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Archiv "20 TAGE CHINA (IV): Von „vier Modernisierungen“ und der reinen Lehre" (13.09.1979)

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DIE REPORTAGE

Die schwarzen Limousinen der Funktionäre haben im Fond graue Gardinen. Wenn sich einer der ro- ten Mandarine in der motorisierten Sänfte durch die Straßen fahren läßt, sind die Vorhänge geschlos- sen. Wie's drin aussieht, geht nie- mand was an. Und der Mann auf der Straße scheint Sinn für diese Art der Diskretion und sogar für die sich hier zeigende Abstufung zwischen Regierenden und Re- gierten zu haben. Sinn für Rang- folgen ist mir in China ohnehin oft aufgefallen; und der ist durchaus mit Selbstbewußtsein zu vereinba- ren: der Kotau ist in China ausge- storben. Achtung und Verehrung der weisen Alten sind geblieben.

Die eigentlichen Heiligen bleiben- einstweilen noch „Vorsitzender Mao" und Chou En-lai, „Minister- präsident Chou"; Mao wird ver- ehrt, Chou geliebt. Es gibt ein Foto von Chou, das den Politiker weni- ge Wochen vor seinem Tod zeigt, Chou ist schon vom Krebs ge- zeichnet. Dieses Foto ist in China sehr bekannt. Es hängt in vielen Schaukästen. An einem Schauka- sten stößt mich jemand an, zeigt auf das Foto: „Ministerpräsident Chou", und hat Tränen in den Augen.

Langsam aber rückt Hua jetzt auch im Straßenbild neben Mao. An öf- fentlichen Gebäuden erscheinen Doppelporträts: links Mao, rechts Hua (und an der gegenüberliegen- den Wand dann oft Marx, Engels, Lenin und Stalin). Und dann gibt es noch ein bemerkenswertes Bild, das ich so für mich „Der Sen- dungsauftrag" getauft habe (Ab- bildung in Heft 34). Da sitzt links Mao, schon älter, aber geistig le-

bendig, in einem jener Sessel, die uns Westlern aus dem Fernsehen bekannt sind; in ihnen hat schon Nixon neben dem großen Vorsit- zenden gesessen. Rechts, schräg vor Mao sitzt Hua, jung, aber doch gereift. Mao legt Hua die Hand auf de'n Arm und sieht ihn dabei zuver- sichtlich an: „Du wirst es schon machen." Hua blickt ehrfürchtig, aber doch selbstbewußt zurück:

„In Deinem Sinne weiter vor- wärts." Und so wird unter dem Zi- tieren von Mao-Aussprüchen heu- te ein neuer Kurs in China einge- schlagen — aufbauend auf dem Geschaffenen.

Klassenkampf ist

jetzt nicht mehr so wichtig, sagt Hua

Hua Guofeng stellte auf dem letz- ten Volkskongreß Ende Juli fest: in China sei das sozialistische Sy- stem fest installiert, Klassenkämp- fe spielten keine wesentliche Rolle mehr. Huas neue ökonomische Politik kann demnach kein Verrat am Sozialismus sein. Sie ist viel- mehr Ausdruck dessen, daß China

jetzt reif ist, eine weitere Stufe des Sozialismus zu erklimmen, auch wenn der jetzt verkündete Sozia- lismus uns nicht mehr so soziali- stisch anmutet.

Tatsächlich ist die Verteilung der Einkommen in China, nach dem Augenschein jedenfalls, weitaus gleichmäßiger als in westlichen Ländern oder auch in der Sowjet- union, ganz zu schweigen von den empörenden Klassenunterschie- den, die es in vielen Entwicklungs- ländern gibt. Auch das Auftreten chinesischer Funktionäre ist ver- gleichsweise schlicht. Kurzum, China ist, wie uns immmer wieder gesagt wurde, ein armes Land;

und die Armut ist relativ gleichmä- ßig verteilt.

