Aus der Klinik für kleine Haustiere der Tierärztlichen Hochschule Hannover
Vergleichende Untersuchungen zur Urolithiasis bei Kaninchen und Meerschweinchen
INAUGURAL - DISSERTATION zur Erlangung des Grades einer DOKTORIN DER VETERINÄRMEDIZIN
(Dr. med. vet.)
durch die Tierärztliche Hochschule Hannover
Vorgelegt von Stephanie Rappold
aus Goslar
Wissenschaftliche Betreuung: Univ. - Prof. Dr. M. Fehr
1. Gutachter: Univ. - Prof. Dr. M. Fehr 2. Gutachter: Apl. - Prof. Dr. J. Zentek Tag der mündlichen Prüfung: 23. November 2001
für meine Mutter und meinen Vater
Inhaltsverzeichnis
Tabellen-, Abbildungs- und
Diagrammverzeichnis
. . . .9Verwendete Abkürzungen
. . . .13I Einleitung
. . . .15II Literaturübersicht
. . . .171 Urolithiasis
. . . .171.1 Definition, Terminologie. . . .17
1.2 Aufbau von Harnsteinen . . . .17
1.3 Pathogenese der Harnsteinentstehung. . . .18
1.3.1 Nukleation, Initiation. . . .18
1.3.1.1 Kristallisationstheorie . . . .19
1.3.1.2 Matrixtheorie . . . .20
1.3.1.3 Inhibitormangeltheorie . . . .21
1.3.2 Wachstum . . . .22
1.3.2.1 Kristallwachstum . . . .22
1.3.2.2 Epitaxie . . . .22
1.3.2.3 Aggregation . . . .23
1.4 Steinarten . . . .23
1.4.1 Kalziumphosphat (mineral.: Hydroxyapatit, Karbonatapatit, Brushit, Whitlockit) . . . .23
1.4.2 Kalziumoxalat (mineral.: Whewellit, Weddellit) . .24 1.4.3 Kalziumkarbonat (mineral.: Kalzit, Aragonit, Vaterit) . . . .25 1.4.4 Magnesiumammoniumphosphat
Inhaltsverzeichnis
1.4.5 Urat . . . .26
1.4.6 Xanthin. . . .27
1.4.7 Zystin . . . .27
1.4.8 Silikat . . . .27
1.4.9 Matrixsteine . . . .28
1.4.10 Medikamentensteine . . . .28
1.5 Steinanalysemethoden . . . .28
1.5.1 Qualitative Analyse . . . .28
1.5.2 Quantitative Analyse . . . .30
1.6 Harnsteine bei verschiedenen Tierarten . . . .32
1.6.1 Fleischfresser . . . .32
1.6.1.1 Hunde . . . .32
1.6.1.2 Katzen . . . .33
1.6.2 Wiederkäuer . . . .33
1.6.3 Pferd . . . .34
1.6.4 Schwein . . . .34
1.6.5 Weitere Tierarten . . . .35
2 Kaninchen und Meerschweinchen
. . . .362.1 Häufigkeit . . . .36
2.2 Alter. . . .36
2.3 Geschlechtsverteilung. . . .37
2.4 Lokalisation. . . .40
2.5 Harnsteinzusammensetzung . . . .40
2.6 Diagnostik. . . .44
2.6.1 Klinische Symptomatik. . . .44
2.6.2 Bildgebende Verfahren . . . .44
2.6.3 Laborveränderungen . . . .45
Inhaltsverzeichnis
2.6.3.1 Hämatologie. . . .45
2.6.3.2 Klinische Chemie . . . .45
2.6.3.3 Harnstatus . . . .46
2.6.4 Mikrobiologische Untersuchung. . . .48
2.6.4.1 Kaninchen . . . .48
2.6.4.2 Meerschweinchen . . . .48
2.7 Therapie . . . .48
3 Besonderheiten im Kalziumstoffwechsel von Kaninchen und Meerschweinchen
. . . .533.1 Kaninchen. . . .53
3.2 Meerschweinchen . . . .54
III Eigene Untersuchungen
. . . .571 Material und Methode
. . . .571.1 Patientengut . . . .57
1.2 Bildgebende Verfahren . . . .57
1.2.1 Röntgenuntersuchung . . . .57
1.2.2 Ultraschalluntersuchung . . . .58
1.3 Harnsteinmaterial. . . .58
1.4 Laboruntersuchung – Blut. . . .60
1.5 Laboruntersuchung – Harn. . . .62
1.6 Statistische Auswertung . . . .63
2 Ergebnisse
. . . .652.1 Patientengut . . . .65
2.1.1 Anzahl . . . .65
Inhaltsverzeichnis
2.1.2 Alter . . . .65
2.1.3 Geschlecht. . . .65
2.2 Symptomatik. . . .69
2.3 Bildgebende Verfahren . . . .71
2.3.1 Röntgenuntersuchung . . . .71
2.3.2 Ultraschalluntersuchung . . . .73
2.4 Lokalisation. . . .76
2.5 Steinanalyse. . . .76
