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Das neue Aufsichtsrecht des Staates

4. Sozialversicherungsorganisationsgesetz (SV-OG)

4.1. Kernelemente der Reform

4.1.3. Das neue Aufsichtsrecht des Staates

Das SV-OG beabsichtigt eine deutliche Stärkung des Aufsichtsrechtes zu Gunsten des Bundes. Die einzelnen neuen Aufsichtsrechte werden im Anschluss an die allgemeinen Ausführungen dargestellt (Brameshuber 2019).

Gemäß Art 120b Abs 1 B-VG kommt dem „Bund oder dem Land [gegenüber den Selbstverwaltungskörpern] nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsführung ein Aufsichtsrecht zu.

Darüber hinaus kann sich das Aufsichtsrecht auch auf die Zweckmäßigkeit der Verwaltungsführung erstrecken, wenn dies auf Grund der Aufgaben des Selbstverwaltungskörpers erforderlich ist“.

Die genannten verfassungsrechtlichen Vorgaben wurden in Kapitel 3.3. bereits näher beschrieben. Wesentlich ist jedoch, dass eine extensive gesetzliche Ausdehnung der Rechtmäßigkeitskontrolle zur Herbeiführung einer allgemeinen Zweckmäßigkeitskontrolle des Selbstverwaltungskörpers und somit die gesetzliche Normierung eines nahezu schrankenlosen Aufsichtsrechtes des Bundes ohne auf den verfassungsgesetzlich engen Spielraum im Bereich der Aufsichtsmaßnahmen zu achten, als verfassungswidrig zu werten ist (siehe Sachlichkeitsgebot). Anhand dieser Vorgaben waren die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen des SV-OG durch den VfGH zu prüfen. Der VfGH (13.12.2019, G 78-81/2019-56) hat im Rahmen seiner Prüfung zu weit reichende vom Gesetzgeber geplante Aufsichtsrechte als verfassungswidrig aufgehoben (Potacs 2019; Bereiter et al 2020).

4.1.3.2. Einspruchsrecht mit aufschiebender Wirkung gegen bestimmte Beschlüsse

§ 448 Abs 4 ASVG lautet wie folgt: „Der Vertreter/Die Vertreterin der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz kann gegen Beschlüsse eines Verwaltungskörpers, die gegen eine Rechtsvorschrift oder in wichtigen Fragen (§ 449 Abs. 2) gegen den Grundsatz der

Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verstoßen oder die die finanziellen Interessen des Bundes berühren, Einspruch mit aufschiebender Wirkung erheben. Der Vertreter/Die Vertreterin des Bundesministers für Finanzen kann Einspruch mit aufschiebender Wirkung gegen Beschlüsse erheben, die die finanziellen Interessen des Bundes berühren oder in wichtigen Fragen (§ 449 Abs.

2) gegen den Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verstoßen. Der/Die Vorsitzende hat die Durchführung des Beschlusses, gegen den Einspruch erhoben wurde, vorläufig aufzuschieben und die Entscheidung der Aufsichtsbehörde3 einzuholen. Bei einem Einspruch des Vertreters/der Vertreterin des Bundesministers für Finanzen hat die Aufsichtsbehörde die Entscheidung im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen zu treffen.“

Im Gegensatz zur alten Rechtslage, wonach dem BMF kein aufschiebendes Einspruchsrecht in „wichtigen Fragen“ nach § 449 Abs 2 ASVG zukam, normiert

§ 448 Abs 4 ASVG nunmehr, dass das BMASGK und das BMF gegen Beschlüsse der Selbstverwaltungskörper, die gegen eine Rechtsvorschrift bzw gegen wichtige Fragen verstoßen, einen den Beschluss aufschiebenden Einspruch in den jeweiligen Sitzungen, erheben können (weiterführend siehe Frank 2020).

