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Der Wegweisungsartikel kann in der Praxis kaum umgesetzt werden, falls er überhaupt als Legitimation für polizeiliches Handeln verwendet werden kann

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M 241/2003 POM 11. Februar 2004 46C

Motion

0500 Kaufmann, Bern (SP)

Weitere Unterschriften: 20 Eingereicht am: 16.09.2003

Aufhebung Wegweisungsartikel (Art. 29) Kantonales Polizeigesetz

Der Regierungsrat wird beauftragt, dem Grossen Rat eine teilweise oder ganze Streichung des Artikels 29 des kantonalen Polizeigesetzes, zumindest aber der Buchstabe b und c, vorzulegen.

Begründung

Der so genannte "Wegweisungsartikel" war bereits beim Erlass des neuen Polizeigesetzes (in Kraft seit Juni 1997) hart umstritten und war unter anderem ein Grund für das Referendum gegen das Gesetz.

Die Buchstaben b und c wurden ins Gesetz mit Blick auf Massnahmen gegen offene Drogenszenen und andere Ansammlungen eingesetzt, obschon namhafte Verfassungs- und Strafrechtler der Ansicht waren, hier werde polizeiliche Willkür in einem sensiblen Bereich freiheitlicher Verfassungsrechte (u.a. Versammlungsfreiheit) Vorschub geleistet.

Zudem war bestritten, ob die Artikel in der Praxis überhaupt etwas bringen würden.

Die Praxis der letzten fünf Jahre hat die kritischen Stimmen von damals mehr als bestätigt:

Abgesehen von der verfassungsmässigen Schwierigkeit ist die heutige Polizeiarbeit mit oder ohne Wegweisungsartikel genau dieselbe und auch genau so schwierig.

Der Wegweisungsartikel kann in der Praxis kaum umgesetzt werden, falls er überhaupt als Legitimation für polizeiliches Handeln verwendet werden kann. Denn es hat sich - vor allem auch im Bereich der Drogenpolitik - gezeigt, dass sein Vollzug allerhöchstens sehr kurzfristig wirksam ist. Seine langfristige und präventive Wirkung hat sich aber insgesamt als Schlag ins Wasser herausgestellt. Die Weggewiesenen sind bald wieder vor Ort und deren andauernde Kontrolle würde die Kapazitäten der Polizei bei weitem übersteigen.

Das haben auch polizeiliche Stellen und zahlreiche Medienberichte bestätigt.

Insofern sind die Buchstaben b und c des Wegweisungsartikels unnötiger Ballast im kantonalen Polizeigesetz und können ersatzlos gestrichen werden.

Die Streichung soll die Arbeit der Polizei und der Behörden im Drogenbereich weder behindern noch erschweren. Im Gegenteil sollen damit die drogenpolitischen Grundsätze inklusive der "Repression" noch klarer und gestärkt durchgesetzt werden. Der Wegweisungsartikel schafft eher Unklarheiten zwischen den fürsorgerisch-betreuenden und polizeilichen Massnahmen und bringt im wichtigen Kampf gegen den Drogenhandel erst noch wenig.

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Antwort des Regierungsrates

Wegweisung bedeutet, eine Person von einem Ort wegzuschicken. Fernhaltung ist die unmittelbar daran anschliessende bzw. allenfalls auch selbständige Anweisung, einen Ort bzw. ein Gebiet nicht mehr zu betreten. Art. 29 PolG ist keine selbständige Legitimation für polizeiliches Handeln. Vielmehr ergibt sich die Legitimation für das konkrete polizeiliche Handeln jeweils aus den gesetzlich verankerten staatlichen Aufgaben, zu deren Wahrnehmung die Polizei eingesetzt wird. Die Wegweisung und Fernhaltung ist damit nicht Selbstzweck, sondern allein ein Mittel zum Zweck. Dieses Mittel wird im Rahmen der Verhältnismässigkeit von der Polizei zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben eingesetzt.

Wegweisung und Fernhaltung greifen in die persönliche Freiheit ein (Art. 10 Abs. 2 Bundesverfassung [BV]), welche unter anderem die Bewegungsfreiheit garantiert. Eingriffe in Grundrechte sind nicht a priori verboten. Greift polizeiliches Handeln in Grundrechtspositionen von Bürgerinnen und Bürgern ein, bedarf dies jedoch einer gesetzlichen Grundlage, eines öffentlichen Interesses und der Verhältnismässigkeit. Ein Eingriff in den Kerngehalt wäre unzulässig (Art. 36 BV).

Art. 29 PolG stellt die formell-gesetzliche Grundlage des Eingriffs in die persönliche Freiheit durch Wegweisung und Fernhaltung dar. Die Wegweisung von einem Ort, zu dem die betroffene Person nur geringe Beziehungen hat, ist als leichter Eingriff in die persönliche Freiheit zu werten. Je näher und intensiver die Beziehung zu einem Ort bzw.

je grösser die Bedeutung des Ortes für die betroffene Person ist, umso schwerwiegender ist bei einer Wegweisung und Fernhaltung der Eingriff in die persönliche Freiheit.

Für die Polizeiarbeit ist die Wegweisung und Fernhaltung von ausserordentlich grosser Bedeutung. Erwähnt seien hier etwa folgende in Art. 29 PolG generell-abstrakt enthaltenen Fallkonstellationen:

- Wegweisung und Fernhaltung von Personen, welche sich in Gefahrengebieten befinden (z.B. Wegweisung von Orten mit akuter Explosions- oder Brandgefahr, Evakuationen aus Lawinengebieten [Art. 29 lit. a PolG]);

- Wegweisung und Fernhaltung von Personen, die Rettungseinsätze behindern (z.B.

