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Die Strukturreform der Sozialversicherung

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Academic year: 2022

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Masterarbeit

Die Strukturreform der Sozialversicherung durch das Sozialversicherungs-

Organisationsgesetz

-

Ausgewählte Aspekte unter Berücksichtigung der aktuellen höchstgerichtlichen Judikatur

eingereicht von Mag. Dr. Gernot Papst

zur Erlangung des akademischen Grades Master of Business Administration (MBA)

an der

Medizinischen Universität Graz

ausgeführt im Rahmen des Universitätslehrganges Health Care and Hospital Management

unter der Anleitung von

Assoz. Prof. Mag. Dr.iur. Susanne Kissich

Gratwein-Straßengel, 8.3.2021

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Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Gratwein-Straßengel, am 8.3.2021 Mag. Dr. Gernot Papst

(3)

Abstract

Die Strukturreform der Sozialversicherung durch das Sozialversicherungs- Organisationsgesetz - Ausgewählte Aspekte unter Berücksichtigung der aktuellen höchstgerichtlichen Judikatur

Mit dem in Kraft getretenen Sozialversicherungsorganisationsgesetz (SV-OG), BGBl I 2018/100, hat der Gesetzgeber die weitreichendste Strukturreform in der Geschichte der österreichischen Sozialversicherung seit dem Jahr 1955 beschlossen und zum größten Teil umgesetzt. Bereits in den letzten Jahren haben unterschiedlichste Studien Effizienzpotentiale in der Sozialversicherungslandschaft ausgewiesen. Mit dem SV-OG wurde nunmehr in Teilbereichen versucht diese Effizienzpotentiale zu heben um ein kosteneffizienteres (Selbst-)Verwaltungssystem zu ermöglichen.

Bei dieser Masterarbeit handelt es sich um eine Literaturrecherche, die einen Überblick über die zentralen Kernpunkte der Sozialversicherungsreform 2018 gibt.

Es werden die wesentlichen Änderungen durch die Reform (Sozialversicherungsträgerreduktion von 21 auf fünf, eine Restrukturierung der Selbstverwaltung sowie die Stärkung der staatlichen Aufsicht) eingehend beschrieben, wobei auch die aktuellen Erkenntnisse des VfGH zum SV-OG diskutiert werden.

Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) war ebenfalls durch diese Reform betroffen. Die hierbei vorgenommenen gesetzlichen Änderungen [Reduktion des Beitragssatzes für die Unfallversicherung, Änderung der Selbstverwaltungskörper und ihrer Aufgabenbereiche, Überführung von Teilen der Versicherten (Selbstständige und Bergarbeiter) an die SVS bzw an die BVAEB, Einzelverrechnung statt Pauschalverrechnung, verpflichtende Errichtung einer Betriebs-GmbH (§ 24 ASVG)] werden eingehend beschrieben.

Weiters werden die verfassungsrechtlichen Vorgaben in Bezug auf die Errichtung, Ausgestaltung und Änderung der nicht-territorialen Selbstverwaltung näher ausgeführt. Ausgehend von einem geschichtlichen Rückblick auf die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung und ihrer Defizite wird ein Modell einer zeitgemäßen, sachaufgabenorientierten und partizipativen Selbstverwaltung entwickelt, das auch auf die bekannten Defizite der Selbstverwaltung Rücksicht

(4)

Abstract

The Structural Reform of Social Insurance by Means of the Social Insurance -Organisation Act – Selected Aspects Taking Into Account Current Decisions of the Austrian Supreme Court

Since the year 1955 there has not been a more extensive structural reform of the Austrian social insurance system than the resolution and – for the most part - implementation of the social insurance-organisation act in 2018 (BGBI I 2018/100).

In previous years multiple studies have shown potential with regards to efficiency.

The aim of the newly implanted law was in parts to generally improve processes in order to achieve a cost-efficient system of (self-) administration.

This thesis uses literature research to be able to provide an overview of the most crucial aspects of the social insurance reform of 2018. It includes the most essential modifications prompted by the reform (reducing social insurance agencies from 21 to five, restructuring of self-administration, expanding state supervision), while taking into consideration current findings of the Austrian Supreme Court (VfGH).

The Allgemeine Unfallversicherung AUVA (public accident insurance agency) was also affected by the reform. The main focus of the thesis is to discuss the most important legislative alterations concerning the accident insurance agency in great detail. Examples of those changes are the reduction of the accident insurance contribution rate for employers, adjustments concerning the organisation and responsibilities of self-administration, merging certain groups of insured people into different accident insurance agencies, establishing single financial settlement instead of flat-rate financial settlement as well as the mandatory foundation of an LTD. In addition, constitutional requirements with regards to establishing, arranging and modifying the non-territorial self-administration are being closely described.

Finally, reflecting on the historical development of the social insurance system and its shortcomings, the thesis ends on the notion of drafting a concept of an up-to- date, content-based and participative self-administration while also targeting forementioned deficiencies.

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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis ... IV Rechtsquellenverzeichnis ... VI

1. Einleitung ... 1

2. Die „selbstverwaltete“ Sozialversicherung ... 3

2.1. Einleitung ... 3

2.2. Historische Entwicklung und Rolle der Selbstverwaltung ... 3

2.2.1. Historische Entwicklung der Selbstverwaltung... 3

2.2.2. Rolle der Selbstverwaltung ... 8

2.3. Die Selbstverwaltung der Sozialversicherung in einer modernen digitalen Welt – Die Vision einer zeitgemäßen, sachaufgabenorientierten und partizipativen Selbstverwaltung ... 10

2.3.1. Überblick ... 10

2.3.2. Defizite und Strukturprobleme der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ... 12

2.3.2.1. Überblick ... 12

2.3.2.2. Geringer Bekanntheitsgrad der Selbstverwaltung ... 13

2.3.2.3. Mangelhafte Qualifikation der Mitglieder der Selbstverwaltung .. 13

2.3.2.4. Intransparenz bei der Bestellung der Selbstverwaltungsmitglieder ………13

2.3.2.5. Hohe Komplexität der sozialrechtlichen Vorschriften samt Informationsmangel ... 14

2.3.2.6. Unübersichtliche Verwaltungsorganisation... 14

2.3.2.7. Egoismen der einzelnen Träger ... 14

2.3.3. Konkrete Reformvorschläge zur Modernisierung der Selbstverwaltung in Österreich ... 15

2.3.3.1. Gedanken zu einer sachlichen Reform der Sozialversicherung . 15

(6)

2.3.3.2. Reduktion der Sozialversicherungsträger und Schaffung

übersichtlicher und verständlicher Vorschriften ... 16

2.3.3.3. Professionelle Öffentlichkeitsarbeit ... 17

2.3.3.4. Modernisierung des Bestellungssystems der Organe der Selbstverwaltung und Aufwertung der Tätigkeit der höchsten Selbstverwaltungsorgane ... 18

2.3.3.5. Stärkere Partizipation der Versicherten ... 19

2.3.3.6. Aufbau einer internen Streitschlichtung ... 19

2.3.4. Ergebnis ... 20

3. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Errichtung, Ausgestaltung und Änderung der nicht-territorialen Selbstverwaltung ... 22

3.1. Überblick ... 22

3.2. Der eigene Wirkungsbereich und die Finanzierung der Selbstverwaltung ……….24

3.3. Demokratische Legitimation der Selbstverwaltungskörper in der Sozialversicherung ... 25

3.4. Das Aufsichtsrecht ... 26

4. Sozialversicherungsorganisationsgesetz (SV-OG) ... 28

4.1. Kernelemente der Reform ... 28

4.1.1. Reduzierung der Sozialversicherungsträger ... 28

4.1.2. Änderung der Organstruktur der Selbstverwaltungskörper ... 31

4.1.2.1. Selbstverwaltungskörper und deren Besetzung ... 31

4.1.2.1.1. Der Verwaltungsrat ... 32

4.1.2.1.2. Die Hauptversammlung ... 33

4.1.2.1.3. Die Landesstellenausschüsse ... 33

4.1.2.1.4. Die Besetzung der Selbstverwaltungskörper ... 34

4.1.2.2. Tabellarische Darstellung der wichtigsten gesetzlichen Bestimmungen im Zusammenhang mit der Organstruktur der Selbstverwaltungskörper idF SV-OG ... 36

(7)

4.1.3. Das neue Aufsichtsrecht des Staates ... 40

4.1.3.1. Allgemeines ... 40

4.1.3.2. Einspruchsrecht mit aufschiebender Wirkung gegen bestimmte Beschlüsse ... 40

4.1.3.3. Beschlussvertagungsrecht der Aufsichtsbehörde bzw des BMF 42 4.1.3.4. Genehmigung von Dienstpostenplänen ... 43

4.1.3.5. Festlegung von Grundsätzen für die Bedarfsprüfung bei Bauangelegenheiten ... 44

4.1.3.6. Abstimmungserfordernis im Bereich der Zielsteuerung- Sozialversicherung ... 44

4.1.3.7. Aufsichtsrechte im Bereich der Gebarungsvorschaurechnung und des Rechnungsabschlusses ... 45

5. Die Auswirkungen des SV-OG auf die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) ... 47

5.1. Allgemeines ... 47

5.2. Reduktion des Beitragssatzes für die Unfallversicherung ... 48

5.3. Änderung der Selbstverwaltungskörper und ihrer Aufgabenbereiche .... 49

5.4. Überführung von Teilen der Versicherten (Selbstständige und Bergarbeiter) an die SVS bzw an die BVAEB ... 50

5.5. Einzelverrechnung statt Pauschalverrechnung ... 51

5.6. Verpflichtende Errichtung einer Betriebs-GmbH ... 51

6. Beurteilung und Resümee ... 53 Literatur- und Judikaturverzeichnis ... V

Aus Gründen der Lesbarkeit wird in dieser Arbeit darauf verzichtet geschlechtsspezifische Formulierungen zu verwenden. Soweit personenbezogene Bezeichnungen nur in männlicher Form angeführt sind beziehen sie sich auf Männer und Frauen in gleicher Weise.

