Clemens Simmer
Einführung
in die Meteorologie I
- Teil IV: Meteorologische
Zustandsvariable -
Gliederung der Vorlesung
0 Allgemeines I Einführung
II Zusammensetzung und Aufbau der Atmosphäre III Strahlung
IV Die atmosphärischen Zustandsvariablen V Thermodynamik der Atmosphäre
--- VI Dynamik der Atmosphäre
VII Atmosphärische Grenzschicht
VIII Synoptische Meteorologie
IV Die atmosphärischen Zustandsvariablen
IV.1 Luftdruck
IV.2 Windgeschwindigkeit und turbulente Transporte IV.3 Temperatur
IV.4 Feuchte
IV.2 Windgeschwindigkeit
1.
Allgemeines
2.
TurbulenteTransporte, Reynolds-Mittelung und logarithmisches Windprofil
3.
Windmessung
• In der Atmosphäre finden durch die Luftbewegung ständig Transporte von Eigenschaften (z.B. Masse, Wasserdampf, Wärme) statt.
• Diese Transporte finden i. a. auf allen Skalen statt.
– Die Bewegung einzelner Moleküle transportieren,
– so wie auch kleine Wirbel beginnend mit Millimeter großen Auslenkungen in einer Zigarettenrauchfahne
– bis zu hundert Meter großen Wirbeln, die in Rauchfahnen von Schloten sichtbar werden,
– ebenso wie ganze Kubikkilometer Luft, die durch großskalige Druckgradienten bewegt werden.
• Legt man eine räumliche Skala fest, auf der man die Zustandsgrößen (als Mittel) betrachtet – wie z.B. in numerischen Modellen mit
Gitterweiten von Kilometern - so unterscheidet man:
– skalige Transporte, wenn sie z.B. durch die mittleren Größen auf dieser Skala (Mittelung z.B. über 1 km³, über 10 Minuten, etc.) bestimmt werden, und
– subskalige Transporte, die auf kleineren Skalen stattfinden. Diese subskaligen Transporte von Energie (Wärme, Wasserdampf, Masse, Impuls…) sind insbesondere an der Grenzfläche zwischen Untergrund (Erdboden, Wasserflächen) und der Atmosphäre bedeutend.
IV.2.2 Turbulente Transporte
Transportflussdichten
• In der Atmosphäre beziehen wir Transporte gern auf Einheitsflächen oder –querschnitte; d.h. wir möchten wissen, wieviel von einer
beliebigen Eigenschaft (Masse, Energie, Impuls) pro Sekunde durch eine Einheitsfläche hindurch geht.
• Dies kennen wir bereits von der Strahlung: Den Energiefluss durch Strahlung durch eine horizontale Einheitsfläche haben wir als
Strahlungsflussdichte F bezeichnet:
• Analog gibt es eine Massenflussdichte FM :
• ...und eine Impulsflussdichte FI (die wir schon als Druck kennen):
F = Strahlungsenergie
Quadratmeter×Sekunde mit "#F$%= W
m2 = J m2s
FM = Masse
Quadratmeter×Sekunde mit
[ ]
Fm = kg m2sFI = Masse×Geschwindigkeit
Quadratmeter×Sekunde mit
[ ]
FI = kg msm2s = kg
ms2 = Pa
Flussdichten durch Massentransporte
• Anders als beim Strahlungstransport sind die Transporte von Impuls,
Wärmeenergie (=kinetische Energie der Moleküle) oder Wasserdampf immer auch mit Massentransporten verbunden.
• Die Einheitenanalyse zeigt, dass wir massengebundene Transporte durch das Produkt von Massenflussdichte ρv, [ρv]=(kg/m3)(m/s)=kg/(m2s) und die ent-
sprechenden massenspezifischen Größe χ (d.h. Größe pro kg) schreiben können:
Wasserdampf: ⎡⎣ ⎤⎦Fw = kg
m2s = kg kg
kg m3
m
s ⇒ FW = ρWv = ρW
ρ ρv = qρv , ⎡⎣ ⎤⎦q = kgkg spezifische Feuchte
Impuls: [ ]FI = kg m sm2s = kg m skg mkg3 ms = ms mkg3 ms ⇒ FI =vρv , [ ]v kg m skg mass. spez. Impuls Wärmeenergie: [ ]Fe = mJ2s = kgJ mkg3 ms ⇒ FQ =eρv mit [ ]e = Jkgmassenspezif. Energie e =cvT innere Energie mit
cv spezifische Wärme bei konst.