2.6 Laboruntersuchung – Blut. . . .80
2.6.1 Hämatologie. . . .80
2.6.2 Klinische Chemie . . . .81
2.7 Laboruntersuchung – Harn. . . .82
2.7.1 Harnstatus . . . .82
2.7.2 Mikrobiologische Untersuchung. . . .83
IV Diskussion
. . . .91V Zusammenfassung
. . . .105VI Summary
. . . .109VII Literaturverzeichnis
. . . .111VIII Anhang
. . . .1291 Kaninchen
. . . .1292 Meerschweinchen
. . . .135Tabellen-, Abbildungs- und Diagrammverzeichnis
Literaturangaben über Urolithiasisfälle beim Kaninchen
38 Literaturangaben über Urolithiasisfälle beim Meer-
schweinchen
39 Literaturangaben über die Harnsteinzusammenset-
zung beim Kaninchen
42 Literaturangaben über die Harnsteinzusammenset-
zung beim Meerschweinchen
43 Literaturangaben zu hämatologischen Normalwerten beim Kaninchen
49 Literaturangaben zu klinisch-chemischen Normalwer- ten beim Kaninchen
50 Literaturangaben zu hämatologischen Normalwerten beim Meerschweinchen
51 Literaturangaben zu klinisch-chemischen Normalwer- ten beim Meerschweinchen
52 Alters- und Geschlechtsverteilung der Kaninchen mit Urolithiasis
66 Alters- und Geschlechtsverteilung der Meerschwein-
chen mit Urolithiasis
66 Lokalisation der Harnsteine, Alter und Geschlecht der Kaninchen
67 Lokalisation der Harnsteine, Alter und Geschlecht der Meerschweinchen
68 Symptomverteilung der Tiere mit Urolithiasis 70 Latero-laterale und ventro-dorsale Röntgenaufnahme eines zwei Jahre alten weiblichen Kaninchens mit Bla- senstein
71
Latero-laterale und ventro-dorsale Röntgenaufnahme eines ein Jahr alten männlichen Meerschweinchens mit Urolithiasis
72
Latero-laterale und ventro-dorsale Röntgenaufnahme eines sechs Jahre alten männlichen Kaninchens mit Nierenstein
72
Ultraschallbilder eines drei Jahre alten weiblichen Ka- ninchens und eines zwei Jahre alten männlichen Meerschweinchens mit Harnblasenstein
73
Ultraschallbilder einer Niere im Längs- und im Quer- schnitt eines ein Jahr alten männlichen Meerschwein- chens
73
Mittels Ultraschalluntersuchung ermittelte Nieren- maße und Körpermassen der Kaninchen mit Urolithia- sis
75
Mittels Ultraschalluntersuchung ermittelte Nieren- maße und Körpermassen der Meerschweinchen mit Urolithiasis
75
Ergebnisse der Harnsteinanalyse der Kaninchen mit Urolithiasis
78 Ergebnisse der Harnsteinanalyse der Meerschwein-
chen mit Urolithiasis
79 Ergebnisse der hämatologischen Laborwerte der Ka- ninchen mit Urolithiasis
84 Ergebnisse der hämatologischen Laborwerte der
Meerschweinchen mit Urolithiasis
85 Ergebnisse der Laborwerte der klinischen Chemie der Kaninchen mit Urolithiasis
86 Ergebnisse der Laborwerte der klinischen Chemie der Meerschweinchen mit Urolithiasis
87 Ergebnisse der Harnanalyse bei Kaninchen mit Uroli- thiasis
88 Ergebnisse der Harnanalyse bei Meerschweinchen mit Urolithiasis
89 Hämatokritwerte der Kaninchen mit Urolithiasis und
zugehöriger Normwert nach MEYER-BRECKWOLDT (1996)
129
Erythrozytenzahlen der Kaninchen mit Urolithiasis und zugehöriger Normwert nach MEYER-BRECKWOLDT (1996)
130
Leukozytenzahlen der Kaninchen mit Urolithiasis und zugehöriger Normwert nach MEYER-BRECKWOLDT (1996)
130
Lymphozyten und segmentkernige Granulozyten der Kaninchen mit Urolithiasis und zugehörige Normwerte nach MEYER-BRECKWOLDT (1996)
131
Thrombozytenzahlen der Kaninchen mit Urolithiasis und zugehöriger Normwert nach MEYER-BRECK- WOLDT (1996)
131