Als wichtige Fragen sind gemäß § 449 Abs 2 ASVG folgende Bereiche zu nennen:

 Einhaltung der im Rahmen der Zielsteuerung nach § 441f ASVG abgestimmten Ziele,

 die Sicherstellung einer nachhaltig ausgeglichenen Gebarung sowie

 alle Angelegenheiten nach § 432 Abs. 3 (die dauernde Veranlagung von Vermögensbeständen, der Abschluss von Verträgen mit bestimmten Vertragspartnern, wenn diese Verträge eine wesentliche dauernde Belastung des Versicherungsträgers herbeiführen, die Erlassung von Richtlinien nach § 84 Abs. 6 über die Verwendung der Mittel des Unterstützungsfonds, der Abschluss von Landes-Zielsteuerungsübereinkommen nach dem G-ZG).

3 Bei der Aufsichtsbehörde handelt es sich gemäß § 448 Abs 1 ASVG um das Bundesministerium

Das SV-OG hat in seiner Stammfassung in § 449 Abs 2 B-VG auch Beschlüsse als wichtige Frage dem Einspruchsrecht unterstellt, „deren finanzielle Auswirkungen ein Ausmaß von 10 Millionen Euro innerhalb eines Kalenderjahres oder innerhalb von fünf Kalenderjahren übersteigen“. Diese Bestimmung wurde jedoch vom VfGH als verfassungswidrig aufgehoben, da sie zu Recht eine überbordende Ausdehnung der Zweckmäßigkeitskontrolle bedeutet hätte und diese Kontrolle weit über das nach Art 120b Abs 1 B-VG erlaubte Maß der

„Erforderlichkeit“ hinaus gegangen wäre. Der VfGH führt hierzu wie folgt aus: „Die Ermächtigung zur Zweckmäßigkeitsaufsicht bezieht sich nach § 449 Abs. 2 ASVG jedenfalls auf Beschlüsse mit finanziellen Auswirkungen von 10 Millionen Euro in fünf Jahren (die alternative Bezugnahme auf ein Jahr hat angesichts des Fünfjahreszeitraumes keine normative, einschränkende Bedeutung). Ist schon die Betragsgrenze von 10 Millionen Euro bei einem von den Antragstellern ins Treffen geführten Jahresbudget von 15 Milliarden Euro in der Krankenversicherung, dem die Bundesregierung nicht entgegengetreten ist, als niedrig anzusetzen, führt jedenfalls die Bezugnahme auf einen Wirkungszeitraum von fünf Jahren dazu, dass damit im Ergebnis nahezu alle Dispositionen jenseits von Einzelfallentscheidungen in Leistungssachen erfasst werden. Wenn sich aber die Zweckmäßigkeitsaufsicht infolge dieser Wertgrenze nahezu auf die gesamte Gebarung der Sozialversicherungsträger abseits bloßer Einzelfallentscheidungen bezieht, kann nicht mehr davon die Rede sein, dass diese Zweckmäßigkeitsaufsicht auf das Maß des "Erforderlichen" im Sinne von Art. 120b Abs. 1 B-VG beschränkt ist“ (VfGH 13.12.2019, G 78-81/2019-56; siehe auch Bereiter et al 2020; ErläutRV 329 BlgNR 26. GP).

4.1.3.3. Beschlussvertagungsrecht der Aufsichtsbehörde bzw des BMF

§ 449 Abs 4 ASVG sah im vorletzten und letzten Satz folgendes Aufsichtsrecht vor: „Auf Verlangen des Vertreters/der Vertreterin der Aufsichtsbehörde oder des Vertreters/der Vertreterin des Bundesministers für Finanzen ist die Beschlussfassung zu bestimmten Tagesordnungspunkten zu vertagen. Dieses Verlangen kann für ein und denselben Tagesordnungspunkt höchstens zwei Mal erfolgen.“