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Abkürzungsverzeichnis

Abs Absatz

ABl Amtsblatt der Europäischen Union

Art Artikel

AUVA Allgemeine Unfallversicherungsanstalt BGBl Bundesgesetzblatt

BKA Bundeskanzleramt

BMASGK Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz

BMF Bundesministerium für Finanzen

BMöDS Bundesministerium für den öffentlichen Dienst

bsw beispielsweise

BVA Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter

BVAEB Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau

c-alm (AG) Beratungsunternehmen und Softwareentwicklerin für Vorsorgeeinrichtungen, Versicherungen und weitere Unternehmen

DRdA Das Recht der Arbeit

G Gesetzesprüfungsverfahren (VfGH) GKK Gebietskrankenkasse(n)

idF in der Fassung

IHS Institut für höhere Studien iVm in Verbindung mit

JBl Juristische Blätter

(9)

lit litera

LSE London School of Economic

ÖGK Österreichische Gesundheitskasse

ÖZPR Österreichische Zeitschrift für Pflegerecht PVA Pensionsversicherungsanstalt

SozSi Soziale Sicherheit – Fachzeitschrift der österreichischen Sozialversicherung

StenProt Stenographisches Protokoll

SVA Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft SVB Sozialversicherungsanstalt der Bauern

SVS Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen

ua unter anderem

VAEB Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau VfGH Österreichischer Verfassungsgerichtshof

VfSlg Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des VfGH

ZAS Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht

(10)

Rechtsquellenverzeichnis

AngVersG Bundesgesetz vom 29. Dezember 1926, betreffend die Kranken-, Stellenlosen-, Unfall- und Pensionsversicherung der Angestellten (Angestelltenversicherungsgesetz), BGBl 1926/388 wiederverlautbart durch BGBl 388/1928

ASVG Bundesgesetz vom 9. September 1955 über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz – ASVG), BGBl 189/1955

BergG Allgemeines Berggesetz für das Kaisertum Österreich vom 13.

Mai 1854, RGBl 146/1854

BFRG 2021-2024 Bundesgesetz, mit dem das Bundesfinanzrahmengesetz 2021 bis 2024 erlassen wird (BFRG 2021-2024), BGBl I 123/2020 B-KUVG Bundesgesetz vom 31. Mai 1967 über die Kranken- und

Unfallversicherung öffentlich Bediensteter (Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz – B-KUVG), BGBl 200/1967 BSVG Bundesgesetz vom 11. Oktober 1978 über die

Sozialversicherung der in der Land- und Forstwirtschaft

selbständig Erwerbstätigen (Bauern-

Sozialversicherungsgesetz – BSVG), BGBl 559/1978

BVergG 2018 Bundesgesetz über die Vergabe von Aufträgen (Bundesvergabegesetz 2018 – BVergG 2018), BGBl I 65/2018 B-VG Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl 1/1930

(11)

GewO Kaiserliches Patent vom 20. December 1859, womit eine Gewerbe-Ordnung für den ganzen Umfang des Reiches, mit Ausnahme des venetianischen Verwaltungsgebietes und der Militärgränze, erlassen, und vom 1. Mai 1860 angefangen in Wirksamkeit gesetzt wird, RGBl 227/1859

GmbHG Gesetz vom 6. März 1906, über Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH-Gesetz – GmbHG), RGBl 58/1906

GRC Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 18.12.2000, ABl C 326/2012

GSVG 1935 Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG) vom 30.3.1935, BGBl 107/1935

GSVG Bundesgesetz vom 11. Oktober 1978 über die Sozialversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen (Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz – GSVG), BGBl 560/1978

KVG Gesetz vom 30. März 1888, betreffend die

Krankenversicherung der Arbeiter, RGBl 33/1888

NVG 2020 Bundesgesetz zur Überführung der Versicherungsanstalt des österreichischen Notariates in eine Versorgungsanstalt des österreichischen Notariates und Notarversorgungsgesetz (NVG 2020), BGBl I 100/2018

RAngVG Reichsangestelltenversicherungsgesetz - (Deutsches) Versicherungsgesetz für Angestellte vom 20. Dezember 1911, RGBl 68/1911 (S. 989 ff) in Österreich durch

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Einführungsverordnung vom 22.12.1938 mit Geltung ab 1.1.1939 eingeführt

RVO Reichsversicherungsverordnung vom 19.6.1911, RGBl I 1911 (S. 506) in Österreich durch Einführungsverordnung vom 22.12.1938 mit Geltung ab 1.1.1939 eingeführt

R-ÜG Verfassungsgesetz vom 1. Mai 1945 über die Wiederherstellung des Rechtslebens in Österreich (Rechts- Überleitungsgesetz - R-ÜG), StGBl 6/1945

StGG Staatsgrundgesetz vom 21. December 1867, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder, RGBl 142/1867

SV-OG Sozialversicherungs-Organisationsgesetz – SV-OG, BGBl I 100/2018 (Stammfassung)

SVSG Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen erlassen wird (Selbständigen-Sozialversicherungsgesetz – SVSG), BGBl I 100/2018

SV-ÜG 1947 Bundesgesetz vom 12. Juni 1947 über die Überleitung zum österreichischen Sozialversicherungsrecht

(Sozialversicherungs-Überleitungsgesetz – SV-ÜG), BGBl 142/1947

UVG Gesetz vom 28. Dezember 1887, betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter, RGBl 1/1887

(13)

1. Einleitung

Mit dem in Kraft getretenen Sozialversicherungsorganisationsgesetz (SV-OG), BGBl I 2018/100, hat der Gesetzgeber die weitreichendste Strukturreform in der Geschichte der österreichischen Sozialversicherung seit dem Jahr 1955 beschlossen und zum größten Teil umgesetzt. Bereits in den letzten Jahren haben unterschiedlichste Studien [zB IHS, Zukunft der Sozialen Krankenversicherung - Entwicklungsmöglichkeiten für Österreich (2017); c-alm, Effizienzpotentiale in der Sozialversicherung (2017); LSE, Effizienzanalyse des österreichischen Sozialversicherungs- und Gesundheitssystems (2017)] Effizienzpotentiale in der Sozialversicherungslandschaft ausgewiesen. Mit dem SV-OG wurde nunmehr in Teilbereichen versucht, diese Effizienzpotentiale zu nutzen, um ein kosteneffizienteres Verwaltungssystem – und durch die hierbei frei werdenden Mittel ein qualitativ hochwertigeres Gesundheitssystem insbesondere im Bereich der extramuralen Versorgung – zu ermöglichen (ErläutRV 329 BlgNR 26. GP 1 ff).

Als Kernpunkte dieser Reform sind die Sozialversicherungsträgerreduktion von 21 auf fünf, eine Restrukturierung der Selbstverwaltung sowie die Stärkung der staatlichen Aufsicht zu nennen. Gleichzeitig sollte jedoch der Grundsatz der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung beibehalten werden (Vortrag an den Ministerrat, Sozialversicherungsorganisation der Zukunft 19/16 vom 23. 5. 2018;

BKA-351.000/0030-MRD/2018, BMöDS-11220/0012-I/A/5/2018, BMASGK- 21117/0001-II/A/1/2018) (Aubauer und Rosenmayr-Khoshideh 2019).

Das Herz der Sozialversicherung stellt ihre Selbstverwaltung durch die Versicherten selbst dar. Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung entspringt einem geschichtlichen Grundkonsens zwischen Politik und Sozialpartnern. Es ist daher zunächst die Entstehungsgeschichte der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung darzustellen, um aktuelle Änderungen durch das SV-OG aus dem Blickwinkel der Geschichte betrachten zu können. Weiters sollen sowohl bekannte als auch aktuelle Problemstellungen der Selbstverwaltung der Sozialversicherung einer näheren Prüfung unterzogen und ein Modell einer

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zeitgemäßen, sachaufgabenorientierten und partizipativen Selbstverwaltung entworfen werden (Kapitel 2).

Für die Errichtung, Ausgestaltung und Änderung der nicht-territorialen Selbstverwaltung gibt die Verfassung einen Rahmen vor, der in Kapitel 3 behandelt wird. Grundsätzlich liegt es gemäß Art 120a Abs 1 B-VG im Ermessen des zuständigen Gesetzgebers, ob er Selbstverwaltungskörper einrichtet oder nicht. Hinsichtlich der tatsächlichen inneren und äußeren Ausgestaltung der Selbstverwaltungskörper sind dem Gesetzgeber jedoch durch die Verfassung Grenzen gesetzt. Hierbei sind vor allem Art 120a ff B-VG (Konzeption der Selbstverwaltung) sowie das aus dem Gleichheitsgrundsatz (Art 7 B-VG, Art 2 StGG; Art 20 GRC) abgeleitete Sachlichkeitsgebot zu beachten (Cerny 2018;

Lachmayer und Öhlinger 2019).