Harnstoffwerte der Kaninchen mit Urolithiasis und zu- gehöriger Normwert nach MEYER-BRECKWOLDT (1996)
132
Kreatininwerte der Kaninchen mit Urolithiasis und zu- gehöriger Normwert nach MEYER-BRECKWOLDT (1996)
132
Natriumwerte der Kaninchen mit Urolithiasis und zuge- höriger Normwert nach MEYER-BRECKWOLDT (1996)
133
Konzentrationen von Kalium, Phosphor, Gesamtkal- zium und ionisiertem Kalzium der Kaninchen mit Uroli- thiasis und zugehörige Normwerte nach MEYER- BRECKWOLDT (1996)
133
Aktivitäten der ALT, GlDH und AP der Kaninchen mit Urolithiasis und zugehörige Normwerte nach MEYER- BRECKWOLDT (1996)
134
Glukosewerte der Kaninchen mit Urolithiasis und zu- gehörige Normwerte nach MEYER-BRECKWOLDT (1996)
134
Hämatokritwerte der Meerschweinchen mit Urolithiasis und zugehöriger Normwert nach HILLYER und QUE- SENBERRY (1997)
135
Erythrozytenzahlen der Meerschweinchen mit Urolithi- asis und zugehöriger Normwert nach HILLYER und QUESENBERRY (1997)
135
Leukozytenzahlen der Meerschweinchen mit Urolithia- sis und zugehöriger Normwert nach HILLYER und QUESENBERRY (1997)
136
Lymphozyten und segmentkernige Granulozyten der Meerschweinchen mit Urolithiasis und zugehörige Normwerte nach HILLYER und QUESENBERRY (1997)
136
Thrombozytenzahlen der Meerschweinchen mit Uroli- thiasis und zugehöriger Normwert nach HILLYER und QUESENBERRY (1997)
137
Harnstoffwerte der Meerschweinchen mit Urolithiasis und zugehöriger Normwert nach HILLYER und QUE- SENBERRY (1997)
137
Kreatininwerte der Meerschweinchen mit Urolithiasis und zugehöriger Normwert nach HILLYER und QUE- SENBERRY (1997)
138
Natriumwerte der Meerschweinchen mit Urolithiasis und zugehöriger Normwert nach HILLYER und QUE- SENBERRY (1997)
138
Konzentrationen von Kalium, Phosphor, Gesamtkal- zium und ionisiertem Kalzium der Meerschweinchen mit Urolithiasis und zugehörige Normwerte nach HIL- LYER und QUESENBERRY (1997)
139
Aktivitäten der ALT, GlDH und AP der Meerschwein- chen mit Urolithiasis und zugehöriger Normwert nach HILLYER und QUESENBERRY (1997)
139
Glukosewerte der Meerschweinchen mit Urolithiasis und zugehöriger Normwert nach HILLYER und QUE- SENBERRY (1997)
140
Verwendete Abkürzungen
Abb. Abbildung
ALT Alanin-Aminotransferase
AP alkalische Phosphatase
bzw. beziehungsweise
ca. cirka
Diagr. Diagramm
dl Deziliter
g Gramm
ges. gesamt
GlDH Glutamat-Dehydrogenase
IE = IU Internationale Einheit = International Unit
ion. ionisiert
kg Kilogramm
KM Körpermasse
l Liter
LM Lebendmasse
männl. männlich
mEq Milli-Equivalent
mg Milligramm
Mhz. Megahertz
min Minute
mineral. mineralisch
ml Milliliter
mm Millimeter
mmol Milimol
MW Mittelwert
n Anzahl
segm. segmentkernig
Tab. Tabelle
U Umdrehungen
u. und
uS ursprüngliche oder Frischsubstanz
weibl. weiblich
I Einleitung
In den letzten Jahren haben Kaninchen und Meer- schweinchen als Heimtiere zunehmend an Bedeutung gewonnen. Daher steigt das Interesse an Erkrankun- gen, die speziell bei diesen Tierarten auftreten. Um sinnvolle prophylaktische und therapeutische Maßnah- men ergreifen zu können, sind Kenntnisse über die Ent- stehung der speziellen Krankheitsbilder und deren Diagnostik erforderlich.
Harnsteine stellen bei Kaninchen und Meerschwein- chen auf Grund der besonderen Stoffwechselphysiolo- gie dieser Tierarten eine häufig auftretende Erkrankung dar, die unterschiedlichste Symptome hervorrufen kann.
