Von Hans Quecke, Heidelberg
Unter den Schriften Pachoms und seiner Nachfolger, die Hieronymus zu
Beginn des 5. Jahrhunderts ins Lateinische übersetzt hat, findet sich auch eine
Sammlung von Briefen Pachoms. Mit diesen Briefen hat es bekanntlich eine
besondere Bewandtnis. Sie sind zum großen Teil in einer Art Geheimsprache
oder -schrift geschrieben und dem nicht eingeweihten Leser weithin unver¬
ständlich. Dementsprechend ist ihr Zeugniswert für Pachoms Geistigkeit
und die Geschichte des alten Mönchtums vergleichsweise gering. Dennoch
sollte man diese eigenartigen Dokumente nicht völlig vernachlässigen. Ein
Anlaß, sich erneut mit ihnen zu beschäftigen, ist gerade jetzt durch das
Bekanntwerden neuen handschriftlichen Materials gegeben. Bis vor kurzem
waren die Pachombriefe fast ausschließlich durch Hieronymus' Übersetzung
bekannt'. Von der griechischen Vorlage* fehlte jede Spur, und vom kopti¬
schen Original* war nur ein Sätzchen indirekt durch Schenute bezeugf. Nun
sind in aller jüngster Zeit drei der Briefe auch in koptischer Sprache und
gleich sechs in griechischer aufgetaucht. Die koptischen Texte sind sogar
schon seit 1968 veröffentlicht, zunächst jedoch nicht als Briefe Pachoms
erkannt worden. Der griechische Text ist noch unveröffentlicht, die Edition
aber in Vorbereitung.
1 Neueste Ausgabe A. Boon, Paohomiana latina (Bibliothöque de la Revue
d'histoire ecclEsiastique 7; Löwen 1932) 77 ff.
2 Vgl. die Präfatio des Hieronymus: Boon 4, 14 f. und dazu A. Veilleux, La
liturgie dans le cenobitisme pachomien au quatrieme siecle (Studia Anselmiana
57, Kom 1968) 120, Anm. 25.
* Ein koptisches Original bezeugt wiederum ausdrücklich Hieronjmius in
seiner Präfatio: Boon 9,5 ff. Wenn Hieronymus hier von koptischem und grie¬
chischem Text spricht, dann karm er nur sagen wollen, daß die Briefe damals in
beiden Sprachen kursierten. Daß die griechische Version auf ein koptisches
Original zurückgeht, hat er schon vorher gesagt (Boon 4,14 f.).
* E. Amelineau, CEuvres de Schenoudi I (Paris 1907/09) 423,9 f. und E.
Chassinat, Le quatrieme livre des entretiens et epitres de Shenouti (MEmoire.s publies par les membres de l'Institut frangais d'archeologie Orientale du Caire 23;
Kairo 1911) Ul, 42 f. Vgl dazu H. Quecke, Ein Pachomiuszitat bei Schenute, in
Probleme der koptischen Literatur (Wissenschaftliche Beiträge der Martin-
Luther-Universität Halle-Wittenberg 1968/1 (K 2)) 155-171. Schenute nennt
Pachom nicht namentlich. Die in beiden Handschriften stehende Randnotiz ,,auf
unseren Vater Paohom" ist gleichfalls kein Hinweis auf don zitierten Autor,
sondern auf die liturgische Verwendung des Abschnitts am Fest Pachoms (Vgl.
Quecke, Pachomiuszitat 161-164).
Die Briefe Pachoms 97
Der koptische Text von drei Briefen steht auf zwei Pergamenthlättern der
Kölner Sammlung. Es handelt sich um Einzelstücke unterschiedlichen und
ungewöhnlichen Formats, die nie miteinander oder mit anderen Blättern
eine Handschrift gebildet haben können. Sie sind von verschiedenen Bear¬
beitern in dem Sammelband ,, Demotische und Koptische Texte" veröifent¬
licht worden*. Dabei wurde weder der Inhalt identifiziert*, noch wmde
beachtet, daß die beiden Blätter aller Wahrscheinlichkeit nach von ein und
derselben Hand beschriftet sind'. Keiner der Briefe trägt auf diesen Blättern
eine Verfasserangabe oder einen Titel. Pap. Colon. Copt. 2, bearbeitet von A.
Hermann, enthält Brief 8, Pap. Colon. Copt. 1, bearbeitet von A. Kropp,
enthält die Briefe 10 und IIa*. Die Blätter werden von ihren Herausgebem
ins 5./6. Jahrhundert datiert*.
In griechischer Sprache sind uns die Briefe 1, 2, 3, 7, 10 und IIa auf einer
Pergamentrolle der Chester Beatty Library erhalten. Die Rolle ist schon
nach Art der jüngeren byzantinischen Rollen parallel zu den Schmalseiten
beschrieben. Die Schrift bedeckt nicht nur die Innenseite, sondern außerdem
noch etwa ein Drittel der Außenseite. Die Rolle ist aus fünf" Pergamentblät¬
tern unterschiedlicher Größe zusammengenäht. Sie ist gut 15 cm breit und
war ursprünglich wohl ziemlich genau einen Meter lang. Am imteren Ende ist
sie stärker beschädigt; ein vermutlich 10 cm langes Stück ist hier ganz
verloren''. Die Rolle war offensichtlich so zusammengerollt, daß der Anfang
* Papyrologica Coloniensia 2 (Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeits¬
gemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. Sonderreihe ; Köln
und Opladen 1968) 69-85, dazu vollständige Reproduktion der Originale.
* Auch den Rezensenten der Ausgabe - ich gehöre selbst dazu - ist die
Identifizierung zunächst nicht gelungen. - Die Übersetzung der Herausgeber ist
in verschiedenen Punkten verbesserungsbedürftig. Eine neue deutsche Überset¬
zung von mir erscheint in Zetesis (Feistschrift E. de Strycker).
' Diese Vermutung habe ich schon in meiner Rezension Orientalia N. S. 38
(1969) 498 ausgesprochen. Aus Köln teilte mir freundlicherweise Herr Dr. M.
Webeb brieflich mit, daß auch nach seiner Meinung vermutlich ein und derselbe
Schreiber beide Blätter beschrieben hat.
