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reie Berufe – Staat – Verfasssung – ein lösbares Spannungsfeld?“ – so lautete das Thema einer vom Lan- desverband der Freien Berufe Baden- Württemberg in Stuttgart veranstalte- ten Tagung. Die Erörterungen galten im Kern der Frage, inwieweit der Ver- tragsarzt durch staatliche Vorschriften gebunden ist. Prof. Dr. med. Friedrich- Wilhelm Kolkmann, Präsident der Lan- desärztekammer Baden-Württemberg, bezweifelte, dass man beim Kassenarzt überhaupt noch von einem freien Beruf sprechen kann. Das ärztliche Handeln sei normiert und standardisiert; Ent- scheidungsspielräume seien kaum noch vorhanden.Garantiertes Einkommen
Je wichtiger die Aufgaben für die Ge- sellschaft, die von einem Beruf über- nommen werden, desto höher sei die Inpflichtnahme durch den Staat, beton- te Renate Jaeger, Richterin am Bundes- verfassungsgericht. Die Zwangsmit- gliedschaft in einer Körperschaft er- mögliche eine einheitliche Rechtset- zung bis auf deren unterste Ebene. Al- lerdings habe die Regelungsdichte in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr zugenommen. Staat und Gesell- schaften würden von der trotzdem wei- ter bestehenden Autonomie der Freien Berufe stärker profitieren als von einer direkten Übernahme in die staatliche Verwaltung.
Diese Verpflichtung durch den Staat könne aber im Gegenzug nur bei einem staatlich garantierten Einkommen funktionieren. Selbst unter Budgetbe- dingungen komme diese Garantie den Kassenärzten immer noch zugute. Jae- ger hält es für eine schwierige verfas- sungsrechtliche Frage, ob die Garantie
einer Honorarsumme gleichzeitig auch dem Staat die Befugnis gibt, über die Gesamtzahl oder eine Altersbeschrän- kung bei den Kassenärzten zu bestim- men. Diese Frage sei noch nicht ab- schließend beschieden.
Jaeger wies darauf hin, dass Freibe- rufler keinen Anspruch auf Erhalt von Strukturen hätten, von denen sie profi- tieren würden. Sie müssten sich verän- derten Rahmenbedingungen anpassen können. Vergütungsregelungen bei- spielsweise seien stets Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung; gegen diese Freiheit müsste das Allgemein- wohl aufgewogen werden. Es sei jedoch die Frage legitim, ob die zunehmende Regelungsdichte allmählich zu einer Strangulierung der Freien Berufe füh- re. Jaeger zeigte sich überzeugt davon, dass eine solche Frage dem Bundesver- fassungsgericht schon bald zur Ent- scheidung vorliegen werde.
Zur Frage der Rechtmäßigkeit der derzeitigen Zwangslage der Kassenärz- te bemerkte Jaeger, dass die Ärzte sich schließlich selbst an der eigenen Stran- gulierung beteiligt hätten. Das beste- hende System habe sich historisch ent- wickelt und gehe in seinen Ursprüngen auf ein von den damaligen ärztlichen Organisationen mitgetragenes Tausch- geschäft zurück.
Kein öffentlicher Dienst
Die entscheidende Frage sei jedoch, ob man den Kassenärztlichen Vereinigun- gen als Organen der mittelbaren Staats- verwaltung das Grundrecht der Verei- nigungs- und Koalitionsfreiheit (Art. 9 GG) verweigern könne, meinte Prof.
Dr. jur. Karl Albrecht Schachtschneider (Universität Erlangen-Nürnberg). Auf diese Weise seien den KVen bei der
Verfolgung gesundheitspolitischer Zie- le enge Grenzen gezogen. Das Bundes- verfassungsgericht setze beispielsweise die Ausübung öffentlicher Aufgaben mit staatlicher Verwaltung gleich.
Im Hinblick auf die Grundrechtsver- weigerung sei jedoch das Argument, die KVen übten hoheitliche Aufgaben aus,
nicht stichhaltig. Nach Schachtschnei- ders Ansicht benötigen KVen und auch die Ärztekammern nicht die „Gewalt- zuerkennung“ durch den Staat; ihnen sei privatheitliche Verbandsgewalt zu Eigen, die nach dem Subsidiaritäts- prinzip lediglich der staatlichen Aner- kennung bedürfe. Somit gebe es auch kein Argument dafür, den Grundrecht- schutz für KVen zu verweigern.
Schachtschneider fordert für die ärztli- chen Körperschaften das gleiche Recht auf Koalitionsfreiheit, wie es die Ge- werkschaften besitzen. Da die An- gehörigen der freien Berufe nicht zum öffentlichen Dienst zählen, sei auch die Einschränkung des Zugangs zum Beruf nicht hinnehmbar. Überhaupt verstoße das Sozialgesetzbuch V gegen freiheitli- che Prinzipien. Mit seinen Vorstellun- gen will Schachtschneider am „Denk- mal der staatlich gebundenen Berufe“
rütteln. Thomas Gerst
T H E M E N D E R Z E I T
A
A2996 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 45½½½½10. November 2000
Freie Berufe
Allmähliche Strangulierung
Die Freiheit der Berufsausübung kollidiert oftmals mit dem Allgemeinwohl. Zu prüfen ist, wie weit die staatliche Bindung der Vertragsärzte und ihrer Körperschaften gehen darf.
Foto: Universität Erlangen-Nürnberg
Er will am
„Denkmal der staatlich gebunde- nen Berufe“
rütteln: Prof. Dr.
Karl Albrecht Schachtschneider