310 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 1618. April 2008
M E D I Z I N
Ernährung bei weit fortgeschrittenen Erkrankungen
Die Autoren weisen in den letzen Abschnitten ihres CME-Artikels darauf hin, dass „die Ernährung über ei- ne PEG-Sonde keine terminale oder gar symbolische Maßnahme bei Patienten mit schlechter Prognose oder unheilbaren Erkrankungen im Endstadium darstellt“.
Diesen wichtigen Punkt möchten wir unterstreichen.
Die emotional stark besetzte Maßnahme der Einlei- tung oder Fortführung einer künstlichen Ernährung wird täglich in unzähligen Behandlungssituationen von Patienten und Angehörigen gefordert. Insbesondere die häufig geäußerte Bitte der Angehörigen, den Patienten
„nicht verhungern zu lassen“ bedarf differenzierter Be- trachtung.
Unstrittig ist, dass bei sekundärer Kachexie (zum Beispiel tumorbedingter mechanischer oder neurologi- scher Behinderung des Schluckakts) eine künstliche enterale Ernährung via PEG sinnvoll sein kann. Hunger- gefühl tritt jedoch bei der viel häufigeren primären Tu- morkachexie nicht auf und es fehlt ein positiver Einfluss künstlicher Ernährung auf Lebenszeit und -qualität.
Häufig verstärkt diese Maßnahme nur belastende Sym- ptome durch die verursachten Flüssigkeitsverschiebun- gen (Aszites, Pleuraerguss, Hirnödem etc.).
Ähnliches gilt für fortgeschrittene nicht onkologi- sche Erkrankungen (1). Die künstliche Ernährung ist in diesem Kontext demnach keine ärztliche Pflicht (2).
Mit diesem Leserbrief möchten wir dem letzten wich- tigen Absatz der CME-Fortbildung von Löser et al. noch mehr Gewicht verleihen. Damit erhoffen wir uns, die weit verbreitete Unsicherheit bei der Entscheidungsfin- dung für oder gegen die Einleitung oder Fortführung ei- ner künstlichen Ernährung im Verlauf von fortgeschrit- tenen Erkrankungen verringern und therapeutische Au- tomatismen verhindern zu können.
DOI: 10.3238/arztebl.2008.0310a
LITERATUR
1. Mitchell SL: A 93-year-old man with advanced dementia and eating problems. JAMA 2007; 298: 2527–36.
2. Bundesärztekammer: Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztli- chen Sterbebegleitung. Dtsch Arztebl 2004; 101 (19): A 1298–9.
Dr. med. Jan Gaertner Dr. med. Christoph Ostgathe Prof. Dr. med. Raymond Voltz Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin Klinikum der Universität zu Köln Kerpener Straße 42 50924 Köln
Schlusswort
Die große positive Resonanz auf unseren CME-Artikel belegt die praktische Bedeutung des Themas Malnutri- tion im Alter. Die vielen Leserbriefe verdeutlichen ins- besondere auch die Notwendigkeit einer offenen und kritischen Diskussion über den Stellenwert der künstli- chen Ernährung (PEG-Sonde) in diesem Kontext. Wie die Kollegen Gaertner, Ostgathe und Voltz zu Recht be- tonen, ist die PEG-Sonde keine terminale oder gar sym-
bolische Maßnahme bei Patienten im Endstadium einer infausten Erkrankung sondern bedarf neben einer medi- zinischen Indikation, die eine Verbesserung der Lebens- qualität zum erreichbaren Ziel haben muss, auch einer ethischen Rechtfertigung. Gerade wegen der häufig sehr emotionalen Diskussion sollte die Frage über die Mög- lichkeiten und Grenzen einer supportiven künstlichen Ernährung über eine PEG-Sonde sehr frühzeitig bei ab- sehbarem Krankheitsverlauf thematisiert und ausführ- lich auf den jeweiligen Patienten bezogen mit den Be- teiligten besprochen werden. Hier sind allein individu- elle ärztliche Aufklärung und ausführliche Kommunika- tion, die den Patientenwunsch, die Realisierbarkeit von Zielsetzungen, individuelle Emotionen und Möglich- keiten wie Grenzen ärztlichen Handelns thematisieren, zielführend.
Auch für den ergänzenden Kommentar von Herrn Kollegen Ulf Müller-Ladner sind wir dankbar, da er noch mal zum Ausdruck bringt, dass eine Vielzahl von chronischen Erkrankungsprozessen oft auch schon sehr frühzeitig zu einem schleichenden, aber kontinuierli- chen Gewichtsverlust führen kann, der ärztlicherseits rechtzeitig erkannt und mit den dargestellten etablierten Maßnahmen effektiv behandelt werden muss. Chro- nisch entzündliche rheumatische Erkrankungen und die komplexe Vielfalt der autoimmunologischen Erkran- kungen sind in diesem Zusammenhang relevante Dia- gnosen. Zwei Aspekte sind aus ärztlicher Sicht wichtig:
Zum Einen muss bei allen chronisch Kranken regel- mäßig die Ernährungssituation überprüft und nach ei- nem ungewollten Gewichtsverlust gefragt werden; zum Anderen muss bei unklarem Gewichtsverlust differenzi- aldiagnostisch die komplexe Palette der verschiedenen chronischen Erkrankungen inklusive der rheumatolo- gisch-immunologischen Grunderkrankungen individu- ell als mögliche Ursache erwogen werden.
DOI: 10.3238/arztebl.2008.0310b
Prof. Dr. med. Christian Löser Medizinische Klinik
Rotes Kreuz Krankenhaus Kassel gGmbH Hansteinstraße 29
34121 Kassel
E-Mail: chr.loeser@rkh-kassel.de
Interessenkonflikt
Die Autoren aller Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committe of Medical Editors besteht.