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Antidepressive Erhaltungstherapie bei alten Menschen

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Academic year: 2022

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Auch bei Betagten, die im Alter erstmals eine depressive Episode erleiden, scheint eine medikamentöse Erhaltungstherapie aussichts- reich zu sein – sofern sie auf die initiale Therapie angesprochen haben. Das zeigt eine Langzeitstudie, die kürzlich im «New England Journal of Medicine» publiziert wurde.

N E W E N G L A N D J O U R N A L O F M E D I C I N E

Die Depression ist eine Erkrankung mit hoher Rückfallneigung.

Das gilt auch für alte Menschen. Innerhalb von drei Jahren nach einer ersten depressiven Episode, so zeigen Untersuchungen, bricht das Seelenleiden bei 50 bis 90 Prozent erneut aus. Ein wichtiges Ziel der antidepressiven Therapie ist deshalb, diese Rückfälle zu verhindern.

Wie dies am besten zu bewerkstelligen ist, darüber gibt es in Bezug auf alte Menschen bis anhin nur wenige Untersuchungen, auch nicht mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI), die heute zumeist als Erstlinienmedikamente eingesetzt werden, weil ihr Nebenwirkungsprofil vergleichsweise güns- tiger ausfällt und weil die Komplikationen bei Überdosierungen weniger bedrohlich sind. Die wenigen verfügbaren Daten sind noch widersprüchlich, was auch für die Psychotherapie gilt.

Auch besteht derzeit noch kein Konsens darüber, inwieweit überhaupt eine Erhaltungstherapie eingeleitet werden soll, wenn die erste Depression erstmals in hohem Alter aufgetreten ist. Allerdings behandeln die meisten Experten auch alte Men- schen über sechs Monate bis zu einem Jahr.

Mehr Klarheit über die Erfolgsaussichten einer Erhaltungsthe- rapie sollte eine amerikanische Studie bringen, für die die Stu- dienleiter aus Pittsburgh ausschliesslich über 70-Jährige rekru- tierten. Bei vielen Teilnehmern war die Depression erstmals ausgebrochen. Eine Dauertherapie erhielten jedoch nur Patien- ten, die auf eine initiale Behandlung mit dem Antidepressivum

Paroxetin (z.B. Deroxat®) und einer Psychotherapie anspra- chen. Von 195 ausgewählten Patienten blieben 151 übrig; bei ihnen wurde diese Therapie dann über 16 Wochen fortgesetzt, um eine Stabilisierung oder eine weitere Verbesserung zu er- zielen. Schliesslich verblieben 116 Patienten für die Erhaltungs- therapie. Man randomisierte sie in vier Gruppen. Sie erhielten Paroxetin oder Plazebo jeweils in Kombination entweder mit einer interpersonellen Psychotherapie oder einem so genannten

«clinical management», das von Psychologen, Sozialarbeitern und speziell geschulten Schwestern angeboten wurde. Die Be- treuer wussten dabei nicht, ob den ihnen zugeteilten Patienten Plazebo oder Paroxetin verabreicht wurde. Das «klinische Ma- nagement» fand monatlich statt und dauerte 30 Minuten, es handelte sich nicht um eine spezifische Psychotherapie, jedoch konnten die Patienten sich mit den Therapeuten über ihre Situ- ation, die Symptomatik und mögliche Nebenwirkungen aus- sprechen. Zudem wurden alle Patienten bei jeder Begegnung nach der Hamilton-Depressionskala eingestuft.

Die ebenfalls monatlich stattfindende interpersonelle Psycho- therapie dauerte 45 Minuten und wurde zu Auswertungs- zwecken auf Video aufgenommen und ausgewertet. Darüber hinaus fanden Schulungen von Patienten und Familienangehö- rigen statt. Wurde ein Rückfall in eine depressive Episode dia- gnostiziert, musste dies von einem unabhängigen Psychiater bestätigt werden.

ARS MEDICI 11 2006

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S T U D I E

Antidepressive Erhaltungstherapie bei alten Menschen

Eine langfristige medikamentöse Therapie hilft, Rückfälle zu vermeiden

■■

■ Auch Menschen, die erst in hohem Alter eine Depres- sion erleiden und auskurieren, haben ein hohes Rückfallrisiko.

■■

■ Alte Menschen mit einer Major Depression, die auf eine initiale Behandlung mit Paroxetin und Psycho- therapie ansprechen, profitieren oft von einer an- schliessenden Erhaltungstherapie.

■ In dieser Studie erwies sich die interpersonelle Psychotherapie nicht als hilfreich zur Rezidivprophy- laxe.

M M M

M e e e e rr rr k k k k ss ss ä ä ä ä tt tt zz zz e e e e

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Hohe Rückfalltendenz bestätigt

Was zeigen nun die Auswertungen? Zunächst bestätigen sie die hohe Rückfalltendenz der Depression auch bei Hochbetagten:

Etwa zwei Drittel der Patienten, die nicht medikamentös behandelt wurden, erlitten eine erneute depressive Episode – 58 Prozent waren es unter denen, die eine Psychotherapie machten, 68 Prozent unter denen, die die Sitzungen in der Klinik besuchten. Deutlich besser erging es jedoch den mit Paroxetin Behandelten. Am besten schnitten Patienten ab, die das Medikament zusätzlich zur Psychotherapie erhielten. Die Rückfallquote betrug hier nur 35 Prozent.

