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Nobe 3 reis
Signalübertragung
in Zellen
D
en amerikanischen Bio- chemikern Alfred G.Gilman (53) und Martin Rodbell (68) ist der diesjährige Nobelpreis für Medizin für ihre jahrzehntelangen Bemühungen auf dem Gebiet der Grundlagen- forschung zugesprochen worden, welche zur Entdeckung der G- Proteine und ihrer Bedeutung für die Signalübertragung in Zel- len führten.
G-Proteine sind an einer Vielzahl von physiologischen Prozessen beteiligt. Sie wirken als Bindeglieder zwischen den Reizen, die durch Zellober- flächenrezeptoren empfangen werden, und kleinen Signalmo- lekülen im Zellinneren. Es war Martin Rodbell, dem an den National Institutes of Health (NIH) in Bethesda der Nach- weis dieser Dreiteilung in Emp- fänger, Wandler und Verstärker gelang.
Gilman entdeckte in den 70er Jahren an der University of Virginia in Charlottesville das chemische Korrelat für diese Be- obachtung: Bei Untersuchungen an einer Blutkrebs-Zellinie fand er heraus, daß die Signalleitung trotz intakter Rezeptor- und Verstärkermoleküle gestört war.
Aus normalen Zellen isolierte Gilman daraufhin ein Eiweiß, welches die verlorene Funktion nach Transfer in die Membran der Leukämiezellen wiederher- stellte — das erste G-Protein.
Ihren Namen verdanken diese Eiweiße einer Beobach- tung Rodbells, wonach sie durch
Bindung des kleinen Moleküls Guanosintriphosphat (GTP) ak- tiviert werden. Im Ruhezustand befindet sich an gleicher Stelle dagegen Guanosindiphosphat (GDP). Der Austausch von GDP gegen GTP ist eine unmit- telbare Folge der Aktivierung von Zelloberflächenmolekülen.
Bindet beispielsweise Adrenalin an den ß-adrenergen Rezeptor, so wird dadurch eine Konforma- tionsänderung des Rezeptors auf der Innenseite der Membran hervorgerufen.
Dies ermöglicht wiederum eine Wechselwirkung des Rezep- tors mit einem G-Protein, dessen GDP durch GTP ersetzt wird.
Eine Untereinheit des G-Pro- teins spaltet sich ab und lagert sich an den Verstärkerbaustein dieses Regelkreises an, die Adenylatzyklase In einem letz- ten Schritt bildet die Adeny- latzyklase schließlich große Mengen des intrazellulären Me- diators cAMP. „Genau diese Re- aktion beschleunigte meinen Pulsschlag auf 150, als ich die Nachricht aus Schweden be- kam", erläuterte Gilman
Die von Gilman entdeckten drei Untereinheiten der G-Pro- teine kommen jeweils in mehre- ren Varianten vor. Dadurch sind Tausende verschiedener Kom- plexe möglich, deren Zusam- mensetzung vermutlich für die Gewebespezifität der von G- Proteinen vermittelten Reaktion ausschlaggebend ist. Die Sekreti- on von Progesteron, Thyroxin und Cortison wird dadurch eben-
so steuerbar wie die Verringe- rung der Schrittmacheraktivität des Herzens nach der Stimulati- on muscarinischer Rezeptoren durch Acetylcholin. Die Vielfalt der Stoffwechselwege wird noch erweitert durch inhibitorische G- Proteine, welche etwa nach Rei- zung der a2-adrenergen Rezep- toren in Aktion treten, um die Adenylatzyklase zu hemmen
Auch im Krankheitsgesche- hen spielen G-Proteine eine wichtige Rolle. Sowohl das Cho- leratoxin als auch das Gift des Keuchhustenerregers Pertussis fixieren G-Proteine in ihrem je- weiligen aktivierten Zustand. Ei- ne spezielle Klasse der G-Protei- ne stellen schließlich die von On- ko-Genen kodierten ras-Protei- ne dar, die an der Regulation des Zellwachstums beteiligt sind.
Veränderte ras-Gene können bei 40 bis 60 Prozent aller menschli- chen Pankreas- und Darmtumo- ren nachgewiesen werden.
In einer ersten Stellungnah- me zur Verleihung des Nobel- preises beklagte Rodbell die tief- greifenden Veränderungen in der amerikanischen Forschungs- landschaft. An den National In- stitutes of Health habe er „das Privileg genossen, selbständig denken zu dürfen, für oder ge- gen etwas zu sein, aber immer man selbst zu sein. Jetzt geht es nur noch darum, Geld zu ma- chen." Im Juni war der 68jährige in den Ruhestand getreten, weil für seine Arbeit keine Gelder mehr zur Verfügung standen.
Michael Simm Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 42, 21. Oktober 1994 (1) A-2793