In Kapitel 4 werden die oben genannten zentralen Kernpunkte der Reform überblicksmäßig dargestellt (Sozialversicherungsträgerreduktion, Restrukturierung der Selbstverwaltung sowie Stärkung der staatlichen Aufsicht), wobei die aktuellen Erkenntnisse des VfGH (13.12.2019, G 211-213/2019, G 119-120/2019, G 67- 71/2019, G 78-81/2019) zum SV-OG berücksichtigt werden.

Kapitel 5 soll einen Überblick über die unmittelbaren Auswirkungen des SV-OG auf die AUVA geben. Den Abschluss dieser Arbeit bildet eine Beurteilung dieser Reform samt kurzem Resümee (Kapitel 6).

Bei der nachfolgenden Arbeit handelt es sich um eine rechtswissenschaftliche Literaturrecherche. Zur besseren Lesbarkeit wird auf die Zitate der Rechtsgrundlagen im Fließtext verzichtet. Diese sind aus dem Rechtsquellenverzeichnis ersichtlich. Sofern Bestimmungen des ASVG, des B- KUVG, des SVSG, des NVG 2020 bzw des SV-OG zitiert werden, sind diese in der Fassung des SV-OG, BGBl I 100/2018, zu verstehen. Auf andere Fassungen wird eigens im Text hingewiesen.

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2. Die „selbstverwaltete“ Sozialversicherung

2.1. Einleitung

Die Sozialversicherung zählt zweifelsohne zu den größten und wichtigsten Errungenschaften des Sozialstaates. Ausgehend von den Bismarck´schen Gesetzen, deren Ziel es war, das Elend von unversorgten Menschen hintanzuhalten und somit soziale Unruhen zu verhindern, hat sich die Sozialversicherung in Österreich vor allem durch die Verantwortungsübertragung auf die Versicherten selbst (Selbstverwaltung) zu einem leistungsfähigen Versorgungssystem entwickelt, das die Menschen vor den Risiken des Lebens (ua Krankheit, Unfälle, Alter) schützt. Eine derartige Entwicklung wäre ohne die Selbstverwaltung, die lange Zeit durch den sozialpartnerschaftlichen Dialog und Kompromiss geprägt war, nicht denkbar (Cerny 2018; Dimmel und Schmid 2019).

Die selbstverwaltete Sozialversicherung darf jedoch kein statisches Gebilde sein.

Sie muss sich stets weiterentwickeln und für Reformen offen sein. Zu allen Zeiten gilt es an einer positiven Weiterentwicklung dieses nachhaltigen Systems interessiert zu sein, um es zukunftsfit zu gestalten. Hierbei müssen jedoch auch vermeintliche Defizite der Vergangenheit schonungslos angesprochen werden.

Nur auf diese Weise ist es möglich, neue Visionen zu entwickeln. Bei all diesen Überlegungen müssen jedoch die Einbindung und Beteiligung der Versichertengemeinschaft und das Streben nach Gemeinwohl tragende Prinzipien der selbstverwalteten Sozialversicherung bleiben (Cerny 2018; Dimmel und Schmid 2019).

2.2. Historische Entwicklung und Rolle der Selbstverwaltung

2.2.1. Historische Entwicklung der Selbstverwaltung

Als Geburtsstunde der gesetzlichen Sozialversicherung in unserem heutigen (österreichischen) Verständnis gilt die Verabschiedung des UVG und des KVG in den Jahren 1887 und 1888. Es ist jedoch anzumerken, dass es bereits zuvor auf Grundlage anderer gesetzlicher Bestimmungen [zB kam es auf Grundlage des

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BergG 1854 bzw der GewO 1859 zur Einrichtung von Bruderladen bzw Gewerbe(betriebs)krankenkassen] zur Etablierung verschiedenster Vorsorgekassen gekommen ist. In diese ersten Kassen wurden ursprünglich Beiträge ausschließlich von den Dienstnehmern einbezahlt. Verwaltet wurden die Beiträge jedoch von den Dienstgebern. Dies änderte sich mit der Gründung einer

„Allgemeinen Arbeiter-Kranken- und Invalidenkasse“ auf Vereinsbasis im Jahr 1868. Diese Vorsorgekasse stand allen Dienstnehmern offen und wurde auch ausschließlich von den Versicherten verwaltet (Wedrac 2013, 2016; Müller 2019a).

Die durch das UVG (§ 9 UVG) und das KVG (§ 12 KVG) etablierten Unfallversicherungsanstalten und Krankenkassen wurden bereits per gesetzlicher Definition zu Trägern einer Versicherung, die auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit beruhen. Der Gegenseitigkeitsgrundsatz bildet hierbei das Fundament unserer heutigen Selbstverwaltung (Müller 2019a) und kann wie folgt definiert werden:

1. Der Versicherungsträger „versichert seine Mitglieder. Das Mitgliedschaftsverhältnis umfasst zugleich ein Versicherungsverhältnis;

Mitgliedstellung und Versichertenstellung fallen zusammen.

2. Die Mitglieder bringen die Mittel für den Versicherungsbetrieb auf; sie tragen gemeinsam Gewinn und Verlust.

3. Die Mitglieder üben in der obersten Vertretung […] die Kontrolle über die Unternehmensführung aus; sie haben die letzte Entscheidungsgewalt über die Grundfragen der Geschäftspolitik.“ (Grofsfeld 1985).

Das maßgebliche Hauptorgan des Unfallversicherungsträgers des UVG 1887 war der Vorstand. Weitere Organe gab es zu Beginn nicht. Der Vorstand bestand aus einer durch drei teilbaren Anzahl an Mitgliedern. Die Mustergeschäftsordnung sah eine Anzahl von 18 Mitgliedern vor. Ein Drittel der Mitglieder wurde hierbei vom Innenminister bestimmt, ein Drittel wurde durch Wahl aus dem Kreis der Betriebsunternehmer und ein Drittel durch Wahl aus dem Versichertenkreis festgelegt. Das Exekutivorgan des Vorstandes war der Verwaltungsausschuss, der aus einem Obmann, einem Obmann-Stellvertreter und weiteren drei Vorstandsmitgliedern (eine Person je Kurie) bestand. Der Verwaltungsausschuss

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entschied über die Versicherungspflicht sowie über Versicherungsleistungen (Müller 2019a).

Die nach Vorgabe des Innenministeriums auf Grundlage des KVG 1888 in jedem Sprengel eines Gerichtsbezirkes eingerichteten Bezirkskrankenkassen sahen vier maßgebende Organe vor: Vorstand, Generalversammlung, Überwachungsausschuss und Schiedsgericht. Der Vorstand bestand einerseits aus Mitgliedern der Kasse, die durch die Generalversammlung gewählt wurden, andererseits aus Dienstgebervertretern. Ihnen wurden, obwohl sie nicht zur Versichertengemeinschaft zählten, mittels Gesetz Sitze in den einzelnen Organen eingeräumt. Es wurde jedoch festgeschrieben, dass „der Anteil der Stimmen der Dienstgeber an der Verwaltung der Bezirkskrankenkasse […] im Verhältnis der von diesen Dienstgebern aus eigenen Mitteln zu zahlenden Beiträge zu dem Gesamtbetrag der Beiträge zu bemessen war“ (Müller 2019a). Vorbild hierfür war wohl das damals übliche Kurien- bzw Zensuswahlrecht. Der Anteil der Dienstgeber im Vorstand und im Überwachungsausschuss durfte jedoch nicht mehr als ein Drittel ausmachen (Müller 2019a).

Neben den Leistungen der Bezirkskrankenkassen wurde auch die Krankenversicherungsbeitragshöhe statutarisch durch die Krankenkassen selbst festgelegt. Die erforderlichen Mittel wurden nach versicherungstechnischen Grundsätzen bemessen und grundsätzlich durch Beiträge (jedoch maximal drei Prozent des Lohnes) der Versicherten (Anteil: zwei Drittel) und der Dienstgeber (Anteil: ein Drittel) aufgebracht (Müller 2019a).

Mit dem AngVersG 1926 kam es zur Einführung einer allgemeinen (Kranken-) Pflichtversicherung für alle Angestellten. Gleichzeitig wurden die bestehenden Ersatzkassen beseitigt und die Versicherungszweige (samt der sogenannten

„Stellenlosenversicherung“) in einem Gesetz vereinigt. Weiters wurde erstmals ein Unfallversicherungsschutz für alle Angestellten eingeführt. Das Gesetz schrieb auch eine gleichmäßige Aufteilung der Beitragslast auf Dienstnehmer und Dienstgeber vor, wobei die Beitragslast der Dienstnehmer maximal 15% ihrer Geldbezüge betragen durfte. Jener Teil, der über dieser prozentualen Schwelle

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Leistungserbringung, Festlegung der Beitragshöhe sowie Beitragslastenverteilung zwischen Dienstgebern und Dienstnehmern wurden nun nicht mehr der Selbstverwaltung überlassen (Müller 2019a).

Die Hauptversammlungen sowie der Vorstände der Hauptanstalt (daneben gab es in den jeweiligen Ländern „Versicherungskassen der Angestellten“, ähnlich den Gebietskrankenkassen) und der Sonderversicherungsanstalten (Pensionsversicherung und Unfallversicherung) waren nach AngVersG 1926 mit Dienstnehmer- und Dienstgebervertretern zu gleichen Teilen zu besetzen.