Volumen ( = 717J / (KgK))
Allgemein: Fχ = χρv mit χ = e,v,q,... massenspezifische Größen
Transporte: skalig und subskalig
𝜒𝜌𝑣
Transporte/Flussdichten erfolgen skalig und/oder
subskalig (Turbulenz).
Annahme: Die Luft links sei wärmer als rechts. Dann
können Wirbel an der Grenz- fläche Wärme von links nach rechts transportieren, auch wenn die mittlere Wind-
geschwindigkeit Null ist.
Wie beschreiben wir die skaligen und subskaligen Flussdichteanteile?
→ Reynolds-Mittelung (Osborne Reynolds,
Fχ = χρv
Turbulenz und Reynolds Mittelung (1) ε ε
x t,
'
ε
Rechenregeln: ε +δ = ε +δ , εδ ' = ε δ ' = 0 , εδ = ?
Mittelungsintervall Δt, Δx
ε ≡ lim
N→∞
1
N εi
i=1
∑
N = Δ1t ε(t)dtΔ
∫
t Zeitmittelwert oder = 1Δx ε(x)dx
Δ
∫
x Raummittelwert Schreibe ε als die Summe von Mittelwert und Abweichung:ε =ε +ε!
mit ε!=ε-ε → ε"= 1
Δt
(
ε −ε)
Δt
∫
dt = Δ1t εdtΔt
∫
=ε
! "# $#
− 1
Δt ε dt
Δt
∫
=ε
Δt dt=ε
Δ∫t
! "# $#
≡ 0 Betrachte eine beliebige
Eigenschaft ε als
Funktion der Zeit t oder des Ortes x und mittle diese über Intervalle in der Zeit Δt oder bezüglich des Ortes Δx.
Turbulenz und Reynolds Mittelung (2)
Fχ = ρvχ ≅ ρ(v +v ')(χ + χ ') = ρ
(
v χ +vχ!+v!χ +v!χ!)
= ρ(v χ +vχ '+v 'χ +v 'χ ') = ρ(v χ +v 'χ ') = ρv χ
Transport durch ! + ρv 'χ '
Transport durch !"#
• Produkte von meteorologischen Größen treten vielfach auf, z.B. im Advektionsterm bei der Eulerzerlegung.
• Für die Flussdichte einer Eigenschaft χ müssen wir ebenfalls über ein
Produkt - χρv - mitteln. Dazu schreiben wir alle drei Größen als Summe von Mittelwert und Abweichung, also , und damit
• Wir berücksichtigen weiter, dass die Luftdichte ρ im Vergleich zu anderen Größen in der Atmosphäre lokal kaum variiert; diese Approximation heißt Boussinesq-Approximation (Joseph Boussinesq, 1842 – 1929):
. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass die Luft
wenig kompressibel ist (verhindert „störende“ Schallwell. bei num. Modellen).
ε = ε + ε '
ρ = ρ + ρ' ≅ ρ
Fχ = ρvχ = (ρ + ρ')(v +v ')(χ + χ ')
11
Turbulenz und Reynolds Mittelung (3)
Gemittelte Flussdichte ρvχ ≅ ρvχ + ρv' χ '
Was bedeutet der letzte Term?
