherden
Gegenhalten Versuch, einen Muskel zu dehnen: zum Beispiel Hin- unterdrücken des Unterkie- fers, Strecken der gebeug- ten Langfinger durch Einha- ken derselben
Patient spannt die betroffe- nen Muskeln aktiv an und verhindert deren passive Dehnung durch den Unter- sucher. Dies ohne einen all- gemeinen Negativismus
Bei diffuser Frontalhirner- krankung und Stammgan-
glienläsionen
Massenreflexe der unte- ren Extremitäten bei Querschnittsläsionen
zum Beispiel durch kräftige passive Flexion von Zehen und Vorfuß (Marie-Foixscher Handgriff)
Retraktion des (sonst ple- gischen) Beines durch Beu- gen im Hüft- und Kniegelenk
beweist Intaktheit der spina- len Reflexbogen, also zum Beispiel des peripheren Ner- vensystems. Als Trick zur Erleichterung der Pflege bei spastisch-steifen Patienten 3 „Pyramiden-zeichen"
der unteren Extremitäten Babinski-Phänomen
(siehe Abbildung 24 a) Gordonscher Reflex (siehe Abbildung 24 c) Oppenheimscher Reflex (siehe Abbildung 24 b)
Bestreichen des lateralen Fußrandes von der Ferse zur kleinen Zehe, eventuell auch queres Bestreichen des vor- deren Fußgewölbes
Kräftiges Kneten oder Be- streichen der Wade
Kräftiges Bestreichen der Schienbeinkante von proxi- mal nach distal (schmerz- haft) Erfolg
Tonische Dorsalextension der Großzehe, eventuell von Spreizen der übrigen Zehen begleitet (Fächerphänomen)
Weist auf Läsion der ent- sprechenden kortikospina- len Bahn (Pyramidenbahn) hin
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 2 vom 9. Januar 1975 87
88
Heft 2 vom 9.Januar 1975DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Aktuelle MedizinNeurologische Untersuchung
Abbildung 24: Pyramidenzeichen an den unteren Extremitäten. a) Babinskisches Fußsohlenphänomen, b) Oppenheim- scher Reflex, c) Gordonscher Reflex
eine Tumorinfiltration im Retroperi- tonealraum sein. Die für die Piloar- rektion verantwortlichen sympathi- schen Fasern verlaufen weitgehend entsprechend denjenigen für die Schweißsekretion. Den Reflex der glatten Piloarrektorenmuskeln kann man am entkleideten Patien- ten durch leichtes Kitzeln am Tho- rax oder Rücken erzeugen. Es kommt dann zu einem generalisier- ten Aufrichten der Haare und zur Ausbildung von „Hühnerhaut".
Bleibt dies in einem bestimmten umschriebenen Bezirk aus, dann ist dies ähnlich wie ein lokaler Ausfall der Schweißsekretion zu werten.
Wird fortgesetzt
Anschrift des Verfassers:
Professor Marco Mumenthaler CH-3012 Bern
Inselspital
Berichtigung
Nierentransplantation:
Organgewinnung und -konservierung
In Tabelle 9 der Arbeit „Nieren- transplantation: Organgewinnung und -konservierung", DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, Heft 49/1974, Seite 3548, ist vergessen worden, folgen- de Anschrift aufzuführen: Universi- tät Heidelberg — Chirurgisches Zentrum, Direktor Professor Dr. F.
Linder, Urologische Abteilung, Vor- stand: Professor L. Röhl, Privat- dozent Dr. K. Dreikorn, Telefon:
(0 62 21) 56 22 19 und 56 21 77. Der Autor bittet dieses Versäumnis zu
entschuldigen. DÄ