Gleichzeitig sah das AngVersG 1926 vor, dass die Hauptversammlungen und die Vorstände der (Länder)Versicherungskassen sowie der Krankenversicherungsausschüsse der Sonderversicherungsanstalten nur zu einem Fünftel aus Dienstgebervertretern und vier Fünftel aus Dienstnehmervertretern zu bestellen sind. Als Ausgleich hierfür wurde im Überwachungsausschuss dieses Verhältnis umgedreht. Das Ausmaß des Einflusses der Dienstgeber war lange Zeit äußerst strittig. Der endgültigen Regelung ging ein langes Kräftemessen zwischen den jeweiligen Kurien der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber voran, das jedoch schlussendlich zu Gunsten der Arbeitnehmervertreter entschieden wurde. Erstmals konnten die Versicherten ihre Versicherungsvertreter in einer „Sozialversicherungswahl“ nach den Grundsätzen der Verhältniswahl selbst bestimmen (Müller 2019a; Steiner 2019).

Auch das 1927 verabschiedete Arbeiterversicherungsgesetz (BGBl 1927/125) orientierte sich nunmehr am im Angestelltenversicherungsgesetz vorgesehenen Vertretungsverhältnis der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerkurie (Hauptversammlung und Vorstand der Krankenkasse 1:4 bzw Überwachungsausschuss 4:1) (Müller 2019a).

Die Einführung des Verhältniswahlrechtes durch das AngVersG 1926 und das damit verbundene Abgehen vom Zensuswahlrecht läutete – entsprechend des Verhältnisses zwischen der Anzahl der Versicherten und der Anzahl der jeweiligen Arbeitgeber – die Reduzierung der Anzahl der Arbeitgebervertreter in den Selbstverwaltungen ein. Im Ergebnis kam es somit zu einem Kurienwahlsystem

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der Dienstgeber und der Dienstnehmer unter Berücksichtigung der Verhältniswahl (Müller 2019a).

Im Ständestaat wurde im Jahr 1935 das GSVG 1935 verabschiedet. Dieses sah einerseits eine Veränderung der Zusammensetzung der Krankenversicherungsgremien (§ 21 GSVG 1935; Verhältnis Dienstgeber zu Dienstnehmer von 1:4 auf 1:2) sowie andererseits die Abschaffung der direkten Wahl der Vertretungsorgane in der Selbstverwaltung vor. Das Wahlrecht musste einem Entsendungsrecht („indirekte Wahl“) der einzelnen Berufsgruppen (je nach der Größe der Berufsgruppe) weichen (Steiner 2019; Müller 2019a).

Mit dem Anschluss Österreichs an Deutschland wurden in Österreich die deutsche RVO und das RAngVG eingeführt, die ein gänzliches Abgehen von einem selbstverwalteten Sozialversicherungssystem vorsahen. (Cerny 2018; Steiner 2019; Müller 2019a)

Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft wurde mittels R-ÜG 1945, die deutsche RVO sowie das RAngVG größtenteils in den Rechtsbestand der 2. Republik übernommen, jedoch die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung wieder eingeführt. Das SV-ÜG 1947 sah nach abermaligem zähem Ringen in Bezug auf das Vertretungsverhältnis in den diversen Sozialversicherungsträgern unterschiedliche Vertretungsverhältnisse zwischen Dienstgebern und Dienstnehmern vor:

 Unfallversicherung 1:1

 Pensionsversicherung 1:2

 Krankenversicherung 1:4

In Überwachungsausschüssen wurde dieser Vertretungsschlüssel naturgemäß umgedreht. Die direkte Wahl der Versicherungsvertreter wurde jedoch nicht wieder eingeführt. Man verblieb bei der abgeleiteten Wahl der Versicherungsvertreter nach Maßgabe der Wahlen der gesetzlichen Berufsvertretungen und orientierte sich somit am System des ständestaatlichen GSVG 1935 (Cerny 2018; Steiner 2019; Müller 2019a).

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Dieses Vertretungsregelungswerk wurde in weiterer Folge vom Stammgesetz des ASVG übernommen und bis zum Inkrafttreten des SV-OG weitestgehend (aus dem Überwachungsausschuss wurde die Kontrollversammlung) nicht verändert (Müller 2019a).1

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die imparitätische Besetzung der Selbstverwaltungsorgane in der Krankenversicherung durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter mit einem steten Überwiegen der Stimmanteile zu Gunsten der Arbeitnehmervertreter selbst in der Zeit des Austrofaschismus im historischen Rückblick die soziale Selbstverwaltung kennzeichnet. Diese geschichtliche Tatsache mag für sich alleine keine rechtlichen Vorgaben für die jeweilige Beteiligung der Kurien rechtfertigen. Fakt ist jedoch, dass die Sicherung eines möglichst großen Einflusses in den Selbstverwaltungskörpern der Sozialversicherungen bereits 1927, 1947 und nunmehr 2019 stets einen heftigen Schlagabtausch zwischen den politischen Parteien herbeiführte. Dies ist im Ergebnis auch nicht verwunderlich, da die Selbstverwaltung in den Sozialversicherungen ein Milliardenbudget verwaltet (Müller 2019a; Müller 2019b).

2.2.2. Rolle der Selbstverwaltung

Die unterschiedlichsten Aufgaben der Sozialversicherungsträger, die gesetzlich klar vorgegeben sind (zB ASVG, BSVG), werden von Gremien (zB Verwaltungsrat) der Sozialversicherung, die als juristische Personen des öffentlichen Rechtes eingerichtet sind, wahrgenommen. Die Selbstverwaltung ist geprägt von ihrer Unabhängigkeit von der staatlichen Verwaltung und ist auf Grund der Gesetze nur sich selbst sowie der Versichertengemeinschaft gegenüber verantwortlich. Diese relative Unabhängigkeit sollte eine versichertennahe, sachkundige, demokratisch legitimierte, unbürokratische und kostengünstige Verwaltung sicherstellen (Rudda 2000).

Das SV-OG brachte zwar eine bedeutende Aufwertung der Rolle der Verwaltung in der Sozialversicherung (siehe § 432 Abs 1 ASVG), nach wie vor führt jedoch die

1

(21)

Selbstverwaltung (Verwaltungsrat) die Geschäfte. Das maßgebliche Gremium hierbei, der Verwaltungsrat, ist in seiner Tätigkeit weisungsfrei, unterliegt jedoch der Aufsicht des Gesundheits- und des Finanzministeriums. Die Selbstverwaltung ist – wie bereits oben angemerkt – durch Versicherungsvertreter repräsentiert, die überwiegend ehrenamtlich tätig sind. Sie erhalten pro Sitzung ausschließlich eine Sitzungsentschädigung (2021: ca € 50 pro Sitzung; siehe Funktionsgebühren- und Sitzungsgeld-Verordnung, BGBl II 2014/75 idF BGBl II 2019/82.) Nur wenige leitende Funktionäre (zB Vorsitzende des Verwaltungsrates) erhalten eine monatliche Aufwandsentschädigung iHv (maximal) 40% des Bezuges eines Nationalratsabgeordneten. Die Selbstverwaltung trägt die Letztverantwortung und schuldet der Versichertengemeinschaft und den tausenden von Angestellten der Sozialversicherungsträger eine ordnungsmäße und gesetzeskonforme Ausübung ihres Amtes basierend auf den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit (Dimmel und Schmid 2019).

Die Selbstverwaltung spielt neben ihrer administrativen auch eine bedeutende sozialpolitische Rolle. Diese sozialpolitischen Sonderfunktionen der Selbstverwaltung haben sich in Österreich geschichtlich entwickelt und spiegeln sich in zwei wesentlichen Elementen wider: Erstens kommt im Gesamtgefüge der gesetzlichen Rahmenbedingungen der Selbstverwaltung der Auftrag zu, die soziale Sicherheit in Österreich zu gewährleisten und mittels demokratischer Strukturen zu verwalten. Zweitens wurde die Verwaltung dieser Sozialversicherungsstruktur jenen Gruppen des Staates (Arbeitnehmer- und Arbeitgebergruppe) anvertraut, die unmittelbar an diesem System beteiligt sind und gleichzeitig auch maßgeblichen Einfluss auf die Sozial- und Wirtschaftspolitik des Landes ausüben (Weissenberg 1973; Dimmel und Schmid 2019; HVB 2019).

Die soziale Selbstverwaltung österreichischer Prägung hat somit entgegen der allgemeinen Auffassung der Selbstverwaltung als liberalistisches Abwehrinstrument eine Vermittlerrolle inne. Sie soll die komplexen gesetzlichen Aufgaben im Sinne der betroffenen Versicherten zur Umsetzung bringen und hierbei auch soziale Aspekte einfließen lassen. Dies ist eine klare politische Funktion (Weissenberg 1973; Dimmel und Schmid 2019).

(22)

Die Selbstverwaltung in Österreich ist stark durch das System der Sozialpartnerschaft geprägt. Die Sozialpartnerschaft in Österreich ist stets durch den konkordanzpolitischen Kompromiss geprägt. Mehrheitsentscheidungen sind bzw waren diesem System fremd. Dies führte auch zu einer starken gesetzlichen Einbindung der Kurie der Dienstgeber (siehe ASVG-Stammgesetz 1955).