Dieses Vertagungsrecht durch die Aufsichtsbehörde bzw das BMF wurde vom VfGH als verfassungswidrig aufgehoben. Der VfGH sah in der Möglichkeit der genannten Organe „anlass- und begründungslos die Vertagung von Tagesordnungspunkten zu erwirken“ keine sachliche Notwendigkeit. Er argumentierte dies vor allem durch einen Verweis auf die sonstigen zur Verfügung stehenden Aufsichtsrechte. Gemäß § 449 Abs 3 ASVG4 hat die Aufsichtsbehörde ein umfassendes Informationsrecht gegenüber den Organen der Selbstverwaltung. Darüber hinaus besteht zu Gunsten der Aufsichtsbehörde bzw des BMF gemäß § 448 Abs 4 ASVG bereits ein aufschiebendes Einspruchsrecht bei bestimmten Beschlüssen (VfGH 13.12.2019, G 78-81/2019-56; siehe auch Bereiter et al 2020).

4.1.3.4. Genehmigung von Dienstpostenplänen

Nach § 432 Abs 5 ASVG bedürfen „Beschlüsse des Verwaltungsrates über die Erstellung von Dienstpostenplänen (§ 460 Abs. 1), soweit sie sich auf die Gehaltsgruppen F (Höherer Dienst) und G (Leitender Dienst) der Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO. A) erstrecken, […] der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen.“ Insbesondere im Bereich der Erstellung von Dienstpostenplänen sind die Selbstverwaltungsträger angehalten die Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 460 Abs 1 letzter Satz ASVG) zu berücksichtigen.

Das ASVG hat bereits vor dem SV-OG ein entsprechendes Aufsichtsrecht vorgesehen. Dieses wurde entflechtet und vereinfacht und sieht nunmehr in § 432 Abs 4 ASVG ausdrücklich die Genehmigung der Aufsichtsbehörde für die in den Dienstpostenplänen enthaltenen Dienstposten der Gehaltsgruppen F (Höherer Dienst) und G (Leitender Dienst) der Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO. A) vor.

4 „Der Aufsichtsbehörde sind auf Verlangen alle Bücher, Rechnungen, Belege, Urkunden, Wertpapiere, Schriften und sonstige Bestände vorzulegen und alle zur Ausübung des

4.1.3.5. Festlegung von Grundsätzen für die Bedarfsprüfung bei Bauangelegenheiten

Gemäß § 432 Abs 4 Z 1 ASVG hat der jeweilige Verwaltungsrat die Kompetenz über Bauangelegenheiten (zB die Errichtung eines neuen Verwaltungsgebäudes) zu entscheiden. Vor einer Beschlussfassung ist jedoch eine Bedarfsprüfung durchzuführen. Diese Prüfung hat sich auf den gesamten Sozialversicherungsbereich zu erstrecken. Es ist daher eine trägerübergreifende Prüfung anzustellen. Die Grundsätze für diese Bedarfsprüfung sind durch das BMASGK durch Verordnung zu bestimmen (§ 432 Abs 4 ASVG). Das Genehmigungserfordernis5 ua bei Bauprojekten der Selbstverwaltungsträger bleibt nach wie vor erhalten. Ein Bauprojekt darf danach nur mit Zustimmung des BMASGK umgesetzt werden (Potacs 2019; Brameshuber 2019; ErläutRV 329 BlgNR 26. GP).

4.1.3.6. Abstimmungserfordernis im Bereich der Zielsteuerung-Sozialversicherung

Gemäß § 441f ASVG hat die neu geschaffene Konferenz des Dachverbandes die Koordinierung des Verwaltungshandelns der Versicherungsträger im Rahmen ihrer Zuständigkeit sicher zu stellen. Mit der Zielsteuerung-Sozialversicherung wird daher ein bestmöglich aufeinander abgestimmtes Vorgehen der Sozialversicherungsträger im Verwaltungsbereich ermöglicht. § 441f Abs 2 ASVG führt weiters aus, dass „das Zielsteuerungssystem [...] jedenfalls strategische Ziele, operative Ziele sowie Maßnahmen und Kennzahlen zu enthalten [hat],

wobei jedenfalls Finanzziele und

Verwaltungskostenziele/Verwaltungskostensenkung, gegebenenfalls ein Verwaltungskostendeckel, gesondert für jeden Sozialversicherungsträger und den Dachverband vorzusehen sind“. § 441f Abs 4 ASVG sieht neuerdings eine stete

