Von M. H. Zaidi, Heidelberg
Zum XVII. Deutsehen Orientahstentag in Würzburg gab ich einen Bericht
über Hmdustani-Handschriften in Deutschland, m welchem ich eine kurze
Einführung zu 48 Urdu-Manuskripten zu geben versuchte, die ich bis dahin
in deutschen Bibliotheken gefunden hatte. Inzwischen ist aus jenen Anfän¬
gen ein deskriptiver Katalog über Urdu-Handschritten in deutschen Bibho¬
theken* geworden, welcher nunmehr 83 Manuskripte umfaßt und zur Zeit
zum Drucke vorhegt. Die wertvollsten Exemplare aus dieser Zusammenstel¬
lung sind jene 35 Urdu-Handschriften, welche aus der Handschriftensamm¬
lung stammen, die Dr. Aloys Sprenger im Jahre 1856 selbst aus Indien
mitgebracht hatte. Diese Handschriften, welche heute in der Staatsbibho-
thek Preußischer Kulturbositz in Berlin aufbewahrt sind, haben nicht nur
einen hohen Wert hinsichtlich ihrer Authentizität oder kalhgraphischen
Schönheit, sondern einige davon besitzen darüber hinaus einen unschätz¬
baren Seltenheitswert, da sie die einzigen Exemplare ihrer Art überhaupt
darstellen, wovon keinerlei weitere Kopien existieren. Die vortreffliche
Sammlung dieser Handschriften verdanken wir nicht dem oberflächlichen
Sammler-Enthusiasmus eines europäischen Liebhabers von Urdu-Hand¬
schriften, sondern die Qualität der getroffenen Auswahl bezeugt das literari¬
sche Urteilsvermögen eines Mannes, der nieht nur die Urdu-Sprache meister¬
haft beherrschte, sondern sich durch seine überragenden Kenntnisse auch
Zugang zu jenen literarischen Kreisen erworben hatte, welche zur damaligen
Zeit die Maßstäbe für die Urdu-Dichtung und -Literatur auf dem indischen
Subkontinent setzten. In Kreisen der europäischen Orientahsten ist Sprenger
hauptsächlich als Arabist durch verschiedene Arbeiten bekanntgeworden -
seine Bedeutung für den Bereich der Urdu-Sprache ist bisher jedoch kaum
erwähnt worden.
Der bekannteste unter den drei europäischen Orientalisten, welche sich
auf dem Gebiete URDU besonders verdient gemacht haben, war der eng¬
lische Scholar Gilchrist (1759-1841), den zweiten Platz nimmt der Franzose
Garcin de Tassy (1794-1878) ein, und als dritter steht der in Österreich
geborene Dr. Aloys Sprenger (1813-1893), welcher im Orient als „deutscher
Wissenschaftler" bekanntgeworden ist. In meinem Aufsatz möchte ich mich
nach km-zer Erwähnung der wichtigsten Stationen aus Sprengers Lebenslauf
* M. H. Zaidi, Urdu-Handschriften (Verzeichnis der Orientalischen Hand¬
schriften in Deutschland, Bd. XXV) Wiesbaden 1973.
hauptsächlich seinem Beitrag auf dem Gebiete des Urdu-Studiums zuwen¬
den. Bei der Auswahl über Sprengers Lebenslauf stieß ich auf eine im Jahre
1893 in Leipzig herausgegebene „Allgemeine Deutsche Biographie", welche
damals in einer voluminösen 56bändigen Ausgabe erschienen war, ohne daß
darin wenigstens der Name des bedeutenden Orientalisten Dr. A. Sprenger
genannt wird. Angesichts dieser Tatsache scheint es mir doch von Interesse,
hier zu erwähnen, daß eine fast zwanzig Jahre früher herausgegebene Arbeit,
nämlich das ,, Biographische Lexikon des Kaiserthums Österreich" aus dem
Jahre 1878 bereits die wichtigsten Daten aus dem Leben Sprengers bis zum
Jahre 1856 wiedergibt, woraus auch die Daten und Angaben des nun folgen¬
den Umrisses von Sprengers Leben entnommen sind.
Aloys Sprenger wurde am 3. September 1813 in Nassereit in Tyrol gebo¬
ren. Schon während er das Gymnasium in Innsbruck besuchte, wo er neben
Latein und Griechisch auch Enghsch, Französisch, Italienisch und Spanisch
lernte, stellte er für den eigenen Gebrauch bereits eine ,, vergleichende Gram¬
matik der Romanischen Sprachen" zusammen. Nach Abschluß des Gymna¬
siums begab er sich 1832 zur Universität Wien. Dort betrieb er Philosophie,
Naturwissenschaften, Medizin und das Studium orientalischer Sprachen.