Dienstgeber sollten so bei wichtigen Entscheidungen maßgeblichen Einfluss nehmen können und somit eine erhöhte Mitverantwortung tragen. Weiters war es zum Zeitpunkt der Verabschiedung der ASVG-Stammfassung erklärtes Ziel, eine positive Einstellung der Dienstgeber zum System der sozialen Sicherheit, welches sie auch erheblich mitfinanzierten, durch Einbindung in Entscheidungsprozesse zu erreichen (Dimmel und Schmid 2019; Müller 2019b). Dies geht insbesondere aus diversen Wortmeldungen der Nationalratsabgeordneten im Rahmen der 79.

Sitzung des Nationalrates vom 9. September 1955 hervor (StenProt 9.9.1955, 79.

Sitzung VII. GP).

Auf Grund der Reform der Sozialversicherung durch das SV-OG kommt es, wie im folgenden Kapitel dargestellt wird, zu einem Abgehen des sozialpartnerschaftlichen Gleichgewichtes durch Herbeiführung einer zumeist deutlichen Dominanz der Dienstgeberkurie. Das Abweichen vom Regime des Kompromisses und der gegenseitigen Einbindung und die Etablierung eines Systems der Mehrheitsentscheidungen stellt auf absehbare Zeit eine Gefahr für die Selbstverwaltung der Sozialversicherung dar. Diese Entwicklung gilt es einer genauen Betrachtung zu unterziehen (Dimmel und Schmid 2019; HVB 2019).

2.3. Die Selbstverwaltung der Sozialversicherung in einer modernen digitalen Welt – Die Vision einer zeitgemäßen, sachaufgabenorientierten und partizipativen Selbstverwaltung

2.3.1. Überblick

Länder die einen hohen Zivilisationsgrad erreicht haben und in denen ein starkes demokratisches Bewusstsein vorherrscht, tendieren dazu, spezielle Bereiche der öffentlichen Verwaltung in die Hände jener Menschen zu legen, die unmittelbar davon berührt sind. Diese Form der Verwaltung funktioniert jedoch nur solange

(23)

das Gemeinwohl der gesamten Versichertengemeinschaft im Fokus aller Überlegungen und Entscheidungen steht. Eigeninteressen dürfen hierbei keine Rolle spielen und würden das Gesamtsystem gefährden (Herzog 1991).

Neben dem stets zu beachtenden Fokus auf das Gemeinwohl muss sich auch jegliche Art der Selbstverwaltung der Herausforderungen der modernen und vor allem digitalen Welt stellen. Probleme und Versäumnisse der letzten Jahrzehnte müssen bei geplanten Reformen der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung berücksichtigt werden.

Der Gesetzgeber hat mit einer umfassenden Reform der Sozialversicherung (SV- OG) erhebliche Systemänderungen vorgenommen. Diese werden in den Kapitel 3, 4 und 5 einer näheren Betrachtung unterzogen. Fraglich bleibt jedoch am Ende, ob die bereits seit Jahrzehnten bestehende Defizite dieses Systems mit der oben genannten Reform beseitigt wurden. Um eine zeitgemäße, sachaufgabenorientierte und partizipative Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, die auf die Anforderungen einer modernen und digitalen Welt vorbereitet ist, zu gestalten, müssen meiner Meinung nach all die bekannten Probleme und Versäumnisse der letzten Jahrzehnte praktikablen und zukunftsweisenden Lösungen zugeführt werden. Man muss sicher daher zu allererst diesen Problemstellungen widmen, um ein tragfähiges Konstrukt für eine gelungene Reform zu erhalten.

Nachfolgend werden somit zu Beginn Probleme und Versäumnisse der Vergangenheit beschrieben. Basierend auf diesen Erkenntnissen werden Lösungsansätze entwickelt, die zur Entwicklung einer modernen Selbstverwaltung beitragen sollen. Als Vorgriff auf die nachfolgenden Kapitel wird die Reform der Sozialversicherung im Jahr 2018 einer Begutachtung unterzogen und geprüft, ob bekannte Problemstellungen durch die Reform beseitigt wurden.

(24)

2.3.2. Defizite und Strukturprobleme der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung

2.3.2.1. Überblick

Wie bereits oben dargestellt, standen am geschichtlichen Beginn der Sozialversicherungen Zusammenschlüsse von Arbeitern, die sich auf Vereinsbasis zu einer (Gefahren-)Gemeinschaft zusammenschlossen. Sie zahlten Teile ihres Arbeitslohnes in eine gemeinsame Kasse ein, um im Falle einer Bedrohung ihrer Existenz (zB durch einen Unfall oder eine Erkrankung) abgesichert zu sein. Auf Grund der eher geringen Anzahl an Mitgliedern war die Gruppe überschaubar. Es konnte daher ein besonderes Vertrauensverhältnis aufgebaut werden, das einen Missbrauch von Gemeinschaftsmitteln nahezu ausschloss (Hengl 1987; Steinbach 1971).

Dieses enge Vertrauensverhältnis bildete auch die Grundlage der späteren Sozialgesetzgebung. Die zunächst bestehenden Sozialversicherungsträger waren eher kleinstrukturiert, und es waren daher persönliche Kontakte zwischen Versicherten und Funktionären möglich. Die steten Wachstums- und Konzentrationsentwicklungen der Sozialversicherungsträger führten allerdings zu einer Entfremdung zwischen den Versicherten und ihren Vertretern. Versicherte stehen heute mit ihren Anfragen vor riesigen Gebäuden und gewaltigen Verwaltungsapparaten, die einen Aufbau dieser (wichtigen) persönlichen Beziehungen naturgemäß erschweren (Herzog 1991).

Ausgehend von diesen rudimentären Ausführungen sowie unter Zuhilfenahme einschlägiger Literatur (Herzog 1991; Dimmel und Schmid 2019; Danner 2019) lassen sich unter anderem sechs große Defizite und Strukturprobleme der selbstverwalteten Sozialversicherung ausmachen:

1. Geringer Bekanntheitsgrad der Selbstverwaltung,

2. Mangelhafte Qualifikation der Mitglieder der Selbstverwaltung, 3. Intransparenz bei der Bestellung der Selbstverwaltungsmitglieder,

4. Hohe Komplexität der sozialrechtlichen Vorschriften samt Informationsmangel,

(25)

5. Unübersichtliche Verwaltungsorganisation und 6. Egoismen der einzelnen Träger.

2.3.2.2. Geringer Bekanntheitsgrad der Selbstverwaltung

Der Bekanntheitsgrad der Selbstverwaltung und ihrer Vertreter ist – unabhängig von der jeweiligen Bildungsschicht äußerst gering (siehe insbesondere Dimmel und Schmid 2019). Dies wurde bereits im Rahmen einer IFES/Fessel-GfK-Studie im Jahr 1997 deutlich. Die statistischen Werte dürften heute trotz enormer medialer Präsenz auf Grund der Reform der Sozialversicherung im Jahr 2018

eher noch schlechter sein als 1997. Diese Problemstellung wurde zwar bereits in den 90er Jahren von der Gewerkschaftsführung erkannt, entsprechende (Gegen- )Maßnahmen wurden jedoch nicht ergriffen und scheiterten zum Teil auch an den Funktionären der Gewerkschaften, die sich dem medialen Rampenlicht nicht aussetzen wollten (Herzog 1991).

2.3.2.3. Mangelhafte Qualifikation der Mitglieder der Selbstverwaltung Versicherungsvertreter in den einzelnen Gremien der selbstverwalteten Sozialversicherung wiesen oftmals nur eine bedingte Qualifikation für diese Tätigkeit auf. Dies erschwerte naturgemäß ein objektiviertes Handeln zu Gunsten des Gemeinwohles und die Ausübung der zuvor genannten Brückenbauerfunktion (Herzog 1991). Diesem Defizit wollte auch der Gesetzgeber im Rahmen der Reform 2018 begegnen und normierte einen Eignungstest (§ 420 Abs 6 Z 5, Abs 7 und Abs 8 ASVG) für Versicherungsvertreter, welcher jedoch durch den VfGH auf Grund eines Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz für verfassungswidrig erklärt wurde (siehe auch Bereiter et al 2020; siehe Kapitel 4.1.2.1).

2.3.2.4. Intransparenz bei der Bestellung der Selbstverwaltungsmitglieder

Die Versicherungsvertreter werden nicht in direkten Wahlen gewählt. Ihre Bestellung erfolgt indirekt über das jeweilige Wahlergebnis der Arbeiterkammer- bzw Wirtschaftskammerwahlen. Entsprechend dem Ergebnis der Kammerwahlen, die alle 5 Jahre stattfinden, wird über das d´Hondtsche Verfahren der Umfang des Entsendungsrechtes festgelegt. Die Wahlberechtigten haben jedoch zumeist

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keinerlei Kenntnis über das Faktum, dass sie mit ihrer Wahlentscheidung auch die künftige Zusammensetzung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung maßgeblich beeinflussen. Es mangelt hier offenkundig seit jeher an jeglicher Transparenz. Dieser Mangel an Transparenz trägt nicht zu einem bürgernahen Selbstverwaltungssystem bei (Herzog 1991).

2.3.2.5. Hohe Komplexität der sozialrechtlichen Vorschriften samt Informationsmangel

Sozialrechtliche Vorschriften (zB ASVG) sind zumeist von hoher Komplexität geprägt. Sie haben jedoch unmittelbaren Einfluss auf das Leben der Versicherten.