v!χ!= 1
Δt v!(t)χ!(t)dt
Δt
∫
= Δt1(
v(t)− v) (
χ(t)− χ)
dtΔt
∫
t v‘(t)χ‘(t)
v(t)
t
t χ(t)
< 0
′
′ χ v
Δt
v
χ '
v
negativer turbulenter χ-Transport χ '
In Bodennähe verschwindet die mittlere Vertikalgeschwindigkeit (Massenerhaltung). Vertikaltransporte können dann nur noch turbulent erfolgen:
Besonderheit:
vertikaler Transport in Bodennähe
' ' da 0
w w w
ρ χ ρ χ
≅ =Beispiele:
• vertikaler turbulenter Horizontalimpulstransport τ (= Reibung)
• vertikaler turbulenter Wasserdampftransport E (= Verdunstung)
• vertikaler turbulenter Wärmetransport H
τ = ρwv ≅ ρw'v' , E ≡ ρwq ≅ ρw'q' , H = ρcpwT ≅ cpρw'T '
mit v spezifischer Horizontalimpuls, q = ρw
ρ spezifische Feuchte und
' '
e Flussdicht
Gemittelte
ρ
vχ
≅ρ
vχ
+ρ
vχ
• Nahe der Erdoberfläche (< 100m) nimmt der Horizontalwind von 0 am Boden stark mit der Höhe zu (bis zum geostrophischen Wind) und ist durch diese Windscherung oft turbulent (sog. Mischungsschicht oder Prandtl Schicht (Ludwig Prandtl, 1875-1953)).
• In dieser Schicht wird der Impuls der Luft durch den Impulsfluss τ - verursacht durch den vertikalen Austausch von Luftpaketen - zum Boden transportiert.
• Unter stationären Verhältnissen muss mit der Höhe konstant sein – denn Impulsflusszu- bzw. –abnahmen würden dort jeweils zu
Geschwindigkeitsab- bzw. –zunahmen führen; die Kovarianz von w’ und v’ ist also höhenkonstant.
• Betrachten wir den vertikalen Austausch von Luftpaketen als Ursache des Impulsflusses, so muss –wenn der Wind zum Boden hin abnimmt - immer ein positives u’ mit einem negativen w’ zusammenhängen und umgekehrt, also τ < 0.
• Wir führen eine Geschwindigkeit u* (Reibungsgeschwindigkeit) ein, welche die miteinander korrelierten (gleich- oder gegensinnig variierende) Geschwindig-
keitsabweichungen u’ und w’ quantifiziert (nach Messungen gilt etwa u*=1,25σv,w mit σv,w die Standardabweichung von v bzw. w), womit wir schreiben können:
Logarithmisches Windprofil (1)
τ = ρ w ' v ' = − ρ u
*2= const
τ = ρw'v'
Logarithmisches Windprofil (2)
• Das vertikale Windprofil in der Prandtl Schicht erschließen wir uns wiederum durch eine Dimensionsanalyse.
• Die Änderung der Geschwindigkeit mit der Höhe ∂u/∂z sollte abhängen
– der Stärke des Impulsflusses und damit von u* – und von der Höhe über Grund z .
• Es gibt nur eine Möglichkeit, wie man nach Einheiten u* und z mit ∂u/∂z in Verbindung bringen kann:
(Theodore von Karman, 1881-1963)
• Integration liefert schließlich das logarithmische Windprofil:
∂u
∂z = u*
κz mit κ eine dimensionslose Konstante, die experimentell zu ~0,4 bestimmt wurde. Dies ist die von- Karman Konstante.
∂u = du = u* κ
dz
z = u*
κ dln z , u(z) = u*
κ
(
lnz −lnz0)
mit u(z0) = 0u(z) = u*
ln z
mit z Rauhigkeitslänge
Logarithmisches Windprofil (3)
• Das logarithmische Windprofil
gilt nur, wenn die Wärmeflüsse (Turbulenz durch Aufheizen oder Abkühlen des Bodens) klein sind – sog. neutrale Verhältnisse (Abb.).
• u* und z0 lassen sich durch zwei Messungen des Horizontalwindes bestimmen.
• z0 hängt mit der Bodenrauhigkeit zusammen und beträgt zwischen wenigen Millimetern (Grass) bis zu Metern (Wald).
