Teil IV
Wissenschaftstheorie, Psychologie, Naturphilosophie
12. Kapitel
Wissenschaftstheorie und Logik
FRANZ V O N KUTSCHERA
/. Zum Generalthema »Orientierung durch Philosophie«
IL Vom Nutzen der Logik
77/. Vom Nutzen der Wissenschaftstheorie
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I. Zum Generalthema »Orientierung durch Philosophie«
L o g i k und Wissenschaftstheorie g e h ö r e n seit Aristoteles z u m festen Bestand der Philosophie. Z u diesen beiden Disziplinen läßt sich unter verschiedenen historischen und systematischen Aspekten sehr vieles sagen. F ü r uns ist aber der Aspekt durch das Gesamtthema des vorlie- genden Buches vorgegeben: »Was kann die Philosophie heute zur Orientierung leisten?« B e v o r ich auf L o g i k und Wissenschaftstheorie eingehe, w i l l ich daher etwas zu diesem Gesamtthema sagen, zumal die beitragenden A u t o r e n dazu auch eigens aufgefordert w o r d e n sind.
Orientierung ist v o r allem Orientierung i m Handeln und Leben. D i e zentrale Frage ist: »Was sollen w i r t u n ? « , und das ist nach Kant die Grundfrage der E t h i k . E t h i k ist also die philosophische D i s z i p l i n , die mit der Leitfrage dieser Vortragsreihe v o r allem angesprochen ist. Sie ist nun aber keine autonome D i s z i p l i n . Was w i r tun sollen, h ä n g t auch v o n den jeweils gegebenen U m s t ä n d e n ab, v o n den real m ö g l i c h e n Alternativen, v o n den v e r f ü g b a r e n und geeigneten M i t t e l n zur V e r - w i r k l i c h u n g v o n Zielen oder zur E r f ü l l u n g v o n N o r m e n . A l l g e m e i n
steht i m H i n t e r g r u n d jeder E t h i k eine K o n z e p t i o n v o n Menschen und Gesellschaft, v o m O r t des M e n s c h e n i n der Welt und damit auch v o n der N a t u r . E t h i k ist so Teil einer Weltanschauung i n dem Sinn, i n dem diese s o w o h l ein Weltbild u m f a ß t - Ansichten ü b e r die faktische Struk- tur des U n i v e r s u m s - als auch eine H a l t u n g z u der so verstandenen W i r k l i c h k e i t , die sich i n Wertungen, Idealen, Zielen u n d N o r m e n a u s d r ü c k t . In der Stoa, der Schule, die die Philosophie v o m 3. Jahrhun- dert v. C h r . an für ca. 500 Jahre weitgehend beherrschte, galt z. B . die E t h i k als philosophische Zentraldisziplin. Das p r i m ä r e Z i e l dieser P h i - losophie war es, den M e n s c h e n zur Eudaimonie, zu einem glücklichen Leben zu verhelfen. E i n glückliches Leben ist für sie ein sittlich gutes Leben, das wiederum ist ein Leben i m E i n k l a n g mit der N a t u r , und daher ist P h y s i k - die Bezeichnung u m f a ß t e damals die gesamte N a t u r - philosophie - Grundlage der stoischen E t h i k . D i e M a ß s t ä b e eines r i c h - tigen, guten Lebens ergaben sich aus der Erkenntnis der G r u n d s t r u k t u - ren der Welt und des Ortes, der dem Menschen in ihr z u k o m m t . T u g e n d ist v e r n ü n f t i g e s H a n d e l n , ein Handeln mit Vernunft aber ein H a n d e l n i m E i n k l a n g mit der N a t u r , die selbst eine v e r n ü n f t i g e und gute O r d n u n g ist.
N a c h der Dreiphasenlehre v o n Auguste C o m t e , die später auch W i l h e l m D i l t h e y ü b e r n o m m e n hat, waren die Weltanschauungen ur- s p r ü n g l i c h religiös g e p r ä g t . R e l i g i o n als T r ä g e r der Weltanschauung wurde dann i m Laufe der geschichtlichen E n t w i c k l u n g (die C o m t e als geistigen Fortschritt verstand) durch Philosophie abgelöst und diese w i e d e r u m durch die Wissenschaften. Diese Lehre entspricht einer noch heute weit verbreiteten Vorstellung. R i c h t i g ist, d a ß Philosophie aus religiösen Spekulationen entstanden ist und die weltanschaulichen Fra- gen der Religionen zu ihrem T h e m a gemacht hat. Philosophie hat sich i m m e r , w e n n auch m i t unterschiedlichem N a c h d r u c k , mit Fragen befaßt w i e » W o h e r k o m m e n w i r ? « , »Wohin gehen w i r ? « , »Welche Stellung hat der M e n s c h i m U n i v e r s u m ? « , »Was ist der Sinn menschli- chen Lebens und menschlicher Geschichte?«, also mit Fragen, auf die auch die Religionen A n t w o r t e n anbieten. R i c h t i g ist ferner, d a ß die Wissenschaften sich z u m g r ö ß t e n Teil aus philosophischen U n t e r s u - chungen entwickelt haben. Philosophie w i r d noch bis weit i n die Neuzeit hinein als Inbegriff der Wissenschaften verstanden. D i e W i s - senschaften liefern n u n z w a r p r i m ä r nur ein Weltbild u n d legen keine N o r m e n und Ziele fest, aber ihre Aussagen ü b e r M e n s c h und N a t u r haben doch auch weitreichende weltanschauliche Konsequenzen. Es besteht also tatsächlich eine K o n k u r r e n z zwischen R e l i g i o n , P h i l o - sophie u n d Wissenschaften auf weltanschaulichem Gebiet, und heute
liegt die Vorherrschaft zweifellos bei den Wissenschaften. Falsch ist hingegen die These v o n der A b l ö s u n g der R e l i g i o n durch Philosophie und dieser durch die Wissenschaften. D i e Philosophie hat die R e l i g i o n nie völlig v e r d r ä n g t . D i e g r o ß e griechische Philosophie endet mit der mittleren Stoa u m ca. 50 v. C h r . - Plotins Metaphysik ist mehr B i l d als Theorie. Das Scheitern ihrer E n t w ü r f e umfassender Weltbilder wurde zum A r g u m e n t gegen sie. Eine streng rationale Philosophie hielt sich nur mehr i n der Skepsis, die schon u m 250 v. C h r . Piatons Akademie beherrschte. Es war i m wesentlichen die Einsicht, d a ß sich auf rein rationalem Weg w e n i g zu den zentralen existentiellen Fragen sagen läßt, die eine erneute Z u w e n d u n g zur R e l i g i o n bewirkte. I m N e u p y - thagoreismus und Neuplatonismus machten sich dann antirationale S t r ö m u n g e n breit und eine Welle neuer Religiosität ü b e r s c h w e m m t e auch die Philosophie, so d a ß es nun hieß, R e l i g i o n sei die wahre Philosophie. V o n ihr erwartete man sich jetzt wieder Orientierung i n den wichtigen Lebensfragen. A u c h die neuzeitliche A u f k l ä r u n g hat Religion nicht obsolet gemacht.
