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Archiv "Chemikalien immer für eine dicke Überschrift gut" (24.10.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

THEMEN DER ZEIT

Wer die Schlagzeilen der vergangenen Jahre Revue passieren läßt, der wird immer wieder auf knallige Skandale zum Thema

„Giftige Chemikalien" stoßen. Da ist die Rede von Schwefeldi- oxid, von Holzschutzmitteln, Dioxinen, von Formaldehyd, Lö- sungsmitteln, Arzneistoffen und nicht zuletzt von Uranhexafluorid gewesen. Es sind dann meist auch sehr schnell Experten zur Hand, die über die toxischen Eigenschaften der so ins Gerede ge- kommenen chemischen Verbindungen etwas zu sagen haben ...

großes Problem. Wir haben es mit einer fast schon unüberschauba- ren Anzahl von Stoffen zu tun. Im Bereich der Umweltchemikalien wird meist die Zahl 50 000 ge- nannt. Davon sind etwa 90 Prozent ohne nennenswerte Bedeutung, so daß immerhin noch ein Rest von 5000 Verbindungen übrig- bleibt, der Luft, Wasser und Bo- den verschmutzt und die Gesund- heit belastet.

s

ei all den Umwelt- und Arznei- stoff-Skandalen der letzten Zeit muß man sich die Frage stellen, ob die durch die jeweili- gen Pressekampagnen ausgelö- ste Diskussion wirklich dem Schutz von Mensch und Umwelt nützt, oder ob man — unter dem Mäntelchen des Umweltschutzge- dankens — eine flotte Geschichte in vier Teilen loswerden will. Frag- lich ist zudem, ob es sich bei all den als Skandale bezeichneten Vorfällen und Ereignissen tat- sächlich um solche gehandelt hat, oder ob es nicht vielmehr stark überzeichnete, durch Unsachlich- keit charakterisierte Kampagnen gewesen sind, von denen wir alle auch in Zukunft nicht verschont bleiben werden.

Damit keine Mißverständnisse auftauchen: Es ist völlig klar, daß Substanzen, die eine echte Ge- fährdung für den Menschen und seine Umwelt darstellen, so weit als irgend möglich von der Bildflä- che verschwinden müssen. Sie sollen durch andere, ungefährli- chere Stoffe ersetzt werden. Der Schutz des Individuums und sei- nes Lebensraumes muß vor wirt- schaftlichen Erwägungen stehen.

Welche Schwierigkeiten hierbei schon im Ansatz vorhanden sind, sei nur am Beispiel des Schwefel- dioxids (SO 2) kurz angerissen. Der Haupterzeuger für SO 2 ist zu rund 50 Prozent die Kraftwerkindustrie.

Die Entfernung von SO 2 aus der Abluft ist technologisch unproble- matisch, wie es Japan und die USA vorführen. Sie stellt jedoch einen Kostenfaktor dar. Eine der möglichen Alternativen wäre die Forcierung der Kernenergie. Da-

Chemikalien immer für eine dicke

Überschrift gut

Wolf G. Dorner

gegen sind jedoch auch diejeni- gen Umweltschützer, die sich mit Vehemenz — und zu Recht — ge- gen das SO2 wehren. Kernener- gie, das bedeutet Verarbeitung, Lagerung, Transport von radioak- tivem Material mit einer Vielzahl von Risikofaktoren. Eine Abwä- gung ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Selbst für den Fall, daß 90 Prozent des S0 2-Ausstoßes eliminiert würden, wären die Risi- ken beider Energieträger noch miteinander vergleichbar.

Analog gilt dann aber auch, daß Arzneistoffe, die größere Risiken bringen als Nutzen, von der Bild- fläche verschwinden müssen.

Auch der Umgang mit Arzneistof- fen — vielleicht gerade er — ist ein besonders sensibler Maßstab für unsere Fähigkeit, Gefahren oder potentielle Gefahren richtig ein- zuschätzen.

Umweltchemikalien:

50 000 verschiedene Stoffe Sowohl bei Umweltchemikalien als auch Arzneistoffen besteht ein

Bei den Arzneistoffen ist die Zahl niedriger. Hier ist entscheidend, daß jede einzelne Substanz direkt am Menschen angewandt wird.

