Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 11|
14. März 2014 A 423D
as deutsche Gesundheitswesen ist von hoher Qualität. Diesen Satz hört man häufig – von Po- litikern und Funktionären ebenso wie von Ärzten und Patienten. Man hört ihn häufig, weil er stimmt. Auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat ihn vor kurzem im Bundestag gesagt. Und ergänzt:„Doch auch was gut ist, kann besser werden.“ Im Ko- alitionsvertrag haben sich Union und SPD dann auch auf zahlreiche Aspekte verständigt, die sie in den kom- menden vier Jahren verbessern wollen. Ergänzt werden könnten diese Vorhaben, heißt es vereinzelt aus Koaliti- onskreisen, auch durch strukturelle Reformen von pri- vater und gesetzlicher Krankenversicherung (GKV).
Dass Handlungsbedarf besteht, wird allenthalben an- genommen. Vor allem Lobbygruppen werden nicht mü- de, darauf hinzuweisen. Zuletzt hat die Unternehmens- beratung PremiumCircle mittels einer Studie versucht, die Komplexität des deutschen Gesundheitssystems zu durchdringen und Schwachstellen zu benennen. Ihr Fa- zit: Das GKV-System sei „hochkomplex“ und „unüber- sichtlich“. Es bestehe politischer Handlungsbedarf.
Gehandelt hat die Politik in den vergangenen Jahr- zehnten reichlich, oft mit dem Ziel, das System zu ver- bessern. Im Rückblick stellt sich nun die Frage: Ist ihr das gelungen? Substanzielle Änderungen wurden vor- genommen: von der Budgetierung der ambulanten Ver- gütung über die Einführung der Fallpauschalen bis zum Gesundheitsfonds. Ist das System dadurch besser ge- worden? Gewiss, manche dieser Maßnahmen hatten nicht in erster Linie das Ziel, das System zu verbessern, sondern Kosten zu sparen. Diese Vorgabe hatten hinge- gen viele Gesetzgebungsverfahren der im September 2013 zu Ende gegangenen Legislaturperiode nicht – denn Geld war genug da. Beschlossen wurden in dieser Zeit unter anderem das GKV-Finanzierungsgesetz, das Patientenrechtegesetz und das Pflege-Neuausrichtungs- gesetz. Ist dadurch das System besser geworden?
Viele Politiker glauben, die Qualität ihrer Arbeit nur durch Aktionismus unter Beweis stellen zu können.
Stillstand ist verpönt. Dabei vergessen sie jedoch, dass
Neuregelungen das System nicht zwangsläufig besser machen. Rückgängig gemachte Maßnahmen im Be- reich der Praxisgebühr, der Zusatzbeiträge oder der Hausarztverträge zeigen dies. Fast immer machen Neu- regelungen das System jedoch komplexer – wie am An- schwellen des Sozialgesetzbuches V zu beobachten ist.
Die Komplexität des Systems aber ist ja gerade das Problem. Vergessen wird zudem, dass die hohe Qualität des Systems nicht auf den zahllosen Reglementierun- gen gründet, sondern auf den Säulen, auf denen es steht: Solidarität, umfassender Leistungskatalog, freie Arztwahl. Und am allermeisten auf dem hohen Engage- ment von Ärzten, Pflegekräften und anderen Gesund- heitsberufen, die dieses jeden Tag aufs Neue unter Be- weis stellen. Deren Engagement aber wird durch Re- glementierungen eher untergraben als befördert.
Gewiss, manche Gesetze waren gut und richtig, zu- letzt das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz. Und auch in dieser Legislaturperiode besteht Handlungsbe- darf, bei der Reform der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte zum Beispiel. Diese zu reformieren, weigern sich wechselnde Koalitionen allerdings seit Jahren. Zu wünschen ist der Politik insofern, dass sie es schafft, sich in den kommenden vier Jahren auf das Wesentliche zu konzentrieren und dem System ansonsten etwas Ru- he gönnt, um seine hohe Qualität zu entfalten.
GESUNDHEITSSYSTEM
In der Ruhe liegt die Kraft
Falk Osterloh
Falk Osterloh Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik in Berlin