D i e E n t w i c k l u n g der Wissenschaften hat seit dem 19. Jahrhundert die Philosophie zunehmend i n den H i n t e r g r u n d g e d r ä n g t . Sie verhie- ßen und v e r h e i ß e n sicheren Erkenntnisfortschritt statt f r a g w ü r d i g e r philosophischer Spekulationen. D i e Philosophie verlor fast alle Gegen- standbereiche an die Wissenschaften und befaßte sich zunehmend b l o ß mit sich selbst - mit ihrer eigenen Geschichte oder mit der Destruktion ihrer traditionellen Disziplinen wie Metaphysik und Erkenntnistheo- rie. In der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts sah sie ihre Aufgabe weithin nur mehr i n sprachlichen Analysen, die vor allem dazu dienen sollten, philosophische Fehler aufzudecken. So sagt L u d w i g W i t t g e n - stein, Aufgabe der Philosophie sei es, der Fliege den Weg aus dem Fliegenglas zu zeigen, d. h. uns v o n i r r e f ü h r e n d e n philosophischen Spekulationen zu befreien. M i t der These, Gegenstand der Philosophie sei allein ihre eigene Geschichte, oder Aufgabe der Philosophie sei allein die K o r r e k t u r ihrer eigenen Fehler, h ä t t e die Philosophie i n der Tat i m Sinne v o n C o m t e ihr eigenes Ende bestätigt. E i n B l i c k i n die heutige philosophische Literatur zeigt aber, d a ß die Philosophie nach wie vor höchst lebendig ist u n d d a ß ihr all ihre alten T h e m e n verblieben sind.
Sie hat sich, so m u ß man feststellen, erstaunlich schnell v o n ihrer Depression erholt. Philosophie scheint heute auch i m allgemeinen B e - w u ß t s e i n wieder an Bedeutung zu gewinnen. D e r naive Fortschrittsop- timismus weicht. Es stellt sich die Frage nach einem verantwortlichen Gebrauch unserer technischen M ö g l i c h k e i t e n , die Frage »Was dürfen w i r t u n ? « , und langsam w i r d auch den Wissenschaftsgläubigen klar,
d a ß sie v o n Seiten der Wissenschaften darauf keine A n t w o r t erhalten u n d sie auch g r u n d s ä t z l i c h nicht erhalten k ö n n e n , weil die Wissenschaf- ten sich ihrer methodischen A u s r i c h t u n g nach auf Fakten b e s c h r ä n k e n . N u n sind zwar, w i e schon betont wurde, auch Fakten für die B e s t i m - m u n g dessen w i c h t i g , was man tun soll oder tun darf, aber aus Fakten folgen keine N o r m e n und Werte. D i e Relevanz v o n Fakten für m o r a l i - sche Fragen ergibt sich erst aus normativen oder W e r t p r ä m i s s e n . Es zeigt sich, d a ß die Wissenschaften als solche keine Weltanschauung, sondern nur ein Weltbild liefern. D i e sog. »wissenschaftliche Weltan- s c h a u u n g « ist in Wahrheit eine philosophische. M a n bezeichnet sie auch als » N a t u r a l i s m u s « oder »Szientismus«. Sie sieht die empirische W i r k - lichkeit, die den Gegenstand der Naturwissenschaften bildet, als die ganze Realität an. D i e G e s a m t w i r k l i c h k e i t erscheint danach als p r i n z i - piell naturwissenschaftlich beschreibbar und erklärbar. Das gilt auch für seelische, geistige und kulturelle P h ä n o m e n e . D i e sind zwar gegen- w ä r t i g noch nicht physikalisch oder biologisch erklärbar, aber man ist ü b e r z e u g t , d a ß eine solche E r k l ä r u n g i n Z u k u n f t m ö g l i c h sein w i r d , ebenso wie eine physikalisch-kausale E r k l ä r u n g biologischer Erschei- nungen m ö g l i c h geworden ist. F ü r unseren Zusammenhang ist ent- scheidend, d a ß N o r m e n und Werte kein Gegenstand naturwissen- schaftlicher Untersuchungen sind, also i m Sinne des Naturalismus auch keinen Platz i n der objektiven Realität haben. N o r m e n und Werte sind für i h n daher subjektive Erscheinungen: M a n kann nicht v o n dem objektiven Wert einer Sache oder einer H a n d l u n g reden, sondern Wert hat etwas i m m e r nur für jemanden aufgrund seiner subjektiven Interes- sen oder Präferenzen. Es ist nicht objektiv, d. h. u n a b h ä n g i g v o n menschlichen Interessen, verboten zu t ö t e n , N o r m e n sind vielmehr K o n v e n t i o n e n der Gesellschaft, die für den einzelnen ihren quasi-ob- j e k t i v e n Charakter dadurch erhalten, d a ß er sie aufgrund seiner E r z i e - h u n g u n d der Einflüsse seiner sozialen U m w e l t so internalisiert hat, daß er ihren konventionellen Charakter u n d ihre A b h ä n g i g k e i t v o n sozialen Lebensformen nicht mehr erkennt. Das ist schon ein Gedanke der griechischen A u f k l ä r u n g , der sich dann auch i n der neuzeitlichen P h i l o - sophie w e i t h i n durchgesetzt hat. Das P r o b l e m ist jedoch, d a ß i n dieser K o n z e p t i o n das ethische G r u n d p h ä n o m e n der Verpflichtung ver- schwindet: M e i n e eigenen P r ä f e r e n z e n verpflichten m i c h z u nichts. O b ich ihnen folge oder nicht ist meine private Sache. M e i n e Vorliebe für Schokoladeneis verpflichtet m i c h z. B . nicht, m i r welches zu kaufen.