Bisher werden bei Heimtieren weiterführende Untersu- chungen (z.B. Röntgen, Ultraschall, Blutbild, klinische Chemie) noch sehr zögerlich eingesetzt, so dass sich die Diagnose Urolithiasis häufig als Zufallsbefund bei Sektionen herausstellte. In dieser Arbeit sollen ver- schiedene Methoden und Parameter verglichen wer- den, um die Brauchbarkeit diagnostischer Verfahren bei der Erkennung der Urolithiasis bei Kaninchen und Meerschweinchen zu überprüfen. Zusätzlich sollen an Hand der Veränderungen mögliche Ursachen für und Einflussfaktoren auf die Harnsteinbildung diskutiert wer- den, um prophylaktische Maßnahmen ergreifen zu kön- nen.
II Literaturübersicht
1 Urolithiasis
1.1 Definition, Terminologie
Unter Urolithiasis versteht man die Bildung von Konkre- menten im Harntrakt aus schlecht löslichen organischen oder anorganischen Substanzen des Urins als Folge von verschiedenen angeborenen und/oder erworbenen physiologischen und pathologischen Prozessen (OS- BORNE u. KRUGER 1984). Allgemein werden Ablage- rungen im Harntrakt als Harnkonkremente oder Präzipitate bezeichnet. Diese können in mikroskopisch nachweisbarer, kristalliner Form vorliegen (Kristallurie), als Sediment sandartige Ablagerungen verursachen oder in fester Form als Stein (Urolith) vorkommen. Je nach Lage des Harnsteins spricht man von Nierenstein (Nephrolith, Renolith), Harnleiterstein (Ureterolith), Harnblasenstein (Urozystolith) oder Harnröhrenstein (Urethrolith) (OSBORNE u. CLINTON 1986).
1.2 Aufbau von Harnsteinen
Harnsteine bestehen in erster Linie aus anorganischen Kristallen (>95%) und einem geringeren Anteil an einer organischen Matrix (<5%). Zusätzlich können noch ei- nige unbedeutende Bestandteile enthalten sein. Zum Beispiel vermuten OSBORNE et al. (1983), dass Spu- renelemente wie Eisen, Kupfer, Zink, Zinn, Blei und Alu- minium, die in humanen Harnsteinen nachgewiesen wurden, auch bei Hund und Katze während des Stein- wachstums eingelagert werden, aber keine wichtige Rolle in der Steinentstehung spielen.
Der Querschnitt durch einen Harnstein zeigt meist ei-
Schale zeigt meistens einen lamillären Aufbau. Seltener ist eine radiäre Struktur festzustellen (OSBORNE u.
KRUGER 1984; OSBORNE u. CLINTON 1986; SE- NIOR u. FINLAYSON 1986).
Harnsteine können aus einer einzigen mineralischen Komponente bestehen, oder sie setzen sich aus mehre- ren Komponenten zusammen. Es kann vorkommen, dass der Kern eines Harnsteines eine andere Zusam- mensetzung aufweist als die Schale oder dass verschie- dene Komponenten lamillär eingelagert werden (OSBORNE u. CLINTON 1986).
Die Steinmatrix besteht zu 64% aus Proteinverbindun- gen, zu denen Matrixsubstanz A, Tamm-Horsfall-Muko- protein, Uromukoid, Serumalbumin und Alpha- und Gammaglobuline gehören. Weitere Bestandteile sind Kohlenhydratverbindungen (15%), anorganische Sub- stanzen (10%) und gebundenes Wasser (10%). Die Matrixsubstanz A, die aus 18 verschiedenen Aminosäu- ren besteht, ist Hauptbestandteil (über 75%) der Stein- matrix aller Harnsteine. Zweitwichtigste Matrix- komponenten sind das Tamm-Horsfall-Mukoprotein und das Uromukoid. Auch sie sind in der Matrix aller Harn- steine zu finden (WICKHAM 1982).
1.3 Pathogenese der Harnsteinentstehung
1.3.1 Nukleation, Initiation
Erster Schritt in der Harnsteinentstehung ist die Bildung eines Nidus. Dieser entsteht durch die Bildung von Ag- gregaten, die zu Beginn nicht mehr als etwa 100 Mole- küle enthalten. Sehr kleine Aggregate befinden sich in einem Gleichgewicht zwischen Aggregation und Disso- ziation. Lagern sich jedoch mehr Moleküle aneinander an und wird eine kritische Größe überschritten, kann das Steinwachstum weiter fortschreiten. Diese erste Phase der Nukleation ist in der Regel von einer Über- sättigung des Harns mit steinbildenden Kristallen ab-
hängig. Der Grad der Übersättigung kann beeinflusst werden durch das Ausmaß der Exkretion der Kristalle, den Harn-pH-Wert und die Anwesenheit von Kristallisa- tionsinhibitoren (OSBORNE u. KRUGER 1984).