8 Als Brief 1 la bezeichne ich die erste Hälfte von Brief 11 der lateinischen Übersetzung, näherhin bis ,,. . . parabolam T" (Boon 100, 18). Der zweite Teil (Hb) dieses Briefes in der lateinischen Version scheint nicht ursprünglich, wovon noch weiter unten die Rede sein wird.
n Demot. u. Kopt. Texte 81 und 82.
1° So im heutigen Zustand. Es ist unwahrscheinlich, daß das kleine verlorene Stück am Schluß (vgl. folg. Anm.) ein eigenes Blatt ausmachte.
1' Vermutlich sind etwa 23 Zeilen Text ganz verlorengegangen, wie sich aus
dem Vergleich mit der lateinischen Übersetzung ergibt. Die Berechnung ist
deshalb nicht ganz sicher, weil in dem der Lücke vorausgehenden Abschnitt der
griechische und der lateinische Text stark voneinander abweichen. Die Länge der
Lücke ist hier unter der Voraussetzung berechnet, daß die beiden Versionen sich
gerade vor Beginn der Lücke wieder treffen, wofür die letzten erhaltenen Wörter
sprechen (nach der Lücke stimmen beide Texte weitgehend überein).
8 Or.-Tag 1973
des Textes innen lag'*. Die Beschriftung der Rückseite beginnt am selben
Ende wie die der Vorderseite. Aufgrund ihres hohen Alters ist diese Rolle als
Textzeuge von allergrößter Bedeutung. Wie die Schrift ausweist, gehört sie
ins 4. Jahrhundert'* und könnte beinah noch zu Lebzeiten Pachoms ge¬
schrieben sein. Auffällig ist die große Zahl unklassischer Schreibungen und
Formen und auch von Textverderbnissen, letztere vielleicht mit bedingt
durch den rätselhaften Inhalt. Wie auf den koptischen Blättern fehlt auch
auf der griechischen Rolle jegliche Angabe von Verfasser oder Titel.
Mit den neuen Zeugen haben wir also für zwei der Briefe, den 10. und IL,
die koptische, griechische und lateinische Fassung, für einen, den 8., die
koptische und lateinische und für vier, den 1., 2., 3. und 7., die griechische
imd lateinische. Vier Briefe, der 4., 5., 6. und 9., sind vorerst immer noch
allein durch Hieronymus' Übersetzung bezeugt. Das neue Material versetzt
uns erstmals in die Lage, die Übersetzung des Hieronymus, die noch immer
die bei weitem umfangreichste Sammlung von Briefen Pachoms darstellt, zu
kontrolheren. Wie schon bei Hieronymus' Übersetzung der Regeln Pa¬
choms'* zeigt sich auch bei der der Briefe, daß diese ihre Vorlage im großen
und ganzen recht treu wiedergibt, falls man als Vorlage einen Text wie den
nun in der Chester-Beatty-Handschrift entdeckten voraussetzt. Natürlich
hat Hieronymus auch hier seine Vorlage bisweilen paraphrasiert'*. Vor allem
'2 Dafür spricht nicht nur der Umstand, daß die Rolle am Schluß des Textes (der Vorderseite) so stark beschädigt ist, sondern auch der weitere, daß das Perga¬
ment am Anfang des Textes mehrfach parallel zu den Zeilen geknickt ist, was
wohl durch die enge Rollung im Inneren zu erklären ist.
13 So schon T. C. Skeat, der den Text am Britischen Museum identifiziert hat
(es liegt darüber ein Brief von Skeat an den Direktor der Chester Beatty Library
vom 17. Dezember 1970 vor).
14 Vgl. Veilleux, Liturgie 120 und M. M. Van Molle, Essai de classement
chronologique dos premieres reglos de vio commune connue on chretientE, in
Supplement de la vie spirituelle 21 (1968) HO. Bei diesen Autoren wird die
lateinische Übersetzung der Rogein mit den erhaltenen koptischen Fragmenten verglichen, während ich zunächst an einen Vergleich zwischen dem lateinischen Text dor Briefe und dom griechischen denke.
'* Das Problem stellt sich hier freilich nicht mit derselben Schärfe wie bei den Regeltexten, da dio Briofo ja praktisch kaum Details des Klosterlebens aufgrei¬
fen, jedenfalls nicht in uns verständlicher Form. Man beachte hier etwa die
Übersetzung von ,,Oikonomo.s" durch ,,monastoriorum prineipes" am Boginn
von Brief 10 (Boon 99,11). Für das in den Praecopta et Instituta mehrfach
vorkommende ,, Oikonomos" steht in der lateinischen Fassung ,, princeps" (55,3) neben „maior" (54,12), „pater" (54,16; 56, 13; 58,5) und „pater monastorii"
(56,10; 57,10). In den Briefen gibt die lateinische Übersetzung ihre griechische Vorlage, wenn man dafür einen Toxt wie den der Chester-Boatty-Handschrift ansetzt, mit einor gewissen Freiheit wieder. Sehr oft entsprechen die einzelnen Ausdrücke einander nicht ganz genau (so steht z. B. das ,, sermo" von 81,18 für (puvr), umgekehrt das ,,vox" von 85,9 für Xöyo?), und generell zeigt sich eine
Die Briefe Pachoms 99
aber ist festzustellen, daß Hieronymus eine andere Rezension als die durch
die Chester-Beatty-Handschrift bezeugte vor sich gehabt haben muß. Wir
finden eine ganze Reihe von Abweichungen, die sich nicht als freie Überset¬
zungen oder gar Mißverständnisse verstehen lassen, zumal sich dann auch
ein schwer erklärbarer Gegensatz zu den sonst so genau übersetzten Passa¬
gen ergäbe". Zu den auffälligen Charakteristika der durch die Hieronymus¬
übersetzung vertretenen Rezension dürfte auch der lange Text von Brief 11
gehören. Brief 11 umfaßt sowohl im koptischen als auch im griechischen
Text nur etwa die erste Hälfte des lateinischen Textes", und es sprechen
noch andere Gründe dafür, daß die zweite Hälfte des lateinischen Textes erst
später hinzugefügt wurde". Natürlich läßt sich vorerst nicht mit Sicherheit
sagen, ob die Erweiterung schon im Griechischen vorgenommen wurde und
Hieronymus schon der erweiterte Text vorlag oder ob die Hieronymusüber¬
setzung später noch Erweiterungen erfuhr. Daß Hieronjrmus selbst so um¬
fängliche Passagen wie einen halben Brief erfunden haben könnte, halte ich
für absolut unwahrscheinlich.
