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Koalitionsvertrag: Keine Frage von Mut oder Risiko

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Academic year: 2022

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Leitartikel

Ein aufregendes Jahr 2005 neigt sich seinem Ende zu. Regierungskrise, Vertrauensfrage, Neuwahlen, Wahlkampf, ein Wahlergebnis mit einer „Patt-Situation“ von Union und SPD und langwierige Koalitionsverhandlungen.

Und nun die „Koalition der neuen Möglich- keiten“. Sanieren, investieren und reformieren – das wollen Union und SPD in den kommen- den vier Jahren. Die Große Koalition bringt für alle vor allem eines: höhere Belastungen.

Unter dem Motto „Gemeinsam für Deutsch- land: Mit Mut und Menschlichkeit“ geht auch der Umbau des Sozialstaats weiter. Dabei ging es allem Anschein nach eher um neue Einnah- mequellen, denn um echte Strukturreformen.

Vermutlich war der letztendlich entstandene Koalitionsvertrag weder der große Wurf noch das Einheitswerk zur Rettung der Republik.

Doch schon bevor die Koalitionäre – 39 Jahre nach dem Start der letzten Großen Koalition – ihre Arbeit überhaupt aufnahmen, herrschte eine Stimmung im Land, als sei „Land unter“, als gäbe es dieser Tage eine Lust, erst einmal alles niederzumachen. Viele stimmten ein in ein kollektives Lamento: Mittelständler, Be- amte, Rentner, Hochschullehrer oder Studen- ten. Auch wir Ärztinnen und Ärzte scheinen uns diesem Trend nicht völlig entsagen zu können. Doch wir können mit einem „guten Pfund wuchern“, haben doch renommierte Institute, wie das Fritz Beske Institut für Ge- sundheits-System-Forschung (IGSF), heraus- gefunden: „Deutschlands Gesundheitswesen ist effizient und preiswert“. Dennoch wird es von seinen Kritikern oft als teuer und ineffizient bezeichnet. „Mercedes zahlen und VW fahren“

– kaum ein anderer Slogan ist in den letzten Jahren so häufig für das Verhältnis von Preis und Leistung im deutschen Gesundheitswesen benutzt worden. Doch der Beweis für diese Behauptung wurde eigentlich nie erbracht.

Und auch das Institut für Qualität und Wirt- schaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQIG)

zeigt in einer neuen Studie: „Patienten be- scheinigen dem deutschen Gesundheitswesen eine hohe Qualität“. Deutschland hat im inter- nationalen Vergleich die kürzesten Wartezei- ten, Laborbefunde sind verlässlicher und liegen schneller vor, Patienten haben mehr Möglich- keiten bei der Arztwahl, bekommen im Kran- kenhaus seltener eine Infektion und wer chro- nisch krank ist, wird häufiger und regelmäßi- ger präventiv untersucht. Dennoch sind Deut- sche mit ihrem Gesundheitswesen weitaus un- zufriedener als Patienten in anderen Ländern.

Die große Koalition ist von Anbeginn an ein Projekt mit ungewissem Ausgang. Das Koali- tionspapier lässt im Kapitel „IV. Soziale Si- cherheit verlässlich und gerecht gestalten“ kein wirklich durchdachtes Konzept für die nächs- ten vier Jahre erkennen. Stattdessen soll mit einem Mix aus Ausgabenbegrenzungen, Ver- tragswettbewerb und staatlich verfügten Ho- norarabsenkungen die Kostendämpfungspolitik der vergangenen Jahre fortgesetzt werden.

Doch auch Positives lässt sich in dem 135-Sei- ten-Papier finden: Zur Beseitigung von Ver- sorgungsengpässen ist eine Liberalisierung der vertragsärztlichen Tätigkeit vorgesehen durch die Verbesserung der Anstellungsmöglichkeiten bei und von Vertragsärzten und einer Flexibi- lisierung der Bedarfsplanung auf Landesebe- ne. Hoffen lassen vielleicht auch die Ankündi- gungen zu neuen oder erst vor kurzem gestarteten Versorgungsangeboten:

• Disease-Management-Programme (DMP):

Zur Reduktion des Verwaltungsaufwandes und unter Berücksichtigung der Multimorbi- dität ist die Schaffung eines einheitlichen Rahmens für alle Programme erforderlich.

Dabei soll geprüft werden, ob ein einheitlicher Qualitätsstandard für alle gesetzlichen Kran- kenkassen verpflichtend ist. Des Weiteren soll die Verknüpfung mit dem Risikostrukturaus- gleich neu gestaltet werden.

• Verankerung der Regelung zur besseren pal- liativmedizinischen Versorgung im Vertrags- recht der gesetzlichen Kranken- und Pflege- versicherung.

• Sicherstellung einer angemessenen Pflege, Umlageverfahren wird durch kapitalgedeckte Elemente ergänzt.

• Bei Verweigerung der Zahlung der Praxis- gebühr werden die Gerichtskosten beim Schuldner erhoben, ohne die Leistungserbrin- ger oder die Kostenträger zu belasten.

In Sachen Miteinbeziehung der nichtärzt- lichen Heilberufe in Versorgungskonzepte, Einführung einer „Spar-Gebührenordnung“

oder einer Behandlungspflicht zu bestimmten Gebührensätzen für privat versicherte Perso- nengruppen, ist das Papier jedoch inakzepta- bel. Gerade eine Behandlungspflicht im Rah- men der abgesenkten amtlichen Gebührenord- nung für Ärzte (GOÄ) ist systemwidrig und widerspricht den Prinzipien der freiberuf- lichen Berufsausübung. Diese Einschränkung wirft erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel auf. Und auch die Äußerungen vom „Ende der Zwei-Klassenmedizin“ von Bundesgesund- heitsministerin Ulla Schmidt (SPD) durch Angleichung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung lassen nichts Gutes er- ahnen. Mit ihren Äußerungen sorgte sie ja als erste für eine Zerreißprobe des fragilen Kon- strukts, den ein unter beiderseitiger Kompro- missen entstandener Koalitionsvertrag nun einmal darstellt. Dabei sollte doch auch Ulla Schmidt zur Kenntnis nehmen, dass gerade durch das von ihr protegierte Einzelvertrags- system nicht nur eine Zwei- sondern eine wahre „Viel-Klassen-Medizin“ zu entstehen droht. Leidtragende wären die Patienten. Ob die Koalition hält, wird sich 2006 erweisen.

Dann soll die echte Reform des Gesundheits- und Pflegesystems angegangen werden. Weil die Koalitionäre zu weit auseinander lagen, hat man diesen Punkt im Vertrag zunächst einmal ausgeklammert und sich versprochen, dies später anzupacken. Wird das der Testfall oder ist es die Sollbruchstelle? Wir werden se- hen.

Bis dahin wünschen wir Ihnen ein frohes Weihnachtsfest und ein gesundes neues Jahr 2006.

Koalitionsvertrag: Keine Frage von Mut oder Risiko

Dr. Axel Munte, Vorsitzender des Vorstands der KVB

Bayerisches Ärzteblatt 12/2005 815 Dr. H. Hellmut Koch,

Präsident der BLÄK

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