Es wird unterschieden zwischen der homogenen und der heterogenen Nukleation. Von homogener Nuklea- tion spricht man, wenn die Bildung des Nidus in einer übersättigten Lösung in Abwesenheit anderer Substan- zen spontan stattfindet. Dieser Nidus ist dann aus iden- tischen Kristallen zusammengesetzt. Von heterogener Nukleation spricht man, wenn sich Kristalle an einer an- deren Oberfläche (Nahtmaterial, Harnkatheter, Zelldetri- tus, andere Kristalle) anlagern und so der Nidus entsteht. Dieser Prozess kann auch in einer metastabi- len, noch nicht übersättigten Lösung stattfinden (OS- BORNE u. KRUGER 1984; SENIOR u. FINLAYSON 1986).
Verschiedene Theorien versuchen zu erklären, wodurch die Nukleation initiiert wird.
1.3.1.1 Kristallisationstheorie
Die Kristallisationstheorie besagt, dass die Steinbildung primär davon abhängig ist, wie hoch die Konzentration an steinbildenden Substanzen ist. Beim Erreichen einer bestimmten Ionenkonzentration wird ein Löslichkeits- produkt überschritten und es kommt zum Ausfall von Kristallen in einer übersättigten Lösung. Das Löslich- keitsprodukt ist dabei sehr stark vom pH-Wert des Harns abhängig, während Druck und Temperatur in der Regel als konstant angesehen werden können (HIENZSCH u. SCHNEIDER 1973; OSBORNE u.
KLAUSNER 1980). Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Löslichkeit oder Sättigungskonzentra- tion nicht immer konstant ist, sondern auch vom Vor- handensein anderer Elektrolyte abhängt (GRÜNBERG 1971). In diese entstehenden Kristalle lagert sich die or- ganische Matrix ein, die in Harnsteinen zu einem be- stimmten Prozentsatz gefunden wird.
Die Übersättigung der Lösung kann auftreten bei einer erhöhten renalen Ausscheidung von Konkrementbild- nern (infolge einer hohen alimentären Zufuhr, durch eine erhöhte glomeruläre Filtration oder tubuläre Sekre- tion oder eine verminderte tubuläre Reabsorption), bei einer negativen Wasserbilanz im Körper verbunden mit einer erhöhten tubulären Reabsorption vom Wasser und damit einer Konzentrierung des Harns oder bei ei- nem entsprechenden pH-Wert, der dass Auskristallisie- ren bestimmter Substanzen unterstützt (OSBORNE u.
KLAUSNER 1980; OSBORNE u. KRUGER 1984).
Diese Erklärung kann angewendet werden bei Zystin-, Urat- und Magnesiumammoniumphosphaturolithiasis.
Auch bei Oxalatsteinen kann diese Theorie die Steinge- nese erklären, wenn eine Hyperkalzurie, Hyperoxalurie oder Hyperuricosurie festgestellt wurde (OSBORNE u.
KLAUSNER 1980).
1.3.1.2 Matrixtheorie
Die Matrixtheorie besagt, dass zur Entstehung von Harnsteinen primär eine organische Steinmatrix vorhan- den sein muss, in die dann sekundär steinbildende Substanzen eingelagert werden vergleichbar mit der Entstehung von Knochenmatrix (FÖRSTER 1988;
KIENZLE 1991). Der organischen Matrix werden kris- tallbindende Eigenschaften zugesprochen (OSBORNE u. KRUGER 1984).
Nach WICKHAM (1982) kommen als Matrixproteine Matrixsubstanz A, Tamm-Horsfall-Mukoprotein, Uromu- koid, Serumalbumin und Alpha- und Gammaglobuline vor. Die Matrixsubstanz A, die aus drei bis vier ver- schiedenen Proteinen besteht, macht den Grossteil (84 – 88%) der gesamten organischen Matrix aus (RESNIK 1977). Sie wird im Nierenparenchym gebildet und ist im Urin erkrankter Patienten nachzuweisen, wird aber nie- mals bei Personen mit normaler Nierentätigkeit festge- stellt. Auch das Tamm-Horsfall-Mukoprotein, das in der Nierenrinde gebildet wird, ist im Urin nachweisbar. Bei
Urolithiasispatienten ist die Konzentration im Harn je- doch zehnmal höher als bei gesunden Personen (WICKHAM 1982). Zu den Kohlenhydratverbindungen der Steinmatrix gehören unter anderem Glukosamino- glykane. Auffällig ist, dass die Niere und der Urin ge- sunder Individuen hauptsächlich Chondroitinsulfat als Glukosaminoglykankomponente enthält, in Harnsteinen jedoch ausschließlich andere Glukosaminoglykane wie Heparansulfat oder Hyaluronat nachgewiesen werden, welche scheinbar die Harnsteinentstehung unterstützen ( WAKATSUKI et al. 1985; SUZUKI et al. 1994).
