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Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 39, 26. September 1997 (1)
125 Jahre Deutsches Ärzteblatt
Allen Ärzten verpflichtet
it der richtigen Mischung von Energie und Mäßi- gung wolle man für die Belange der Ärzte und ihrer Kran- ken eintreten. So schrieb Carl Oelemann, Bad Nauheim, in Heft 1 der wiederbegründeten „Ärztli- chen Mitteilungen“ im Mai 1949.
Er bezog sich dabei auf Willy Hell- pach, der diese Devise bereits in den alten „Ärztlichen Mitteilun- gen“ 1907 ausgegeben hatte. Sie trifft auch für das Deutsche Ärzte- blatt von heute, das die Nachfolge der „Ärztlichen Mitteilungen“ an- getreten hat, zu – eine Zielsetzung, die unverändert fortschrittlich ist.
1949 knüpfte Oelemann wie selbstverständlich an die Tradition der alten „Ärztlichen Mitteilun- gen“ an. Die waren ursprünglich ein Regionalblatt für Elsaß-Loth- ringen und wurden 1904 Organ des
„Leipziger Verbandes“, des späte- ren Hartmannbundes und der Kas- senärztlichen Vereinigungen. Die andere Traditionslinie wurde erst sehr viel später wieder bewußt auf- genommen. Sie knüpft an das
„Aerztliche Vereinsblatt“, das Or- gan des „Deutschen Aerztever- einsbundes“, an.
Dieses Vereinsblatt wurde vor 125 Jahren von Hermann Eber- hard Richter, Dresden, gegründet.
Das Heft 1 erschien am 9. Septem- ber 1872 in Leipzig. Die weiteren Hefte sind undatiert. Die beiden ersten Nummern behandelten aus- schließlich Organisations- und Programmfragen des (noch zu gründenden) Aerztevereinsbun- des sowie des in Aussicht genom- menen ersten Deutschen Ärzteta- ges. Erst ab der dritten Ausgabe mutierte das Blatt langsam zur Zeitschrift, also zu einem Publi- kationsorgan, das berichtend und
kommentierend das allgemeine gesundheitliche Zeitgeschehen be- handelte.
Mit den „Ärztlichen Mittei- lungen“ bekam das „Aerztliche Vereinsblatt“ um die Jahrhundert- wende Konkurrenz. Auch die tra- genden Organisationen konkur- rierten und rivalisierten miteinan- der, obgleich sie sich alle der Ein- heit der Ärzteschaft verpflichtet fühlten und diese beschworen.
Die rivalisierende Parallelität endete zwangsweise: Die Nazis warfen beide Blätter zusammen und schalteten sie 1933 genauso wie die ärztlichen Organisationen gleich. Das gleichgeschaltete Or- gan übernahm den Titel „Deut- sches Ärzteblatt“, den das „Aerzt- liche Vereinsblatt“ sich ein paar Jahre zuvor gegeben hatte.
Mit dem demokratischen Neuanfang nach dem 2. Weltkrieg entstanden wiederum zwei ärztli- che Organisationen, die Arbeits- gemeinschaft der Ärztekammern und die der Kassenärztlichen Ver- einigungen. Die arbeiteten eng, anfangs sogar sehr eng, zusammen und unterhielten ein gemeinsames Organ, eben die (neuen) „Ärztli- chen Mitteilungen“, das heutige Deutsche Ärzteblatt.
Das Deutsche Ärzteblatt ist nach wie vor eine gemeinsame Einrichtung der ärztlichen Spit- zenorganisationen; die Zeitschrift fühlt sich somit beiden und zu- gleich allen Ärzten und Ärztinnen verpflichtet – so heterogen die In- teressen gelegentlich auch sein mögen.
Im Unterschied zu seinen Vorgängern, dem „Aerztlichen Vereinsblatt“ und den „Ärztlichen Mitteilungen“, pflegt das Deut- sche Ärzteblatt seit den sechziger
Jahren systematisch einen um- fangreichen medizinischen Teil.
Mit ihm wollten Herausgeber und Redaktion einmal der Fortbildung der Ärzte (die Ärztinnen sind im- mer gleichberechtigt mitgemeint) dienen, sie wollten damit aber auch kundtun, daß Berufs- und Gesundheitspolitik und Medizin wechselseitig miteinander verbun- den sind.
Somit versucht das Deutsche Ärzteblatt, aufbauend auf einer langen Tradition, seinen Beitrag zu einer wissenschaftlich begrün- deten, den gesundheitspolitischen Notwendigkeiten und nicht zuletzt den Erwartungen der Kranken entsprechenden ärztlichen Versor- gung zu leisten.
Das „Aerztliche Vereinsblatt“
warb mühevoll um Abonnenten und erschien lange nur monatlich.
Die Redaktionspolitik war strikt auf die Belange des Aerztevereins- bundes ausgerichtet; das war mit ein Grund dafür, daß der alte Hart- mannbund sich in diesem Blatt nicht repräsentiert sah und eine ei- gene Zeitschrift anstrebte.
Jedes Heft, das heute er- scheint, geht wöchentlich kosten- los (finanziert über den Anzeigen- teil) an alle, mittlerweile 350 000, Ärzte in Deutschland. Die Akzep- tanz ist hoch, die sogenannte Reichweite liegt derzeit pro Heft bei rund 70 Prozent. Das DÄ hat eine, wie die Redaktion tagtäglich erfährt, kritische, aufmerksame und höchst widersprüchliche Le- serschaft. Der versucht die Redak- tion durch ein vielfältiges, auch unterschiedliche Auffassungen wiedergebendes Redaktionspro- gramm gerecht zu werden. Hohe Reichweiten müssen erkämpft werden. Norbert Jachertz