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Warten auf die Reform!

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Bayerisches Ärzteblatt 12/2010 659 Kaum ein Land ist so gut aus der

Krise gekommen wie wir. Um 3,5 Prozent wächst die deutsche Wirtschaft 2010. Das ist mehr, als jedes andere Land in Euro- pa. Und die Arbeitslosigkeit, so die Prognose, wird in 2011 unter der magischen „Drei-Millionen- Marke“ bleiben. Das hätte wohl niemand zu träumen gewagt, nach dem Schock im Herbst/Win- ter 2008, als „Lehman Brothers“

zusammenbrach, die Krise die deutsche Wirtschaft infizierte und uns die Schwarzmaler am Ab- grund sahen. Dann kam die Ge- sundheitsreform. Grund genug für einen Blick zurück – aber auch einen nach vorne.

„Mit der Reform werden die Voraussetzungen für einen funktions- fähigen Wettbewerb geschaffen, der zu mehr Qualität und Effizienz in der medizinischen Versorgung führt und Versicherten und Pati- enten zugute kommt“, mit diesen vollmundigen Versprechen wird Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) am 22. Septem- ber zitiert. Das Bundeskabinett hatte am gleichen Tag den Entwurf für ein „Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finan- zierung der Gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV-Finanzie- rungsgesetz – GKV-FG) beschlossen und damit den Startschuss für das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gegeben. Die Ankündigungen klingen nach „Jahrhundertreform“, die sowohl die aktuellen Finanzprobleme der Gesetzlichen Krankenversiche- rung (GKV) als auch langfristig strukturelle Fehlentwicklungen im System beseitigen soll. Von Systemwechsel ist jedoch keine Spur – wieder ist nur ein Kostendämpfungsgesetz herausgekommen, wie wir Gesundheitsreformen seit rund vierzig Jahren kennen.

Die Ausgangsbedingungen in der GKV sind bekannt. Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben wird sich auch in den kom- menden Jahren noch weiter öffnen, wenn nicht gegengesteuert wird. Unabhängig von einer Bewertung der Reform schließt das GKV-FG zumindest für 2011 die Finanzierungslücke. Der vorge- sehene zusätzliche Bundeszuschuss kann so vollständig in die Liquiditätsreserve der Kassen fließen und zur Finanzierung des Sozialausgleichs in den Folgejahren dienen. Leistungskürzungen oder höhere Zuzahlungen sind in der Reform nicht vorgesehen.

Die derzeitigen Ausgleichsmechanismen zwischen den Kassen über den Gesundheitsfonds werden beibehalten. Das Finanzdefi- zit der GKV wird jedoch im Wesentlichen durch die Beitragssatz- steigerung von 14,9 auf 15,5 Prozent kompensiert. Diese belastet Versicherte und Arbeitgeber pro Jahr in einer Größenordnung von 6,3 Milliarden Euro. Die Arbeitgeberbeiträge zur GKV wer- den ab dem Jahr 2011 gesetzlich fixiert. Alle Ausgabensteige- rungen ab 2012 sollen ausschließlich von den Versicherten in Form einkommensunabhängiger Zusatzbeiträge getragen wer- den. Den Anspruch der Kostenneutralität hat die Reform somit nicht erreicht. Ja, sie hat eine deutliche Schieflage, die vor allem

in der verpassten Chance, die Finanzierungslücke mit einem engagierten Sparprogramm und nachhaltigen Strukturreformen auf der Ausgabenseite weiter zu schließen, begründet liegt. We- der bei den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten noch in den Krankenhäusern Bayerns kommt ausreichend mehr Geld an – trotz des konjunkturbedingten Nachschlags. Bei den Niederge- lassenen steigen die Budgets zwar um eine Milliarde Euro, maß- geblich für die so genannte Ost-West-Angleichung.

Die bisherigen gesundheitspolitischen Entscheidungen der schwarz-gelben Koalition enttäuschen die Ärzteschaft, was auch am vergangenen 69. Bayerischen Ärztetag deutlich wurde.

Handlungsbedarf gibt es nicht nur bei dem Paragrafen 116b im SGB V. Für 2011 braucht es Reformgesetze, deren Ziel unter an- derem eine bessere Vernetzung von ambulanter und stationärer Versorgung ist. Ein Anfang könnte mit einer einheitlichen Vergü- tung ambulanter Operationen gemacht werden. Die Forderung, wonach MVZ künftig in ärztlicher Hand sein sollen, bleibt beste- hen. Auch wenn die Bereitschaft der Politik, sich mit einer neu- en Honorarreform auseinanderzusetzen, begrenzt ist, bleibt sie dennoch. Gleiches gilt übrigens für die GOÄ-Novelle. Schließlich hat Rösler angekündigt, eine neue Kommission ins Leben zu rufen, in der die Akteure des Gesundheitswesens gemeinsam Maßnahmen gegen eine Unterversorgung in ländlichen Gebie- ten treffen sollen. Zudem will Rösler im ersten Halbjahr 2011 ein Versorgungsgesetz auf den Weg bringen, das unter anderem die Bedarfsplanung reformieren soll. Die Gesundheitsreform ist ein Provisorium, wie Rösler selbst einräumt. Die Reform verschafft der GKV nur kurzfristig Luft, da sie auf nachhaltige Strukturver- änderungen bisher verzichtet. Nach der Reform ist also vor der Reform. Die Reformarbeit muss deshalb am 1. Januar 2011 wie- der aufgenommen werden, um den verpassten Einstieg in eine Wettbewerbsordnung zu heilen. Dabei muss klar sein, dass mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen mehr Vertragsfreiheit bedeu- tet und ein Wettbewerb um Qualität sein sollte.

Neben verbesserten Möglichkeiten zur sektorübergreifenden Versorgung, muss eine vollkommen neue Bedarfsplanungsarchi- tektur entwickelt werden. Trotz ständig steigender Zahl an (teil-) berufstätigen Ärzten beklagen wir einen Ärztemangel. Freilich nicht in den Ballungszentren. Die Versorgungsplanung muss sich am wirklichen Bedarf der Patienten orientieren und regionale Strukturen bei der medizinischen Versorgung berücksichtigen.

Ein Einstieg in innovative Versorgungsstrukturen muss zeitnah erfolgen – besser heute – als morgen. Nur so kann der Anstieg der (Zusatz-)Beiträge zur GKV dauerhaft in Grenzen gehalten werden. Rösler hat recht, wenn er ein System anstrebt, das nicht alles zentral und einheitlich lenkt, sondern den Akteuren mehr Handlungs- und Vertragsfreiheit gibt. Die aktuelle Gesundheits- reform war vielleicht der Auftakt – das Hauptwerk muss folgen.

Damit wir uns entsprechend für eine sinnvolle Weiterentwicklung und -gestaltung des Gesundheitswesens einbringen können, be- nötigen wir Sie, unsere Mitglieder und Leser, auch im Jahr 2011.

Ich wünsche Ihnen erst einmal ein besinnliches Weihnachtsfest und einen schönen Jahreswechsel.

Warten auf die Reform!

Dr. Max Kaplan, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer

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