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umoren im Kopf-Hals-Bereich sind schwierig zu behandeln, da die lokale Rezidivrate trotz vollständi- ger Tumorentfernung relativ hoch ist.Molekularbiologische Untersuchungen geben jetzt Hinweise auf die Ursachen.
Die Wissenschaftler vermuten, dass die lokalen Rezidive entweder auf klei- ne, morphologisch derzeit noch nicht nachweisbare Tumorreste zurückge- hen oder ihren Ursprung in präkan- zerösen Zellen haben, die innerhalb kurzer Zeit maligne werden und mittels der derzeit verfügbaren morphologi- schen Methoden ebenfalls nicht ent- deckt werden. Hierbei könnte es sich um hyper- oder dysplastische Zellver- bände handeln.
Es gilt als weitgehend anerkannt, dass maligne Zellen multiple genetische Veränderungen erfahren haben. Einige dieser Veränderungen manifestieren sich bereits in prämalignen Läsionen und können Auswirkungen auf Onko- und Tumorsuppressorgene haben. Inno- vative therapeutische Überlegungen ba- sieren darauf, diese (prä-)kanzerösen Zellen als molekulare Marker zu nut- zen, um genetische Zellveränderungen zu erkennen, die auf spezifische maligne Veränderungen hinweisen. Ein Beispiel hierfür scheint die p53-Mutation beim Plattenepithelkarzinom im Kopf-Hals- Bereich zu sein.
Die Frage ist, ob sich durch eine mo- lekulare Untersuchung der histopatho- logisch tumorfreien Schnittränder auf tumorspezifische Marker die Prognose der Patienten verbessern lässt. Hierzu wurde eine prospektive Studie bei 118 Patienten mit T1-3-Tumoren der Mund- höhle und des Mund-Rachen-Raums durchgeführt. Alle Patienten hatten postoperativ tumorfreie Schnittränder.
Bei 69 der 118 Patienten wies der Primärtumor eine p53-Mutation auf, die wiederum bei 47 Patienten auch in den – tumorfreien – Schnitträndern nachgewiesen wurde.
Nach einem medianen Follow-up von 21 Monaten hatten acht Patienten aus der Gruppe mit p53-Mutation und keiner der Patienten ohne p53-Mutati- on in den Schnitträndern ein Lokalrezi-
div. Dies deutet darauf hin, dass p53- Mutationen in den Schnitträndern ent- weder auf minimale Tumorreste oder auf präkanzeröse (dysplastische) Ver- änderungen hinweisen.
Nach Aussage von Prof. G. Snow (Amsterdam) werden zukünftig geneti- sche Veränderungen, die der Tumorent- wicklung vorausgehen, die Basis für ei- ne rationale Therapie darstellen. Die molekularen Untersuchungen von Plat- tenepithelkarzinomen im Kopf-Hals- Bereich haben dazu beigetragen, die Kanzerogenese besser zu verstehen, und sind die Basis dafür, operative Schnittränder und präkanzeröse Läsio-
nen zuverlässiger beurteilen bezie- hungsweise erkennen zu können.
Noch befinden sich die molekularen Untersuchungsmethoden im experi- mentellen Stadium. Inwieweit sie den Schritt in die tägliche Praxis finden, wird auch davon abhängen, ob sie die Prognose der Patienten tatsächlich ver- bessern können. Auf jeden Fall bieten sie schon heute eine Erklärung dafür, warum bestimmte Patienten trotz aus- gedehnter operativer Maßnahmen ein Lokalrezidiv bekommen. Laut Snow werden sie den Weg weisen zu neuen, nichtoperativen Behandlungsansätzen bei diesen Patienten.
Erste klinische Studien mit einer kombinierten Behandlung aus Immun- und Chemo-/Strahlentherapie zeigten hoffnungsvolle Ergebnisse bei Patien- ten mit fortgeschrittenem Platten- epithelkarzinom im Kopf-Hals-Be- reich, berichtete Dr. Burkhard Brandt (Münster). In diesen Studien erhalten die Patienten zusätzlich zur Chemo- und/oder Strahlenthe- rapie eine Behandlung mit dem monoklonalen Antikörper C 225, der gegen den epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor (Epidermal Growth Factor Re- ceptor = EGFR) gerichtet ist.
Die Untersuchungen zeigen, dass der Anti-EGFR-Antikör- per bei Patienten mit Platten- epithelkarzinom im Kopf-Hals- Bereich in der Lage ist, Tumor- wachstum und Zelldifferenzie- rung zu hemmen. Speziell bei Platin-refraktären Patienten lie- gen viel versprechende Ergeb- nisse vor.Außerdem scheint der Antikörper eine radiosensibilisierende Wirkung zu haben.
Einen ebenfalls interessanten Thera- pieansatz sieht Brandt in dem Einsatz von spezifischen rekombinanten Antikörper- Toxinen, die gegen c-erbB-2- und EGF- Rezeptoren gerichtet sind. In-vitro- und In-vivo-Untersuchungen beim Platten- epithelkarzinom deuten darauf hin, dass sie das Tumorwachstum aufhalten kön- nen. Die Expression von EGFR und c-erbB-2 wurde bei einem hohen Prozent- satz dieser Tumoren (40 bis 80 Prozent) nachgewiesen und ist die Rationale dafür, auf dem Gebiet der Antikörper-Toxine weiterzuforschen. Birgit-Kristin Pohlmann P O L I T I K
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A2598 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 404. Oktober 2002
Mund-Kiefer-Gesichts-Tumoren
Therapieansätze
auf molekularer Ebene
Der Kongress der Europäischen Gesellschaft für Mund- Kiefer-Gesichts-Chirurgie in Münster beschäftigte sich auch mit der hohen lokalen Rezidivrate dieser Tumoren.
Medizinreport
Chromosomen in der Metaphase: Genetische Verände- rungen begünstigen die Tumorentwicklung.
Foto:Edition Roche