A u c h die Präferenzen anderer Leute verpflichten m i c h z u nichts. Ich werde ihnen Rechnung tragen, sofern das i n meinem eigenen Interesse liegt. K a n t hat sehr klar gesehen, d a ß man daher sittliche Forderungen
nicht auf subjektive Interessen g r ü n d e n kann. Das moralische G r u n d - p h ä n o m e n ist, d a ß w i r Forderungen begegnen, die u n a b h ä n g i g v o n unseren Interessen gelten, d a ß w i r uns konfrontiert sehen mit Pflichten, deren G e l t u n g nicht v o n dem a b h ä n g t , was w i r selbst w o l l e n , sondern die dem oft genug widersprechen. Es besteht darin, d a ß w i r den Wert einer Sache i n sich erkennen, der nicht v o n ihrem Wert, z. B . ihrer N ü t z l i c h k e i t für uns a b h ä n g t . D i e Frage »Was sollen w i r tun?« richtet sich auf objektive N o r m e n , auf das, was objektiv richtig ist. G i b t es kein »objektiv richtig oder falsch«, so verliert die Frage ihren Sinn, es gibt keine b e g r ü n d e t e n A n t w o r t e n , und E t h i k ist dann - zumindest in ihren u r s p r ü n g l i c h e n Intentionen - nicht mehr m ö g l i c h .
Ich habe schon betont, d a ß die »wissenschaftliche W e l t a n s c h a u u n g « kein Resultat der Wissenschaften ist, sondern eine philosophische K o n - zeption. Das U n g e n ü g e n an den Wissenschaften, das daraus entspringt, daß sie keine Orientierung vermitteln, erstreckt sich daher auch auf diese Philosophie. A u c h sie gibt keine Orientierung. W ä h r e n d aber praktische Orientierungsprobleme v o n vornherein kein T h e m a der Wissenschaften sind, v o n diesen also offen gelassen werden, weist sie der Naturalismus i n ihrem u r s p r ü n g l i c h e n Sinn z u r ü c k : Es gibt keine Orientierung an objektiven Werten, da es keine objektiven Werte gibt.
D i e einzige Auskunft ist dann konsequenterweise: Tue, was deinen Interessen entspricht - aber dazu braucht man keine E t h i k , denn das tun w i r ohnehin meist. W i l l also Philosophie heute zur Orientierung beitra- gen, so m u ß sie z u n ä c h s t einmal den Naturalismus einer K r i t i k unter- ziehen u n d sehen, w i e sie zu einem objektiven Fundament v o n N o r m e n und Werten k o m m t . D i e Situation ist daher heute nicht so, d a ß der i n seiner Suche nach Orientierung v o n den Wissenschaften E n t t ä u s c h t e sich vertrauensvoll wieder der lang vernachlässigten M u t t e r P h i l o - sophie i n die A r m e werfen kann, sondern er w i r d prüfen m ü s s e n , ob und welche Philosophie i h m weiter hilft. U n d er w i r d sich d a r ü b e r klar sein m ü s s e n , d a ß Philosophie keine Instanz wie die R e l i g i o n ist, die i h m v e r k ü n d e t , was zu tun u n d w o r i n der Sinn und Wert des Lebens zu finden ist, sondern d a ß sie i h n auf eigene Einsicht und Entscheidung verweist und i h m dabei nur insofern Hilfestellung leisten kann, als sie i h m Alternativen verdeutlicht und ihre Konsequenzen und S c h w i e r i g - keiten. Philosophische Orientierung ist also nichts, was man »der«
Philosophie als ihr Resultat entnehmen k ö n n t e , sondern man m u ß sich selbst orientieren u n d dazu kann sie nur Anleitungen geben. D e r Schritt von einer Wissenschaftsgläubigkeit zur P h i l o s o p h i e g l ä u b i g k e i t w ä r e kein Fortschritt, und er verbietet sich schon angesichts der Vielzahl konkurrierender philosophischer Lehren.