Auch bei Brief 8, von dem wir nur den koptischen und den lateinischen
Wortlaut besitzen, sind zahlreiche Varianten festzustellen, ohne daß der Sinn
des ganzen dadurch wesentlich geändert würde (der Brief ist in ,, Klartext"
geschrieben). Auch hier haben wir es also mit zwei verschiedenen Rezen¬
sionen zu tun.
Bei den Briefen 10 und 11 (= Ha), von denen uns alle drei Fassungen zur
Verfügung stehen, nimmt die griechische erwartungsgemäß eine Mittelstel¬
lung zwischen der koptischen und lateinischen ein : sie geht hier mit jener
gegen diese und dort mit dieser gegen jene, steht aber aufs ganze gesehen der
koptischen Fassung etwas näher als der lateinischen. Besonders bedeutsam
ist die Übereinstimmung von koptischer und griechischer Fassung bei Brief
11. Weder hier noch dort findet sich eine Spur der erweiterten lateinischen
Fassung. Bei den alttestamentlichen Zitaten, aus denen sich Brief 11 (= Ha)
fast ausschließlich zusammensetzt", stimmt die lateinische Fassung kein
starke Tendenz zu umschreibenden und amplifizierenden Wendungen (z. B.
,,cavo ne scribas" in 79,2 für (xt) ypaijji'ii;) ; häufig werden etwa Possessivpronomina und Modalverben hinzugefügt (z. B. ,,non potest adiuvare" in 81,6 für oü ßoYjÖET).
Weitaus seltener sind im lateinischen Text knappere Ausdrücke als im griechi¬
schen. Wie Hieronymus bei der Übersetzung der Rogeltexte interpretiert und
glossiert hat, zeigen Veilleux, Liturgio 120-122 und 296 und Van Molle,
Supplement 21 (1968) 110-113.
1' Am stärksten weichen griechische und lateinische Fassung im ersten Ab¬
schnitt von Briof 7 voneinander ab.
" Vgl. oben Anm. 8.
1* Genaueres dazu weiter unten.
1" Dor erste Satz (Boon 100,8) will nach meinem Vermuten noch nicht Schrift zitieren. Zwei weitere Sätzchen (Boon 100, 12 und 14) lassen sich nicht identifi¬
zieren und sind vermutlieh verballhornt. Das zweite von ihnen möchte A. Kropp
einziges Mal genau mit der Vulgata überein, wohl aber des öfteren die
koptische mit der saidischen Bibelübersetzung und - noch etwas häufiger -
die griechische mit der LXX.
Von höchstem Interesse ist die Frage nach dem Urtext der Briefe*". Für
ein koptisches Original spricht etwa die Anspielung auf Mt 24,45 in Brief
3, wo es ,,dare . . . cibaria in tempore smo"*' bzw. Soüvat Trjv Tpo9-y)v ev xaip^
aÜTY)? heißt. Das Possessiv steht weder im lateinischen noch im griechischen
Bibeltext, wohl aber in der saidischen Übersetzung dieses Verses. Man darf
deshalb mit gutem Grund annehmen, daß der bisher nicht bekannte kop¬
tische Text von Brief 3 von der saidischen Mt-Übersetzung abhängig war und
weiterhin den vom griechischen und lateinischen Bibeltext abweichenden
Wortlaut des Zitats in der griechischen und lateinischen Fassung der Pachom¬
briefe erklärt. Das deutlichste Indiz für ein koptisches Original ist aber das
häufige (achtmalige) Vorkommen von flveoQxi mit Partizip. Diese Konstruk¬
tion ist im Griechischen selten**, sie erklärt sich aber leicht bei der Annahme
einer koptischen Vorlage : es könnte sich dann um wörtliche Übersetzung der
im Koptischen häufigen ,,periphrastischen Konjugation" (ann€ mit Um¬
standssatz)** handeln. Leider ist zu keiner der acht Stellen der koptische
Text erhalten, so daß wir nicht die Probe aufs Exempel machen können**.
Angesichts der neuen Textzeugen ist natürlich eine Revision von Boons
Textherstellung unausweichlich. Es gibt eine ganze Reihe von Stellen, bei
denen kein Zweifel daran bestehen kann, daß der Herausgeber zu Unrecht
emer bestimmten Variante** oder Konjektur*" den Vorzug gegeben hat.
nach Spr 10,1b bzw. 15,20b verbessern (Demot. u. Kopt. Texte 75). Außerdem
lassen sich drei Stollen nur schwer oder gar nicht identifizieren, solange man sich auf einen Vergleich zwischen dem lateinischen Text dor Briefe und der Vulgata besohränkt. Der Rekurs auf die griechische und koptische Fassung der Briefe und auf die LXX und die sai'dische Bibelübersetzung läßt aber eindeutig erkennen, daß Boon 100,13 Spr 10,1a bzw. 15,20a gemeint ist (in der lateinischen Fassung der Briefe völlig verderbt; wohl Einfluß des vorausgehenden Zitats Spr 21, 15a),
Boon 100, 14 f. Spr 27, 13 und Boon 100, 16 f. Hab 1, 13.
2" Vgl. weiter unten mit Anm. 30.
21 Boon 79, 18.
22 Vgl. etwa Blass-Debbunneb, Grammatik des neutestamentlichen Grie¬
chisch, 12. Aufl. (Göttingen 1965) § 354.
23 Vgl. etwa W. C. Till, Koptische Grammatik (Saidischer Dialekt), 3. Aufl.
(Lohrbücher für das Studium dor orientalischen und afrikanischen Sprachen;
Leipzig 1906) § 332.
21 Die lateinische Ubersetzung hat diese Eigenheit dor griechischen Fassung völlig verwischt. Die betreffenden Stellen sind in jo verschiedener Weise wieder¬
gegeben, in keinem Fall buchstäblich ins Lateinisoho transponiert.
2^ So wird Boon 77, 14 das ,,sepulcrum" der Handschrift M durch das Tacpr) des griochischen Textes als richtig erwiesen. Boon hat im Text das „pulchrum" der übrigen Handschriften.