Damit aber wächst das Gefahren- moment und somit auch die Auf- gabe, vor Einführung einen neuen Wirkstoff als solchen zu charakte- risieren und auf seine Nebenwir- kung hin zu untersuchen.

Ob Arzneistoff oder Umweltche- mikalie — eines haben beide ge- meinsam: Ihre Gefährlichkeit stellt sich oft erst nach jahrelan- gem Gebrauch heraus. Es wird heute oftmals gefordert, die neu- en Verbindungen sollten doch in- tensiver geprüft werden.

Dies ist wünschenswert. Aber die Zahl der Probanden zu erhöhen und das Untersuchungsraster im- mer engmaschiger zu gestalten, bedeutet doch letztlich nichts an- deres, als diese Verbindungen in großem Umfang einzusetzen. Da- mit kommen wir aber der Zulas- sung schon recht nahe.

Und selbst ein noch so großer Probandenstamm, eine noch so intensive Untersuchung der Ne- benwirkungen oder Schädigungs- mechanismen garantiert noch nicht, daß die Substanz wirklich unschädlich ist. Wer kann heute schon Langzeitversuche über dreißig oder vierzig Menschenjah- re durchführen? Am Tiermodell ist dies ohne weiteres möglich, wenn die Generationenfolge ent- sprechend kürzer ist. Doch damit wird das Thema Tierversuch in die Diskussion gebracht, das ja schließlich auch in Fachkreisen heftig umstritten ist.

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 43 vom 24. Oktober 1984 (23) 3145

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„Formaldehysterie?” Pepsch Gottscheber in „Der Tagesspiegel"

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

„Giftige Chemikalien”

Eines ist heute sicher: Die Zahl der Tierversuche könnte einge- schränkt werden, ohne daß die Ri- siken für den Menschen vergrö- ßert würden.

Es ist aber ebenso unbestritten, daß sowohl Umweltchemikalien als auch Arzneistoffe — seien sie alt oder neu — mit Hilfe des Tier- versuchs getestet werden müs- sen, um zweifellos bestehende Ri- siken bei einer anschließenden klinischen Prüfung beziehungs- weise der Einführung nicht sinn- los zu erhöhen.

Risiken:

bisher unbekannt

Der Zankapfel von Experten und Laien ist die Frage, wie groß die Risiken heute für den einzelnen wirklich sind und durch welche Substanzen sie ausgelöst werden.

Die exakte Antwort auf diese Fra- ge verdiente den Nobelpreis — egal welchen. Denn kein Mensch kann heute sagen, wie groß die Ri- siken sind, die uns durch Umwelt- chemikalien und Arzneistoffe ent- stehen. Vieles spricht aber dafür, daß nicht die laufend in der Öf-

fentlichkeit genannten Stoffe wie Formaldehyd, Dioxin, SO 2 , Uran- hexafluorid heutzutage die Haupt- gefahr für den Menschen darstel- len. Vielmehr scheint in der Mehr- zahl die Schuld des Individuums bei ihm selbst zu liegen. Dies mag vielleicht zunächst einmal sehr hart und ungerecht klingen. Des- halb einige Anmerkungen dazu.

Natürlich wird die Umwelt durch sauren Regen und ähnliches bela- stet. Das hat auch Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Sehr viel wichtiger erscheint jedoch die Tatsache, daß Genußgifte wie Al- kohol, Nikotin, Koffein, falsche Er- nährung sowie der Mißbrauch von Umweltchemikalien und von Me- dikamenten eine sehr viel drasti- schere Auswirkung auf die Ge- sundheit der modernen Zivilisa- tionsbevölkerung ausüben als alle anderen Risiken zusammen.

Es wird beispielsweise davon ge- sprochen, Formaldehyd sei eine krebserzeugende Substanz. Ab- gesehen von der Tatsache, daß sich hier die Toxikologen so einig nicht sind, stellt sich die Frage, in- wieweit ein kanzerogenes Poten- tial auch ein kanzerogenes Risiko und damit eine Gefährdung für

den Menschen darstellt. Am Bei- spiel Formaldehyd läßt sich sehr schön zeigen, daß eine „alte"

Chemikalie, die in großen Mengen verbraucht wird, nicht unbedingt aus diesem Grund auch gefährlich sein muß. Fast möchte man sa- gen: im Gegenteil. Warum?