Insoweit kommt in China der So- zialismus weitaus sichtbarer zum Ausdruck als in anderen sozialisti- schen Ländern. China hat tatsäch- lich seine Wirtschafts- und Gesell- schaftspolitik seit 1949 auf Vertei- lung und weniger auf Wachstum abgestellt und damit ein wesentli- ches Prinzip aller sozialistischen Wirtschaften besonders hoch ge- halten. Das hat ihm gerade unter europäischen Salon-Sozialisten hohen Kredit eingebracht; aber auch unter solchen Nichtsoziali- sten, die den Traum vom einfa- chen Leben träumen, hatte China viele Freunde gewonnen. Selbst westliche Christen waren vielfach bereit, über die Religionsverfol- gungen der letzten 20 Jahre hin- wegzusehen, wenn nur in China die „Evangelischen Räte": Armut, Keuschheit und Gehorsam in rei- ner Form verwirklicht würden. Mit dem neuen Kurs, der Ende 1977 eingeläutet wurde, kam unter Sa- lon-Sozialisten und Armuts-Chri- sten die große Unsicherheit auf.

Was machte denn das so verehrte Vorbild da? Schwor jetzt auch China der reinen Lehre ab? Je deutlicher der Umschwung wurde, desto pikierter rückte die Linke von diesem neuesten China ab.

Die Antiautoritären waren wieder einmal heimatlos geworden, Viet- nam bietet ihnen nur unvollkom- menen Ersatz. 1>

20 TAGE CHINA (IV)

Von „vier Modernisierungen"

und der reinen Lehre

Fortsetzung von Heft 35/1979 und Schluß

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Die Absetzbewegung unter den christlichen Verehrern eines (nie existenten) „neuen Menschen"

hat dagegen an Elan verloren, ein gewisses „Unbehagen" wird zwar artikuliert, auf der anderen Seite versöhnt aber die Religionspolitik der neuen Peking-Führung. Unter Chinas Christen ist darob — so be- richteten uns christliche China watchers in Hongkong — gar schon ein Streit darüber im Gange, ob man bei der Politik der Öffnung gegenüber den Religionen mitma- chen dürfe oder ob man — der „Be- kennenden Kirche" vergleichbar — weiterhin im Untergrund bleiben solle, in der tröstlichen Gewißheit, mit den „Roten" keine gemeinsa- me Sache gemacht und das wahre Christentum in den Katakomben bewahrt zu haben.

Weshalb die Chinesen Angst vor zuviel

Demokratisierung haben Die Öffnung gegenüber den Reli- gionen ist nur eine der vielen Öff- nungen, von denen jetzt beinahe täglich aus China berichtet wird, darunter vor allem die gegenüber dem Westen und gegenüber de- mokratischen Ideen (über die räte- demokratischen Elemente, die es in China schon seit der Befreiung gibt, hinaus). Gerade die Demo- kratisierung scheint aber mit ban- gen Erwartungen verknüpft zu sein. Eine zu schnelle Demokrati- sierung würde vielleicht zur Anar- chie führen, zwischen Demokratie und Anarchie gebe es doch einen feinen, kaum merklichen Über- gang und diese Grenze wolle man nicht überschreiten, wurde uns auf unserer Reise erläutert.

Weniger bang und vorsichtig wa- ren die Äußerungen über die Poli- tik der vier Modernisierungen, ob- wohl die doch auch ihre unabseh- baren Risiken hat. Denn sie be- sagt, auf eine kurze Formel ge- bracht, nichts anderes, als daß China vom sozialistischen Vertei- lungsmodell abgehen und ein Wachstumsmodell, das marktwirt- schaftliche Züge hat, einführen möchte. Wie das Modell allerdings

aussehen soll, das ist, so scheint mir, selbst den Initiatoren noch nicht ganz klar; die Chinesen, mit denen wir zusammenkamen, hat- ten erst recht keine klare Vorstel- lung davon. Andeutungen in ver- schiedenen Fabriken lassen dar- auf schließen, daß in China so et- was wie das „jugoslawische Mo- dell" erprobt werden soll. Das heißt: Arbeiterselbstverwaltung in- nerhalb der Betriebe, Konkurrenz der Betriebe auf einem begrenzt freien Markt, Gewinn als Ausdruck des Betriebserfolges.