2' Boon 100,3 wird das ,,cervi" aller lateinischen Handschriften durch den
Die Briefe Pachoms 101
Nachdem so die neuen Materiahen wenigstens flüchtig vorgestellt sind,
möchte ich auf zwei Fragenkomplexe hinweisen, die meiner Meinung nach
noch eingehender Untersuchung bedürfen : 1. die Echtheit der Briefe und 2.
die Bedeutung der Geheimschrift oder -spräche.
Für die Frage der Authentizität tragen die neuen Dokumente wenigstens
indirekt etwas bei. Ein direktes Zeugnis für die Verfasserschaft Pachoms
liefern sie nicht. Die Echtheit der Pachombriefe ist seit Ladeuze, der sie
dezidiert verteidigt hat*', nieht mehr ernstlich in Zweifel gezogen worden**.
Die äußeren Zeugnisse für die Echtheit der Briefe lassen kaum etwas zu
wünschen übrig. Wir haben die lateinische Übersetzung vom Beginn des 5.
Jahrhunderts*". Die Briefe sind also wie die übrigen Schriften des lateinischen
Korpus nur knapp sechzig Jahre nach Pachoms Tod (346) als pachomianisch
bezeugt. Im Koptischen sind wir heute nicht auf das Zitat bei Schenute
allein angewiesen, sondern besitzen nun den vollständigen Text von drei
Briefen aus dem 5./6. Jahrhundert. Strenggenommen wird zwar weder durch
das Zitat noch durch den koptischen Text ganzer Briefe die Autorschaft
Pachoms bewiesen, da dieser weder hier noch dort mit Namen genannt ist.
Aber schon die reine Existenz des koptischen Textes stützt die Zuschreibung
an Pachom entscheidend. Können die Briefe doch, wenn Pachom wirklich
der Verfasser sein soll, ursprünglich nur koptisch geschrieben gewesen sein*".
koptischen und den griechischen Text bestätigt, während der Herausgeber es in
„corvi" geändert hat, wohl wegen des unmittelbar vorausgehenden „pulli cor- vorum".
2' P. Ladbuzb, fitude sur le cenobitisme pakhömien pendant le IV« siecle et la
premiere moitiö du V® (Löwen und Paris 1898) 111-113.
2' Vbillbux sieht keinen Grund, an ihr zu zweifeln (Liturgie 135). Nach Van
Molle atmet Brief 7 ganz den Geist der Praecepta atque Judicia (Confrontation entre les regies et la littcrature pachomienne posterieure, in Supplement de la Vie spirituelle 21, 1968, 400), des nach ihr ältesten und zweifellos echten Teiles der
Klosterregeln Pachoms. Es ist mir nicht klar, was H. van Cbanenbubgh meint,
wenn er sagt, daß die Pachombriefe ,,jugees tres suspectes au point de vue
authenticite" sind (La ,, Regula angeli" dans la Vio latine de saint Pachöme, in Le
Museon 76, 1963, 183). Es sieht so aus, als schreibe er diese Meimmg dem
Herausgeber A. Boon zu.
*" Wahrscheinlich 404, vielleicht 405 (vgl. Boon, Pachomiana Latina, S.
XLVIII).
Gelegentlich wird berichtet, daß Pachom auf Dolmetscher angewiesen war :
L. Th. Lefort, S. Pachomii Vita bohairico scripta (Corpus Scriptorum Christia¬
norum Orientalium, Scriptores coptici, ser. 3, Band 7; Paris 1925) 104, 10-12
bzw. ders., S. Pachomii Vitae sahidice scriptae (Corpus Scr. Chr. Or., Scr. copt.,
ser. 3, Band 8; Paris 1933/34) 156 b 4-7 und Fr. Halkin, Sancti Pachomii Vitae
graecae (Subsidia Hagiographica 19; Brüssel 1932) 154,22 ff. (Paralip. § 27). Der
Alexandriner Theodor diente Pachom als Dolmetscher für die Mönche, die nicht
Koptisch verstanden : Halkin, Vitae 64,4 f. (Vita I § 95). Nun berichton die Viten zwar, daß Pachom sich alle Mühe gab, selbst noch Griechisch zulernen, doch wäre
nach J. Dummer die betreffende Stelle in der griechischen Vita (ebd. 63,20;
Eine ähnliche Bedeutung kann ich dem nun aufgefundenen griechischen
Text für die Frage der Authentizität nicht zuerkennen. Da auch hier Pachom
nicht genannt ist, ist wiederum allein das Vorhandensein des griechischen
Textes bewiesen, was aber schon mit Sicherheit aus Hieronymus' Über¬
setzung zu erschließen war. Denn daß Hieronymus seinen lateinischen Text
frei erfunden haben könnte, ist absolut ausgeschlossen. Ein weiteres Zeugnis
für die von Pachom hinterlassenen Briefe bietet auch die älteste griechische Vita*i.
Aus dem Fehlen jeglicher Verfasserangabe in den koptischen und griechi¬
schen Texten ergibt sich schwerlich ein durchschlagendes Argument gegen
die Autorschaft Pachoms. Diese Briefe sind keine Literatur und wurden
zunächst sicher nur im heimatlichen monastischen Milieu weitertradiert.
Hier mußte der Verfasser nur zu bekannt sein und brauchte nicht genannt zu
werden. Es bleibt aber dennoch als wichtiges Faktum festzuhalten, daß die
neuen Zeugen bei allem Gewicht, das ihnen zukommt, kein direktes Indiz für
die Verfasserschaft Pachoms liefern.
Bedeutsamer als das Fehlen der Verfasserangabe scheint mir das Fehlen
der Titel. Wenn man sich leicht vorstellen kann, daß der Name des Verfas¬
sers zunächst auch in mündlicher Überlieferung zuverlässig tradiert worden
sein kann, so halte ich das bei den übrigen Angaben in den Titeln der
lateinischen Übersetzung für ausgeschlossen. Es werden dort Adressaten
genannt, die Klöster, zu denen sie gehören, die Funktionen, die sie bekleiden,
und schließlich nähere Umstände wie Anlaß des Schreibens. Manches davon
kann man den Briefen selbst und den Viten entnehmen, bei weitem aber
nicht alles. Und wenn diese Angaben nicht von Anfang an schriftlich fest¬
gehalten waren, dann können wir sie nur mit größter Zurückhaltung verwen¬
den. Es ist absolut unwahrscheinlich, daß die Titel den Briefen von Anfang
beigegeben waren, aber in unseren koptischen und griechischen Zeugen
weggelassen und nur in der Vorlage des Hieronymus erhalten waren**.