Schaulustige, Behinderung von Einsätzen der Feuerwehr oder der Sanität [Art. 29 lit. c PolG]);

- Wegweisung und Fernhaltung von Personen, welche die Polizei beim Vollzug vollstreckbarer Anordnungen, d.h. rechtskräftiger Entscheide und Verfügungen von Gerichten und Verwaltungsbehörden, hindern, stören oder sich einmischen (z.B.

Vollzug eines Verhaftsbefehls, eines Arrestbefehls nach SchKG, einer Exmission [Art. 29 lit. d PolG]);

- Wegweisung und Fernhaltung von Personen, welche die Polizei bei der Erfüllung ihrer Aufgaben behindern (z.B. Behinderung der Polizei bei der Tatbestandsaufnahme einer Umweltverschmutzung, Behinderung der Festnahme einer Person oder der Auflösung einer Schlägerei [Art. 29 lit. e PolG]).

Diese Fälle waren anlässlich der Beratung des neuen Polizeigesetzes wenig umstritten.

So wurden lit. a und c ohne Diskussion angenommen. Bezüglich lit. d wurde eine Beschränkung (streichen des Begriffs „einmischen“) mit 100 zu 38 Stimmen abgelehnt und der Antrag lit. e zu streichen wurde mit 129 zu 14 Stimmen abgelehnt. Anders als in der Motion geltend gemacht, steht lit. c in keinem direkten Zusammenhang zu lit. b und wurde ein solcher Zusammenhang auch anlässlich der Beratung nicht geltend gemacht.

Umstritten war hingegen in der Tat die Bestimmung von Art. 29 lit. b PolG. Diese Bestimmung sieht vor, dass eine Wegweisung und Fernhaltung gegen Personen ausgesprochen werden kann, für die der begründete Verdacht besteht, dass sie oder andere, die der gleichen Ansammlung zuzurechnen sind, die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden oder stören. Die entsprechende Bestimmung wurde mit 91 zu 54 Stimmen (erste Lesung) bzw. 92 zu 54 Stimmen (zweite Lesung) verabschiedet (vgl.

Tagblatt 1996, S. 239 bzw. 603).

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Die zur Ausarbeitung des Polizeigesetzes zugezogenen Experten haben eine verfassungsmässige Anwendung als möglich bezeichnet und sich nicht in grundsätzlicher Weise gegen Art. 29 lit. b PolG - geschweige denn gegen die übrigen Anwendungsbereiche - gewandt. Vielmehr wurde nach idealen Formulierungen gesucht, welche den Rechten der Betroffenen einerseits und den Bedürfnissen des Gemeinwesens, vertreten durch die Polizei, andererseits am besten gerecht werden.

Mit der Aufhebung von Art. 29 PolG würde der Polizei ein wichtiges Instrument zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben entzogen. Der Wegweisungs- und Fernhaltungsartikel des Polizeigesetzes ist in seinen sämtlichen Aspekten - auch bezüglich der lit. b - für die Polizeiarbeit von grosser Bedeutung. So ist es ausserordentlich wichtig, dass die Polizei dort, wo festgestellt wird, dass aus einer Gruppe die öffentliche Sicherheit und Ordnung gestört wird, Personen von der Ansammlung ferngehalten werden können, auch ohne dass bereits ein konkretes Delikt nachgewiesen werden muss. Entgegen den Ausführungen in der Motion wurde Art. 29 lit. b PolG bereits mit Erfolg angewandt, vorab in der Stadt Bern. Der Wegweisungsartikel ist kein „unnötiger Balast“, sondern wichtiges Element in der Kette der polizeilichen Mittel.

Im Zusammenhang mit der verstärkten Bekämpfung häuslicher Gewalt und Gewalt und Drohung gegen Behörden wurde zudem das Mittel der Wegweisung und Fernhaltung von der zuständigen Projektorganisation als taugliches Mittel bezeichnet. Die im Kanton Bern in diesem Zusammenhang notwendigen Ergänzungen von Art. 29 PolG wurden vor kurzem in die Vernehmlassung gegeben.

Die Verwaltung handelt in der Regel mittels Verfügung. Eine Ausnahme bilden die Realakte. Vorab die Polizei ist häufig auf das Mittel des Realakts, d.h. des unmittelbaren Verwaltungshandelns angewiesen. Eine unmittelbar im Einsatz auszusprechende Wegweisung und Fernhaltung ist ein Realakt und wird damit nicht formell verfügt. Sobald die Fernhaltung hingegen auf längere Dauer ausgerichtet ist, wird sie der betroffenen Person mittels Verfügung schriftlich eröffnet. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern legt die Grenzen der Fernhaltung verbindlich fest. Diese Rechtsprechung bezieht sich nicht zuletzt auf die Aspekte des erforderlichen Verdachts, der zeitlichen Grenzen wie auch der Verhältnismässigkeit einer Fernhaltung. In jedem konkreten Einzelfall kann die betroffene Person eine Überschreitung oder Missachtung dieser Grenzen auf dem Rechtsweg geltend machen.

Abschliessend ist somit festzuhalten, dass die Wegweisung und Fernhaltung ein unverzichtbares polizeiliches Mittel darstellt. Es steht einer rechtsstaatlich korrekten Anwendung ohne weiters offen. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts hat Schranken gesetzt, welche von der Polizei nach bestem Wissen und Gewissen eingehalten werden. Den betroffenen Personen bleibt es dabei unbenommen, die Verletzung der von der Rechtsprechung konkretisierten Schranken auf dem Rechtsweg zu rügen.

Antrag: Ablehnung

An den Grossen Rat

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