Logopädie und Phoniatrie
Je früher, desto besser
DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
TAGUNGSBERICHT
Aus- und Weiterbildung in der Logopädie und Phoniatrie sowie die Behandlung, insbesondere auch Frühbehand- lung von Stimmstörungen wurden schwerpunktmäßig auf dem 22. Weltkongreß der Internationalen Gesellschaft für Logopädie und Phoniatrie in Hannover behandelt.
D
ie Aus- und Weiterbildung in Logopädie und Phoniatrie ist weltweit sehr unter- schiedlich geregelt. Das ging aus dem Referat von Prof. Dr. Ernst Loebell, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Päd- audiologie, hervor. Es gibt eine Rei- he von Erdteilen, die nicht einmal medizinische Versorgung im Sinne der Phoniatrie und Logopädie zur Verfügung haben. Es war ein Ziel des Kongresses, die in der Bundesre- publik gut geregelte Aus- und Wei- terbildung in beiden Disziplinen den anderen Erdteilen bekannt zu ma- chen. Ziel ist die Vereinheitlichung der Aus- und Weiterbildung welt- weit, zu Gunsten der Patienten. In der Bundesrepublik werden Logo- päden von Phoniatern ausgebildet, das heißt, die Logopäden-Lehran- stalten sind mit klinisch/phoniatri- schen Abteilungen verbunden. Die staatliche Genehmigung dieser Aus- bildung ist geregelt seit 1962 in Ber- lin und seit 1963 in München. Heute gibt es 27 Lehranstalten für Logo- päden in der Bundesrepublik; die Logopäden erfahren dort eine drei- jährige Ausbildung und schließen mit einem Staatsexamen ab. Phoni- ater bilden Logopäden aber auch deshalb aus, weil sie ihre Patienten- zielgruppe und die Störungsbilder genau kennen. So wird die Gruppe der nichtärztlichen Berufe im Ge- sundheitswesen patientenbezogen und zielgerichtet ausgebildet. Und das unterscheidet diese von anderen Sprachbehandlergruppen, beispiels- weise Sprachheilpädagogen im Lehr- fach, Diplom-Pädagogen für Sprach- heilpädagogik, Absolventen der Atem- und Stimmschule „Schlaff- horst-Andersen" usw. Die letztge- nannten Gruppen sind unter ande- rem auch noch zu ergänzen durch die Neurolinguisten, spezielle Lingu- isten und Sprachwissenschaftler, die nicht zielgerichtet ausgebildet sind, sondern eine universitäre Grundaus-bildung haben, bei der jedoch die Praxis zu kurz kommt. Wenn man nämlich berücksichtigt, daß in Han- nover und an anderen Universitäten während des gesamten Studiums nur 50 Praxisstunden vorgeschrieben sind, so kann man sich vorstellen, daß es durchaus problematisch ist, mit einer nur so geringen prakti- schen Ausbildung in die Patienten-
behandlung steigen.
Die Phoniatrie war bis zum 95.
Deutschen Ärztetag 1992 in Köln ein Teilgebiet der Hals-Nasen-Ohren- heilkunde. Der Ärztetag hat dann beschlossen, dieses Teilgebiet in ein eigenes Fach umzuwandeln; es ist Sache der Landesärztekammern, dies umzusetzen. Eine eigene phoni- atrische Ausbildung gibt es inner- halb der Europäischen Gemein- schaft bisher nur in Italien und Spa- nien. Weiterhin gibt es einen Fach- arzt in Schweden und Finnland Ent- wicklungsländer auf dem Gebiet der Phoniatrie/Pädaudiologie sind Groß- britannien und die USA. Hier gibt es keine Phoniater, sondern lediglich für bestimmte Stimmstörungen in- teressierte HNO-Ärzte. Eine geziel- te Ausbildung fiir Phoniater fehlt.
Auch sogenannte Stimmtherapeuten sind mit den hiesigen Logopäden nicht vergleichbar, da sie eigenstän- dig ausgebildet werden und die prak- tische Ausbildung auch nicht so um- fangreich ist.
Bei der Früherkennung und Be- handlung von Sprach- und Sprech-
störungen wurde in Hannover darauf hingewiesen, daß es zwei Kinder- gruppen gibt, die der Frühdiagnostik im Alter zwischen 4 und 6 Monaten bedürfen. Das sind einerseits die Kinder, die hochgradig hörgestört oder taub sind, und andererseits die Kinder, die eine zerebrale Bewe- gungsstörung haben, die sich unter anderem auch im Mundbereich ma- nifestiert. Bei der letzten Gruppe sind es vor allen Dingen die persi- stierenden • oralen Reflexe, also Saug- und Beißreflex, Hypersensibi- lität der Mundschleimhaut im Zu- sammenhang mit Hypersalivation, die ein absolutes Artikulationshin- dernis darstellen können. Nur die Frühbehandlung, als sogenannte Eß- therapie, führt zu einer Desensibili- sierung der Schleimhaut und dann zu einem Abbau dieser Reflexe. Bei den hörgestörten Kindern ist die Frühdiagnostik deshalb wichtig, um es nicht zu einer Verzögerung der Sprachentwicklung kommen zu las- sen. Beobachtungen der Mütter, daß ihre Säuglinge hörgeschädigt sind, sollten ernst genommen werden. Die Mutter hat ein untrügliches Zeichen fiir eine vorliegende Hörstörung:
Wenn der Säugling bis zu 6 Monaten normal lallt und danach das Lallen immer spärlicher wird, dann schließ- lich aufhört und keinerlei aktive Sprachentwicklung einsetzt. Die Frühdiagnostik ist die Vorausset- zung für die Frühbehandlung, das heißt, es beginnt die Frühförderung.
Zielsetzung ist immer, das Kind zum Zeitpunkt der Einschulung mit nor- maler Sprache in die Schule zu brin- gen. Zielsetzung der hochgradig hör- und sprechbehinderten Kinder ist die Rehabilitation, das heißt die Eingliederung in normale ICinder- gärten, Regelschulen usw., um ihnen weiterbildende Wege offen zu hal- ten. Hier sind aber die geografischen Unterschiede ganz erheblich. Wäh- rend in der Schweiz beispielsweise über 50 Prozent dieser Kinder inte- griert sind und weitgehend rehabili- tiert werden können, hinken andere Völker weit zurück. Deutschland steht hier im vorderen Drittel, aber Verbesserungen in bezug auf eine schnelle und gute Früherkennung sind absolut notwendig.
Dirk E Hans und Betreuung einzu-
Dt. Ärztebl. 89, Heft 47, 20. November 1992 (35) Ar3991