Schwierig zu bestimmen ist das genaue Verhältnis der griechischen zur
lateinischen Briefsammlung (bei den beiden koptischen Blättern liegt von
hinzuzunehmen ist die Parallele Vita bohair. 106,3) verderbt und gerade kein
Zeugnis für Pachoms Griechischkenntnisse ; man müsse deshalb aber noch nicht
bezweifeln, daß Pachom im Laufe der Zeit tatsächlich etwas Griechisch gelernt
hat (Zum Problem der sprachlichen Verständigung in den Pachomius-Klöstern, in Biületin de la Sooiete d'Archeologie Copte 20, 1969-1970, 48 f.).
31 Vgl. unten Anm. 54.
32 Ein eigenes Problem ist, daß im Titel von Brief 7 eine präzise Angabe über
das Datum der jährlichen Versammlung im Monat Mesore steht, nämlich der 20.
dieses Monats (IBoON 95, 10). Wie Veilleux bemerkt, wird eine solche Angabe,
für die wir sonst keine Quelle haben, nicht von Hieronymus ei'funden sein
(Liturgie 369). Hieronymus muß also einen griechichen Text vor sich gehabt
haben, der einen Titel mit dieser Einzelangabe trug.
Die Briefe Paolionas 103
vornherein die Vermutung nahe, daß sie uns Iteine vollständige Sammlung
erhalten haben). Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, daß das Plus der
lateinischen Übersetzung auch später Hinzugefügtes enthält**. Dies kann
aber nicht für alles gelten, was die lateinische Fassung zusätzlich zur griechi¬
schen hat. Denn Brief 8 fehlt in der Chester-Beatty-Handschrift, ist aber im
Koptischen durch Pap. Colon. Copt. 2 bezeugt. Die Chester-Beatty-Hand¬
schrift muß also eine irgendwie unvollständige Sammlung von Briefen
Pachoms enthalten. Nur können wir beim gegenwärtigen Stand unserer
Kenntnis nicht sagen, ob cs sich dabei um einen Auszug aus einer vollständi¬
geren Sammlung handelt oder um ein früheres Stadium, in dem noch nicht
alle Briefe vorlagen.
Ratlos stehen wir meiner Meinung nach dem anderen Problemkreis gegen¬
über, der Frage nach der Bedeutung der pachomianischen Geheimschrift
oder -spräche. Hier bringen uns auch die neuen Zeugen der Lösung in keiner
Weise näher. Sie können uns nur zeigen, inwieweit der lateinische Text auch
in seinen unverständlichen Passagen und vor allem im Gebrauch der Buch¬
staben eine relativ zuverlässige Überlieferung darstellt. Die einzeln ge¬
brauchten Buchstaben stimmen weitgehend überein, zum Teil lassen sich in
ihren Varianten verschiedene Stränge der Überlieferung verfolgen**. Bei
längeren Buchstabenfolgen dürfte es sich sowohl im Griechischen als auch im
Lateinischen um spätere Phantastereien handeln**.
Zunächst müssen wir aber diese Geheimschrift oder -spräche etwas ge¬
nauer betrachten, was - wenn ich recht sehe - bisher vernachlässigt wurde.
Einmal ist zu konstatieren, daß gar nicht alle unter Pachoms Namen über¬
lieferten Briefe in Geheimschrift geschrieben sind**. Was sodann die pacho-
mianische Geheimschrift oder -spräche betrifft, so fallen am meisten ins
Auge und sind am besten bekannt die Buchstaben, das ,,alfabetum spiri-
tale", wie es in einem Brief selbst*' und von Hieronymus in seiner Vorrede**
** Jedenfalls Brief IIb; Näheres unten.
3* Man beachte etwa, wie konstant in diesem Punkt die Handschriften M und
E in Brief IIa gegen die Handschriften W und X stehen. Dabei gehen der
koptische und der griechische Text, die hier so gut wie völlig übereinstimmen,
bald mit dem lateinischen Text von MB, bald mit dem von WX.
3^ Brief 2 endet in der Chester-Beatty-Handschrift mit der Buchstabenfolge
AHIN30PT, die in der lateinischen Übersetzung fehlt {kopt. Original nicht be¬
kannt) und dadurch verdächtig ist. Auffällig ist hier, daß die genannten Buohsta-
benfolge aus dem griechischen Text von Brief 2 den Buchstaben am Ende des
(nur latein. erhaltenen) 9. Briefes ähnlich ist (Boon 98, 15). Umgekehrt beginnt in der lateinischen Übersetzung Brief 10 mit einer Reihe von über 50 Buchstaben
(natürlich mit Varianten in den verschiedenen Handschriften), von denen weder
der koptische noch der griechische Text etwas weiß.
*° Jedermann verständlich ist etwa Brief 7 über das gegenseitige brüderliche Verzeihen.
" Boon 93,1 (Brief 6). Boon 9,3 f.
genannt wird. Aber auch hier sind noch weitere Unterscheidungen anzubrin¬
gen, und vor allem : ein verschleierter Sinn hängt gar nicht von der Verwen¬
dung solcher Buchstaben ab. Der Brief 10, dessen Text nun glücklicherweise
in allen drei Sprachen bekannt ist, enthält keinen einzigen der geheimnis¬
vollen Buchstaben** und bleibt uns dennoch unverständlich*". Die Buchsta¬
ben selbst können in sehr verschiedener Weise gebraucht sein. Erstens kön¬
nen sie die Funktion eines anderen Wortes oder Begriffes im Satz überneh-
men*i. Streicht man die so verwendeten Buchstaben, so ergeben sich gram¬
matisch unvollständige Sätze. Eine andere Verwendung von Buchstaben
besteht darin, daß vollständigen Sätzen, vornehmlich Bibelzitaten**, einzel¬
ne Buchstaben angehängt werden**. Würden diese Buchstaben wegfallen, so
blieben diese Sätze grammatisch intakt. Im Gegenteil, man sieht nicht recht,
wie diese Buchstaben, wenn sie einen präzisen Sinn haben, im Satzganzen zu
verstehen sein sollen. Schließlich finden wir einmal eine Reihe von zusam¬
menhanglosen Sätzen - jedenfalls müssen sie dem uneingeweihten Leser so
vorkommen -, denen allen am Schluß mit der Formel ,,quod est . . ."
mehrere, zumeist drei Buchstaben angefügt sind**.