1.3.1.3 Inhibitormangeltheorie
Bei der Inhibitormangeltheorie wird davon ausgegan- gen, dass sich im Harn bestimmte Substanzen befin- den, die das Auskristallisieren von Salzen verhindern, so dass das Löslichkeitsprodukt im Harn überschritten werden kann. Fehlen diese Substanzen oder werden sie durch „Inhibitorblocker“ inaktiviert, kristallisieren die Salze in der übersättigten Lösung aus (OSBORNE u.
KRUGER 1984).
Inhibitoren für Kalziumverbindungen sind z.B. Zitrat, Mucopolysaccharide und Glukosamine, Pyrophosphate, Chondroitinsulfat, Ribonukleinsäure und Magnesiumio- nen (SENIOR u. FINLAYSON 1986). Zitrat und andere organische Säuren wirken z.B. als Inhibitoren für die Bildung von Kalziumoxalat und Kalziumphosphat, in- dem sie Chelatkomplexe mit Kalziumionen bilden (OS- BORNE u. KRUGER 1984). Magnesium verdrängt Kalzium an der Oberfläche von wachsenden Kristallen und blockiert so das Kristallwachstum (LONSDALE 1968). Inhibitoren für Struvit-, Urat-, Zystin- und Silikat- ausfällungen wurden bisher noch nicht gefunden (OS- BORNE u. KRUGER 1984).
Keine der drei Theorien scheint eine Allgemeingültigkeit zu haben, sondern es handelt sich um ein Zusammen- spiel mehrerer Faktoren und je nach Steinart rückt eine der Theorien in den Vordergrund (HIENZSCH u.
SCHNEIDER 1973, FOERSTER 1988). Nach OS- BORNE u. KRUGER (1984) spielt für die Bildung eines Nidus jedoch die Ausfällung aus einer übersättigten Lö- sung die wichtigste Rolle. Eine organische Matrix ist für die Ausfällung von Kristallen nicht notwendig und Inhibi- toren scheinen beim Kristallwachstum eine wichtigere Rolle zu spielen als bei der Initiation.
1.3.2 Wachstum
Hat sich ein Nidus gebildet, kann er zu einem Harnstein heranwachsen. Die Wachstumsphase ist von der Fähig- keit des Nidus, sich im Harnsystem zu halten, vom Grad und der Dauer der Übersättigung des Urins und den physikalischen Eigenschaften des Nidus abhängig.
Das Wachstum kann durch Kristallwachstum, Epitaxie oder Aggregation stattfinden (OSBORNE u. KRUGER 1984).
1.3.2.1 Kristallwachstum
Ein Nidus kann durch Kristallwachstum zu einem Stein homogener Zusammensetzung heranwachsen. Voraus- setzung hierfür ist eine übersättigte Lösung. Die Bildung eines Nidus erfordert einen höheren Grad der Sättigung der Lösung als das Kristallwachstum (OSBORNE u.
KRUGER 1984).
1.3.2.2 Epitaxie
Als Epitaxie wird das Wachstum einer neuen Kristallart auf der Oberfläche einer bereits vorhandenen bezeich- net. Die physikalischen Eigenschaften der bereits vor- handenen Kristallart und der wachsenden Kristallart müssen eine passende Anordnung zueinander erlau- ben, so dass epitaxiales Wachstum immer eine regel- mäßige Kristallanordnung hervorruft. Bestimmte Kristallkombinationen begünstigen gegenseitig ihr Wachstum. So fördert ein Nidus aus Mononatriumurat die Anlagerung von Kalziumoxalat, oder Brushit dient
als Nidus für ein weiteres Wachstum von Kalziumphos- phat oder Kalziumoxalat (OSBORNE u. KRUGER 1984).
1.3.2.3 Aggregation
Diese Hypothese des Steinwachstums beruht auf der Annahme, dass eine weitere Aggregation von Kristall- kernen normalerweise durch Anwesenheit bestimmter Substanzen im Urin verhindert wird und so bereits ge- bildete Kristallkerne mit dem Harn ausgeschieden wer- den. Bei Steinbildnern kommt es durch Fehlen oder einer beeinträchtigten Funktion der Kristallisationsinhibi- toren zu einer Bindung von Kristallen, so dass sich grö- ßere Aggregate bilden können. Als Kristallisationsinhibitoren für Kalziumsalze sind zum Beispiel Glukosaminoglykane, Zitrat, Pyrophosphate und Diphosphonate bekannt (FLEISCH 1978).
1.4 Steinarten
Harnsteine werden entweder nach ihrer chemischen oder ihrer mineralogischen Bezeichnung eingeteilt. In dieser Arbeit werden sich die Benennungen auf die chemische Bezeichnung konzentrieren.