In letzterem Studium wurde er von den berühmten Professoren Hammer-
Purgstall und Rosenzweig angeleitet und wegen seines Lerneifers und seiner
außergewöhnlichen Begabung sehr gefördert. Aus dieser Zeit stammen auch
bereits seine ersten wissenschaftlichen Arbeiten, welche er in Form von
Aufsätzen unter dem Pseudonym , Dietrich', dem Mädchennamen seiner
Mutter, veröffentlichte. Da er nicht von Adel war, gelang es ihm trotz der
Fürsprache und des wohlwollenden Einflusses seiner Professoren nicht, eine
Aufnahme in die Orientalische Akademie zu erlangen. Nachdem er seine
philosophischen Studien erfolgreich beendet hatte, wurde ihm die Stelle als
Kustos an der orientalischen Abteilung des Museums, um die er sich hoff¬
nungsvoll beworben hatte, ebenfalls abgelehnt. Enttäuscht und mittellos
begab sich Sprenger dann auf Reisen, ohne daß ihm von den Autoritäten ein
Reisepaß gewährt worden war. In dieser Weise gelangte er über Zürich und
Paris nach London. Dort machte er die Bekanntschaft des Earl of Munster,
welchem er durch seine orientalischen Sprachkenntnisse bei dessen For¬
schungsprojekt über ,, Military Science of the Mussulmans" behilflich war
und in dessen Gesellschaft er Deutschland, Italien, Frankreich und England
bereiste. 1838 erhielt er die englische Staatsbürgerschaft, wodurch ihm der
Weg nach Indien endlich geöffnet worden war. Zu Paris, Oxford und Leyden
hatte er während seiner Reisejahre medizinische Vorlesungen angehört und
mit seiner Dissertation: ,,De originibus artis medicae sub Kalifatu" 1841 zu
Leyden den Doktorgrad erlangt. Im gleichen Jahre folgten eine ausgezeich¬
nete englische Übersetzung des arabischen Geschichtswerkes von Mas'üdi:
, Goldauen und Edelsteingräber' unter dem Titel : ,Mas'udi, historical encyclo-
pedia, entitled meadows of gold and mines of gems, translated by Sprenger'
(London 1841, Band 1), deren zweiter Band jedoch nicht mehr zustande
kam, da er inzwischen in die Dienste der East India Company aufgenommen
worden war.
So gelangte er 1843 nach Calcutta und wurde 1844 nach Delhi versetzt, wo
er zum Prinzipal am Delhi College ernannt wurde. In den nächsten vier
Jahren veröffentlichte er folgende Arbeiten: ,, Technical Terms of the Su-
fees" (Calcutta, 1844), eine Englisch-Hindustani Grammatik (1845), und
,, Selections from Arahic Authors" (Calcutta, 1845); weiter folgt : ,, History of
Mahmüd Ghaznah" (Calcutta, 1847). Außerdem ist es auch sein Verdienst,
daß während seiner Tätigkeit in Delhi unter seiner Leitung und auf seiner
Lithopresse die erste Zeitschrift in einer indischen Sprache, nämlich in Urdu,
für Indien gedruckt werden konnte, welche damals einmal wöchentlich
erschien. Der Name dieser bahnbrechenden Zeitschrift war ,,Qiränus-Sa'-
dain" welches soviel wie: ,Die günstige Konstellation zweier Sterne' bedeu¬
tet. Während seiner Zeit als Leiter des Delhi Colleges war Sprenger gerade
durch dieses wissenschaftliche Journal bemüht gewesen, eine Synthese zwi¬
schen Ost und West anzuregen, indem er darin die Beiträge traditioneller
indischer Gelehrter gleichberechtigt neben denen europäischer Wissenschaf t-
1er veröffenthchte. Da Sprenger im Dienste der East India Company und
darüber hinaus auch als britischer Staatsbürger nach Indien gekommen war,
ist es ihm hoch anzurechnen, daß er sich von den Vorurteilen der weißen
Kolonialherren freimachen konnte, welche damals die gesamte indische Ge¬
sellschaft als ,, hoffnungslos korrupt und dekadent' betrachteten. Sprengers
wissenschaftliche Weitsicht und seine Geisteshaltung bezeugen folgende bei¬
den Auszüge aus dem Vorwort des Kataloges zu seiner Handschrittensanun-
lung, welche ich hier zitieren möchte :
,,Die Beschäftigung mit der östlichen Literatur offenbart uns, daß der
Mensch dort durch seine Werke der Literatur über einen längeren Zeitraum
hinweg nachdenken gelernt hatte, als dies in der europäischen Literatur der
Fall ist. Der Studierende wird über den beschränkten Horizont europäischer Vorurteile hinausgehoben und befähigt, seine Kenntnisse zu erweitern."