Hier ist der Ort, ein kurzes Wort zur Echtheit von Brief IIb** zu sagen. In
IIb werden die Buchstaben anders als in IIa verwendet. IIa setzt sich aus
" Wie schon oben Anm. 35 gesagt, geht dem Brief in der lateinischen Über¬
setzimg eine Reihe von über 50 Buchstaben voraus, die aber durch ihr Fehlen im
koptischen und griechischen Text als unecht erwiesen ist.
*" Es ist höchst interessant zu sehen, was der Herausgeber des koptischen
Textes, nicht wissend, daß er einen der Briefe Pachoms vor sich hatte, damit
anfing: er hielt ihn für eine Schreibübung, die aus zusammenhanglosen Sätzen
aus einem (oder mehreren) Märchen besteht (Demot. u. Kopt. Texte 76 ff.). Ibenb
Grumach sucht bei der Rezension der Ausgabe den Text (zusammen mit dem
von Brief IIa) als , .Zauber gegen Dürre" zu deuten (Orientalistisehe Literatur¬
zeitung 66, 197L 244).
*i In dieser Art ist Brief 1 geschrieben. In allen drei Sprachen ist der Satz
„Singe dem ß! Laß nicht das ß dir singen!" erhalten (koptisch als Zitat bei
Schenute, vgl. oben Anm. 4; latein. Boon 77,14 f.). An manchen Stellen kömite
man denken, daß die Buchstaben für Namen von Personen stehen. An vielen
anderen Stellen scheidet diese Möglichkeit aber aus.
*2 So vermute ich jedenfalls, doch ist nicht alles identifizierbar ; Einzelheiten zu Brief IIa vgl. oben Anm. 19.
*3 Nur in zwei Briefen, nämlich dem 9. (nur in der 2. Hälfte) imd dem 11. ( = IIa). Beispiel: ,, Erhebe dich, Gott, warum schläfst du? T" (Demot. u. Kopt.
Texte 72, 60-62 und Boon 100,11; der griech. und der latein. Text haben mit der biblischen Quelle, Ps 43,24a, „Herr" statt „Gott", in der latein. Übersetzung steht 0 für T).
** Nur erste Hälfte von Brief 9, der allein lateinisch erhalten ist. Beispiel :
„Fructus completus ist in labiis, quod est TIX" (Boon 97, 18f.).
** Zweite Hälfte von Brief 11 in der lateinischen ITbersetzmig, nämlich von
„Vidunus . . ." an (Boon 100, 18).
Die Briefe Pachoms 105
Bibelzitaten zusammen*', denen jeweils am Ende einzelne Buchstaben ange¬
hängt sind. IIb hingegen verwendet Buchstaben wie Worte oder Begriffe im
Satz und enthält auch insgesamt nur zwei Schriftzitate. Zu diesem offen¬
sichtlichen Stilbruch*' kommt noch hinzu, daß Brief 11 im koptischen und
im griechischen Text genau mit dem Schluß des ersten Teiles schließt. Der
zweite Teil (= IIb) muß entweder ursprünglich einen eigenen Brief gebildet
haben oder aber erst später entstanden sein. Letzteres scheint mir ziemlich
sicher, denn es läßt sich sogar die mutmaßliche Quelle für Hb ausmachen,
nämlich Brief 1. Zwei Sätze kommen in beiden Briefen vor**, nur in 1 und IIb
werden die ,, Kaienden" erwähnt** und in beiden Briefen erscheint der Name
„Sion"*".
Um die Enträtselung der pachomianischen Geheimschrift hat man sich,
soweit ich sehe, noch nicht allzu intensiv bemüht. Schon vor längerer Zeit
hat sich Athanasius Kikcheb. mit ihr beschäftigt*' und neuestens E. Te¬
sta**. Beiden Autoren ist gemeinsam, daß die pachomianische Geheimschrift
ihnen nicht das geringste Problem bedeutet. Ihnen ist sie im Grunde genom¬
men nichts anderes als die willkommene Bestätigung bestimmter Grundkon¬
zeptionen. Das ist bei Athanasius Kircher seine Überzeugung von der
significatio mystica der Zeichen der alten Schriftsysteme, bei Testa die von
einem weitverbreiteten komplexen System symbolischer Zeichen im Urchri¬
stentum. Ihre Deutungen** unterscheiden sich dann auch kaum im Prinzipiel¬
len, obwohl sie sich im einzelnen kein einziges Mal treffen.
** Vgl. nochmals oben Anm. 19.
*' Entfernt Vergleichbares ist allerdings auch bei Brief 9 zu beobachten, der nur lateinisch erhalten ist. Dort sind in der ersten Hälfte (bis Boon 98,6), die keine Schriftzitate enthält, den einzelnen Sätzen jeweils mit „quod est . . ."
einige Buchstaben angehängt. In der zweiten Hälfte (von Boon 98,6 an), die
zumindestens zur Hälfte aus Schriftzitaten besteht, folgen dann den einzelnen Sätzen Buchstaben, ohne durch ,,quod est . . ." verbunden zu sein.
*' Boon 101,6 f. = 77,12 f.: ,,Pone A ante oculos tuos, ut bene sit animae
tuae." In Brief 1 geht der Text dann weiter: ,,P tetendit manum suam . . ."
(Boon 77,13), was darm in Brief 11 an späterer Stelle so aufgenommen wird: ,,P
rursus tetendit manum suam . . ." (Boon 101, 10).
" Einerseits Boon 77,16 und 78,1 und 5, andererseits 101,7 und 12.
*" Boon 77,11 und 100,19; allerdings auch noch in Brief 4 (Boon 88,11).