5 § 447 Abs 1 ASVG: „Beschlüsse der Verwaltungskörper über Veränderungen im Bestand von Liegenschaften, insbesondere über deren Erwerbung, Belastung oder Veräußerung, oder über die Errichtung oder Erweiterung von Gebäuden bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung des Bundesministers/der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz.

Das gleiche gilt für den Umbau von Gebäuden, wenn damit eine Änderung des Verwendungszweckes verbunden ist.“

Berichtpflicht des Vorsitzenden der Konferenz an das BMASGK und das BMF sowie ein Abstimmungserfordernis des Vorsitzenden der Konferenz mit dem BMASGK und dem BMF vor. Neu ist auch, dass die Ziele im Bereich der Zielsteuerung-Sozialversicherung mit den zuvor genannten Ministerien abzustimmen sind, bevor der endgültige Beschluss in der Konferenz durch die Sozialversicherungsträger gefällt wird. Diese Maßnahmen sollen zu einem regen Austausch zwischen der Konferenz und den Ministerien führen, der Selbstverwaltung jedoch im Ergebnis ihre verfassungsrechtlich zugesicherte Selbstständigkeit bewahren (Potacs 2019; ErläutRV 329 BlgNR 26. GP).

4.1.3.7. Aufsichtsrechte im Bereich der Gebarungsvorschaurechnung und des Rechnungsabschlusses

Die Weisungsbefugnis des BMASGK gemäß § 444 Abs 5 ASVG im Bereich der Rechnungsführung, der Rechnungslegung, der Erstellung des Jahresvoranschlages, des Jahresberichtes sowie für die statistische Nachweisung ist nach dem SV-OG weiterhin aufrecht. Vor Weisungserteilung ist nunmehr der neue Dachverband und das BMF miteinzubeziehen. Dies soll gewährleisten, dass insbesondere bei finanziellen Aspekten die Kompetenz des BMF in Weisungen einfließen kann (Potacs 2019; ErläutRV 329 BlgNR 26. GP).

Die Weisungsbefugnisse umfassen gemäß § 444 Abs 5 ASVG folgende Aspekte:

1. die Rechnungsführung inklusive Gebarungsvorschau, die Rechnungslegung sowie die Erstellung des Jahresvoranschlages und des Jahresberichtes,

2. die statistischen Nachweisungen sowie

3. die Zielsteuerung-Sozialversicherung nach § 441f ASVG und deren Evaluierung hinsichtlich deren Struktur und Prozesse.

Weiters wurde die Gebarungsvorschau gemäß § 443 Abs 2 ASVG von zwei auf vier Jahre verlängert. Diesbezüglich erfolgte eine Angleichung an das BFRG 2021-2024. Es ermöglicht im Ergebnis auch erstmals einen mittelfristigen Planungshorizont. Zu erwähnen ist auch die neu hinzugekommene Verpflichtung zur Veröffentlichung der Jahresberichte im Internet (§ 444 Abs 6 ASVG) sowie die

durch beeidete Wirtschaftsprüfer (§ 444 Abs 1 ASVG). Die Wirtschaftsprüfer müssen hierbei von der Hauptversammlung des Selbstverwaltungsträgers bestimmt werden. Die Einsetzung von Wirtschaftsprüfern wurde insbesondere durch die Abschaffung der Kontrollversammlung notwendig (Brameshuber 2019;

Potacs 2019).

5. Die Auswirkungen des SV-OG auf die Allgemeine