So offen dieser neue Weg auch noch sein mag, so eindeutig sind alle politischen Bekundungen dar- in, daß es gilt, das Wachstum kräf- tig zu fördern. Das ist allein schon deshalb nötig, um den Bevölke- rungszuwachs von mindestens 1,2 Prozent jährlich zu bewältigen.

Millionen neuer Menschen müs- sen ernährt, gekleidet und behaust werden, die brauchen einmal Plät- ze in Kindergärten, Schulen, Uni- versitäten und —Arbeitsplätze. Den Chinesen, so bescheiden sie sein mögen, liegt außerdem an einer Verbesserung des Lebensstan- dards.

Eine der kuriosesten Unterhaltun- gen, die ich auf der Reise mitbe- kam, war jene zwischen chinesi- schen Begleitern und Mitgliedern unserer Reisegruppe zum Thema

„Konsumterror". Das Wort war un- seren Chinesen unbekannt, stand auch nicht im Lexikon. Wir erklär- ten es also, unsere Chinesen nick- ten brav; aber ich zweifele immer noch, ob sie wirklich verstanden haben, warum wir im Westen uns vom Konsumgüterangebot „terro-

risieren" lassen, daß wir über- haupt beim Konsumieren „Unbe- hagen" verspüren. Mein Eindruck ist jedenfalls, daß sich die Chine- sen dieser Art von Terror gerne stellen würden.

Können wir es Ihnen verdenken?

Die „Luxusgüter" die heute ein normaler Chinese hat, sind an ei- ner Hand aufzuzählen. In einem Dorf tat das einer: unter den 3500 Einwohnern gebe es 400 Fahrrä-

der, 200 Nähmaschinen und — dar- auf war er ganz besonders stolz — 600 Armbanduhren. Jeder unter uns im Westen möge sich ehrli- chen Herzens fragen, ob ihm um der Gleichheit aller willen, so viel

„Luxus" reichen würde.

Botschafter Wickert glaubt,

„daß man die Modernisierung machen kann und machen muß"

Der Botschafter der Bundesrepu- blik in Peking, Dr. Erwin Wickert, hat sich mit der Modernisierungs- politik eingehend in einer Bro- schüre („China in der Wandlung") auseinandergesetzt. Darin beur- teilt er den neuen Kurs eindeutig positiv. In zwei längeren Gesprä- chen in Peking hatten wir Gele- genheit, uns persönlich bei ihm zu informieren. Der Kontakt zur Bot- schaft war, obwohl keineswegs lange vorausgeplant, schnell und ausgesprochen unbürokratisch zustande gekommen. Das Ge- spräch kam schnell auf die Moder- nisierungspolitik. Wickert versi- cherte, „daß man diesen Moderni- sierungsprozeß nicht nur machen muß, sondern auch machen kann". Im Laufe des Gespräches kommen auch die Schwierigkei- ten, die der Modernisierung entge- genstehen, zur Sprache. Es sind im wesentlichen fünf Punkte:

I> Mangel an Energie,

> Mangel an Know-how,

• Mangel an Kapital,

I> schwerfällige Planung und

> Angst der Führungskräfte vor Verantwortung.

Das ist ein eindrucksvoller Kata- log. An jedem dieser Punkte könn- te die neue Politik scheitern, ganz zu schweigen von den politischen Unwägbarkeiten, die ein Auslän- der kaum abzuschätzen vermag.

Wie realistisch ist dennoch das an- gestrebte Ziel?

Der Mangel an Energie

Jedem, der aufmerksam durch China reist und sich danach er- kundigt, fällt er auf. Am Strom wird

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Vom Tor des Himmlischen Friedens aus proklamierte Mao am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik China. Heute ist das Tor Ziel zahlloser chinesischer Besuchergrup- pen. Unter jedem Sonnenschirm hat ein Fotograf mit Stativ und Kamera Posten bezogen, die Interessenten warten geduldig, bis sie an der Reihe sind

gespart. Aus Mangel an Energie wird wenig geheizt, gekocht wird mit Butan. Bis in den Herbst hinein sind selbst Hotels kalt. Die Men- schen sitzen in dicken Mänteln in den Räumen. Das deutsche Stahl- werk in Wuhan kann deshalb nicht voll gefahren werden, weil die Ver- sorgung mit elektrischem Strom nicht ausreicht. Aber: China be- sitzt sehr große Energievorräte.

