W
enn Peter Gausmann und seine Mannschaft anrücken, ist es meist noch nicht zu spät. Mit geübtem Blick fahnden die Risikobera- ter nach Schwachstellen bei der Patien- tenversorgung im Krankenhaus. Man- gelnde Patientenaufklärung, lückenhaf- te Dokumentation oder unkoordinierte Arbeitsabläufe – Gausmann weiß ge- nau, wo die Knackpunkte liegen, die häufig zu Haftungsfällenfür Klinikbetreiber und Ärzte werden.
So genanntes Riskman- agement, wie von Gaus- mann und seinen Mitar- beitern von der Gesell- schaft für Risiko-Bera- tung angeboten, gewinnt in deutschen Kliniken im- mer mehr an Bedeutung.
Das verwundert nicht, stellt doch das Organisati- onsverschulden inzwi- schen die zweithäufigste Anspruchsgrundlage bei Haftpflichtfällen dar. An der Spitze der von Patien- ten erhobenen Vorwürfe
stehen zwar immer noch so genannte ärztliche Kunstfehler, diese aber immer häufiger in Verbindung mit organisato- rischen Mängeln. So sorgt die Möglich- keit, ohne direktes eigenes Verschulden in einen Schadensfall verwickelt zu wer- den, bei Ärzten zunehmend für Verun- sicherung. Schließlich drohen das be- rufliche Aus oder gar strafrechtliche Sanktionen.
Verschärft wird die Situation durch die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung. Typische Ko- operationsrisiken an den Schnittstellen der Leistungsbereiche sind program- miert. Koordinationsmängel und unkla- re Kompetenzabgrenzungen sind dabei nur zwei Beispiele für Schwachstellen
bei der Zusammenarbeit von mehreren Ärzten und einem Team mit nichtärztli- chem Personal. Darauf verwies Rechts- anwalt Prof. Dr. jur. Dr. rer. pol. Klaus Ulsenheimer beim 27. Symposion für Juristen und Ärzte der Kaiserin-Fried- rich-Stiftung in Berlin. Bei der in die- sem Jahr unter der Überschrift „Rechts- probleme des Arztes im Krankenhaus“
stehenden Expertentagung sprach sich
Ulsenheimer für ein aktives „Schnitt- stellen-Management“ auf allen Ebenen aus. „Das Riskmanagement ist deshalb für den Organisationsbereich geradezu prädestiniert“, sagte Ulsenheimer. Aus Fehlern und Beinahe-Schäden lernen sei dabei die ebenso simple wie wir- kungsvolle Devise.
Risiko Überlastung
Als weitaus schwieriger dürfte sich dagegen erweisen, Behandlungsrisi- ken auszuschalten, die der zunehmen- den Arbeitsbelastung von Kranken- hausärzten geschuldet sind. Bei Mitar- beiterbefragungen wird auch Risikobe-
rater Gausmann regelmäßig mit den zum Teil katastrophalen Arbeitszeitbe- dingungen für Krankenhausärzte kon- frontiert.
„Wir kompensieren das“, laute mei- stens die Antwort der betroffenen Ärz- te. Gausmann weiß aber auch, dass man rechtlich nur schwer nachweisen könne, ob tatsächlich eine Arbeitsüberlastung für einen Schadensfall ursächlich sei.
Angesichts von oft mehr als 80 Wochenstun- den für Ärzte im Kran- kenhaus sei es aber nur eine Frage der Zeit, bis Patientenanwälte versu- chen werden, die Überla- stung eines Arztes in zi- vilrechtlichen Prozessen geltend zu machen, glaubt der Vorsitzende des Marburger Bundes (MB), Dr. med. Frank Ul- rich Montgomery. Abhil- fe könne nur die Neuver- teilung von Arbeit schaf- fen. Im Klartext heißt das: Neue Ärzte müssen eingestellt werden. Etwa 15 000, schätzt Montgomery. Das erfor- dere rund eine Milliarde Euro. Bezo- gen auf einen Umsatz von über 50 Mil- liarden Euro, den die deutschen Kran- kenhäuser erwirtschaften würden, „ei- ne eher kleine Summe“, so der MB- Chef.
