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Archiv "Ist Adipositas eine Krankheit? Schlusswort" (29.04.2005)

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che und viele andere Aspekte ein- schließt. Meistens geht es um die me- dizinische Notwendigkeit von statio- nären Krankenhausbehandlungen zur Gewichtsreduktion. Solche Anträge werden in der Regel negativ beschie- den, weil es zur reinen Gewichtsreduk- tion keiner stationären klinischen Be- handlung bedarf, wobei Kur- und Re- hamaßnahmen zur Gewichtsreduktion durchaus anerkannt werden.

Einen weiteren Schwerpunkt stellt die Bewertung von alternativmedizini- schen Behandlungsmethoden zur Ge- wichtsreduktion dar. Die Studienlage zu solchen Verfahren – sofern diese exi- stiert – ist in aller Regel sehr dürftig und der geringste anerkennbare Evidenz- grad (Evidenzgrad IV) wird bei weitem verfehlt. Trotzdem ist deutlich erkenn- bar, dass sich Patienten mit Adipositas gerne solchen alternativen Behand- lungsmethoden zuwenden.

Seit einigen Jahren werden vermehrt chirurgische Verfahren zur Gewichtsre- duktion wie zum Beispiel das „gastric banding“ oder andere Magenverkleine- rungsoperationen beantragt. Diese sind als Versicherungsleistung nur sehr schweren und therapieresistenten Fäl- len vorbehalten. Besonders stark zuge- nommen hat das Begehren schönheits- chirurgischer Operationen der Adipo- sitas, insbesondere Fettabsaugungen und Fettreduktionsplastiken. Meist sind sich die Patienten der Risiken solcher Eingriffe wenig bewusst. Ein adipositas- chirurgischer Eingriff kann im Ausnah- mefall eine medizinisch notwendige Heilbehandlung darstellen und auch zur Versicherungsleistung führen. Dies kann aber nur dann der Fall sein, wenn ästhetische Aspekte nicht im Vorder- grund stehen.

Dr. med. Rainer Hakimi HALLESCHE Krankenversicherung a. G.

Reinsburgstraße 10 70178 Stuttgart

BMI zu ungenau

Die Autoren machen es sich mit der De- finition der Adipositas einfach, indem sie unkritisch die am BMI orientierte WHO-Definition übernehmen. Zwar kann diese Definition für populations- statistische Großstudien, jedoch nicht

für die individuelle Beratung im Einzel- fall akzeptiert werden. Beim Umgang mit Patienten geht es aber gerade um Einzelfälle. Als Gründe seien genannt:

>Adipositas bedeutet Fettsucht, um dies zu diagnostizieren, sollte man Fett zugrunde legen und nicht das Gesamt- gewicht.

>Ein über Richtwerten liegendes Gewicht kann neben erhöhtem Fettge- halt auch durch vermehrte Muskelmas- se bedingt sein, was gesundheitlich höchstens aus biomechanischen Grün- den für Gelenke relevant werden könn- te. Ödembedingtes Übergewicht sei nur am Rande erwähnt.

>Auch der Körperbau spielt eine Rolle. Bei der im Dezember 1959 von der Metropolitan Life Insurance Com- pany veröffentlichten Großstudie zum Idealgewicht (2) wird zwischen „small“,

„medium“ und „large frame“ differen- ziert, unter anderem auch nachzulesen im Klassiker „Dokumenta Geigy – Wis- senschaftliche Tabellen“ (1). Es ist im- mer wieder interessant und verwunder- lich zugleich, dass diese Differenzie- rung spätestens mit dem Durchbruch des Quetelet-Index (neudeutsch als BMI ins alte Europa zurückgekehrt) völlig untergegangen ist. Über Motive dieses großzügigen Umgangs mit anato- mischen Grundlagen soll hier nicht spe- kuliert werden.

Das BMI-Fundament ist aber auch aus einem weiteren Grund auf Sand ge- baut. Bezüglich der gesundheitlichen Konsequenzen dürfte es wohl das ver- mehrte intraabdominale Fett sein, das mit dem metabolischen Syndrom assozi- iert ist und mit dem derzeit die adiposi- tasbedingten Stoffwechselstörungen er- klärt werden. Der „Birnentyp“ dürfte im Gegensatz zum „Apfeltyp“ viel harmloser sein, zumindest bezüglich der krankhaften Stoffwechselstörungen. Ei- ne einfache Bandmaß-Methode hilft hier zur Orientierung: der Quotient aus Bauch- und Hüftumfang („waist to hip ratio“). Die individuelle Beratung über- gewichtiger Patienten stellt somit ein komplexeres Problem dar, als von BMI- Epidemiologen und Gesundheitserzie- hern dargestellt. Gerade bei mäßigem Übergewicht besteht die Gefahr, einen Leidensdruck zu erzeugen, der sachlich nicht gerechtfertigt ist. Die von den Ver- fassern beabsichtigte und zu begrüßen-

de „Entstigmatisierung“ lässt sich also nicht nur mit dem genetischen Argu- ment erreichen. Ob es sich beim Über- gewicht tatsächlich um eine neue Epide- mie handelt – vergleichbar mit Cholera, HIV, Pest, Pocken, Polio, Tuberkulose oder Typhus – ließe sich auch im Zusam- menhang mit einer Entstigmatisierung, aber auch mit großangelegten, drittmit- telträchtigen Präventionsprogrammen diskutieren.