Daher muss auch die Umsetzung dieser Vorschriften in der Praxis verständlich kommuniziert werden. Sowohl der Gesetzgeber als auch die Sozialversicherungsträger haben bis dato keine nennenswerten Maßnahmen gesetzt, um die Sozialgesetzgebung zu vereinfachen bzw komplexe Bestimmungen den Versicherten auf verständliche Weise nahe zu bringen (Dimmel und Schmid 2019).

2.3.2.6. Unübersichtliche Verwaltungsorganisation

Trotz der nunmehr durch das SV-OG eingeleiteten Reduzierung der Sozialversicherungsträger von 21 auf fünf (ausgenommen sind weiterhin die Krankenfürsorgeanstalten der Länder) stehen Versicherte unübersichtlichen Verwaltungskolossen gegenüber. Die Tatsache, dass selbstständige Erwerbstätige, Beamte bzw Vertragsbedienstete und Bauern einem eigenen Sozialversicherungsträger zugehörig sind, ist für den größten Teil der österreichischen Bevölkerung nicht begreifbar; dafür wurde auch keine nachvollziehbare Begründung abgegeben (Dimmel und Schmid 2019).

2.3.2.7. Egoismen der einzelnen Träger

Jeder Träger arbeitet für sich selbst. Zwischen den einzelnen Trägern der Sozialversicherung ist seit jeher ein Mangel an Solidarität festzustellen. Selbst die einzelnen Selbstverwaltungsgremien untereinander werten eine Einmischung in ihre Zuständigkeitsbereiche stets als Eingriff in ihre Autonomie und als

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Schwächung ihres Sozialversicherungsträgers. Die nunmehrige (SV-OG) Degradierung des Hauptverbandes, der starke koordinierenden Funktion innehatte, zu einem Dachverband wird an dieser Situation nichts ändern.

Gesamtanliegen der österreichischen Sozialversicherung konnten somit immer nur schleppend vorangetrieben werden. Besonders prekär ist die unterschiedliche Beitrags- und Leistungsentwicklung im Bereich der selbstständig und unselbstständig Erwerbstätigen, die auch durch das SV-OG nur teilweise beseitigt wurde. Selbstständige sowie Beamte bzw Vertragsbedienstete und Bauern haben im Vergleich zu den sonstigen unselbstständig Erwerbstätigen nach wie vor ein völlig anderes Leistungs- und Beitragssystem (Dimmel und Schmid 2019).

2.3.3. Konkrete Reformvorschläge zur Modernisierung der Selbstverwaltung in Österreich

2.3.3.1. Gedanken zu einer sachlichen Reform der Sozialversicherung Eine ernst gemeinte Reform der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung muss die unter Kapitel 2.2.1. aufgeworfenen Problemstellungen aufgreifen und neue Lösungsansätze bieten. Bei genauerer Betrachtung der genannten Defizite ist festzustellen, dass eine Reform vor allem das Ziel haben sollte, „mehr Bürgernähe bzw Versichertennähe“ zu generieren und somit eine Rückbesinnung auf die soziologische Entstehungsgeschichte und die langjährige Tradition der Selbstverwaltung zu erreichen (Herzog 1991).

Bürgernähe bzw Versichertennähe „bedeutet ein enges räumliches, inhaltliches, organisatorisches und auch atmosphärisches Naheverhältnis zwischen Bürger“

(Herzog 1991) bzw Versicherten und der jeweiligen ausgeübten Funktion (Amt).

Das Naheverhältnis wird hierbei insbesondere durch die anzuwendenden Vorschriften und die Art der konkreten Anwendung durch das Amt bestimmt.

Vorschriften, die ohne jegliche Einbindung der Rechtsunterworfenen (Versicherten) zustande kommen und somit einen autoritären Anstrich aufweisen, die oftmals auch dem Rechtsgefühl der Betroffenen zuwiderlaufen, sind als eher bürgerfern zu bezeichnen. Sollten diese Vorschriften in weiterer Folge von den zuständigen Personen auch noch rein formal vollzogen werden, ist einer

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wahrscheinlich. Den Fokus auf Bürgernähe zu legen, ist jedoch nur ratsam, wenn es um Rechte von betroffenen Personen geht. Hingegen muss bei Verpflichtungen der Versicherten verstärkt auf das Prinzip der Gerechtigkeit und Effizienz gesetzt werden. Auf das stete Austarieren zwischen den Verwaltungsprinzipien Bürgernähe, Gerechtigkeit und Effizienz ist auch im System der Selbstverwaltung besonderen Wert zu legen (Hengl 1985).

Das Ziel „mehr Bürgernähe in der Selbstverwaltung“ der Sozialversicherung zu generieren kann beispielweise durch die folgenden Maßnahmen erreicht werden:

1. Reduktion der Sozialversicherungsträger

2. Schaffung übersichtlicher und verständlicher Vorschriften 3. Professionelle Öffentlichkeitsarbeit

4. Modernisierung des Bestellungssystems der Organe der Selbstverwaltung 5. Aufwertung der Tätigkeit der höchsten Selbstverwaltungsorgane

6. Stärkere Partizipation der Versicherten

7. Aufbau einer internen Streitschlichtung (Herzog 1991; Dimmel und Schmid 2019).

2.3.3.2. Reduktion der Sozialversicherungsträger und Schaffung übersichtlicher und verständlicher Vorschriften

Mit der Reduktion der Sozialversicherungsträger von 21 auf nunmehr fünf wurde auf lange Sicht ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung gesetzt. Die Reduktion trägt insbesondere zu einer Vereinfachung des Gesamtsystems bei, wobei nach wie vor zahlreiche Problemstellungen bestehen (siehe Kapitel 4.). Diese Strukturreform, die nach Außen eine Vereinfachung der Gesamtstruktur mit sich bringt, könnte in Zukunft dazu beitragen die oftmals bestehende Hilfslosigkeit der Versicherten zu lindern, sofern diese vor versicherungsrechtlichen Problemstellungen stehen (ErläutRV 329 BlgNR 26. GP 3). Für Versicherte sollte es einfacher nachvollziehbar sein, welcher Sozialversicherungsträger für welche Problemstellungen zuständig ist (Herzog 1991).

Eine Vereinfachung von sozialversicherungsrechtlichen Normen würde überdies zu einer stärkeren Identifikation der Versicherten mit den selbstverwalteten Sozialversicherungsträgern beitragen. So sollte beispielsweise ein

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Sozialgesetzbuch geschaffen werden, das zu einer weitestgehenden Gleichstellung aller Bürger beiträgt. Wie bereits angesprochen, ist es nicht verständlich, warum für einen Teil der unselbständig tätigen Personen (zB Beamte, Vertragsbedienstete, Beschäftigte bei Eisenbahnen und im Bergbau) andere gesetzliche Regeln gelten sollen als für sonstige unselbstständige tätige Personen (BSVG, B-KUVG bzw ASVG). Weiters ist es vorstellbar, Selbstständige und Bauern in ein einheitliches System mit den Unselbstständigen überzuführen (Herzog 1991). Dies wurde meines Erachtens jedoch bei der Reform 2018 (SV-OG) sträflich vernachlässigt. Gerade in dieser Diskussion wäre ein gemeinsames und koordiniertes Einwirken der Selbstverwaltungsgremien aller Träger notwendig gewesen, um sachliche Lösungsvorschläge zu erarbeiten, die dem Gemeinwohl der Bevölkerung dienlich sind.

2.3.3.3. Professionelle Öffentlichkeitsarbeit

Neben einer Vereinfachung des Gesamtsystems wird es in Zukunft unerlässlich sein, den Sinn und Zweck der Selbstverwaltung der Bevölkerung durch gezielte Informationspolitik nahezubringen. Hierbei muss eine starke Verbindung zwischen der Tätigkeit der Sozialversicherung und ihren Spitzenfunktionären hergestellt werden, die ja aus der Mitte der Versicherten ausgewählt wurden, um die Interessen der Versicherten zu vertreten. Diesbezüglich wird es auch notwendig sein, den Sozialversicherungsträgern die erforderlichen personellen und finanziellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen (Danner 2019; Herzog 1991).

In Zeiten von Facebook und Instagram, in denen konventionelle Printmedien immer mehr ins Hintertreffen geraten, ist es meiner Meinung nach unerlässlich, mit den Versicherten auf verständliche Art und Weise auf den zur Verfügung stehenden Kanälen zu kommunizieren. Kommunikation sollte hierbei jedoch nicht rein der Darstellung der Selbstverwaltung und ihrer Spitzenfunktionäre dienen, sondern hohen Informationscharakter aufweisen.

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2.3.3.4. Modernisierung des Bestellungssystems der Organe der Selbstverwaltung und Aufwertung der Tätigkeit der höchsten Selbstverwaltungsorgane

Wie bereits oben dargestellt (siehe Kapitel 2.3.2.4.), werden die Funktionäre der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung nicht direkt von den Versicherten gewählt, sondern als Ausfluss des Kammerwahlergebnisses von den Kammern (zB Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer) entsandt. Diese Doppelfunktion der Wahlen zu den öffentlich-rechtlichen Interessenvertretungen der Dienstnehmer und Dienstgeber ist nach wie vor kaum bekannt. Es liegt daher vordergründig an den Interessenvertretungen, diese Doppelfunktion der Wahlen weiter bekannt zu machen und geeignete und hoch qualifizierte Kandidaten zur Verfügung zu stellen (Herzog 1991; Dimmel und Schmid 2019).