Nach Auffassung der Autoren bekräftigen diese Ergebnisse den Nutzen einer SSRI-Erhaltungstherapie, während die interperso- nelle Psychotherapie als alleinige Massnahme durchfiel, wenn es um Rückfallprophylaxe bei den Betagten geht. Nach Berech- nungen der Autoren müssen im gegebenen Zeitraum 4 Patien- ten medikamentös behandelt werden, um einen Rückfall zu verhindern. Dies sei ein sehr guter Wert, betonen sie und zie- hen dabei einen Vergleich aus der Kardiologie heran: Um einen Reinfarkt in den nächsten 5 Jahren zu verhindern, müssten 21 Patienten mit einem Statin behandelt werden.

Positiv vermerken die Autoren zudem, dass auch bei alten Menschen Medikamente oft bereits kurzfristig zu helfen scheinen. Das war bisher nicht ganz so klar, nachdem Kurz- zeitstudien bei über 75-Jährigen mit Citalopram (z.B. Sero- pram®) oder Sertralin (z.B. Zoloft®) nicht ganz überzeugend ausgefallen waren.

Psychotherapie verhindert Rückfälle nicht

Anders als von den Autoren eingangs hypothetisch angenom- men, trug die Psychotherapie auf Dauer wenig zur Erhaltung der Remission bei, obwohl die Patientenzahl gross genug war, um Effekte statistisch absichern zu können. Überraschend kam die Erkenntnis auch, weil dieselben Autoren in einer früheren Studie einen Effekt der Psychotherapie hatten nachweisen kön- nen, allerdings waren die Teilnehmer dabei im Schnitt zehn Jahre jünger gewesen. Bei jüngeren Patienten ist die Psycho- therapie ohnehin eine akzeptierte Behandlungsmethode.

Warum die interpersonelle Psychotherapie jetzt auf lange Sicht ungenügend abschnitt, darüber lässt sich nur spekulieren. Die Autoren halten es für möglich, dass sich einige Patienten bereits in frühen Demenzstadien befanden und die Behandlung auf- grund kognitiver Defizite nicht wie erwünscht fruchtete. Mögli- cherweise seien die Psychotherapiesitzungen für diesen alten Menschen zu selten erfolgt. Grundsätzlich müsste die Wirk- samkeit aller Psychotherapieformen im hohen Alter besser untersucht werden, fordern die Autoren.

In einem Kommentar stimmt Burton V. Reifler von der Wake Forest University School of Medicin, Winston-Salem, den Auto- ren im Wesentlichen zu. Reifler geht davon aus, dass die medi- kamentösen Erfolge nicht nur mit Paroxetin erreichbar seien, sondern auch mit anderen Antidepressiva, da Wirksamkeits- unterschiede bis heute zwischen den Substanzen nicht erkenn-

bar seien, «auch wenn die Hersteller ihre eigenen Präparate im Vorteil sehen». Antidepressiva sollten deshalb nach Kosten und nach dem Nebenwirkungsprofil ausgesucht werden. Auch die älteren Trizyklika seien wirksam, betont Reifler. Wenn sie sich bei einem Patienten bereits bewährt haben, sollte man zurück- haltend sein mit einem Wechsel auf SSRI, die aber sonst im Allgemeinen zu bevorzugen seien.

Dass die Psychotherapie bei alten depressiven Menschen un- wirksam sei, lasse sich nach dieser Studie noch nicht behaup- ten. Es gebe schliesslich auch Untersuchungen bei Betagten, die zeigten, dass Psychotherapien hilfreich sein könnten. Wichtig sei aber immer auch die soziale und physische Aktivierung. Bei schweren depressiven Episoden stellte der Kommentator auch der Elektroschocktherapie ein gutes Zeugnis aus. Dieses Ver- fahren sei auch bei Alten wirksam und werde von ihnen gut to- leriert, mitunter liessen sich sogar dramatische Verbesserungen beobachten, dem schlechten Ansehen dieser Methode zum Trotz.

Ausdrücklich wendet sich Reifler gegen die zuweilen vertretene Ansicht, Depressionen gehörten zum normalen Alterungs- prozess. «Es ist nicht unüblich, auch von Ärzten zu hören, dass jemand, der an Krebs oder einer anderen schweren Erkrankung leide, eben darüber depressiv würde. Viele sind es auch, die meisten jedoch nicht», schreibt Reifler. Entscheidend sei, die Depression zu erkennen, woran es oft noch mangele. Eine le- benslange Therapie hält Reifler derzeit nicht für begründbar, sehr wohl aber ein lebenslanges Follow-up. Man täte gut daran, jeden gesundeten Patienten als in Remission befindlich anzuse- hen, nicht aber als geheilt. Eine dauerhafte Betreuung sei des- halb so wichtig wie es die Nachuntersuchungen bei Krebs- patienten seien, die ihr Tumorleiden überwunden haben.

Charles F. Reynolds et al.: Maintenance treatment of major depression in old age.

N Engl J Med 2006; 354: 1130–1138.

Burton V. Reifler: Play it again Sam – Depression is recurring.

N Engl J Med 2006; 354: 1189–1190.

Uwe Beise

Interessenlage: Die Studie wurde hauptsächlich vom National Institute of Mental Health finanziert. Glaxo SmithKline stellte Paroxetin kosten- los zur Verfügung, war aber sonst an der Planung und Durchführung der Studie nicht beteiligt.

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ARS MEDICI 11 2006

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