„Tafsho Shinshu Daizokyo" oder kurz
„Taishö Issaikyö^'.
Von T. Matsumoto.
Ich brauche nicht hervorzuheben, welche Bedeutung
diese Ausgabe für die Wissenschaft hat. Nicht nur die Er¬
forscher des Buddhismus sind an ihr interessiert, sondern viel
weitere Kreise der Orientalisten im allgemeinen. Diese Aus-
g£ibe in 100 Bänden wird in kurzem vollendet sein. Es sei mir
als Mitarbeiter gestattet, hier kurz einige Erklärungen über
Form und Inhalt zu geben. Das Werk zerfällt in zwei Ab¬
teilungen: Die eigentliche Ausgabe des Tripitaka, in 85 Bän¬
den, und der Bilder-Atlas in 12 Bänden. Dazu kommen noch
drei Indexbände.
A. Die Ausgabe der Texte.
Es handelt sich um eine neue Ausgabe des Tripitaka in
Chinesisch. Die Texte sind neu kollationiert, revidiert, er¬
gänzt und neu geordnet. Dazu kommt eine große Zahl von
Originalabhandlungen chinesischer, koreanischer und japa¬
nischer Autoren. Die Herausgeber sind Prof. J. Takakusu
von der Kaiserlichen Universität zu Tokyo, Mitglied der
Kaiserlichen Akademie daselbst, und der am 26. Januar 1933
verstorbene Prof. K. Watanabe von der Taisho-Universität
zu Tokyo.
Die hier in dieser Ausgabe veröffentlichten Werke um¬
fassen 3053 Textnummern, die aus insgesamt 11970 Faszikeln
besteht. Es handelt sich dabei um chinesische Übersetzungen
aus dem Sanskrit, Päli und anderen indischen Dialekten,
ferner um Originalabhandlungen, die in China, Korea und
T. Matsümoto, „Taishö Issaikyo". 195
Japan verfaßt sind. Was in den Bänden 56—85 enthalten ist,
befindet sich noch in keiner früheren Ausgabe des Tripitaka.
Die neue Ausgabe enthält zunächst die schon in der
ersten Ausgabe enthaltenen Texte in revidierter Form,
nämlich :
1. Die ganze Tokyo-Ausgabe von 1881,
2. Die ganze Kyoto-Ausgabe von 1905,
3. Die wichtigeren Werke aus der fortlaufenden Reihe
der Kyoto-Ausgabe von 1914, die inzwischen ver¬
griffen ist.
Dazu kommen an neuen Texten:
1. Die unveröffenthchten Texte der Tempyo-Abschriften
des Tripitaka (A. D. 750) aus dem Besitz des Kaiser¬
hauses.
2. Die Texte, die in den Höhlentempeln von Tun-Huang
gefunden worden sind, und die sich jetzt befinden:
teils im Besitz des British Museum, London (Samm¬
lung von Sir Aurel Stein), teils in der Nationalbiblio¬
thek zu Paris (Sammlung von Prof. Paul Pehiot),
teils in der japanischen Bibliothek, Dairen, Manchou-
kuo (Sammlung des Count Kozui Otani).
3. Texte aus einigen alten Klöstern in Japan und Korea
und aus einigen privaten Sammlungen.
4. Historische Urkunden, Reisebeschreibungen, geo¬
graphische Abhandlungen und biographische An¬
merkungen, Beschreibungen alter buddhistischer
Klöster.
5. Werke von den Begründern oder von gelehrten
Priestern der japanischen buddhistischen Sekten oder
Schulen.
6. Verzeichnisse buddhistischer Ausdrücke und Werke
über Siddha's, Schrift, Buchstabenkombinationen und
Grammatik.
7. Schriften anderer religiöser und philosophischer Rich¬
tungen die mit dem Buddhismus in Beziehung ge¬
standen haben.
196 T. Matsumoto, ,, Taisho Issailcyo".
Verglichen wurden die vier hauptsächhchsten alten Aus¬
gaben des Tripitaka, nämlich : Die chinesischen Ausgaben aus
der Sung-Zeit (A. D. 1239), aus der Yüan-Zeit (A. D. 1290)
und der Ming-Zeit (A. D. 1589), sowie die koreanische (Kauli-)
Ausgabe vom Jahre 1250, die die vollständigste der in Korea
veröffentlichten Ausgaben ist.
Dadurch, daß für die Ausgabe aller dieser Texte die alten
Materialen aus den Höhlentempeln von Tun-Huang und die
Tempyo-Abschriften verglichen sind, hat sich die Zuverlässig¬
keit der publizierten Texte bedeutend vermehrt. Die neu hinzu
gekommenen Texte sind soweit als möglich nach den Origi¬
nalen, oder soweit sie nicht zugänglich waren, nach den
den Originalen nahestehenden Kopien veröffentlicht worden.