,,Eine umfassende Kenntnis der Gebräuche, des Lebens und der Literatur
Asiens erscheint mir ein überaus wichtiges Desideratum für Europa, denn
diese würde nicht nur die Philosophie der Geschichte, welche einzig und
allein auf Tatsachen beruhen sollte, vervollkommnen, sondern sie wird
auch den Weg zu einer Verbindung zwischen Ost und West ebnen, welche
bereits in einem viel rapideren Maße begonnen hat fortzuschreiten als
allgemein angenommen wird."
Sprenger gründete weiterhin in Delhi eine ,, Vernacular Translation Socie¬
ty", deren Hauptziel darauf ausgerichtet war, klar verständliche und direkte
Übertragungen aus fremden Sprachen in die Urdu-Sprache zu fördern, wobei
geliünstelte Wortgefüge und rhjiihmische Übersetzungen, wie sie seinerzeit
unter den Maulvis sehr beliebt waren, vermieden werden sollten. In diesem
Sinne kritisierte Sprenger auch die orthodoxen Lehrmethoden der Maulvis
in seinem Jahresbericht des Delhi Colleges 1845/46:
„Unter dem Einfluß der Maulvis werden die Schüler angewiesen, Über¬
setzungen aus dem Persischen und Arabischen in die Urdu-Sprache anzu¬
fertigen, welche so erschreckend wörtlich sind, daß der Schüler am Ende
nicht mehr in der Lage ist, den Sinn dessen zu erfassen, was er eben noch
zur Zufriedenheit seines Lehrers übersetzt hatte. Dies ist der Grund,
weshalb der Übersetzungsstil der Maulvis und ihrer Schüler nicht nur
äußerst naiv und trocken, sondern überdies dem Sinne nach sogar falsch ist.
Durch dieses orthodoxe Erziehungssystem wird der geistige Horizont der
Schüler von vorneherein eingeengt. Meiner Meinung nach sollte diese
unzulängliche Arbeitsmethode vor allen anderen Mängeln in den Studien¬
fächern der Orientalistik behoben werden. Ich bin sicher, daß die Resulta¬
te der nächsten Examina dadurch bereits wesentlich verbessert werden
können."
Sprenger war eigentlich der erste Orientalist, der diesem bis dahin ver¬
nachlässigten Bereich des Studiums der orientahschen Sprachen seine Auf¬
merksamkeit zuwandte. Wie wir dann weiter verfolgen können, trugen ge¬
rade seine Bemühungen in dieser Richtung reichlich Früchte, denn getreu
seinem Vorbild und unter seinem persönhchen Einfluß gründete dann Sir
Sayed in Aligarh die berühmte ,, literary school", aus der wertvolle Literatur¬
beiträge in Form von ausgezeichneten Übersetzungen aus anderen Sprachen
hervorgingen, welche nicht nur die Urdu-Sprache bereicherten, sondern auch
den hterarischen Horizont erweiterten und somit erst die Grundlagen für die
moderne Urdu-Prosa schufen. 1847 wurde Sprenger aus der alten Mogulresi¬
denz Delhi nach Lucknow, dem damaligen Hauptsitz der orientahschen
Wissenschaft, versetzt, wo er im Regierungsauftrage die Handschriften der
Bibliotheken des Nawäbs von Oudh zu katalogisieren hatte. Hier hatte er
wiederum Gelegenheit, über 10000 persische, arabische und Urdu-Hand¬
schriften durchzufersehen, welche zum größten Teil später während der
Mutiny vernichtet wurden. Der erste Band jenes Kataloges, welcher persi¬
sche und Hindustani-Handschriften enthielt, wurde 1854 in Calcutta heraus¬
gegeben (Baptist Mission Press, 1854). Später möchte ich noch einmal
darauf zurückkommen. Seine meisterhafte Beherrschung der Feinheiten der
persischen Sprache hatte Sprenger 1851 mit seiner vortrefflichen Herausgabe
von Sa'adis berühmter Dichtung , Gulistän', dem Rosengarten, unter Beweis
gestellt, von der der Shah von Persien so begeistert war, daß er Sprenger
einen Elefanten zum Geschenk machte. Um diese Zeit begann Sprenger auch
damit, unter tausenden von Icritisch durchgesehenen Manusliripten wertvol¬
le orientahsche Handschriften für seine private Bibliothek zusammenzustel¬
len.