Nun, die jahrzehntelange Erfah- rung mit einer Chemikalie in Her- stellung und Weiterverarbeitung sowie im Gebrauch läßt den Schluß zu, daß ursächliche Zu- sammenhänge zwischen chemi- scher Verbindung und Gesund- heitsrisiko sehr viel früher gefun- den werden als bei einer Sub- stanz, die, wie das Dioxin, in we- sentlich geringeren Mengen im Umlauf ist.

Sicher hat jede Substanz ihre ei- gene Problematik. Beim Formal- dehyd wissen wir, welche Reizwir- kungen es bei welchen Raumluft- konzentrationen auslöst. Und wir wissen, daß es in der Lage ist, im Extremversuch — unter Bedingun- gen, wie sie nicht einmal ein Ar- beiter an der Produktionsstätte während einer vierzigjährigen Be- rufstätigkeit vorfindet — Krebs der Nasenschleimhäute auszulösen.

Das bedeutet: Formaldehyd bein- haltet ein kanzerogenes Potential.

Doch scheint nach allem, was bis- her bekannt ist, von Formaldehyd keine Krebsgefahr für den Men- schen auszugehen. Es muß also ganz klar zwischen Krebspotential und Krebsrisiko unterschieden werden.

Krebspotential

heißt nicht Krebsrisiko

Möglicherweise — wir wissen es nicht — kann jede einzelne chemi- sche Verbindung ein Krebspoten- tial beinhalten. Möglicherweise bedarf es hierzu auch der „Beihil- fe" durch andere Chemikalien, so daß erst in Gemeinschaftsarbeit eine Krebserkrankung ausgelöst wird. Vielleicht reicht auch die Chemikalie nicht aus, und es be- darf psychischer Streßfaktoren, die eine potentielle Gefahr zum 3146 (24) Heft 43 vom 24. Oktober 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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Krebsrisiko und schließlich zum Krebs selbst werden läßt.

Nehmen wir als weiteres Beispiel das Dioxin. Hier haben wires-im Gegensatz zum Formaldehyd - mit einer Verbindung zu tun, die nachgewiesenermaßen schon in geringen Mengen Krebs auslösen kann, wie dies von chlorierten und besonders chlorierten aromati- schen Kohlenwasserstoffen be- kannt ist. Bedeutet das nun, daß vom Dioxin eine Krebsgefahr aus- geht?

Auch hier muß man sich wieder mit den in der Umwelt herrschen- den Bedingungen auseinander- setzen. Die Substanz tritt in der Regel in so geringen Mengen auf, daß nur zwei oder drei Labors in der Bundesrepublik in der Lage sind, derartig geringe Konzentra- tionen überhaupt nachzuweisen. Der Nachweis ist deshalb so schwierig, weil es eine Vielzahl von Dioxinen gibt, die jedoch stark in ihrer Kanzerogenität schwanken. Es ist auch nicht be- kannt, ob bereits Konzentrationen im Bereich von 10-15 g/kg Dioxin Krebs auslösen, oder ob es weni- ger, ob mehr ist. Bislang gelten die Erfahrungen mit dieser Ver- bindung. Und es hat sich gezeigt, daß erheblich größere Mengen - mehrere Zehnerpotenzen - not- wendig sind, um eine Krebsent- stehung sicher nachweisen zu können.

Einen "Persilschein" für Dioxin darf es natürlich nicht geben.

Denn in Wechselwirkung mit an- deren Chemikalien können auch niedrigere Dioxinkonzentrationen möglicherweise krebsauslösend wirken. Dennoch zeigen die Er- fahrungen mit dieser Substanz, daß wohl ein kanzerogenes Po- tential vorhanden ist, ein Krebsri- siko aber nicht besteht. Es muß aber auch nicht immer Krebs sein.