Waren die Manuskripte nicht zur Hand, so wurde der gedruckte
Text benutzt. Jedenfalls sind alle zugänglichen Handschriften
und Ausgaben berücksichtigt worden.
Die Anordnung der in dieser Ausgabe enthaltenen Texte
ist vollkommen neu, sie sieht ab von der bisherigen Einteilung
und Anordnung und unterscheidet so gut als möglich das
eigentliche Tripitaka von nicht wesentlichen Werken, wie
Kommentaren, Abhandlungen, Nachschlagewerken und dergl.
Folgendes ist die Einteilung:
1. Indische Sammelwerke.
a) Sütra's
Ägama, Avadäna-Jätaka, Prajnäpäramitä, Sad-
dharmapundarlka, Gandavyüha, Ratnaküta, Nirva¬
na, Mahäsainnipäta, verschiedene Sütra's, Tantra's.
b) Vinaya
Sthavira, MahKäsaka, Mahäsamghika, Dharma-
guptiya, Sarvästiväda, Bodhisattvaäila.
c) Abhidharma
Anmerkungen zu den Sütra's, Abhidharma-Ab-
handlungen, Mädhyamika, Yogäcärya, verschiedene
Abhandlungen.
2. Chinesische Sammelwerke.
Kommentare zu den Sütra's, Kommentare zu den
Vinaya's, Kommentare zu den Abhidharma-Werken,
T. Matsumoto, ,, Taishö Issailiyö". 197
Werke der verschiedenen Sekten: Mädhyamika, Vijnä-
namätra, Gandavyüha, Vinaya, Tien-Tai, Sukhävati,
Tantra, Dhyäna.
3. Japanische Sammelwerke.
Kommentare zu den Sütra's, Kommentare zu den
Vinaya's, Kommentare zu den Abhidharma-Werken,
Werke der verschiedenen Sekten: Mädhyamika, Vijnä-
namätra, Gandavyüha, Vinaya, Tien-Tai, Tantra,
Lin-Tsi, Tsao-Tun, Huang-Pi, Sukhävati, Seizan
Zweigsekte der Sukhävati-Sekte, Shin-Sekte, Yüzü-
nenbutsu-Sekte, Ji-Sekte, Nichiren-Sekte, Siddha-
Abhandlungen.
4. Ergänzungen (Indisch, Chinesisch, Japanisch).
Geschichte, Lexikon, Kataloge, Schriften anderer
Richtungen, Verlorene Texte, Zweifelhafte Texte.
Auf Sanskrit- und Päli-Ausdrücke, die in chinesische
Übersetzungen oder Transkriptionen übernommen sind, wird
in Fußnoten besonders hingewiesen.
B. Der Bilder-Atlas.
Es handelt sich hier um eine große Sammlung grund¬
legenden Materials für das Studium der buddhistischen Kunst.
Bilder und Gemälde, besonders aus dem mystischen Buddhis¬
mus, die im geheimen seit 1000 Jahren überliefert sind,
werden hier vielfach zum ersten Male veröffentlicht mit all
den sagenhaften Erläuterungen, die ihnen beigelegt sind: Die
Herausgeber dieser Bände sind: Prof. T.vkakusu von der
Kaiserlichen Universität zu Tokyo und Prof. G. Ono, Pro¬
fessor für buddhistische Kunst an der Koyasan-Universität
zu Wakayama.
Die buddhistische Kunst ist für die ganze buddhistische
Kultur von großer Wichtigkeit. Besonders wird reiches Ma¬
terial dargeboten zum Studium der buddhistischen Bilder
und Gemälde aus Japan.
Bisher war man auf dem Gebiete der buddhistischen
Kunst auf das historische Studium einzelner Kunstdenkmäler
oder auf subjektive Kritik derselben angewiesen. Noch jetzt
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198 T. Matsumoto, ,, Taishö Issaikyö"
werden, wie vor 1000 Jahren, die meisten wesenthchen Origi¬
nale in einsamen Klöstern verborgen gehalten. Hier ist zum
ersten Male alles erdenkliche Material zusammengebracht
und für die Wissenschaft zugänglich gemacht worden.
Die Grundlage der buddhistischen Kunst ist der my¬
stische Buddhismus, Mikkyo in Japanisch. Er ist eine Art
Tantrismus, aber man darf ihn nicht mit dem indischen
Tantrismus vergleichen. Der wesentliche Teil der Lehre ist
der sogenannte Mandala, eine runde Form der Bilder, die
geheiligte Wesen darstellen. Es gibt vier Arten:
1. Mahämandala. Der Hauptmandala bedeutet eine bild¬
liche Darstellung aller heiligen Wesen.
