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Archiv "Nobelpreis für Medizin: „Vater“ von vier Millionen Babys" (08.10.2010)

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A 1896 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 40

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8. Oktober 2010

NOBELPREIS FÜR MEDIZIN

„Vater“ von vier Millionen Babys

Der Physiologe Robert G. Edwards hatte in den 1970er Jahren gemeinsam mit dem britischen Gynäkologen Patrick Steptoe die In-vitro-Fertilisation entwickelt.

E

s war kurz vor 24 Uhr am 25.

Juli 1978, als in Manchester (Großbritannien) Louise Brown auf die Welt kam: Der 2 600 Gramm schwere Säugling zog die Aufmerk- samkeit der ganzen Welt auf sich, denn mit Louise war das erste „Re- tortenbaby“ geboren, auf Basis einer neuen Technik: der künstlichen Be- fruchtung der Frau. Heute leben weltweit circa vier Millionen Kinder dank dieser Pioniertat und der Wei- terentwicklungen der in-vitro-Ferti- lisation (IVF).

Mit der erfolgreichen Befruch- tung im Reagenzglas läuteten der Physiologe Robert G. Edwards und

der inzwischen verstorbene Gynä- kologe Patrick Steptoe ein neues Zeitalter in der Behandlung uner- wünschter Kinderlosigkeit ein. Am Montag wurde dem heute 85-jähri- gen Edwards der Nobelpreis für Medizin zugesprochen.

IVF heute in vielen Variationen Bereits 1960 erwog der Physiologe die Zeugung eines Embryos in einem Reagenzglas: Edwards ver- suchte zunächst, Eizellen mit eige- nem Sperma zu befruchten und zu kultivieren. Ab 1968 arbeitete er mit Steptoe zusammen. Um an Ma- terial zu gelangen, baten sie Frauen

vor einer Hysterektomie um Ge- schlechtsverkehr. So hofften sie, Spermien zu erhalten, die in den weiblichen Reproduktionstrakt ge- langt waren. Ethisch gesehen war das Vorgehen der beiden Mediziner diskussionswürdig. Edwards vertei- digte sich aber damit, er respektiere das Recht seiner Patienten, eine ei- gene Familie gründen zu können.

In den Jahren 1972 bis 1974 wur- den erstmals Embryonen in Frauen transferiert, aber Schwangerschaf- ten blieben aus. 1976 erreichten Ed- wards und Steptoe das erste Mal eine Eileiterschwangerschaft. 1977 gelang dann die erste künstliche Befruchtung einer Frau: der Mutter von Louise Joy Brown. Edwards versuchte auch als erster Forscher, überzählige Embryonen zu kryo- konservieren.

Zu den Therapieformen der as- sistierten Reproduktion gehören heute neben der IVF die intra - zytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) und die testikuläre Sper- mienextraktion (TESE). „Im Prinzip wird überall auf der Welt dieselbe Methode der In-vitro-Fertilisation angewendet“, erläuterte Edwards anlässlich seines Besuchs der EXPO 2000 in Deutschland. „Die ICSI zum Beispiel ist eine sehr nützliche Variante. Und es gab damals wie heute sehr wenig Fehl- geburten nach IVF.“

Die Verleihung des Medizin- Nobelpreises an Robert G. Edwards wird von Reproduktionsmedizinern als ein Meilenstein in der Behand- lungsform ungewollt kinderloser Paare gesehen. „Gerade für Deutsch- land, wo die IVF lange ein Schatten- dasein geführt hat, ist dies von ganz besonderer Bedeutung“, sagte Dr.

med. Georg Döhmen (Mönchenglad- bach), stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Re- produktionsmedizin zum Deutschen GRAFIK 1

Natürliche Befruchtung

Quelle: The Nobel Commitee for Physiology or Medicine; Illustration: Mattias Karlén

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Deutsches Ärzteblatt

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8. Oktober 2010 A 1897 Ärzteblatt. „Ich würde mir wün-

schen, dass dieser Nobelpreis die ak- tuellen Bemühungen in Deutschland unterstützt, die Methoden der IVF weiter optimieren zu können.“ Kon- kret meint Döhmen damit zum Bei- spiel die in Deutschland verbotene Eizellspende für Frauen mit Kinder- wunsch, bei denen die Verwendung eigener Eizellen nach einer Krebsbe- handlung zum Beispiel nicht mög- lich oder mit erhöhten Risiken asso- ziiert ist. Die Samenspende dagegen ist erlaubt, was angesichts des Gleichbehandlungsgrundsatzes kri- tisch diskutiert wird.

Auch werden im Allgemeinen zwei bis drei Embryonen verpflanzt, so dass es bei circa 20 Prozent der Schwangerschaften Mehrlinge gibt.

Ist eine Mehrlingsschwangerschaft mit hohem Risiko für die Mutter ver- boten, reduzieren die Ärzte die Feten (selektiver Fetozid) – ein ethisch- moralisches Problem, mit dem die verschiedenen Länder unterschied- lich umgehen.