D i e Schwierigkeit liegt heute insbesondere darin, d a ß sich ethische Konzeptionen, wie schon gesagt wurde, auf ein Weltbild beziehen:
N o r m e n m ü s s e n , w e n n sie, wie H e g e l sagt, nicht nur als Ideale »in den K ö p f e n einiger Menschen existieren« sollen, ein Fundament i n der Realität haben. Das Gute ist das, was sein soll, aber nur allzu oft nicht ist. W i e kann es aber als Irreales, b l o ß Ideales verpflichtende Kraft haben? W i e w i l l man konsequent für das Gute eintreten, wenn m a n glaubt, d a ß die Welt so, wie sie tatsächlich ist, ganz anderen Gesetzen gehorcht als den moralischen, d a ß alles sittliche Streben doch letztlich i m m e r wieder scheitern m u ß , w e i l die Verhältnisse eben nicht so sind?
F ü r die Philosophie der A n t i k e wie des Mittelalters bestand dieses P r o b l e m nicht. F ü r sie war die W i r k l i c h k e i t nicht wie für uns eine M e n g e wertfreier Fakten. D e r Gedanke der Stoa, d a ß die W i r k l i c h k e i t als solche gut ist, ist i n vielen Variationen ihre Grundthese. F ü r K a n t ergab sich aus dieser unverzichtbaren Forderung eines ontologischen Fundaments der Werte das Postulat der Existenz Gottes, und seitdem ist die Frage i n der D i s k u s s i o n geblieben, ob die E t h i k , da sie dieses Fundament nicht i n der empirischen W i r k l i c h k e i t findet, wie w i r sie heute verstehen, nicht auf eine transzendente Realität B e z u g nehmen m u ß , d. h. letztlich: O b E t h i k ohne eine religiöse Grundlage aus- k o m m t . Es zeigt sich also, d a ß R e l i g i o n , Philosophie u n d Wissenschaf- ten nicht b l o ß drei konkurrierende Weisen der B e s c h ä f t i g u n g mit den- selben weltanschaulichen Problemen sind, die alle auch heute noch aktuell sind, sondern sie auch unterschiedliche Z u s t ä n d i g k e i t e n haben und sich daher nicht durcheinander ersetzen lassen.
IL Vom Nutzen der Logik
D i e Frage, w i e w e i t die heutige E t h i k das Bedürfnis nach O r i e n t i e - rung befriedigen kann, ist T h e m a eines eigenen Beitrages dieses B u - ches. W i r m ü s s e n n u n v o n den H ö h e n der M o r a l i n die Tiefen v o n L o g i k und Wissenschaftstheorie hinabsteigen. Unsere Frage ist - z u - n ä c h s t b e z ü g l i c h der L o g i k - : Was ist und was leistet sie und welche F u n k t i o n kann sie für A n t w o r t e n auf Orientierungsfragen haben?
Das W o r t »Logik« w i r d heute fast ausschließlich i m Sinn der forma- len L o g i k verwendet, u m die es auch i m folgenden allein geht. In der T r a d i t i o n seit Aristoteles u m f a ß t sie eine Lehre v o m Begriff, eine Lehre v o m U r t e i l u n d eine Lehre v o m S c h l u ß . E i n e Theorie des Schließens setzt n u n aber schon eine Analyse v o n U r t e i l e n voraus, denn ein Schluß ist eine Folgebeziehung zwischen U r t e i l e n , u n d i n der formalen L o g i k
k o m m t es für die G ü l t i g k e i t eines Schlusses auf die (logische) Struktur v o n P r ä m i s s e n und K o n k l u s i o n an. D a Urteile mit Begriffen gebildet werden, m u ß einer Analyse der U r t e i l e ferner eine Analyse der Begriffe vorausgehen. M a n kann daher L o g i k auch einfach als Theorie des Schließens bezeichnen, w e i l der Rest damit impliziert ist. D a A r g u - mente und Beweise Folgen v o n Schlüssen sind, ist L o g i k damit insbe- sondere eine Theorie korrekter Argumentationen u n d Beweise. D a sie eine Theorie der Begriffsbildung einschließt, ist sie auch eine Theorie korrekter E i n f ü h r u n g v o n Begriffen, insbesondere durch Definitionen, aber auch i m K o n t e x t v o n Theorien, durch Metrisierung komparativer Begriffe usf. Begriffsbildung u n d Argumentationen spielen nun i n allen Wissenschaften eine wichtige Rolle, und damit w i r d schon die allgemeine Bedeutung der L o g i k deutlich.
D i e L o g i k ist als philosophische D i s z i p l i n v o n Aristoteles b e g r ü n d e t worden und zwar auf eine i n sich so perfekte Weise, daß ihr in den folgenden 2000 Jahren nichts Wesentliches mehr h i n z u g e f ü g t wurde.
N o c h K a n t konnte sagen, d a ß die L o g i k seit Aristoteles keinen Schritt voran noch z u r ü c k habe tun k ö n n e n . Erst i n der M i t t e des 19. Jahrhun- derts hat sich eine neue E n t w i c k l u n g der L o g i k angebahnt, eingeleitet durch Arbeiten v o n George B o o l e (1815-64). A l s der eigentliche B e - g r ü n d e r der modernen L o g i k gilt jedoch G o t t l o b Frege (1848-1925).
Diese E n t w i c k l u n g hält bis heute an. In ihr ist die moderne L o g i k ü b e r die aristotelische ähnlich weit hinausgewachsen wie die Mathematik über jene des Pythagoras. Es gibt heute eine Fülle v o n Logiksystemen, die wesentlich leistungsfähiger sind als die Syllogistik v o n Aristoteles.