2. Samaya-mandala, eine symbolische Darstellung. Hier¬
bei werden keine Bilder gezeigt, sondern sie werden
dargestellt durch Dinge, die ihnen eigentümlich sind.
3. Dharma-mandala. Eine buchstäbliche Darstehung.
Sanskrit-Schriftzeichen, gewöhnlich „Bija-aksara"
genannt, werden gegeben, daher der andere Name
Blja-mandala, wie er oft gebraucht wird.
4. Karma-mandala, eine Darstellung der Bewegung.
So ist die Kunst des Bildhauens und Malens von den
Mandala's nicht zu trennen. Die Bilder und Gemälde der
ganzen Mahäyäna-Schule in China und Japan stammen von
denen des Mandala's ab. Der Bilder-Atlas des mystischen
Buddhismus und seine mündliche Erläuterung umfassen
folgendes:
1. Die vier Mandala's, jeder in zwei Klassen, d. i. Taizo-
(Garbha-Kosa) und Kongo-Kai (Vajra-dhätu).
2. Der einzelne Mandala eines jeden heiligen Wesens.
3. Die mannigfaltigen Haltungen oder Verschlingungen
der Finger (Mudrä).
4. Das Sinnbild oder die Merkmale der heiligen Wesen
(Samaya).
5. Die „Samen-Buchstaben" (Bija-aksara).
6. Die Abbildungen der Altäre, wo der Mandala hin¬
gestellt oder verehrt wird.
7. Die Gegenstände, die beim Ritual gebraucht werden.
T. Matsdmoto, „Taisho Issaikyo". 199
Außer den obigen, gibt es eine Art von Mandala, der
das Land der Seligkeit betrifft, und einige Abbildungen von
Kleidern, wie sie von Priestern getragen werden.
Im allgemeinen wurden die Originaltexte für die Ver¬
öffentlichung gewählt. Für den Fall, daß der Originaltext
nicht erreichbar war, wurde die exakteste Abschrift benutzt.
Wenn mehrere gute Texte vorhanden waren, wurden alle
gesammelt.
Die Ausgabe besteht aus Bänden von etwa 1000 Seiten
in Großoktav mit Lederrücken und Leinenumschlag. Die
85 Bände der eigentlichen Textausgabe können gegen eine
Vorauszahlung von 1020.— Yen bezogen werden. Die 12 Bände
des Bilder-Atlas gegen eine Vorauszahlung von 270.— Yen.
Von diesen Bänden kann auch jeder einzelne Band zu
25.— Yen bezogen werden von dem Verlag Daizo Shuppan
Kabushiki Kwaisha, Tokyo, Japan, Nr. 2 Hongosanchome.
Willy Bang Kaup.
9. August 1869 — 8. Oktober 1934.
Ein Nachruf von Hans Heinrich Schaeder.
Wenige Wochen nach seinem 65. Geburtstag ist W. Bang
Kaup in seinem Wohnsitz Darmstadt, gänzhch unerwartet
für seine Angehörigen und seine Freunde, nach kaum halb-
lägiger Krankheit und einer glücklich verlaufenen Operation
dahingegangen, mitten aus der Arbeit heraus. Sein Tod be¬
deutet einen nicht zu ersetzenden Verlust für die Berliner
Orientalistik, die erst vor wenigen Wochen durch das Ableben
seines Altersgenossen K. Sethe schwer betroffen worden ist.
Und mit ihm geht einer der letzten von den Männern dahin,
die im vergangenen Menschenalter die türkische Sprach¬
wissenschaft und Philologie zur ebenbürtigen Partnerin der
älteren orientalistischen Disziplinen erhoben haben.
W. Bang Kaup stammt aus einer alten hessischen Ge¬
lehrtenfamilie, zu deren Geschichte er in den 1908 privat
gedruckten und seinen Söhnen zugeeigneten ,Parentaha'
wertvolle Materialien mit liebevollem Fleiß zusammen¬
getragen hat. Den Wahlspruch, den er vor dies Buch schrieb:
Vivos amare voluptas, defunctos religio, hat er in seinem
Leben wahrgemacht. Menschlich wirkte er durch nichts so
stark wie durch die Treue, die er seinen Freunden hielt, und
durch die warme Verehrung, mit der er das Andenken seiner
Lehrer umgab. Unter ihnen stand ihm Charles de Harlez
in Löwen voran, der dem jungen Rheinländer die wissen¬
schaftlichen Wege wies und ihn über die ersten Stufen seiner
akademischen Laufbahn führte. Auf Bang Kaups Arbeits¬
tisch stand immer das Bildnis, das die scharfgeschnittenen.