Kommt es zu einem Schadensfall, droht dem Arzt sowohl ein Strafverfah- ren als auch eine Zivilklage sowie ein Verfahren vor dem Berufsgericht (Ent- zug der Approbation). Allein die Zahl der zivilrechtlichen Schadensersatz- und Schmerzensgeldverfahren gegen Ärzte wird jährlich auf mehr als 10 000 geschätzt.
Besonders bei strafrechtlichen Er- mittlungsverfahren führen die von den P O L I T I K
A
A668 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1114. März 2003
Bei Schadensfällen drohen das berufliche Aus oder gar strafrechtliche Sanktionen. Fo
to:Caro/Dobiey
Arzthaftung
Die Angst steht mit am Operationstisch
Personalnot, Organisationsdefizite und überbordende Bürokratie im Krankenhaus
beeinträchtigen die Patientenversorgung und steigern das medizinrechtliche Risiko des Arztes.
Hausärzteverband
Rückendeckung für Regierungspläne
BDA sieht Gesundheitsministerin Schmidt auf dem richtigen Weg.
D
er Deutsche Hausärzteverband (BDA) hat sich im Wesentlichen hinter die Reformpläne der Bun- desregierung gestellt. Grundsätzlich be- grüße der BDA die von Schmidt vorge- brachten Reformideen, erklärte Prof.Dr. med. Klaus-Dieter Kossow, Vorsit- zender des Hausärzteverbandes, bei ei- ner Pressekonferenz in Berlin.
Nach den bisher bekannt gewordenen Plänen des Gesundheitsministeriums könnten die Hausärzte bei der anste- henden Reform des Gesundheitssystems zu den Gewinnern zählen. So sollen Hausärzte künftig als Lotsen im Gesund- heitswesen fungieren. Vorgesehen ist ei-
ne Vergütung der Allgemeinmediziner über Kopfpauschalen. Wie aus einer
„Rohfassung“ des Ministeriums für ei- nen Gesetzentwurf hervorgeht, soll die Stellung des Hausarztes über ein Haus- arztmodell gestärkt werden: Patienten, die an einem solchen Modell teilnehmen, könnten von den Zuzahlungen bei Arz- neimitteln weitgehend befreit werden.
Mit der Entscheidung, den Hausarzt als „engsten Betreuer ins Zentrum“ der
Versorgung zu stellen, habe der Gesetz- geber den „richtigen Weg“ eingeschla- gen, erklärte BDA-Vorsitzender Kossow.
Auf Ablehnung bei den Hausärzten stößt dagegen die geplante Positivliste für Arzneimittel. Da Deutschland ein
„Entwicklungsland in der Epidemiolo- gie“ sei, fehlten wichtige Grundlagen, um die Auswirkungen der Positivliste in der Versorgung beurteilen zu können, erklärte Robert Festersen, Geschäfts- führer des Hausärzteverbandes, gegen- über dem Deutschen Ärzteblatt. Zudem seien Wettbewerbsverzerrungen zu er- warten. „Sinnvoller und zielführender“
sei dagegen eine Negativliste.Wenig Zu- spruch finden auch die Pläne, poliklini- sche Strukturen in der ambulanten Ver- sorgung einzuführen. Der ambulante Sektor werde durch das „große Engage- ment der Freiberufler“ getragen. Des- halb sei ein Angestelltenverhältnis über Polikliniken nicht sachgemäß. „Mit der für das Funktionieren der ambulanten Versorgung notwendigen Selbstausbeu- tungsbereitschaft der freiberuflich täti- gen Vertragsärzte kann dann nicht mehr gerechnet werden“, sagte Festersen.
Als „einen guten Einstieg“ in die Diskussion bezeichneten die Hausärzte auch die Reformvorschläge der Union.