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u(z) = u*
κ ln z
z0 mit u* = τ
ρ Reibungsgeschwindigkeit und z0 Rauhigkeitslänge
Messungen über Grass (aus Blackadar, 1996)
Struktur atmosphä- rische
Grenz-
schicht
Damit folgt insgesamt dχ
dt
individuelle Änderung von χ
! ≅ ∂χ
∂t +
mittlere lokale Änderung
!
v! ⋅ !
∇χ
"Advektion"
mit dem mittleren
Wind
! + !
∇⋅
( )
v!′χ′Divergenz der turbulenten Flussdichten
" #$ %$
Mittelung der prognostischen Grundgleichungen - Schließung
Die linken Seiten der prognostischen Grundgleichungen haben die Form:
dχ
dt = ∂χ
∂t + v⋅
(
∇)
χMitteln des "Advektionsterms" ergibt:
v!⋅ !
( )
∇ χ =( )
v!⋅∇! χ +( )
v!′⋅∇! χ′Produktregel=! v!⋅ !( )
∇ χ +∇⋅!( )
v!′χ′ − χ′( )
∇⋅! v!′bei Inkompressibilität=0 (Kontinuitätsgleichung
dρ
dt =-ρ∇⋅! !v=0 )
" #$ %$
• Die gemittelten (über Gitterelement, über Zeitintervall) prognostischen Grundgleichungen erhalten alle einen turbulenten Zusatzterm, die
Divergenz turbulenter Flüsse der die Anzahl der Unbekannten erhöht.
• Das Finden der nun notwendigen zusätzlichen Bestimmungs-
gleichungen wird Schließung (des Gleichungssystems) genannt.
Zusammenfassung
Flussdichten Fχder massenspezifischen Eigenschaft χ in Abhängigkeit von der Massenflussdichte ρvFχ = χρv mit χ =1,v,e,q,...
Gemittelte Flussdichte
Reynolds Mittelung + Boussinesc Approximation ρvχ ≅ ρvχ +ρv'χ'
vertikale Flussdichten am Boden:
Horizontalimpuls τ = ρwv ≅ ρw'v' Wasserdampf E ≡ ρwq ≅ ρw'q'
fühlbare Wärme H = ρcpwT ≅ cpρw'T '
In der unteren Grenzschicht:
τ = ρw'v'=−ρu*2 =const
mit u* Reibungsgeschindigkeit
∂u
∂z = u*
κz aus Dimensionsgründen mit κ ~0,4 von-Karman Konstante.
u(z) = u* κ ln
z
z0 mit z0 Rauhigkeitslänge
dχ
dt = ∂χ
∂t + v!⋅ !
( )
∇ χ⇒ dχ dt
individuelle Änderung von χ
! ≅ ∂χ
∂t +
mittlere lokale Änderung
!
v!⋅ !
∇χ
"Advektion"
mit dem mittleren
Wind
! + !
∇⋅
( )
v!′χ′Divergenz der turbulenten Flussdichten
" #$ %$
Übungen zu IV.2.2
Folgende vertikale Windgeschwindigkeiten w, Temperaturen T und spezifische Feuchten q seien an einer zeitlich hochauflösenden Messstation (in 2 m
Höhe) über ein Zeitintervall von 10 Sekunden gemessen worden.
a) Berechne mittels R© oder Python die vertikalen turbulenten Flüsse der
(fühlbaren) Wärme H, des Wasserdampfes E und des Horizontalimpulses M (der Druck sei 1000 hPa):
b) Wie groß sind u* und z0?
c) Wie hoch ist die Windgeschwindigkeit in 10 m Höhe?
H = ρcpw'T ' , E = ρw'q' , τ = ρw'v'
Zeit (s) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
w (m/s) 0,5 0,4 0,1 -0,3 -0,6 -0,2 0,4 0,4 0,1 -0,3 v (m/s) 2,1 2,4 1,5 1,4 1,9 2,2 1,9 0,9 0,5 2,0 q (g/kg) 10,5 11,2 12,0 11,4 10,3 12,0 13,0 13,2 12,6 11,9
T (°C) 20,5 21,0 20,9 20,8 20,9 21,0 21,0 20,8 20,9 21,0