A 488 Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 107|
Heft 11|
19. März 2010M E D I Z I N R E P O R T
ALLERGIEPRÄVENTION
Je früher, desto besser
Die geänderte S3-Leitlinie zur Allergieprävention erfordert verstärkte Aufklärung. Der bundesweite „Aktionsplan gegen Allergien“ soll vor allem jungen Familien besser informieren.
J
edes zehnte Baby hat Neuro- dermitis oder fällt durch Nah- rungsmittelunverträglichkeiten auf.„Unser großes Ziel ist die Umkehr dieses epidemiologischen Trends.
Das Zeitfenster, in dem sich die Allergien möglicherweise noch ver- hindern lassen, liegt zwischen der späten Phase der Schwangerschaft und den ersten Lebensmonaten“, erklärt Prof. Dr. med. Ulrich Wahn, Allergieexperte am Berli- ner Universitätsklinikum Charité.
Die Statistik alarmiert inzwi- schen nicht nur Ärzte, sondern zu- nehmend auch Politiker. So hatte das Bundesministerium für Ernäh- rung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz (BMELV) noch vor dem Regierungswechsel den bundeswei- ten „Aktionsplan gegen Allergien“
ins Leben gerufen. Zielgruppe: jun- ge Familien. Der Aktionsplan soll die Einzelaktivitäten der Patienten- verbände, Wirtschaftsunternehmen und Kliniken bündeln sowie den Verbraucherschutz bei Lebensmit- teln, Kosmetika, Schmuck, Beklei- dung und Spielzeug durchsetzen.
Schulposter, Quartettkarten oder Restaurantkarten für Allergiker er- gänzen die Vielzahl an Aktivitäten.
Damit Schwangere präventiv vor- gehen können und junge Eltern das Allergierisiko ihres Kindes einschät- zen lernen, gibt es die Broschüre
„Allergie-Risiko-Check“ (als Down- load unter www.aktionsplan-aller gien.de). Der Deutsche Allergie- und Asthmabund hat eine Telefon-
„Helpline“ zur Allergieprävention eingerichtet (0180 5052251 mon- tags bis freitags 9.30 bis 12.00 Uhr).
So soll dem verstärkten Auf- klärungsbedarf, der durch die geän- derte S3-Leitlinie zur Allergiepräven- tion entstanden ist (Allergo J 2009;
18: 332), Rechnung getragen wer- den. Danach gibt es beispielsweise keine Evidenz dafür, dass Stillen
über den vollendeten vierten Le- bensmonat hinaus zusätzliche pro- tektive Effekte hat. Auch für Ein- schränkungen der Ernährung der Mutter und der ersten Beikost gibt es keine wissenschaftlichen Belege.
Ernährungseinschränkungen ohne belegten Nutzen
Stattdessen beobachten die Ärzte immer wieder Mangelerscheinun- gen und Gedeihstörungen bei Kin- dern durch Eiweiß-, Vitamin-B
12- oder Vitamin-K-Mangel, weil viele Eltern ihre fehlerhaften Informatio- nen aus den Medien oder dem Be- kanntenkreis beziehen.
Prof. Dr. med. Susanne Lau (Pä- diatrische Allergologie, Charité) be- tonte, dass bestimmte entzündungs- dämpfende Regulationsmechanis- men durch die T-Lymphozyten und die Überproduktion von Interleuki- nen und Botenstoffen IL-4 und IL-5 bei den meisten Allergikern aus städ- tischen Gebieten wesentlich seltener aufträten als bei Kindern aus länd - lichen Regionen mit vielen Tierkon- takten. Dies bedeute, dass das kind - liche Immunsystem auf Bauernhöfen gleichsam konditioniert werde, um seine normale Abwehr von Allerge- nen ohne Überreaktionen zu erzielen.
Dieser Gedanke führte zu zahlrei-
chen innovativen Ansätzen in der Im- muntherapie, die bislang vom Sprit- zen bestimmter Allergene dominiert wird. Neuerdings präferieren viele Kinderärzte die einfacher zu verab- reichenden Tabletten und Tropfen.
Nach Angaben von Wahn gibt es drei Produkte einer neuen Medika- mentengeneration, deren Wir kungen gut dokumentiert sind. Damit errei- che man eine Beschwerdeminde- rung um 40 Prozent.
In Interventionsstudien an Säug- lingen gab man zu diesem Zweck zum Beispiel Lactobacillus oder Bakterienlysate mit E. coli oder Streptococcus faecalis, die das Ab- wehrsystem ständig mild stimulie- ren und regulieren sollten. Zweck der Versuche mit unterschiedlichen Zusätzen etwa zur Säuglingsmilch war es, so früh wie möglich eine normale Toleranz gegen umweltüb- liche Allergene zu erzielen. Wahn fügte Informationen zur Studienla- ge an 635 gesunden Kindern mit atopischem Elternteil hinzu.
Unmittelbar nach der Geburt ha- be man eine randomisierte place- bokontrollierte Therapiestudie mit der Frage durchgeführt, ob das Angebot eines speziellen, mit Darmbakterien versehenen Cock- tails (dreimal zehn Tropfen täg- lich) die Rate an Neurodermitis - fällen senken könne.
„Die Vorauswertung nach drei Jahren Studienverlauf lässt eine 50-prozentige Verringerung an Er- krankungen vermuten“, spekuliert Wahn und betont, dass die Entblin- dung erst für 2010 vorgesehen sei.
Dies würde bedeuten, dass man eine Allergentoleranz noch vor Krankheitsausbruch bei gefährde- ten Populationen durch gezielte Prävention mittels Immuntherapie mit einer Art Allergieschluckimp- fung erreichen könne. ■ Dr. phil. Barbara Nickolaus
Quelle: Ärzteverband Deutscher Allergologen e.V. (ÄDA)/Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie e.V. (DGAI)
Foto: Allergopharma
GRAFIK
HeuschnupfenKontaktallerige Asthma
Nahrungsmittel- allergie
Arzneimittel -allergie
NeurodermitisInsektengift -allergie Jeder Dritte ist Allergiker