Gerade im Zusammenhang mit Dioxin ist die Frage der Frucht- schädigung, der erhöhten Zahl an Fehlgeburten oder Geburten miß-

gebildeter Kinder diskutiert wor-

DEUTSCHES ltRZTEBLATT

"Giftige Chemikalien"

den. Es gibt allerdings keine gesi-

cherten Beweise dafür, daß unter den bei uns anzutreffenden Be- dingungen Dioxin solche Wirkun- gen auslöst.

Kampagnen verunsichern

ln der Umweltdiskussion ist der entscheidende Punkt, daß aus ei- ner großen Zahl möglicher und tatsächlicher Gifte immer wieder eine Verbindung herausgegriffen wird, die dann stellvertretend für alle Chemikalien, für "die Che-

mie" und nicht zuletzt auch "die

Pharmazie" an den Pranger ge- stellt wird. Dabei wird auf die Fol- gen derartiger Kampagnen wenig Rücksicht genommen. Die angst- auslösende Wirkung einer sol- chen Kampagne kann mitunter sehr viel größere Probleme mit sich bringen als die an den Pran- ger gestellte Verbindung oder der Arzneistoff. Hier soll nicht dafür geworben werden, die Prüfungen von Chemikalien und Arzneistof- fen nicht zu intensivieren. Viel- mehr soll anhand der aktuellen Beispiele dargestellt werden, daß die in der Öffentlichkeit ausgelö- ste Resonanz nicht mit der tat- sächlichen Gefährdung in Ein- klang zu bringen ist, und warum dies fast zwangsläufig so sein muß. Gerade auf dem Gebiet der Giftigkeit chemischer Verbindun- gen gibt es eine Vielzahl ungelö- ster Probleme und Phänomene.

Was auf dies.em Sektor nottut, ist ganz besonders die sachliche In- formation, wie sie auch - in ver- ständliche Worte verpackt - an den Nichtfachmann weitergege- ben werden soll und muß. Was un- bedingt vermieden werden muß, ist reißarische und angstmachen- de Polemik, die nicht der Aufklä- rung, sondern eher der Verunsi- cherung der Öffentlichkeit dient.

Anschrift des Verfassers:

Wolf G. Dorner Diplom-Chemiker Rauschbergstraße 46 8221 lnzell

KURZBERICHTE

Pflegeversicherung:

ein teures Projekt

Die Absicherung des Pflegerisi- kos, seit Jahren mit unterschied- licher Intensität diskutiert, steht erneut im Mittelpunkt der aktuel- len gesundheitspolitischen Aus- einandersetzungen. ln den letzten Wochen wurden verschiedene Stellungnahmen gegen einen ver- sicherungsrechtlichen Lösungs- ansatz publik. Der Verband der privaten Krankenversicherung (PKV), Köln, legte "Musterbedin- gungen" für die Einführung einer privaten Pflegeversicherung vor (vgl. DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, Heft 36/1984, Seite 2537 ff.). Die Diskussion gipfelte in dem Gut- achten des Wissenschaftlichen In- stituts der Ortskrankenkassen (WidO) mit dem Titel "Ausgewo- gene Absicherung von Gesund- heitsrisiken" und in dem "Bericht der Bundesregierung zur Frage der Pflegebedürftigkeit" vom 5.

August 1984.

Wenige Tage zuvor erschien ein Gutachten des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI), Köln, mit dem Titel "Pflege- versicherung - Modellkritik und Lösungsvorschläge" (Wissen- schaftliche Reihe, Band 27). Diese Publikation - eine Kritik an den politischen Projekten zur Pflege- fallabsicherung, ergänzt um eine Darstellung von Kosten- und Qua- litätsfragen in der geriatrischen Versorgung - liefert die nötigen Basisinformationen zum Ver- ständnis der aktuellen Diskussion.

Wesentliche Aussagen des von Maria Rita Heuser-Meye besorg- ten Beitrages zur gesundheitspo- litischen Diskussion:

._ Wegen der Veränderung in der demographischen Situation und der Verlängerung in der Lebens- erwartung wird die Zahl der Pfle- gefälle - insbesondere um die Jahrhundertwende - zunehmen.

Die Forderung nach einer obliga- torischen Pflegeversicherung im Rahmen des Systems der sozialen Sicherung ist daher verständlich.

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Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 43 vom 24. Oktober 1984 (25) 3147

Referenzen

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