Begrüßt wird insbesondere deren An- satz, die Patienten an den Behandlungs- kosten zu beteiligen. Durch eine Eigen- beteiligung, so hofft der Hausärztever- band, werde bei Patienten das Bewusst- sein für wirtschaftliches Verhalten ge- schärft. Außerdem steige die Bereit- schaft der Versicherten, an den Haus- arztmodellen teilzunehmen. Die kosten- senkende Lotsenfunktion des Hausarz- tes käme so zum Tragen. Auch der von der Union geforderten Etablierung grö- ßerer Wahlmöglichkeiten für die Versi- cherten steht der BDA positiv gegen- über. Dabei sollten die Versicherten aber auch Hausarzttarife wählen können.
Wegen der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat rechnet Hausärzte-Chef Kossow frühestens ab Oktober mit ei- nem abstimmungsreifen Gesetzentwurf.
Der BDA-Präsident erwartet, dass die Ergebnisse der Rürup-Kommission gro- ßen Einfluss auf die Pläne der Regie- rung haben werden. Änderungen seien auch im Zuge der anstehenden Ver- handlungen mit der Unions-Opposition
zu erwarten. Timo Blöß
P O L I T I K
A
A670 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1114. März 2003
Behörden vorgebrachten Vorwürfe häufig zu einem Rechtfertigungsdruck und zu der Neigung des Arztes, umfas- sende Angaben zu machen, ohne den genauen Gegenstand des Vorwurfs zu kennen. Hiervon rät der Berliner Rechtsanwalt Dr. jur. Daniel Krause dringend ab. Jede erfolgreiche Verteidi- gung setze eine genaue Analyse der Vorwürfe voraus. Zudem seien wegen der mittlerweile stark ausdifferenzier- ten Rechtslage zur strafrechtlichen Haftung für Behandlungsfehler die ver- schiedenen Verteidigungsoptionen nur durch eine kompetente rechtliche Be- gleitung effizient zu nutzen. Über einen Rechtsanwalt könne in die Ermittlungs- akten der Staatsanwaltschaft Einsicht genommen werden. Bis dahin komme dem Arzt ein Schweigerecht zu, von dem er in jedem Fall Gebrauch machen sollte, rät der Anwalt.
Ärzte wieder Ärzte sein lassen
Budgetvorgaben und juristisch ein- klagbare Forderungen der Mitarbeiter stellen insbesondere leitende Ärzte vor Konflikte. Die Finanz- und Personalho- heit liege beim Träger, die sich aus den Budgets ergebenden Konsequenzen blieben dagegen beim leitenden Arzt hängen, kritisierte Prof. Dr. med. Hans- Friedrich Kienzle von der Chirurgi- schen Klinik im Krankenhaus Köln- Holweide. Kienzle wies am Rande des Symposions der Kaiserin-Friedrich- Stiftung darauf hin, dass dies seit eini- ger Zeit sogar in Chefarztverträgen festgeschrieben werde. Es müsse des- halb dringend diskutiert werden, wer für etwaige Fehler einzustehen habe, die sich aus zu kurzen Übergaben, nicht ausreichenden Weiterbildungsmöglich- keiten und eingeschränkten internen Besprechungszeiten in der Klinik ergä- ben. Die Konflikte würden nur gelöst, wenn man „Ärzte wieder Ärzte“ sein ließe. Dies bedeute auch, dass Chefärz- te nicht als Manager deformiert wür- den und Aufgaben bekämen, für die sie nicht ausgebildet seien. Kienzle: „Wel- cher Gesundheitsökonom oder Ver- waltungsleiter kann schon einen Blind- darm operieren? Also braucht ein Chirurg auch keine Bilanz erstellen zu
können.“ Samir Rabbata
Prof. Dr. med. Klaus-Dieter Kossow, Vorsitzen- der des Deutschen Hausärzteverbandes: „Der Gesetzgeber hat den richtigen Weg einge- schlagen.“ Foto: Johannes Aevermann