*i Und zwar mehrfach. Ich habe nicht das gesamte Werk systematisch unter¬
sucht. KiBCHER hat den einmal formulierten Wortlaut mindestens zweimal ohne
wesentliche Änderungen wiederverwendet: Lingua aegyptiaca restituta (Rom
1643) 504 ff. ; Obeliscus Pamphilius (Rom 1650) 141 f. ; Turris Babel (Amsterdam
1679) 173 f. Im CEdipus (Rom 1652/54), auf den Kircher am Ende des Ab¬
schnitts zu verweisen scheint, habe ich nichts zu den Pachombriefen gefunden.
** E. Testa, II simbolismo dei giudeo-cristiani (Pubblicazioni dello Studium
Biblicum Franciscanum 14; Jerusalem 1962) passim, vgl. besonders 78 f.
'■^ Testa gibt eine vollständige ,, Übersetz ung" (traduzione) von Brief 1 (Sim¬
bolismo 79), KiROHER deutet einige Sätze aus demselben Brief 1. Die Art, wie
Eine sachgerechte Behandlung des Problems kann nicht die Nachrichten
aus dera Altertum über die Pachombriefe unberücksichtigt lassen. Der schon
erwähnte Bericht der ältesten griechischen Vita** bezeichnet die „Geheim¬
sprache" (yXwcraa xpuTc-o)) ausdrücklich als „geistlichen Charakters" (toü 7n/eu(i.aToi;) und fügt hinzu, daß die Adressaten sie aufgrund ihrer Geistbega¬
bung verstehen und darin antworten konnten**. Nichts in diesem Bericht
deutet darauf hin, daß irgend jemand außerhalb des Kreises der Eingeweih¬
ten die verschlüsselten Briefe damals verstand. Gut ein halbes Jahrhundert
nach Pachoms Tod steht dann Hieronymus diesen eigenartigen Dokumenten
ziemlich ratlos gegenüber*", und dies dürfte auch für jene gelten, die
bei ihm wegen der lateinischen Übersetzung der Pachomschriften vorstellig
geworden waren. Auch die Titel der Briefe sprechen immer wieder von deren
ün Verständlichkeit*'. Beachtenswert ist auch die Deutimg, die Schenute zu
dem von ihm zitierten Satz aus Brief 1 gibt**. Nach meinem Empfinden zeigt
sie klar, daß Schenute, obwohl selbst im oberägyptischen Mönchtum behei¬
matet, eine persönhche Deutung vorlegt und nicht etwa eine überkommene
weitertradiert*'.
Testa das Problem der Pachombriefe angeht, zeigt sich etwa darin, wie unbe¬
kümmert er die oben grob skizzierten Unterschiede in der Geheimschrift bzw.
-spräche ignoriert. Er sagt im Anschluß an seine Übersetzung von Brief 1, daß .,in diesem Stil auch die anderen zwölf (!) Briefe geschrieben" seien (ebd.).
^* Halkin, Vitae 66,32 ff. (Vita I § 99). Es handelt sich um die älteste griechi¬
sche Vita. Der Autor - oder Kompilator? - spricht in diesem Abschnitt über
seine Quellen. Wir erfahren dabei, daß er Pachom nicht selbst gekannt hat. Für
seine Lebensbeschreibung hat er mündliche vmd schriftliche Quellen verwendet,
darunter auch Pachoms eigene Briefe. Dabei erwähnt er auch deren hervorste¬
chendes Merkmal, die Verwendung der Buchstaben des Alphabets als Geheim-
zoichen. Von der schriftlichen Hinterlassenschaft Pachoms sagt er uns, daß
dieser sie habe ,, schreiben lassen" {inolriae\i Ypa9^vai.).
56 -wif werden somit deutlich an das „spiritale alfabetum" aus Brief 6 erinnert
(vgl. oben mit Anm. 37), wobei auch die ,,Buch8tabermamen, wie von Alpha bis
Si" das Wort ,, alfabetum" wiederaufzunehmen scheinen.
56 Boon 8,18-9,10.
" Brief 1 (Boon 77,6-8); Brief 9 (97,17); Brief 11 (100,7); vgl. auch Brief 2
(78,14) und 10 (99,4-6). Ob diese Angaben schon in dem griechischen Text
standen, den Hieronymus übersetzte, können wir nicht sagen. Sie können auch
später hinzugefügt sein.
** Amblineau, CEuvres de Schenoudi I 423,10 ff. und Chassinat, Le qua¬
trieme livre, S. 111,44 ff.
*° Vgl. Quecke, Pachomiuszitat 168. J. Leipoldt war wohl der Meinung, daß
Schenute hier eine tradierte Deutung weitergibt. Jedenfalls besaß Schenute nach
ihm noch den Schlüssel zur pachomianischen Geheimschrift (Geschichte der
christlichen Litteraturen des Orients = Die Litteraturen des Ostens in Einzeldar¬
stellungen 7, Leipzig 1907, S. 144, Anm. 6). Leipoldt kann damit nur die
fragliche Schenutestelle meinen, obwohl er das nicht ausdrücklich sagt. Daß
Schenutes Deutung nicht mit der Testas übereinstiiiunt, sei nur am Rande
erwähnt.
Die Briefe Pachoms 107
Was immer nun aber auch die Buchstaben der Pachombriefe bedeuten
mögen, ihre Verwendung dürfte Itaum in Einlclang zu bringen sein mit einer
anderen Verwendung von Buchstaben, die nacli der sogenannten Engel-
regel*" in den pachomianischen Klöstern üblich gewesen sein müßte, nämlich
um verschiedene Klassen von Mönchen zu bezeichnen*'. Auch hier wird die
Kenntnis der Bedeutung wieder ausdrücklich den Pneumatikern zugewie¬
sen**. Und wir kennen schließlich aus dem Kreis der Pachomianer, nämlich
aus dem Liber Orisiesii, dem geistlichen Testament von Pachoms Schüler
und zweitem Nachfolger Horsiese, ein weiteres Vorkommen von geheimnis¬
vollen Buchstaben**, das sich wohl am ehesten von dem in der Engelregel
beschriebenen Gebrauch her verstehen läßt**.
Es ist nicht leicht, die verschiedenen Daten zur pachomianischen Geheim¬
schrift bzw. -spräche in ein befriedigendes Gesamtbild einzuordnen, ganz zu
schweigen von dem ungelösten Problem der Geheimschrift selbst. Inwiefern
6° Sehr verzweigt überliefert, am bekanntesten wohl die Form in der Historia
Lausiaca, Kap. 32 (C. Butler, The Lausiac History of Palladius II = Texts and
Studies 6,2, Cambridge 1904, S. 88ff.).