Auf der Suche nach authentischem Quellenmaterial für seine Arbeit über
das Leben Mohammads (,,Life of Muhammad", Allahabad 1851) hatte
Sprenger von Lucknow aus den gesamten damals bekannten Orient bereist
imd in Ägypten, Syrien, Mesopotamien und im Iraq wertvolle Handschriften
angekauft oder sich Kopien davon anfertigen lassen. Von 1851 bis 1854
wurde Sprenger in der Eigenschaft als amtlicher Übersetzer der Regierung
für die persische und Urdu-Sprache in Calcutta tätig, wo er auch Prinzipal
der Calcutta Madrassa und des Muhammedan Colleges zu Hugli wurde.
Einige Jahre hindurch bekleidete er auch das Amt eines Sekretärs der
Asiatic Society of Bengal, deren Ehrenmitglied er auch zeitlebens blieb. Er
verließ Indien 1856 imd ließ sich in Weinheim bei Heidelberg nieder. In
Weinheim begann er damit, seine Schätze an orientalischen Manuskripten zu
ordnen und gab alsbald den berühmten Katalog der ,, Bibliotheca Orientalis
Sprengeriana" heraus, welcher 1972 Titel enthielt und 1857 in Gießen
veröfiFentlicht wurde. Im Vorwort finden wir aufschlußreiche Mitteilungen
über Sprengers Lebenswerk. Sprenger wollte seme orientalische Bibliothek,
welche für zahlreiche europäische Orientalisten später einmal die Basis ihres
wissenschaftlichen Betätigungsfeldes werden sollte, eigentlich an die König¬
liche Bibliothek in Wien weiterverkaufen. Die österreichischen Behörden¬
stellen zeigten sich jedoch nicht sonderlich interessiert, während die Bayri¬
sche Staatsbibliothek sich eitrig bemühte, diese wertvolle Sammlung zu
erwerben. Schheßlich gelang es dann der Preußischen Staatsbibliothek Ber¬
lin, sich diese Sammlung durch einen kurzentschlossenen Kauf auf telcgra-
phischem Wege zu sichern. Im gleichen Jahre 1858 wurde Sprenger eine
Professur für orientalische Sprachen an der Universität Bern angeboten.
Während dieser Zeit veröffentlichte er zwei Arbeiten in deutscher Sprache :
, .Leben und Lehre des Muhammad" (Berlin 1861-5, 3 Bände) und ,,Die alte
Geographie Arabiens" (Bern, 1875). 1881 kehrte er nach Heidelberg zurück,
wo er 1893 in seinem 81. Lebensjahr starb.
Dieser kurze Umriß des Lebens und des Wirkungskreises von Dr. Aloys
Sprenger soll einigermaßen veranschaulichen, wie unermüdlich er sich zeit¬
lebens für die Förderung des Studiums der Orientalistik eingesetzt hat, und
welch hohes Verdienst ihm besonders auf dem Gebiete URDU zukommt. In
diesem Zuzsammenhang möchte ich nun gerne ausführlicher auf den Katalog
der arabischen, persischen und Urdu-Handschriften von den Bibliotheken
des Nawäbs von Oudh zurückkommen, welchen er zwischen 1848 und 1850
in achtzehnmonatiger mühevoller Arbeit unter ims heutzutage unglaubhch
anmutenden Umständen anfertigte, wie Sie aus dieser Notiz Sprengers ent¬
nehmen können :
„Die Bücher werden in etwa vierzig halbzerfallenen Kisten - in riesigen
Gepäckbehältern für Kamelreisen - aufbewahrt, welche gleichzeitig
fruchtbaren Rattenfamilien als Behausung dienen; und wer auch immer
unter den Bewunderern der orientalischen Wissenschaft eine Gelegenheit
erhalten mag, diese Sammlung zu besichtigen, der wird wohlberaten sein,
die Kisten erst mit einem Stocke abzutasten, bevor er seine Hand hinein¬
steckt - es sei denn, er ist sowohl Zoologe wie auch Orientalist. Am Ende
des Saales gibt es Säcke voller Bücher, welche von weißen Ameisen (Ter¬
miten) vollkommen vernichtet worden sind."
