DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
AUS DER PRAXIS FÜR DIE PRAXIS
Wann sind
Ohrentropfen indiziert?
Sinn und Unsinn der
Verwendung von Ohrentropfen
Helmut Breuninger t
Seit alters her werden bei Ohren- beschwerden Ohrentropfen ver- abreicht und sei es nur in Form von warmem Salatöl. Für den Lai- en ist es naheliegend, daß er ein erkranktes Organ örtlich behan- delt. Von der Arzneimittelindu- strie werden zahlreiche Fertigprä- parate unter Indikationen angege- ben, die der Situation nicht ge- recht werden können und Laien und Arzt gelegentlich auf Grund der angegebenen Anwendungs- gebiete zu einer Fehlbehandlung verleiten.
Akute Mittelohrentzündung In der Roten Liste 1983 sind etwa 15 Präparate mit der Indikation zur Anwendung bei der akuten Mittelohrentzündung angegeben, deren Wirkung bei dieser Erkran- kung nicht angezeigt oder sogar kontraindiziert ist. Ein wirksamer Effekt ist hier nicht zu erwarten, die Ohrentropfen dringen ja nicht in die Paukenhöhle ein, werden bei Ohrlaufen abgeschwemmt und entfalten auch praktisch kei- ne antiphlogistische oder analge- tische Wirkung.
Vier Fertigpräparate, die Chloram- phenicol enthalten, sind ohnehin kontraindiziert, da sie allergische Reaktionen verursachen und evtl.
gegen spätere lebensnotwendige Chloramphenicolgabe mit ent- sprechenden Folgen vorsensibili- sieren. Andere Präparate enthal- ten potentiell ototoxische Antibio- tika, die der Erregerlage bei der akuten Mittelohrentzündung oh- nehin keine Rechnung tragen.
Seltsamerweise findet sich auch die Indikationsangabe zur Anwen-
dung von Ohrentropfen gelegent- lich bei Tubenkatarrh, eine derar- tige Maßnahme ist sinnlos.
Üblicherweise wird die bakteriell bedingte akute Mittelohrentzün- dung mit Penicillin oder, nach Te- stung der Erregerresistenz, mit anderen Antibiotika systemisch behandelt. Allenfalls kann bei starkem Ohrlaufen eine Reini- gungsbehandlung durch Einträu- feln von 3prozentigem Wasser- stoffperoxyd erfolgen.
Folgerung: Eine Behandlung der akuten Mittelohrentzündung mit handelsüblichen Ohrentropfen ist nicht angezeigt.
Chronische Mittelohrentzündung Ein Einbringen von Ohrentropfen durch eine große Trommelfellper- foration bei reizloser Pauken- schleimhaut ist nicht erforderlich, eher schädlich. Potentiell ototoxi- sche Substanzen, nicht nur Anti- biotika, können dabei über die Fenster und Vasa perforantes in das Innenohr eindringen und hier Schaden verursachen. Diese Ge- fahr ist bei verschwollener Mittel- ohrschleimhaut weitaus geringer.
Gelegentlich kann der Otochirurg bei der Vorbereitung zur Tympa- noplastik eine örtliche Behand- lung des Mittelohres nach Te- stung der Erregerresistenz durch- führen. Er wird dabei die Anwen- dung von ototoxisch wirksamen Antibiotika scheuen.
Die blinde, unkontrollierte Verab- reichung von Ohrentropfen bei chronischem Ohrlaufen ist nicht angezeigt. Bei dem akuten Auf- flackern einer chronischen Mittel- ohrentzündung wird in der Regel nach Testung der Erregerre- sistenz mit Antibiotika systemisch behandelt.
Folgerung: Eine Behandlung der chronischen Mittelohrentzündung mit handelsüblichen Ohrentrop- fen ist in der Regel nicht ange- zeigt.
Otitis externa
Die Behandlung des entzündlich veränderten Gehörganges aus verschiedener Ursache hat sich nach dermatologischen Gesichts- punkten in Verbindung mit otolo- gischer Erfahrung zu richten, hier ist eine Verlegenheitsbehandlung mit handelsüblichen Ohrentrop- fen kaum von Nutzen. Der Erfah- rene wird hier auch den Wirkstoff mit Watteträger, Tamponadestrei- fen oder als Puder in den Gehör- gang einbringen und geeignete Rezepturen verwenden.
Folgerung: Eine Behandlung der Otitis externa mit Ohrentropfen ist in der Regel nicht angezeigt.
Gehörgangverstopfung
Ohrschmalz oder Epidermispfrop- fen können bei intaktem Trom- melfell besser in einer Sitzung durch Ohrspülung — nur bei intak- tem Trommelfell — mit körperwar- mem Wasser ausgespült werden.
Es kann durch den Facharzt auch eine Absaugung oder instrumen- telle Reinigung erfolgen. Zur Auf- lösung von Ohrschmalz empfohle- ne handelsübliche Ohrtropfen sind entbehrlich, teilweise sogar schädlich. Einträufeln von 3pro- zentiger Wasserstoffperoxydlö- sung vor der Ausspülung oder Zu- gabe zur Spülflüssigkeit kann nützlich sein.
Folgerung: Die Anwendung von Ohrentropfen bei Gehörgangver- stopfung ist nicht sinnvoll.
Professor Dr. med.
Helmut Breuninger Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten der Universität Tübingen Silcherstraße 5
7400 Tübingen
Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 24 vom 15. Juni 1984 (65) 1937