°' Butler 90,3 -91,6. Ein Unterschied zwischen der Engelregel und den
Pachombriefen besteht auch darin, daß jene ausdrücklich von den 24 Buchsta¬
ben des griechischen Alphabets spricht (Butler 90,3 f.), während diese auch die
Zusatzbuchstaben des koptischen Alphabets kennen (Boon 94,8 f.). - Für van
Cranenburgh scheint Pachoms Verwendung der Buchstaben als Geheimzeichen
mit den Angaben der Engelregel durchaus in Einklang zu stehen (Le Museon 76,
1963, 183).
'2 Butler 91,5 f. In eklatantem Widerspruch hierzu steht natürlich die Erklä¬
rung, die die Engelregel selbst für zwei der Buchstaben gibt. Es wird hier nämlich
die äußere Form der Buchstaben zum Prinzip der Deutung gemacht und das
gerade Jota den einfachen Charakteren, das gewundene Xi den schwierigen
beigelegt (91,1-3).
«3 Liber Orsiesü 7 (Boon 112, 13-15).
In diesem Sinn habe ich mich schon früher ausgesprochen (Pachomiuszitat
169). Ebenso neuestens A. de VootM, Points de contact du chapitre XXXII de
l'Histoire Lausiaque avee les eorits d'Horsiese, in Studia Monastica 13 (1971)
292 f. Auch bei B. Steidle und O. Schuleb wird zur Deutung der Horsiesestelle die Engelregel herangezogen (Der ,,Obern-Spiegel" im ,, Testament" des Abtes Horsiesi (t nach 387), in Erbe und Auftrag 43, 1967, 30, Anm. 21). Sehr bestimmt
ist hier auch van Cbanenbubgh, Le MusCon 70 (1963) 183. So klar scheint mir
die Sache allerdings nicht, zumal dor Horsiesetoxt selbst nicht zweifelsfrei zu
deuten ist. Gar nicht folgen kann ich van Cbanenbubgh, insofern Pachombriefe, Engolregel und Liber Orsiesü für ihn in vollstem Einklang miteinander zu stehen
scheinen. Auch M. de Elizalde meint, daß Horsiese sich der Geheimschrift der
Pachombriefe bedient und daß er von bestimmten Personen spricht, ohne deren
Namen zu nennen (Libro de nuestro padre san Orsisio, in Cuadernos monasticos
4-5, Nov. 1967, S. 243, Anm. 2). In ihrer Ubersetzung des Libor Orsiesü schließen
Steidle-Schuler das Sätzchen mit den Buchstaben in eckige Klammern ein
(Erbe und Auftrag 43, 1967, 30). Wollen sie es damit als unecht oder zweifelhaft
kennzeichnen ?
die weitere Forschung hier noch Klärung bringen kann, bleibt abzuwarten.
Die neuen Materialien, über die ich hier kurz berichtet habe, tragen zur
Lösung dieser Fragen nichts Wesentliches bei, sie bringen aber unsere
Kenntnis vom Text der Pachombriefe imd seiner Überlieferung ein gutes
Stück voran.
ÄTHIOPISCHE HÄGIOGRÄPHIE DES 13. UND 14. JÄHRHUNDERTS
Von Veronika Six, Hamburg
1. Ein wesentliches Merkmal des 13. Jahrhunderts stellt das Abtreten der
Zägweherrscher dar, deren letzter Vertreter, Na'akweto La-'ab, zugunsten
Kaisers Yekuno Amläk abgedankt haben soll. Mit der Thronbesteigung des
Yekuno Amläk im Jahre 1270 wurde die salomonische Dynastie wieder in die
Herrschaft eingesetzt. Dieser Wechsel der Dynastien ist durch Legenden, die
in späterer Zeit entstanden sind, mit zwei äthiopischen Heiligen in Verbin¬
dung gebracht worden : lyasus Mo'a und Takla Häymänot.
lyasus Mo'a ist der Gründer des Klosters des hl. Stephanos im Hayqsee.
Nach der Vita wurde er im Jahr 1206 geboren und starb gegen Ende des 13.
Jahrhunderts. Das von ihm gegründete Stephanoskoster genoß im 14. Jahr¬
hundert und bis zu Beginn des 15. Jahrhunderts großes Ansehen. Während
der Regierungszeit des Reformkaisers Zar'a Yä'qob (1434-68) verlor das
Kloster an Bedeutung, und Dabra Libänos in Sawä, die Gründtmg des Takla
Häymänot, gewann sowohl kaiserliche Gunst wie verstärkten Einfluß. Das
Amt des Ecage, das seit der Regierung Kaisers 'Ämda Seyen I. (1314-44) der
jeweilige Vorsteher des Stephanosklosters bekleidete, wurde nach 1445 auf
die Vorsteher des Klosters Dabra Libänos übertragen'.
Das Amt des Ecage, obwohl innerhalb der kirchlichen Hierarchie an
zweiter Stelle nach dem koptischen Metropoliten, war eine hohe Würde und
bot Möglichkeit zu kirchenpolitischer Einflußnahme, da der Metropoht in
der Regel weder des Äthiopischen mächtig noch mit den Gegebenheiten des
Landes vertraut war.
Einerseits wird nun in der Vita des lyasus Mo'a* die Vermittlerrolle
zwischen dem letzten Zägweherrscher und Yekuno Amläk dem lyasus Mo'a
zugeschrieben, der als Hauptstütze des Yekuno Amläk seit Beginn der
Auseinandersetzung mit dem Haus der Zägwe geschildert wird ; andererseits
beanspruchen die Mönche des Klosters Dabra Libänos die Rolle des Vermitt¬
lers für ihren Heiligen.
Nach der Überlieferung soll Takla Häymänot und seinem Kloster ein
Drittel des Reichslandes zum Unterhalt für die Kirche in einem ausge-
' Vgl. E. Cehulli, La letteratura etiopica (Mailand' 1968) 73; E. Hammer¬
schmidt, Äthiopien. Christliches Land zwischen Gestern und Morgen (Wiesbaden
1967) [= HaÄth] 119.
2 Vgl. Actes de lyasus Mo'a = CSCO 259 (Text) und CSCO 260 (Übersetzung).