Da ich mich hier hauptsächlich mit Sprengers Verdiensten um das Stu¬
dium beschäftigen möchte, werde ich nur diejenigen beiden Kapitel des
Kataloges näher erläutern, welche entweder Urdu-Dichtungen oder
Biographien von Urdu-Dichtern, auch ,,Tazkirah's" genannt, beinhalten. So
gibt uns Sprenger im ersten Kapitel des Oudh-Kataloges auf den Seiten 194-
306 eine Aufstellung von 1512 , Rekhta' oder Urdu-Dichtern, mit einer
kurzen Zusammenfassung ihres Lebenslaufes. Die hohe Qualität dieser Ar¬
beit legt die Vermutung nahe, daß Sprenger während seines Indienaufenthal¬
tes irgendwo einem Exemplar der 1847 durch Maulvi Karimuddm und Mr.
Felon herausgegebenen Urdu-Übersetzung von Garcin dc Tassy's ,, Histoire
de la Literature Indien" begegnet war.
Das französische Original war überhaupt die allererste Arbeit eines euro¬
päischen Gelehrten gewesen, welches man als ,,Tazkirah"-Werk bezeichnen
kann, welches Sprenger dazu angeregt haben mag, eine ähnliche Arbeit nach
authentischen Quellen zu verfassen. Durch seine gesellschaftliche Stellung
und seinen Rang als Urdu-Sprachwissenschaftler hatte Sprenger Zugang zu
authentischem Quellenmaterial. Gleichzeitig wurde es ihm dadurch ermög¬
licht, mit den bedeutendsten Urdu-Dichtern und Tazkirah-Verfassern der
damahgen Zeit persönliche Verbindung aufzunehmen, wodurch er sich zu¬
verlässiges, erstklassiges Material für seine Arbeit sichern konnte. Aus einer
handschriftlichen Liste von 20 Tazkirahs, welche als verläßliche Standard¬
werke der damaligen Zeit gelten, und welche Sprenger alle noch zusätzlich
konsultiert hatte, läßt sich die Vortrefflichkeit dieser Arbeit ermessen. Die
einzigartige Qualität von Sprengers „Tazkirah" bewirkte auch, daß bald aus
Fachkreisen indischer Sprachwissenschaftler angeregt wurde, diese wertvolle
Arbeit in die Urdu-Sprache zu übertragen, um sie somit einer größeren
Leserschaft zu erschließen. Im Jahre 1932 wurde Sprengers Arbeit von
Maulavi Tufail Ahmad ins Urdu übertragen und 1943 in Allahabad von der
Hindustani Academy unter dem Titel :,, Yädgär Shu'rä" herausgegeben. Der
hohe Anklang, welchen jene Arbeit damals in den literarischen Kreisen der
Urdu-sprachigen Gelehrten fand, zeigte sich in dem reißenden Absatz dieses
Buches, welches, kaum gedruckt erschienen, auch schon wieder vergriffen
war. Heutzutage sind Exemplare jener Urdu-Ausgabe ebenso kostbar und
ebenso unerschwinglich wie der Katalog der Bibliotheken des Nawäbs von
Oudh selbst. Durch die Qualität dieses „Tazkirah"-Werkes hatte Sprenger
den Verfassern von Dichter biographien, den ,, Tazkirah Nigäri" auch für die
Zukunft einen solch beispielhaften Maßstab gesetzt, daß man seine Arbeit
heutzutage als Grundlage der Urdu-Literaturgeschichte bewerten muß.
Das dritte Kapitel mit den Seiten 595 bis 645 des ,, Oudh-Kataloges", welches den Titel ,, Works of Hindustani Poets" trägt, beinhaltet die wert¬
vollen Aufzeichnungen über 156 URDU-Handschriften, welche zum großen
Teil heute nicht mehr existieren. Kurz nach der Veröffentlichung von Spren¬
gers „Oudh-Katalog" brach im Jahre 1857 bekanntlich die sogenannte ,Mu-
tiny' aus, welche nicht nur katastrophale Folgen für Tausende von Menschen¬
leben hatte, sondern im Zuge der blutigen Unruhen, welche Lucknow, den
ehemaligen Hauptsitz der orientalischen Wissenschaft, erschütterten, sind
damals auch unzählige wertvolle Handschriften aus den Bibliotheken des
Nawäbs von Oudh vernichtet worden. Jedenfalls ist ein großer Teil jener
Sammlung seither verschwunden. Wir verdanken es darum einzig und allein
Sprengers Beschreibungen dieser Handschriften, daß der Nachwelt noch ein
Eindruck von jenen Werken vermittelt werden kann.
DIE HEBRÄISCHE INSCHRIFT DJE 23 ÄUS DEM JEMEN
Von Rainer Degen, Marburg
Wird erscheinen in: R. Degen, Walter W. Müller, W. Röllig: Neue Ephe¬
meris für Semitische Epigraphik. Band 2. Wiesbaden 1974.