Ethische Bedenken

Auch James Watson, der 1962 den Nobelpreis für seine Entdeckung der Doppelhelixstruktur der DNA er- hielt, gehört zu den Kritikern. Er warf Edwards 1970 vor, er müsse für seine Forschungen die Kindstötung akzeptieren. Anders sieht es das No- belkomitee, das zur ethischen De- batte keine Aussagen treffen wollte:

„Edwards musste auch starken Wi- derstand des Establishments über- winden“, sagte Christer Höög vom Nobelkomitee des Karolinska-Insti- tuts. Die Akademie verweist vielmehr darauf, dass mehr als zehn Prozent aller Paare weltweit von Unfrucht- barkeit betroffen sind.

In Deutschland kam das erste Retortenbaby im April 1982 in Er- langen auf die Welt. Bis in die 90er Jahre fanden die meisten In-vitro- Fertilisationen an Universitätsklini- ken statt. Inzwischen gibt es rund 120 Kliniken und Fachzentren, die In-vitro-Fertilisationen anbieten. Sie führen jährlich etwa 70 000 Be- handlungen durch, 2007 wurden 11 500 Kinder nach künstlicher Be- fruchtung geboren. Ärzte und Paare wünschen sich, es wären mehr. Der- zeit liegt die „Baby-take-home-Rate

nach IVF bei 20 bis 22 Prozent, die Schwangerschaftsrate über alle Al- tersgruppen hinweg bei 28 Prozent, bei den 25- bis 30-jährigen Frauen allerdings bei 35 Prozent.

Die angeblich geringe Erfolgs - rate ist immer schon eine Kritik an der IVF gewesen. „Ich antworte darauf: Die menschliche Reproduk- tion ist nicht sehr effektiv“, erklärt Edwards: „Wenn sich junge Paare ein Kind wünschen und häufig mit- einander schlafen, beträgt die Kon- zeptionsrate pro Zyklus höchstens 20 Prozent. Es gibt also natürliche Grenzen. Wir haben damals mit ei- ner Geburtenrate von fünf Prozent angefangen, und die hat sich inzwi- schen doch erhöht.“

Zu den in Deutschland intensiv debattierten Möglichkeiten der IVF

gehört die Präimplatantationsdiagnos- tik (PID). Dabei wird ein Embryo vor der Implantation auf seine gene- tischen Eigenschaften untersucht.

Bei Erbanlagen für Muskeldystro- phie Duchenne, Mukoviszidose, Fra- giles-X-Syndrom oder Trisomie 21 zum Beispiel lassen Ärzte in anderen Ländern, in denen die PID erlaubt ist, die entsprechenden Embryonen gezielt im Labor absterben. Die PID ist für viele Ärzte, auch für die Bun- desärztekammer, unter bestimmten Umständen akzeptabel, galt aber bis- lang nach dem deutschen Embryo- nenschutzgesetz als verboten. Der Bundesgerichtshof aber kam im Juli dieses Jahres zu dem Schluss, das Gesetz erlaube die PID an pluripo- tenten Zellen. „Für uns Ärzte wäre es nun wichtig, dass hier Klarheit ge- schaffen wird, damit wir uns nicht in einer juristischen Grauzone bewegen müssen“, betont Döhmen.

Die IVF kann als eine Brücken- technologie gesehen werden. Es waren viele Fragen zu klären: wie die der Eizellreifung, ihrer Gewin- nung und der notwendigen Kultur- bedingungen. Die Reproduktions- medizin ist heute ein komplexes Fachgebiet, das weit in Bereiche wie die Geburtshilfe, die Onkologie und die Endokrinologie hinein-

reicht. ■

Dr. med. Vera Zylka-Menhorn Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze Dr. rer. nat. Renate Leinmüller

GRAFIK 2

Den höchsten Prozentsatz an IVF-

Kindern bei der höchsten Verfüg - barkeit an Methoden

gibt es in Dänemark.

Schweden hat durch den gesetzlich verankerten „Single-

Embryo-Transfer“

die Zwillingsrate massiv gesenkt.

Prozentsatz der Geburten nach assoziierter Reproduktion (2007)

6 5,5 5 4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0

Belgien Tschechische

RepublikDänemarkFinnland Frankreich

Deutschland

Island Italien Litauen

MazedonienMontenegroNorwegenPortugal SlowenienSchweden

Großbritannien Robert G. Edwards studierte

Biologie an der Universität in Wales und später im schotti- schen Edinburgh. Nach dem Studium begann er seine Forscherlaufbahn am Londo- ner National Institute for Medical Research. Ab 1963 arbeitete er in Cambridge an der Bourn Hall Clinic, dem weltweit ersten IVF-Zentrum.

Heute ist der 85-Jährige emeritierter Professor der Cambridge-Universität.

Foto: picture-alliance Quelle: Anders Nyboe Andersen, bei ESHRE Workshop 10 Jahre EIM, 11. 9. 2010 München

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