1.4.1 Kalziumphosphat
(mineral.: Hydroxyapatit, Karbonatapatit, Brushit, Whitlockit)
Die Bildung von Kalziumphosphatkonkrementen wird gefördert durch einen alkalischen Harn-pH-Wert und eine hohe Konzentration an Kalziumionen und anorga- nischem Phosphat. Beim Menschen sind unter ande- rem ein primärer Hyperparathyreoidismus, andere hyperkalzämische Erkrankungen, eine nephrogene Azi- dose oder eine ideopathische Hyperkalzurie als Ursa- che für das Vorkommen von Kalziumphosphatsteinen
bekannt. Als Inhibitoren werden anorganische Pyro- phosphate, Zitrat und Magnesiumionen und als Promo- toren Kalziumoxalat- und Uratkristalle genannt (KLAUSNER u. OSBORNE 1986). Nach BROWN et al.
(1977) findet man Phosphatsteine eher bei weiblichen als bei männlichen Tieren. LING et al. (1998) stellen fest, dass Apatit häufiger beim weiblichen und Brushit häufiger beim männlichen Tier festgestellt wird. Röntge- nologisch lassen sich Phosphatsteine meistens gut dar- stellen (OSBORNE et al. 1983).
1.4.2 Kalziumoxalat (mineral.: Whewellit, Weddellit)
Oxalat ist das Salz der Oxalsäure. Oxalsäure wird unter anderem in grünem Gemüse gefunden, kann aber auch endogen in der Leber synthetisiert werden. Hyperkalz- urie, Hyperoxalurie und Hyperuricosurie sind Faktoren, die die Oxalatsteinbildung fördern (OSBORNE u.
KLAUSNER 1980). Als Inhibitoren werden saure Gluko- saminoglykane und saure Peptide, mit einer geringeren Aktivität auch Magnesium, Pyrophosphate und Zitrat genannt. Als Promotoren sind Uromukoid, Matrixsub- stanz A, Kalziumphosphat und Natriumurat bekannt.
Die Rolle des Tamm-Horsfall-Mukoproteins ist umstrit- ten (OSBORNE et al. 1986a). Kalziumoxalatkristalle tre- ten eher seltener im Zusammenhang mit einer bakteriellen Besiedlung auf (GASKELL 1978). OS- BORNE et al. (1996a) konnten diese Kristalle sowohl im sauren als auch im neutralen und alkalischen Harn fest- stellen. Katzen mit Kalziumoxalaturolithiasis wiesen ei- nen Harn-pH-Wert von 6,3 bis 6,7 auf (OSBORNE et al.
1996b). Nach BROWN et al. (1977) und LING et al.
(1998) sind mehr männliche als weibliche Tiere und nach OSBORNE et al. (1986a) und OSBORNE et al.
(1996b) mehr unkastrierte als kastrierte Tiere betroffen.
Radiologisch stellen sich diese Steine eher röntgendicht dar (OSBORNE et al. 1983).
1.4.3 Kalziumkarbonat (mineral.: Kalzit, Aragonit, Vaterit)
Kalziumkarbonat kommt in der Regel bei Harnsteinen von Pflanzenfressern, wie Pferden, Rindern, Schafen, Kaninchen und Meerschweinchen vor (HIENZSCH u.
SCHNEIDER 1973; OSBORNE et al. 1986b). Als Ursa- che für die Bildung von Kalziumkarbonatsteinen wird ein unphysiologisches Angebot von Kalzium und Phos- phor vermutet (HIENZSCH u. SCHNEIDER 1973).
GRÜNBERG (1971) gibt an, dass das Ausfallen von Karbonatsteinen stark vom Magnesium/Kalzium-Ver- hältnis und vom pH-Wert des Harns abhängt. Durch eine Verringerung der Magnesiumionenkonzentration wird durch eine Reduzierung der komplexbildenden Kraft der Magnesiumionen die Ausfällung von Kalzium- karbonat begünstigt. Mit steigendem Harn-pH-Wert steigt auch das Ausmaß der Übersättigung mit Karbo- nationen.