Schließlich steht auch Glaubwürdig- keit ärztlicher Empfehlungen auf dem Spiel, denn trotz aller Kassandra-Rufe über unsere ungesunde Lebensweise und grassierendes Übergewicht wird die deutsche Bevölkerung immer älter;

ein sozialmedizinisches Problem höch- ster Brisanz.

Literatur

1. Diem K, Lentner C (Red.): Dokumenta Geigy – Wissen- schaftliche Tabellen, 7. Auflage, Basel: J. R. Geigy AG (Hrsg.) 1969.

2. Metropolitan Life Insurance Company: New weight standards for men and women. Statistical Bulletin, Metropolitan Life Insurance Company, 1959; 40:

1–11.

Prof. Dr. med. Hans-Volkhart Ulmer Fachbereich 26

Johannes-Gutenberg-Universität 55099 Mainz

Schlusswort

Selbstverständlich wäre es wünschens- wert gewesen – wie von Frau Dr. Hoff- mann angeregt –, wenn ein Soziologe sich unserem Team angeschlossen hät- te. Aufgrund der Komplexität der Adi- positas und ihrer Entstehung ist sozio- logische Expertise sehr erwünscht. Der Zusammenhang zwischen sozioökono- mischer Schichtzugehörigkeit und Adi- positas ist in Deutschland für das Kin- desalter aufgezeigt worden (1). Hierbei wurde zudem die komplexe Interakti- on mit einer familiären Belastung an Adipositas dokumentiert. Eine noch nicht veröffentlichte Studie von La- merz et al. belegt, dass in der Tat dem Ausbildungsstand der Mutter eine aus- schlaggebende Bedeutung zukommt.

In einer multiplen Regression, in der zahlreiche für den sozioökonomischen Status relevante Variablen einflossen, erwies sich der Bildungsstand der Mut- ter als die einzig signifikante Variable M E D I Z I N

Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1729. April 2005 AA1213

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M E D I Z I N

A

A1214 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1729. April 2005

für die Prädiktion von Übergewicht bei Kindern. Selbstverständlich hat Prof.

Ulmer Recht, in dem er die unkritische Anwendung des BMI zur Definition ei- nes individuellen Risikos anprangert.

Dennoch sei angemerkt, dass bei der Definition der Adipositas über einem BMI > 30 kg/m2in aller Regel auch eine überdurchschnittlich hohe Fettmasse vorliegt. Der BMI hat sich nicht zuletzt deshalb durchgesetzt, weil die Bestim- mung der Fettmasse – sofern sie valide erfolgt – in der Praxis nicht einfach durchführbar ist und zudem zahlreiche Studien mittelhohe bis hohe Korrela- tionen zwischen dem relativen Anteil der Fettmasse an Gesamtkörperge- wicht und dem BMI ermittelt haben.

Die individuelle Einschätzung des ge- sundheitlichen Risikos einer Adiposi- tas sollte selbstverständlich das Fett- verteilungsmuster mitberücksichtigen.

Mehrere Experten warnen mittlerweile davor, dass die heutige Jugend mögli- cherweise eine gegenüber der Eltern- generation reduzierte Lebenserwar- tung aufgrund der gestiegenen Adi- positasprävalenz aufweisen wird. Um aber dem Anliegen von Herrn Prof.

Ulmer nach einer differenzierten Be- urteilung des BMI gerecht zu werden, sei abschließend aufgezeigt, dass sich im höheren Lebensalter ein hoher BMI protektiv auf die Mortalitätsrate aus- wirkt.

Dr. Hakimi stellt die für Gutachter- tätigkeit relevanten Aspekte zutreffend dar. Von den genannten Maßnahmen haben sich bei extremer Adipositas chirurgische Verfahren am besten be- währt, weil sie zu lang anhaltenden Ge- wichtsabnahmen von circa 15 bis 25 kg führen.

Literatur

1. Langnase K, Mast M, Muller MJ: Social class differen- ces in overweight of prepuberal children northwest Germany. In: Int J Obes Relat Metab Disord 2002 26:

566–572.

2. Lamerz A, Kuepper-Nybelen J, Wehle Ch, Bruning N, Trost-Brinkhues G, Brenner H, Hebebrand J, Herpertz- Dahlmann B: Social class, parenteral education, and obesity prevalence in a study of six-year-old children in Germany. Jobes Relat Metab Disord, in Revision.