Die Kohlevorkommen, „reichen für die nächsten tausend Jahre", sagt Wickert. Die Reserven an Wasserkraft dürften bei weitem noch nicht ausgenutzt sein. Die Ölvorkommen sind erst ange- kratzt. Dabei ist China heute schon der achtgrößte Ölproduzent der Erde. In Tsingtau begegneten wir einem britischen Team, das am Gelben Meer seismische Untersu- chungen vornimmt, um Off-shore Bohrungen vorzubereiten. Solche westlichen Teams sollen mehrere unterwegs sein. Die bisherigen Er- gebnisse scheinen großen Erwar- tungen gerecht zu werden. China wird in jedem Fall mehr Öl haben, als es auf absehbare Zeit selbst verbrauchen kann. Um noch ein- mal Wickert zu zitieren: „Die Chi- nesen haben ihre Energiekrise im Augenblick, in 10 Jahren werden sie uns überholt haben — und dann stecken wir mittendrin!"

Der Mangel an Know-how Solche Teams wie die britischen Techniker sind nicht nur bei der Prospektion von Ölvorräten ge- fragt. Experten fehlen, die Kultur- revolution und deren Folgen ha- ben Lücken gerissen, die nicht so schnell zu schließen sind. Westli- ches Know-how kann China auf allen Gebieten gebrauchen, auch auf dem der Medizin. Es gibt mitt- lerweile eine Vielzahl von Äuße- rungen chinesischer Mediziner, die um verstärkte Zusammenarbeit förmlich werben. Wer heute in China reist, trifft in den Hotels ne- ben Touristengruppen regelmäßig Spezialisten der verschiedensten Fachrichtungen. Zumeist sind es Japaner oder US-Amerikaner, hin und wieder Europäer, nie Russen.

Angebote auf Kooperation sind an

viele westliche Länder gegangen.

Die Chinesen werden Know-how (und Kapital) nehmen, wo immer sie es bekommen können. Ich hat- te freilich den Eindruck, daß die Japaner dabei derzeit vorn sind.

Sie haben vielleicht mehr Gespür dafür, daß das China-Geschäft Ge- duld erfordert (dann aber vielleicht das Jahrhundert-Geschäft werden kann).

Deutschen Aktivitäten begegneten wir in Peking. Dort war gerade ei- ne große Buchausstellung zu En- de gegangen. Sie hatte 15 Tage gedauert und war von etwa 60 000 Besuchern frequentiert worden.

Es wären noch weitaus mehr ge- wesen, wenn mehr Eintrittskarten ausgegeben worden wären. Aber die wurden von den chinesischen Behörden nach einem unerklärli- chen Schlüssel rationiert. Ein Vor- reiter in der literarischen Koopera- tion ist übrigens der Springer-Ver- lag (der „wissenschaftliche Sprin- ger"), der im Frühjahr 1979 rund tausend Bücher und 160 Zeit- schriften in fünf chinesischen Städten ausgestellt hat. Täglich kamen — ebenfalls rationiert — 600 Besucher. Sowohl Springer wie der Börsenverein des deutschen Buchhandels, der die letzte Aus- stellung organisierte, haben von einem verblüffenden Interesse der Besucher berichtet. Ob ein Ge- schäft daraus wird — das wird auf die unternehmerische Initiative ankommen und darauf, ob Peking bereit ist, seine Auffassungen über das Copyright noch einmal zu überdenken.

Der Mangel an Kapital

Westliche Technologie und westli- che Kenntnisse mögen durch for- ciertes Lernen und durch den Ein- kauf von Experten noch schnell aufgeholt werden können. Die Ak- kumulation von Kapital wird viel Zeit brauchen. Die Politik der

„Verteilung der Armut" und des

„Alles aus eigener Kraft", die eine Generation galt, hat zwar China die Unabhängigkeit gesichert und sie mag Propheten des „Neuen Menschen" befriedigt haben — sie hat aber Wachstum und Kapitalbil- dung behindert. China hat zwar Energiereserven, einen riesigen Markt und Hunderte von Millionen arbeitswilliger Menschen, aber es hat wenig Maschinen, kein Geld, um seine Bodenschätze auszu- baggern. Daher der Wunsch nach Krediten. Allerdings werden die Chinesen sehr bald in der Lage sein, vieles mit Öl zu bezahlen.