Auf Grund der stets zunehmenden Komplexität sozialrechtlicher Normen hat die Qualifikation der Funktionäre höchste Priorität. Spitzenfunktionäre sollten ein grundlegendes Verständnis für die wichtigsten Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes haben, um ihre Rolle als Leitungsorgane der Sozialversicherungsträger erfüllen zu können. Hierbei haben sie einerseits die Vorgänge des bürokratischen Apparates zu überwachen und gegebenenfalls abzuändern, andererseits müssen sie als verständliches Sprachrohr gegenüber der Versichertengemeinschaft auftreten und komplexe Themen mit einfachen Worten „bürgernahe“ erklären können. Dieses Anforderungsprofil ist nicht leicht zu erfüllen und erfordert auch zumeist eine qualitativ hochwertige Ausbildung und überdurchschnittliche kommunikative Fähigkeiten. Unter Zugrundelegung dieser Überlegungen ist das Besoldungsschema der Spitzenfunktionäre an ihre jeweilige Verantwortung anzupassen und zu erhöhen. Als Beispiel können hierbei Verantwortungsträger in den höchsten Reihen der staatlichen Verwaltung herangezogen werden. Jedenfalls soll es den Spitzenfunktionären möglich sein, ihre gesamte berufliche Tätigkeit auf ein derartiges Amt zu fokussieren. Dies würde einen Anreiz zu einem viel aktiveren Handeln der jeweiligen Spitzenfunktionäre setzen (Herzog 1991; Dimmel und Schmid 2019).

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2.3.3.5. Stärkere Partizipation der Versicherten

Um eine stärkere Akzeptanz der Selbstverwaltung bei den Versicherten zu erreichen, ist es wohl unumgänglich eine stärkere Partizipation der „einfachen“

Versicherten, insbesondere bei wichtigen Entscheidungen, zu ermöglichen. Die Tätigkeit der Selbstverwaltung darf nicht alleine Funktionären überlassen werden, die oftmals auf Grund ihrer langjährigen Arbeit eine eingeschränkte Sichtweise auf manche Sachentscheidungen haben. Echte Partizipation und Teilhabe der Versicherten zB in Form von verbindlichen Beiräten und Dialogforen könnte die Akzeptanz der Selbstverwaltung erhöhen. Diese Versicherten können zB durch ein Zufallssystem alle 5 Jahre bestimmt werden. Hierbei müsste auf Diversität großen Wert gelegt werden. Diese Gremien sollten jedenfalls frei vom Einfluss der Funktionäre gehalten werden. Beratungsergebnisse müssen jedoch umgekehrt von den Entscheidungsträgern ernst genommen werden und in ihre Entscheidungsfindung einfließen. Es sollte hierbei auch ein verpflichtender gegenseitiger Konsultationsmechanismus gefunden werden. Die Tätigkeit der Versicherten in diesen Gremien muss ebenfalls leistungsgerecht entschädigt werden. Damit sie ihre Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen können, sollten ihnen stets Fachexperten und ein kleiner Verwaltungsapparat zur Seite zu gestellt werden. Abschließend ist ein hochwertiges Schulungs- und Weiterbildungsangebot, insbesondere für Selbstveraltungsmitglieder, bereitzustellen (Herzog 1991; Dimmel und Schmid 2019).

2.3.3.6. Aufbau einer internen Streitschlichtung

Überlegenswert wäre der Aufbau einer internen Streitschlichtung, um Versicherte bei für sie nachteiligen Bescheiden nicht stets auf den Gerichtsweg verweisen zu müssen. Das Schlichtungsverfahren der steirischen Ärztekammer [weitere Infos unter: https://www.aekstmk.or.at/45 (16.1.2021)]. bei behaupteten Behandlungsfehlern in Krankenanstalten könnte hierbei als Vorbild dienen. Eine solche Streitschlichtung, die auf die Mitwirkung staatlicher Gerichte verzichtet, würde in vielen Fällen zu einer Verbesserung des Vertrauensverhältnisses und somit zu mehr Bürgernähe beitragen (Herzog 1991). Weiters wäre meines Erachtens eine (interne) Streitschlichtung wesentlich kostengünstiger als ein

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2.3.4. Ergebnis

Eine Reform der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung hin zu einer zeitgemäßen, sachaufgabenorientierten und partizipativen selbstverwalteten Sozialversicherung sollte alte Defizite und Strukturprobleme beheben und gleichzeitig zahlreiche Modernisierungselemente beinhalten (Herzog 1991;

Dimmel und Schmid 2019; Danner 2019).

Als Defizite bzw Strukturprobleme wurden in der Literatur folgende Punkte festgestellt:

1. Geringer Bekanntheitsgrad der Selbstverwaltung

2. Mangelhafte Qualifikation der Mitglieder der Selbstverwaltung 3. Intransparenz bei der Bestellung der Selbstverwaltungsmitglieder

4. Hohe Komplexität der sozialrechtlichen Vorschriften samt Informationsmangel

5. Unübersichtliche Verwaltungsorganisation

6. Egoismen der einzelnen Träger (ähnlich Herzog 1991; Dimmel und Schmid 2019).

Festgehaltene Modernisierungselemente korrespondieren zum Teil mit den festgestellten Defiziten und Strukturproblemen, gehen jedoch in Teilbereichen weit über diese hinaus:

1. Reduktion der Sozialversicherungsträger

2. Schaffung übersichtlicher und verständlicher Vorschriften 3. Professionelle Öffentlichkeitsarbeit

4. Modernisierung des Bestellungssystems der Organe der Selbstverwaltung 5. Aufwertung der Tätigkeit der höchsten Selbstverwaltungsorgane

6. Stärkere Partizipation der Versicherten

7. Aufbau einer internen Streitschlichtung (Herzog 1991; Dimmel und Schmid 2019).

Zentrale Bestandteile einer Reform der selbstverwalteten Sozialversicherung sollten die Steigerung von Vertrauen und die Herstellung von mehr Bürgernähe sein (Herzog 1991; Dimmel und Schmid 2019).

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Als Vorgriff auf die nachfolgenden Kapitel kann bereits festgestellt werden, dass die Reform 2018 (SV-OG) bereits vorhandene Defizite und Strukturprobleme meines Erachtens nur in einem Teilbereich (Reduktion der Sozialversicherungsträger) beseitigt hat. Es mangelt ihr insbesondere an Elementen der Modernisierung, sodass weiterhin erheblicher Reformbedarf besteht.

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3. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Errichtung, Ausgestaltung und Änderung der nicht-territorialen Selbstverwaltung

3.1. Überblick

Die Sozialversicherung in Österreich wurde im geschichtlichen Rückblick seit jeher in der Form der Selbstverwaltung organisiert. Es bestand daher von Anfang an eine enge Verbindung zwischen Sozialversicherung und Selbstverwaltung (Günther 1994; Öhlinger 2002). Die Sozialversicherung könnte jedoch anstatt in Form der sozialen Selbstverwaltung auch in Form der staatlichen Verwaltung oder in Form der Privatvorsorge abgewickelt werden. Sofern allerdings im österreichischen Verfassungskontext eine weitestgehend unabhängige und selbstständig agierende Sozialversicherung besteht, kann diese nur in der Organisationsform der Selbstverwaltung nach verfassungsrechtlichen Organisationsgrundsätzen (ua Art 120a ff B-VG) bestehen. Eine Weisungsgebundenheit (im eigenen Wirkungsbereich) gegenüber Staatsorganen bzw eine Ausgestaltung der Sozialversicherung ohne Berücksichtigung der Prinzipien der Selbstverwaltung wäre daher nach Ansicht des VfGH als verfassungswidrig zu qualifizieren (VfSlg 17.023/2003; VfSlg 19.919/2014).

Die zentrale Bedeutung in der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger kommt dem durch den Selbstverwaltungskörper vertretenen Personenkreis zu.

Jener Personenkreis ist daher genau festzulegen. Es sind in weiterer Folge auch nur jene Angelegenheiten durch den Selbstverwaltungskörper zu besorgen, die sich auf den definierten Personenkreis beziehen. Die Übertragung von Zuständigkeiten und die weisungsgebundene Durchführung unter Einsatz von imperium gegenüber einem Personenkreis, der sich nicht an der demokratischen Gestaltung der zumindest obersten Organe der Selbstverwaltung beteiligen konnte, ist aus Sicht des VfGH jedenfalls unzulässig (VfSlg 17.023/2003). Der Selbstverwaltungskörper muss daher einen Bezug zu der relevanten Personengruppe, nämlich den versicherten Personen, aufweisen. Dieser Bezug tritt in der Sozialversicherung durch die Ausgestaltung von einzelnen

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Sozialversicherungsträgern (vor und nach dem in Kraft treten des SV-OG) für je nach Tätigkeit unterschiedliche (homogene) Personengruppen besonders hervor (Cerny 2018; Lachmayer und Öhlinger 2019).