Dieser Fortschritt wurde nicht zuletzt m ö g l i c h durch die Formalisie- rung der L o g i k . Schon Aristoteles verwendete standardisierte Aussage- formen und Symbole, aber nun entwickelt man komplette logische Sprachen mit einem eigenen Alphabet, einer eigenen G r a m m a t i k u n d exakten semantischen Interpretationsregeln. D e r Beweisbegriff wurde rein syntaktisch gefaßt: D i e A x i o m e der logischen Theorien sind Sätze einer bestimmten F o r m und ihre S c h l u ß r e g e l n sind so gefaßt, d a ß man mit ihnen v o n P r ä m i s s e n bestimmter Gestalten zu K o n k l u s i o n e n einer bestimmten anderen Gestalt ü b e r g e h e n kann. D a d u r c h w i r d das Schlie- ßen u n d Beweisen zu einem Operieren mit F o r m e l n , ähnlich w i e i n der Mathematik, so daß sich für diese moderne Gestalt der L o g i k die Bezeichnung » m a t h e m a t i s c h e L o g i k « e i n g e b ü r g e r t hat. M a t h e m a t i - sche L o g i k ist also nicht eine L o g i k allein für Verwendungen i n der Mathematik, sondern generell die heutige Gestalt der formalen L o g i k .
Diese L o g i k spielt heute nicht nur i n der Mathematik und der Infor- matik eine wichtige Rolle, sondern auch i n der Linguistik, w o die
logischen P r ä z i s i o n s s p r a c h e n als M o d e l l für Syntax und Semantik der n a t ü r l i c h e n Sprachen verwendet werden. In unserem Zusammenhang ist aber v o r allem w i c h t i g , d a ß die L o g i k i n der Philosophie heute ihre R o l l e als O r g a n o n , als wichtiges Hilfsmittel z u r ü c k g e w o n n e n hat, die sie bis z u m A u s g a n g des Mittelalters hatte. In der Neuzeit verlor die L o g i k z u n ä c h s t an Bedeutung, da offenbar wurde, d a ß sie i n Gestalt der Syllogistik zu w e n i g leistungsfähig war. D i e S c h l u ß t y p e n u n d B e w e i s - formen, die sie legitimierte, waren zu elementar, als d a ß sie eine Hilfe bei der Ü b e r p r ü f u n g k o m p l e x e r und intuitiv nur mehr schwierig durchschaubarer A r g u m e n t e h ä t t e n sein k ö n n e n , und schon einfache Schlüsse wie z. B . »Wenn es i n einer M e n g e v o n Zahlen eine g r ö ß t e gibt, so gibt es zu jeder Z a h l dieser M e n g e eine mindestens ebenso g r o ß e « lassen sich in der Syllogistik nicht mehr darstellen.
D i e neue, erheblich leistungsfähigere L o g i k bot sich nun als H i l f s - mittel philosophischer A n a l y s e n an, u n d das P r o g r a m m , Philosophie mit Hilfe dieses Organons zu betreiben, führt zur sogenannten A n a l y t i - schen Philosophie - genauer gesagt: zu einer R i c h t u n g der Analytischen Philosophie, die andere R i c h t u n g (die Philosophie der N a t ü r l i c h e n Sprache) verwendet nicht die L o g i k , sondern die Regeln der n a t ü r l i - chen Sprache zur Interpretation philosophischer Aussagen. D i e A n a l y - tische Philosophie w i r d vielfach als Schule innerhalb der g e g e n w ä r t i - gen Philosophie angesehen, die sich ausschließlich mit logischen A n a - lysen befaßt. D e m g e g e n ü b e r ist aber zu betonen, d a ß analytische P h i l o - sophen keineswegs verkennen, d a ß es i n der Philosophie p r i m ä r u m materiale, nicht u m formale Fragen geht, d a ß sie sich aber b e w u ß t sind, daß formale A n a l y s e n oft hilfreich und nicht selten unerläßlich sind für die fruchtbare E r ö r t e r u n g materialer Probleme. F ü r eine rationale P h i - losophie sind hinreichend präzise Begriffsbestimmungen u n d stringen- cy Argumentationen n o t w e n d i g , und für beide ist n u n einmal die L o g i k einschlägig. D i e Einsicht v o m Wert logischer A n a l y s e n ist auch keines- wegs neu. In diesem Sinn war fast die gesamte bedeutende Philosophie seit Piaton »analytisch«. N e u an der Analytischen Philosophie unserer Tage ist lediglich, d a ß sie als O r g a n o n die moderne L o g i k einsetzt;
deren L e i s t u n g s f ä h i g k e i t verdankt sie viele ihrer Resultate.
Es ist nun unbestritten, d a ß L o g i k i n der Philosophie der M a t h e m a t i k und der Wissenschaftstheorie unverzichtbar ist. D a schon die L i n g u i - sten selbst heute sehr stark v o n logischen H i l f s m i t t e l n Gebrauch m a - chen, w i r d man das auch für die Sprachphilosophie anerkennen. W e n i - ger verbreitet ist die Einsicht, d a ß L o g i k auch für die E t h i k ein w i c h t i - ges Instrument ist. D a E t h i k w i e gesagt die für Orientierungsfragen zentrale D i s z i p l i n ist, w i l l ich das hier an drei Beispielen deutlich
machen. Das erste Beispiel ist die deontische Logik. In der E t h i k wie i m Recht kann man nicht für jede einzelne der g r u n d s ä t z l i c h unendlich vielen Situationen N o r m e n angeben, sondern man m u ß allgemeine G r u n d n o r m e n aufstellen, aus denen dann N o r m e n für die einzelnen Fälle folgen. U m zu prüfen, ob die G r u n d n o r m e n miteinander v e r t r ä g - lich sind und aus ihnen nicht z . B . für eine bestimmte H a n d l u n g s o w o h l folgt, d a ß sie geboten, wie d a ß sie verboten ist, und ob alle Regelungen, die das System ergeben soll, tatsächlich aus den G r u n d n o r m e n folgen, braucht man eine Theorie des Schließens für normative Sätze, und die liefert die deontische L o g i k . Sie ist also ein unerläßliches Hilfsmittel für die F o r m u l i e r u n g und A n w e n d u n g v o n Normensystemen.