Denn die Chinesen wollen ihr Erd- öl nur zum geringen Teil selbst verbrauchen, sondern exportie- ren. Im Inland will man sich weit- gehend auf die Nutzung der Kohle beschränken. Wie bisher: das Kohlengeschäft gibt es in fast je- der Straße.

Die schwerfällige Planung Wie gesagt, Anzeichen lassen dar- auf schließen, daß China auf ein

„jugoslawisches Modell" hinsteu- ert. Das würde bedeuten, daß in allen Branchen — von der Industrie bis zu den Krankenhäusern — den

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Gestern, Heute, Morgen

Gestern: Die alten Paläste und Tempel werden sorgsam restauriert (und einige Tempel jetzt auch schon wieder durch Mönche versorgt). Linke Seite: die weiße Pagode in Peking aus dem Jahre 1651, darunter Bronzetiere aus dem Kaiserpa- last, Symbole der Unsterblichkeit. Heute:

Noch gibt es einige Schmelzöfen aus der

Zeit des „Großen Sprungs" (links außen), weit repräsentativer für das Heute sind jedoch die unzähligen Fahrräder (oben

„Parkplatz" vor einer Fabrik). Morgen:

Die Pläne für die 80er Jahre oder gar für das Jahr 2000 setzen auf Wachstum (rechts). Hongkong (unten), Wahrzei- chen des Wachstums an Chinas Tür — eine Vision für die Zukunft der Volks- republik? Fotos: Jachertz

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einzelnen Wirtschaftseinheiten mehr Selbständigkeit eingeräumt wird. Außerdem würde — was heu- te schon sichtbar wird — der Ge- winn wieder „hoffähig". Die jetzt probeweise eingeführten Prämien sollen jedenfalls Zug um Zug aus Gewinnen der Betriebe bezahlt werden. Freie Märkte gibt es in nennenswertem Umfang für land- wirtschaftliche Produkte. Dort werden zum Beispiel Überschüsse aus dem privat angebauten Land verkauft. Der neue Kurs unter- stützt auch diese Produktion. Die Landwirtschaft wird ohnehin durch eine Erhöhung der staatli- chen Ankaufspreise um 20 Pro- zent, bei einigen Produkten sogar mehr, zu erhöhter Leistung ange- spo rnt.

Die Angst der Führungskräfte Die scheint im Augenblick das größte Hemmnis zu sein, das einer auf Wachstum gerichteten Politik entgegensteht. Denn Marktwirt- schaft, die auf Leistungen des ein- zelnen beruht und nicht auf Befeh- len von Behörden, kann nur wir- ken, wenn viele bereit sind, Ver- antwortung zu übernehmen. Heu- te, so war auch von Wickert zu hören, sei in China vor allem die mittlere Führungsschicht verunsi- chert. Zu viele Kurswechsel habe es in den letzten Jahren gegeben und man warte, ob der neue Kurs dauerhaft genug ist, um sich auf ihn einstellen zu können.

Tatsächlich ist erstaunlich, mit welchem Hin und Her chinesische Arbeiter und Funktionäre seit 1949 fertig werden mußten. Es hat nur wenige Jahre einer kontinuierli- chen Politik gegeben. Nur ein ein- ziger der Fünfjahrespläne, näm- lich der vierte von 1971 bis 1975, konnte ohne Bruch abgeschlos- sen werden. Der 1976 eingeläutete erste Zehnjahresplan — das ist der, der im Westen die euphorischen Hoffnungen auf ein riesiges Chi- na-Geschäft weckte — wurde so- eben abgebrochen. Auf dem Volks- kongreß Ende Juni wurde nämlich ein „Anpassungsprozeß" von drei

Jahren verkündet. Dabei sollen die Wirtschaftszweige, deren „Rang- ordnung" neu festgelegt wurde, sich aufeinander einspielen: zu- erst die Landwirtschaft, dann die Leichtindustrie. In die Schwer- industrie wird zwar weniger inve- stiert als früher, sie behält aber weiterhin den Löwenanteil aus den staatlichen Investitionsfonds:

46,8 Prozent (Landwirtschaft 14, Leichtindustrie 5,8). Wissenschaft, Kultur und Erziehung, die zu- nächst ganz oben rangierten, scheinen mittlerweile weiter nach unten gerückt zu sein. Der oberste Planungschef nannte diesen Pla- nungsbereich in seiner Rede auf dem Volkskongreß erst an sieben- ter Stelle.