Es ist daher zu betonen, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Sozialversicherung in Form von Selbstverwaltungskörpern zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgaben und somit auch einen bestimmten Typenzwang unterliegt. Da sich der Gesetzgeber in Bezug auf die Sozialversicherung bis heute stets gegen ein rein staatliches Modell bzw gegen die Verankerung einer reinen Versicherungspflicht entschieden hat, steht für die Organisation der Sozialversicherung im Rahmen des B-VG ausschließlich der Typus der Selbstverwaltung zur Verfügung. Dieser Typus setzt dem einfachen Gesetzgeber gewisse Schranken bei der Ausgestaltung der Organisationsstruktur der Träger setzt (Öhlinger 2002).

Die Grundlage für die konkrete Einrichtung und Ausformung der nicht-territorialen Selbstverwaltung bildete lange Zeit die Rechtsprechung des VfGH (VfSlg 18.731/2009, 19.919/2014). Erst mit der B-VG-Novelle im Jahr 2008 (BGBl I 2008/2) wurden die vom VfGH aufgestellten Grundsätze kodifiziert. Heute stellen die Art 120a bis 120c B-VG verfassungsrechtlich verankerte organisationsrechtliche Grenzen für die Ausformung der nicht-territorialen Selbstverwaltung dar (Brameshuber 2019; Lachmayer und Öhlinger 2019).

Demnach müssen Selbstverwaltungskörper folgende Merkmale erfüllen:

1. Selbstverwaltungskörper müssen einen eigenen Wirkungsbereich aufweisen, in welchem sie grundsätzlich unabhängig und frei von Weisungen durch die staatliche Verwaltung agieren (Art 120b B-VG).

2. Die Organe der Selbstverwaltungskörper sind aus dem Versichertenkreis nach demokratischen Grundsätzen zu bilden (Art 120c B-VG).

3. Es ist eine staatliche Aufsicht (Bund oder Land) über die Tätigkeiten im eigenen Wirkungsbereich des Selbstverwaltungskörpers vorzusehen (Art 120b B-VG).

(36)

3.2. Der eigene Wirkungsbereich und die Finanzierung der Selbstverwaltung

Selbstverwaltungskörper haben gemäß Art 120a B-VG das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht jene öffentlichen Aufgaben selbstständig wahrzunehmen,

„die in ihrem ausschließlichen oder überwiegenden gemeinsamen Interesse gelegen und geeignet sind, durch sie gemeinsam besorgt zu werden“. Die den Selbstverwaltungskörpern zugewiesenen Aufgaben sind weiters gemäß Art 120b B-VG weisungsfrei zu besorgen (Cerny 2018).

Der Verfassungsgesetzgeber stellt mit diesen Regelungen zwar einen Rahmen für den eigenen Wirkungsbereich für Selbstverwaltungskörper auf, überlässt jedoch dem jeweiligen einfachen Materiengesetzgeber (bzw dem VfGH) einen Konkretisierungsspielraum, insbesondere im Bereich der Sozialversicherung.

Art 120a B-VG ermöglicht jedoch kein freies politisches Ermessen des einfachen Gesetzgebers, da dieser Bestimmung sehr wohl auch ein materielles Substrat zuzubilligen ist. Sollte ein eingerichteter Selbstverwaltungskörper zum Vollzug von Angelegenheiten, die in seinem ausschließlichen oder überwiegenden Interesse liegen, geeignet sein, müssen ihm diese Angelegenheiten auch zugewiesen werden. Art 120b Abs 1 B-VG spricht hierbei ausdrücklich von einem „Recht auf Selbstverwaltung“; daraus ist auch ein verfassungsrechtlich gewährleisteter Anspruch des Selbstverwaltungskörpers auf Vollziehung der in seinem ausschließlichen oder überwiegenden Interesse liegenden Angelegenheiten abzuleiten (Korinek 2009; Cerny 2018).

Die in Art 120a Abs 1 B-VG vorgesehene Zuweisung von spezifischen Angelegenheiten zum eigenen Wirkungsbereich des Selbstverwaltungskörpers steht auf Grund der legistischen Konstruktion der Art 120a ff B-VG in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Finanzierung der Selbstverwaltung. Die Finanzierung der Selbstverwaltung wird eigens in Art 120c Abs 2 B-VG geregelt.

Die Aufgabenerfüllung hat hierbei den Prinzipien der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit zu folgen, und diese ist im Wege der Beitragsfinanzierung bzw über sonstige Mittel durch den Gesetzgeber sicherzustellen. Der Gesetzgeber hat daher nach Wortinterpretation dieser Bestimmung sowie unter Heranziehung des

(37)

Gleichheitssatzes zu gewährleisten, dass ausreichend Mittel zur Erfüllung der zugedachten Aufgaben zur Verfügung stehen. Es gilt daher einen Gleichklang zwischen den gesetzlich zugewiesenen im eigenen Wirkungsbereich weisungsfrei zu vollziehenden Aufgabenstellungen der Selbstverwaltungskörper und der jeweiligen Finanzierung dieser Körperschaften herzustellen. Dies ist auf Grund der enormen Finanzierungslast in der Sozialversicherung von besonderer Wichtigkeit (Potacs 2019). Holoubek (2018) spricht in diesem Zusammenhang sogar davon, dass der Selbstverwaltung eine finanzielle Autonomie zuzubilligen sei (siehe auch Cerny 2018).

3.3. Demokratische Legitimation der Selbstverwaltungskörper in der Sozialversicherung

Art 120c Abs 1 B-VG normiert, dass „die Organe der Selbstverwaltungskörper […]

aus dem Kreis ihrer Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen zu bilden [sind].“ Bei der demokratischen Legitimation der Selbstverwaltungsorgane handelt es sich nach Meinung des VfGH (VfSlg 17.023/2003) um ein Kernelement der Selbstverwaltung. Die „entscheidungswichtigen Aufgaben“, die vom Selbstverwaltungskörper zu vollziehen sind, brauchen demnach auch eine demokratische Legitimation. Der VfGH betont, „dass die gebotene Intensität der Mitwirkung jener, deren Angelegenheiten in Selbstverwaltung geführt werden sollen, an der Kreation der Organe des jeweiligen Selbstverwaltungskörpers nicht ohne Blick auf die dem Selbstverwaltungskörper übertragenen Aufgaben bestimmt werden kann und auch von den potentiellen Auswirkungen seiner Tätigkeit auf die Rechtssphäre seiner Mitglieder abhängt“ (VfSlg 17.023/2003). Eine indirekte Wahl der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane beispielsweise durch das vorliegende Entsendungsmodell durch die jeweiligen Interessensvertretungen in der Sozialversicherung steht daher nicht im Widerspruch zur Verfassung. Ein gänzlicher Ausschluss des Mitwirkungsrechts der Mitglieder bei der Bestellung der Organe der Selbstverwaltung wäre jedoch als verfassungswidrig zu bewerten (VfSlg 17.023/2003; Cerny 2018; Potacs 2019).

Die demokratische Legitimation der Organe der Selbstverwaltung und das in

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weisungsfreie und autonome Vollziehung der Aufgaben der Selbstverwaltungsträger sind untrennbar miteinander verbunden. Nur durch diese starke Rechtsposition wird es den Selbstverwaltungsorganen ermöglicht, jene Angelegenheiten, die in ihrem ausschließlichen bzw überwiegenden Interesse liegen, weisungsfrei zu besorgen. Unter Berücksichtigung von Art 120c Abs 1 B- VG wird somit festgehalten, dass „entscheidungswichtige Aufgaben“ nur durch grundlegend demokratisch legitimierte und aus dem Kreis der Mitglieder stammende Organe entschieden werden (dürfen). Mit diesem verfassungsrechtlichen Geflecht an Bestimmungen wird die gebotene Autonomie der Selbstverwaltungskörper durch das B-VG abgesichert (Cerny 2018; Potacs 2019).

3.4. Das Aufsichtsrecht

Art 120b Abs 1 B-VG normiert eine Aufsicht des Bundes oder des Landes über den eigenen Wirkungsbereich des Selbstverwaltungskörpers und stellt somit einen Gegenpol zur verfassungsrechtlich verankerten Weisungsfreiheit in diesem Bereich dar. Das Aufsichtsrecht bezieht sich vordergründig auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle der Verwaltungsführung. Eine Zweckmäßigkeitskontrolle der Verwaltungsführung ist hingegen nur vorgesehen, „wenn dies auf Grund der Aufgaben des Selbstverwaltungskörpers erforderlich ist“ (Cerny 2018; Potacs 2019).

Bei der Auslegung dieses Begriffes der „Erforderlichkeit“ ist ein äußerst strenger, restriktiver Maßstab anzusetzen, um den vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen weiten Gestaltungsspielraum des Selbstverwaltungskörpers nicht sogleich wieder zu konterkarieren. Dem Telos der Bestimmung entsprechend haben sowohl die tatsächliche Aufsicht als auch der Gesetzgeber selbst die Wahrung dieses Gestaltungsspielraumes des Selbstverwaltungskörpers zu gewährleisten. Eine extensive gesetzliche Ausdehnung der Rechtmäßigkeitskontrolle zur Herbeiführung einer allgemeinen Zweckmäßigkeitskontrolle des Selbstverwaltungskörpers ohne auf den verfassungsrechtlich engen Spielraum im Bereich der Aufsichtsmaßnahmen zu achten, wäre daher als verfassungswidrig zu werten. Sowohl bei der

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Ausgestaltung des Aufsichtsprozederes als auch bei sonstigen gesetzlichen Bestimmungen ist daher der autonome Gestaltungsspielraum des Selbstverwaltungskörpers zu berücksichtigen (Cerny 2018; Potacs 2019).

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