Das zweite Beispiel ist das Humesche Gesetz. A u f dieses Gesetz habe ich m i c h schon oben bezogen, als ich sagte, aus Aussagen ü b e r Fakten folgten keine Aussagen ü b e r N o r m e n oder Werte. Diese These ist nun erstens zu präzisieren. A u s miteinander u n v e r t r ä g l i c h e n P r ä m i s s e n fol- gen j a beliebige Aussagen, also auch normative, u n d logisch wahre normative Aussagen (die Theoreme der deontischen L o g i k ) wie z. B .
»Was geboten ist, ist nicht v e r b o t e n « folgen aus beliebigen P r ä m i s s e n , also auch aus nichtnormativen. Ferner folgt aus »Es regnet« logisch der Satz »Es regnet oder es ist geboten zu l ü g e n « ; der letzte Satz enthält eine N o r m , kann also als normativer Satz bezeichnet werden. So wie ich es formuliert habe, ist das Humesche Gesetz also falsch. Solche Fälle, w i r d man einwenden, waren auch nicht gemeint, aber dann m u ß man eben genau angeben, was man tatsächlich meint, d. h. man m u ß das H u m e - sche Gesetz präzise formulieren. Zweitens ist das präzisierte Humesche Gesetz dann zu beweisen. A u c h das gelingt nur mit logischen M i t t e l n . Das Humesche Gesetz ist i n der E t h i k v o n zentraler Bedeutung, da es viele ethische Theorien gibt - insbesondere naturalistische, die das moralisch Gebotene oder Wertvolle durch faktische Bedingungen defi- nieren w o l l e n - , mit denen es u n v e r t r ä g l i c h ist. Schon das Prinzip Kants
»Sollen impliziert K ö n n e n « ist ein Prinzip, das dem Humeschen Gesetz widerspricht, da man danach aus dem Faktum, daß j e m a n d etwas nicht tun kann, d a r a u f s c h l i e ß e n kann, d a ß es i h m nicht geboten ist, es zu tun.
E i n drittes Beispiel ist die Kontroverse zwischen deontologischen und teleologischen Ethiken. Sind konkrete H a n d l u n g e n nach ihren Resultaten zu beurteilen oder nach der Handlungsweise, die damit vollzogen wird? D e r letztere Ansatz führt z u deontologischen E t h i k e n (oft
»Pflichtethiken«), für die moralische Grundprinzipien Gebote, V e r b o - te oder Erlaubnisse für Handlungsweisen sind. D e r erstere Ansatz führt hingegen zu einer teleologischen E t h i k . Sie geht aus v o n der B e w e r - tung v o n Z u s t ä n d e n und Ereignissen und m i ß t den Wert einer H a n d -
l u n g am Wert ihrer Ergebnisse. Sie ist daher eine Wertethik, i n der nicht Gebote, sondern Werte die Fundamente moralischer Beurteilungen bilden. D a n a c h ist es z. B . nicht g r u n d s ä t z l i c h verboten zu l ü g e n , sondern es k o m m t auf die Folgen einer L ü g e i m Einzelfall an. Teleolo- gische E t h i k e n haben n u n viele Vorteile g e g e n ü b e r deontologischen, sie k ä m e n aber v o n vornherein nicht in Betracht, wenn es nicht g e l ä n - ge, ihren Grundgedanken so zu präzisieren, d a ß eine v e r n ü n f t i g e D i s - kussion m ö g l i c h ist. Wertbegriffe sind j a z u n ä c h s t klassifikatorische Begriffe (gut, indifferent, schlecht) u n d komparative (besser als, gleich gut). N u n hat aber eine H a n d l u n g nicht nur ein einziges Resultat, sondern zahlreiche k u r z - u n d längerfristige Folgen, v o n denen manche gut, andere hingegen schlecht sein k ö n n e n . M a n kann aber nicht sagen, eine H a n d l u n g sei nur dann gut, w e n n all ihre Folgen gut sind, denn dann w ä r e k a u m irgendeine H a n d l u n g gut. Z u d e m h ä n g e n diese F o l - gen v o n U m s t ä n d e n ab, v o n denen nicht bekannt ist, ob sie vorliegen, so d a ß man d a r ü b e r oft nur Wahrscheinlichkeitsaussagen machen kann.
M a n m u ß also einen Gesamtwert der verschiedenen Folgen ermitteln u n d dabei m ü s s e n die einzelnen Resultate mit ihren Wahrscheinlich- keitswerten gewichtet werden. Solche M i t t e l w e r t e - i n unserem Fall sind es Erwartungswerte - lassen sich aber nur m i t metrischen Wertbe- griffen bilden, die Z u s t ä n d e n Zahlen als Werte zuordnen. W i e k o m m e n w i r also v o n den komparativen Wertbegriffen z u einem metrischen und i n welchen Grenzen ist dieser durch jene eindeutig festgelegt? Das beantwortet die Metrisierungstheorie als Teil der Theorie der Begriffs- b i l d u n g . A u c h hier sind also logische Untersuchungen eine n o t w e n d i - ge Voraussetzung einer sinnvollen E r ö r t e r u n g materieller Fragen.