Was nicht bedeutet, daß die Wis- senschaft stagniert. In sie wird aber relativ weniger Geld inve- stiert, als in die übrigen Bereiche.

Auf die Medizin bezogen heißt das Ziel der Wissenschaftspolitik: Wis- senschaftliche Klärung — im natur- wissenschaftlichen Sinne — der traditionellen chinesischen Heil- methoden. Darunter werden im wesentlichen die Akupunktur und die Heilkräuter-Medizin verstan- den.

Das „Chinese Medical Journal", die einzige für das Ausland ge- dachte medizinisch-wissenschaft- liche Zeitschrift, hat ihr Redak- tionsprogramm weitgehend auf diese Fragen abgestellt. Was dort seit etwa einem Jahr zu lesen ist, ist durchaus eine Beschäftigung wert. Denn heute ist die chinesi- sche Medizin von Phrasen und Pa- rolen befreit. Was veröffentlicht wird, sind durchweg seriöse Un- tersuchungen. Während über Aku- punktur im Westen schon einiges bekannt ist, ist der Schatz der Heil- kräuter-Medizin bisher kaum ge- hoben. Hier scheint tatsächlich noch einiges auch für uns Nützli- che zu stecken. Die Entwicklung einer „Pille für den Mann" aus Ex- trakten der Baumwolle, wie un- längst bekanntgegeben wurde, ist nur ein Beispiel dafür. Für uns im Westen besteht ob solcher Mel- dungen gewiß die Pflicht, vorsich-

tig zu prüfen, aber genauso gewiß kein Anlaß zu wissenschaftlichem Chauvinismus.

Zu Beginn dieser Reportage war die Rede von Hongkong und da- von, daß sich ein westlicher Besu- cher, der gerade aus Rotchina kommt, in dieser Metropole des Kapitalismus wie erschlagen vor- kommt. Um ehrlich zu sein, die Phase der Zerschlagenheit dauer- te bei mir nur anderthalb Tage, dann hatte mich das vibrierende Leben in Hongkong angesteckt.

Die pulsierende Geschäftigkeit, das überwältigende Angebot. Ich konnte fast schon wieder verste- hen, daß sich Geschäftsleute, die aus Europa nach Hongkong kom- men, den Herausforderungen die- ser Stadt nicht entziehen können.

Der Traum vom chinesischen Manhattan — erregend

oder eher beklemmend?

Ob Hongkong, in dem sich das Wachstum so manifestiert, das rotchinesische Vorbild ist, weiß ich nicht. Aber eines weiß ich: Daß immer dort, wo in Südostasien Wachstum herrscht, dieses we- sentlich von Chinesen getragen wird. Es gibt in Rotchina eine Vi- sion vom Peking des Jahres zwei- tausend, in der, so wurde mir er- zählt, von einer Stadt der Wolken- kratzer und des brausenden Ver- kehrs geträumt wird. Uns aus dem Westen, die wir so etwas heute nicht mehr für den Fortschritt hal- ten, ergreift ob solcher Visionen eher Trauer; wir wünschen nicht, daß aus Peking das Manhattan im Reich der Mitte wird. Aber irgend- wo dazwischen, zwischen den ein- stöckigen Ziegelhäusern von heu- te und den 17stöckigen Wolken- kratzern Hongkongs, mag auch in China die Zukunft liegen.

Norbert Jachertz

Der Verfasser dankt den geduldigen Dol- metschern von Lüxingshe, den „Dien- sten in Übersee" und dem Reisebüro Rolf Dickopp, ohne die der Bericht nicht hätte geschrieben werden können. NJ

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