Prof. Dr. med. Johannes Hebebrand Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters

Universität Duisburg-Essen Virchowstraße 174 45147 Essen

Bei Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom erfolgt häufig eine antiandrogene Therapie. Die Studie zeigte, dass etwa 20 Prozent der andro- gendeprivierten Männer einen Kno- chenbruch erlitten, wohingegen Fraktu- ren lediglich bei 13 Prozent auftraten, wenn das Prostatakarzinom ohne Hor- monentzug therapiert wurde. Die Auto- ren werteten die Krankenakten von mehr als 50 000 Männern mit Prosta- takarzinom hinsichtlich des Frakturrisi- kos aus, die zwischen 1992 bis 1997 auf- grund ihrer Krebserkrankung erstmals behandelt wurden. Shahinian et al. be- rücksichtigten Patienten, die minde- stens 66 Jahre alt waren und entweder orchiektomiert worden waren oder einen Agonisten vom Gonadotropin-relea- sing-Hormon innerhalb von sechs Mo- naten nach der Krebsdiagnose erhiel- ten. Das Frakturrisiko dieser Gruppe verglichen sie mit dem von Studienteil- nehmern , bei denen kein Hormonent- zug vorgenommen wurde, wobei sie alle Frakturen bewerteten, die frühestens ein Jahr nach der Therapie auftraten. Das durchschnittliche Follow-up betrug fünf Jahre. Das Frakturrisiko stieg mit der Dauer des Hormonentzugs: Bei minde- stens neun Dosen von Gonadotropin-re- leasing-Hormon betrug das relative Risi- ko 1,45, bei Orchiektomie 1,54.Während stationärer Aufnahme lag das relative Frakturrisiko bei 1,66 beziehungsweise 1,70. Die absoluten Zahlen wurden nicht angegeben. Allerdings errechneten sie eine „number needed to harm“.

Hiernach erfolgt beispielsweise in der Gruppe der 66- bis 69-Jährigen bei ei- nem von 18 Patienten, die mit minde- stens neun Dosen von Gonadotropin- releasing-Hormon behandelt wurden, eine Fraktur. Bei über 80-Jährigen sank dieser Wert auf 12 und bei Orchiekto- mierten ermittelten die Forscher Werte von 15 (Alter 66 bis 69 Jahre) bis 10 (Al- ter über 80 Jahre). Somit bestand ein do- sisabhängiges Frakturrisiko nach der Gabe von Gonadotropin-releasing- Hormon und nach Orchiektomie. Des- halb sollte man die Indikation zum Hor- monentzug sorgfältig stellen. Männer, bei denen ein Hormonentzug indiziert

ist, scheinen allerdings häufiger an einer fortgeschritteneren Krebserkrankung zu leiden und eine geringere Knochen- dichte aufzuweisen. Dies könnte nach Einschätzung der Autoren in dieser Stu- die zu einem höheren als dem tatsäch- lich bestehenden Frakturrisiko geführt haben. Aber auch nach Berücksichti- gung dieser Aspekte bei der statisti- schen Auswertung bestätigte sich die be- schriebene Assoziation. Künftig sollten Studien, beispielsweise mit Bisphospho- naten, mit dem Ziel initiiert werden, das Frakturrisiko zu senken. me ShahinianVB, Kuo Y-F, Freeman JL, Goodwin JS: Risk fracture after androgen deprivation for prostate cancer. N Engl J Med 2005; 352: 154–164.

Dr. Vahakn Shahinian, Department of Internal Medicine, University of Texas Medical Branch, John Sealy Annex Rm.

4.200, 301 University Blvd, Galveston, TX 77555-0562, E-Mail: vbshahin@utmb.edu

Prostatakrebs: erhöhtes Frakturrisiko nach Androgendeprivation

Referiert

Eine endogene Hyperinsulinämie, wie sie häufig bei Typ-2-Diabetikern gefun- den wird, soll mit einem erhöhten Risi- ko für kolorektale Karzinome einher gehen.

Die Autoren führten eine retrospek- tive Kohortenstudie an Patienten mit Typ-2-Diabetes durch, bei denen es zur Entwicklung eines kolorektalen Karzi- noms gekommen war. Dabei scheint die Gabe von Insulin, nicht jedoch die Hy- perinsulinämie bei metabolischem Syn- drom mit einem erhöhten Krebsrisiko assoziiert zu sein. Erklärt wird dies mit einer direkten Bindung des Insulins an Wachstumsfaktoren (IGF-1). Auf ähn- liche Mechanismen geht das erhöhte Darmkrebsrisiko bei Patienten mit

Akromegalie zurück. w

Yang Y-X, S Hennessey, J D Lewis: Insulin therapy and colorectal cancer risk among type 2 diabetes mellitus patients. Gastroenterology 2004; 127: 1044–1050.

Dr. Yu-Xiao Yang, Center for Clinical Epidemiology and Biostatistics, University of Pennsylvania, 722 Blockley Hall, 423 Guardian Drive, Philadelphia, Pennsylvania 19104-6021, USA, E-Mail: yangy@mail.med.upenn.edu

Insulintherapie und

kolorektales Karzinom

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