L o g i k t r ä g t also zwar zur Orientierung direkt nichts bei, sie ist aber ein wichtiges O r g a n o n auch für jene philosophische D i s z i p l i n , i n der die e i n s c h l ä g i g e n Fragen diskutiert werden.
III. Vom Nutzen der Wissenschaftstheorie
Wissenschaftstheorie ist jene philosophische D i s z i p l i n , die sich mit wissenschaftlicher Erkenntnis befaßt, genauer: m i t der Erkenntnis der empirischen Wissenschaften. D a b e i geht es nicht u m Prozesse der E r k e n n t n i s g e w i n n u n g , w i e sie i m einzelnen Subjekt ablaufen - dazu w ä r e n v o r allem psychologische Untersuchungen v o n Wahrneh- m u n g s - u n d Denkprozessen einschlägig - sondern u m E r k e n n t n i s i n - halte, w i e sie i n wissenschaftlichen T h e o r i e n dargestellt werden. M a n kann also auch sagen: D e r Gegenstand der Wissenschaftstheorie sind
empirische Theorien, ihre Struktur und ihre Ü b e r p r ü f u n g . Wissen- schaftstheorie stellt sich damit als ein Teil dessen dar, was traditionell als » E r k e n n t n i s t h e o r i e « bezeichnet w i r d . Manche A u t o r e n sehen i n ihr die Nachfolgedisziplin der Erkenntnistheorie, aber das ist insofern unberechtigt, als der Themenhorizont der Erkenntnistheorie weiter ist.
Das P r o b l e m der Erkenntnisskepsis, eines der traditionellen H a u p t p r o - bleme der Erkenntnistheorie, w i r d z. B . in der Wissenschaftstheorie nicht diskutiert. D i e wichtigsten Themenkreise der Wissenschaftstheo- rie sind: Begriffsbildung i n der empirischen Wissenschaft - sofern man das nicht zur L o g i k rechnen w i l l Aufbau, Interpretation und k o g n i t i - ver Status wissenschaftlicher Theorien (wobei insbesondere die Frage einer realistischen D e u t u n g v o n sog. theoretischen Termen eine zen- trale R o l l e spielt, also v o n Termen, die nicht für Beobachtetes stehen, sondern i m K o n t e x t einer Theorie zur Systematisierung u n d E r k l ä r u n g empirischer P h ä n o m e n e eingeführt werden, wie z. B . Bezeichnungen für Elementarteilchen und Felder i n der Physik), ferner die Analyse des Begriffes Naturgesetz, speziell Kausal-Gesetz, dann die B e s t ä t i g u n g von Theorien und die Induktion, die D i s k u s s i o n v o n E r k e n n t n i s m o - dellen wie jenem des E m p i r i s m u s (in seinen verschiedenen Spielarten) oder dem des kritischen Rationalismus, und endlich die Formulierung von Kriterien für wissenschaftliche E r k l ä r u n g e n .
Wissenschaftstheorie befaßt sich also mit den Grundlagen der e m p i - rischen Wissenschaften. Ihre Thematik ist zwar alt - wissenschaftstheo- retische E r ö r t e r u n g e n finden sich ebenfalls schon bei Aristoteles aber in ihrer heutigen Gestalt ist sie ein Produkt unseres Jahrhunderts. Sie ist auf dem B o d e n der Analytischen Philosophie gewachsen, ihre Väter R u d o l f Carnap, Hans Reichenbach, C a r l H e m p e l , K a r l Popper und andere, haben sie mit ihren Arbeiten aus den D r e i ß i g e r j a h r e n b e g r ü n - det. Ihre Tendenz war z u n ä c h s t empirisch, aber es ist ein Zeichen der Gesundheit dieser D i s z i p l i n , d a ß sie i n der Lage war, ihre eigenen Vorurteile zu korrigieren. So wurde das empirische Erkenntnismodell so weit ausgearbeitet, d a ß seine u n l ö s b a r e n Schwierigkeiten deutlich zu Tage traten und es aufgegeben werden m u ß t e . Ebenso hat sich das Poppersche M o d e l l des kritischen Rationalismus mit seinem Versuch, Kriterien wissenschaftlicher Rationalität eindeutig auszuzeichnen, als zu eng erwiesen. Heute werden verschiedene komplexere M o d e l l e wissenschaftlicher Erkenntnis diskutiert.
D i e Bedeutung der Wissenschaftstheorie liegt also darin, d a ß sie wissenschaftlich-empirische Erkenntnis i n ihrer N a t u r und i n ihrem Geltungsanspruch untersucht. Das ist zwar eine wichtige Sache für Orientierung i n dem weiten Sinn, i n dem alle Erkenntnis für » O r i e n t i e -
r u n g « relevant ist, da aber E t h i k keine empirische D i s z i p l i n ist, sind für sie u n d damit für eine Orientierung i m engeren Sinn des Wortes w i s - senschaftstheoretische Untersuchungen nicht direkt einschlägig. Es gibt aber doch eine indirekte Bedeutung wissenschaftstheoretischer Ergebnisse für die E t h i k . D a z u z u m A b s c h l u ß nur ein H i n w e i s : M a n wendet gegen objektivistische Werttheorien, nach denen es eine Wert- erfahrung gibt, i n der w i r den objektiven Wert v o n Z u s t ä n d e n , H a n d - lungen erfassen, häufig ein, d a ß Werterfahrung i m m e r subjektiv sei.
Das zeige sich z. B . i n den h ö c h s t unterschiedlichen moralischen B e - wertungen derselben Handlungsweisen in verschiedenen K u l t u r e n . Werterfahrung sei i m m e r Erfahrung i m Licht v o r g ä n g i g e r moralischer Ü b e r z e u g u n g e n . Werte w ü r d e n also nicht erkannt, sondern auf die G e g e n s t ä n d e projiziert. Dieser E i n w a n d hat zweifellos G e w i c h t , denn der Einfluß v o r g ä n g i g e r A n n a h m e n u n d Einstellungen auf unser Wert- erleben läßt sich k a u m leugnen. E r w i r d aber nun dadurch relativiert, d a ß m a n i n der Wissenschaftstheorie erkannt hat, d a ß auch die wissen- schaftliche E m p i r i e u n d die alltägliche Erfahrung v o n Fakten g r u n d - sätzlich i m m e r Erfahrungen i m Lichte v o n Theorien, v o n v o r g ä n g i g e n Ü b e r z e u g u n g e n u n d E r w a r t u n g e n sind. Dieselben M e ß e r g e b n i s s e k ö n n e n v o n verschiedenen Theorien her ganz unterschiedlich interpre- tiert werden. U n d da die Theorie der M e s s u n g physikalischer G r ö ß e n häufig Teil derjenigen Theorie ist, die dann mit den Messungen b e s t ä - tigt w i r d , gibt es auch hier kein unmittelbar Gegebenes, keine v o n allen hypothetischen Deutungen freie empirische Basis, an der sich Theorien b e w ä h r e n m ü s s e n . A u f g r u n d dieser Einsicht stellt der E i n w a n d gegen Werterfahrungen k e i n A r g u m e n t mehr dar, Werttatsachen als b l o ß subjektiv, wertfreie Fakten hingegen als objektiv z u bezeichnen. D a m i t sind n a t ü r l i c h nicht alle Unterschiede zwischen Werterfahrungen und Beobachtungen v o n Fakten beseitigt. Beseitigt ist aber jedenfalls ein A r g u m e n t , d a ß Werterfahrungen ü b e r die Beschaffenheit der Sache an sich nichts aussagen. Entscheidend für die kognitive Relevanz v o n naturwissenschaftlichen Theorien, für ihren empirischen Gehalt, ist, d a ß sie an der Erfahrung scheitern, sich also bei experimentellen Tests als falsch erweisen k ö n n e n ; d a ß sie daher die Erfahrungen, die i n ihrem L i c h t gemacht werden, nicht v o l l s t ä n d i g determinieren. E i n e Theorie scheitert nicht i m m e r an einzelnen Beobachtungen, denn die lassen sich i m m e r durch zusätzliche Hypothesen m i t der Theorie vereinbaren.
Erst w e n n eine T h e o r i e mit einer g r o ß e n Z a h l v o n Beobachtungen nur durch i m m e r neue Zusatzhypothesen vereinbar ist, w i r d man sich eingestehen m ü s s e n , d a ß sie gescheitert ist. E i n Scheitern an der Erfah- r u n g gibt es n u n aber auch für moralische A n n a h m e n . Jemand der z. B .
an eine Wiedervergeltungstheorie der Gerechtigkeit glaubt, nach der H i n r i c h t u n g die einzig gerechte Strafe für M o r d ist, wie das z. B . K a n t meinte, der alle Bedenken gegen die Todesstrafe als H u m a n i t ä t s d u s e l e i abtat, kann z. B . eines Besseren belehrt werden, wenn er einer H i n r i c h - tung beiwohnt. In der Regel sind es aber auch hier sich h ä u f e n d e Konflikte zwischen Erfahrungen u n d unseren moralischen Ansichten, die uns bewegen, diese zu modifizieren. W ä r e n Werterfahrungen nichts anderes als die Projektion unserer Einstellungen auf den Gegenstand, so w ä r e ein solches Lernen aus der Erfahrung nicht m ö g l i c h . M a n kann - ohne Vermischung sämtlicher Unterschiede - daher g r u n d s ä t z l i c h auch ethischen Theorien einen empirischen Gehalt und damit kognitive Relevanz zuschreiben.
Für die Leitfrage dieses Buches haben also L o g i k und Wissenschafts- theorie nur eine mittelbare Relevanz; sie sagen uns nicht direkt, was w i r tun oder unterlassen sollen u n d liefern keine konkreten V e r h a l t e n s m a ß - stäbe. D a aber L o g i k ein wichtiges O r g a n o n aller philosophischen Disziplinen ist und Wissenschaftstheorie sich mit den Grundlagen e m - pirisch-wissenschaftlicher Theorien befaßt, die heute weithin den M a ß s t a b des Wahren und W i r k l i c h e n bilden, und, w i e w i r sahen, i n dieser naturalistischen Extrapolation i n K o n k u r r e n z zur E t h i k stehen, sind auch diese beiden Disziplinen für eine B e a n t w o r t u n g der Leitfrage nicht ohne Bedeutung.
1. E i n f ü h r e n d e L i t e r a t u r :
F. v . K U T S C H E R A u n d A . BREITKOPF: Einßihrung in die moderne Logik, F r e i b u r g i . B . ( A l b e r ) 51 9 8 5 .
F. v . K U T S C H E R A : Wissenschaftstheorie, 2 B d e . , M ü n c h e n (Fink) 1972.
2. Weiterfuhrende, a l l g e m e i n e L i t e r a t u r :
D . G A B B A Y u n d F . G U E N T H N E R ( H r s g . ) : Handbook of Philosophical Logic, 4 B d e . , D o r d r e c h t (Reidel) 1983 ff.
W . STEGMÜLLER: Probleme und Resultate der Wissenschafistheorie und Analytischen Philo- sophie, 4 B d e . , B e r l i n (Springer) 1969ff.