1.4.4 Magnesiumammoniumphosphat (mineral.: Struvit)
Struvitsteine entstehen bei einer Übersättigung des Harns mit Magnesiumammoniumphosphat. Zusätzlich unterstützen weitere Faktoren wie Infektionen mit urea- seproduzierenden Erregern, ein alkalischer Harn-pH- Wert, genetische Disposition und die Futterzusammen- setzung die Bildung von Struvitsteinen. Man unterschei- det infektionsbedingte und sterile Steine. Bei einer Infektion mit ureasebildenden Bakterien wird Harnstoff hydrolysiert, so dass Ammoniak und Kohlendioxid ent- stehen. Das Ammoniak reagiert spontan mit Wasser und bildet Ammonium und Hydroxylionen (OH-), die wiederum mit Wasserstoffionen (H+) zu Wasser reagie- ren, so dass dadurch der Harn alkalisch wird. Aus den Ammoniumionen wird Magnesiumammoniumphosphat gebildet (OSBORNE et al. 1986c). Bei der Bildung steri- ler Struvitsteine spielen wahrscheinlich dietätische und
metabolische Faktoren eine Hauptrolle (OSBORNE et al. 1986c). Sterile Struvitsteine enthalten in der Regel einen geringeren Matrixateil (OSBORNE et al. 1989a) und bestehen häufiger zu 100% aus Struvit als infekti- onsbedingte Steine (OSBORNE et al. 1989b). Nach LING et al. (1998) sind weibliche Tiere öfter betroffen als männliche und OSBORNE et al. (1996b) konnten Struvitsteine bei kastrierten Tieren häufiger nachwei- sen. Struvitsteine sind eher als röntgendicht einzustufen (OSBORNE et al. 1983).
1.4.5 Urat
Faktoren, die die Bildung von Uratsteinen unterstützen sind eine erhöhte renale Ausscheidung und erhöhte Urinkonzentration von Harnsäure, eine erhöhte renale Exkretion, renale Produktion oder mikrobielle Produk- tion von Ammoniumionen, ein saurer Harn-pH-Wert und das Vorhandensein von Promotoren oder das Fehlen von Inhibitoren. Ein erhöhtes Risiko zur Bildung von Uratsteinen haben Tiere mit porto-vaskulären Anoma- lien, da sie erhöhte Harnsäure- und Ammoniumwerte in Blutserum und im Harn aufweisen. Auch eine stark pu- rinhaltige Nahrung kann das Risiko zur Steinbildung er- höhen (BARTGES et al. 1999). Nach GASKELL (1978), OSBORNE et al. (1989a), OSBORNE et al. (1989b) und BARTGES et al. (1999) kommen Uratsteine häufi- ger beim männlichen als beim weiblichen Tier vor. OS- BORNE et al. (1996b) konnte bei beiden Geschlechtern eine gleichmäßige Verteilung feststellen, wobei kast- rierte häufiger betroffen sind als intakte, und LING et al.
(1998) geben an, dass in ihrer Untersuchung weibliche Tiere häufiger betroffen sind als männliche. Uratsteine sind in der Regel röntgenologisch schlecht darstellbar (BARTGES et al. 1999).
1.4.6 Xanthin
Diese Steine können entstehen, wenn ein Enzymdefekt auftritt. Es fehlt die Xanthinoxidase, die im Purinstoff- wechsel Hypoxanthin zu Xanthin und dann Xanthin zu Harnsäure katalysiert. Xanthinsteine können ebenfalls im Rahmen einer Behandlung mit Allopurinol entstehen, da Allopurinol die Xanthinoxidase hemmt und somit ver- mehrt Xanthin als Stoffwechselprodukt ausgeschieden wird. Bei Haustieren werden Xanthinsteine jedoch sehr selten festgestellt (OSBORNE et al. 1986b; BARTGES et al. 1999). Xanthinsteine fallen im sauren Milieu leich- ter aus (OSBORNE et al. 1996a). Nach LING et al.
(1998) und BARTGES et al. (1999) kommen Xanthin- steine häufiger beim männlichen Tier vor.
1.4.7 Zystin
Diese Steine kommen bei Tieren mit Zystinurie vor.
Zystinurie entsteht durch einen genetischen Defekt, der bewirkt, dass die Reabsorption von dibasischen Amino- säuren im proximalen Tubulus gehemmt wird und es so zu einer erhöhten Konzentration im Harn kommt (HESSE u. BRÜHL 1988). Zystinsteine sind fast aus- schließlich bei männlichen Tieren anzutreffen (GAS- KELL 1978; LING et al. 1998; OSBORNE et al. 1999a).
Zystin ist im alkalischen Harn besser löslich (HESSE u.
BRÜHL 1988). Röntgenologisch sind Zystinsteine weni- ger radiodicht aber besser darzustellen, als Urate (OS- BORNE et al. 1983; OSBORNE et al. 1999a).
1.4.8 Silikat
Silikatsteine können entstehen, wenn mit der Nahrung vermehrt silikat- bzw. kieselsäurehaltiges Futter aufge- nommen wird. In der Regel nehmen die Tiere die Sub- stanz mit pflanzlicher Nahrung auf. Pflanzenfresser neigen zur Silikatsteinbildung, wenn sie siliziumreiches Futter aufnehmen, Fleischfresser nehmen die Substan- zen durch Futtermittel auf, denen ein höherer Anteil
pflanzlicher Fasern zugesetzt wurde (KIENZLE 1991;
OSBORNE et al. 1999b). Siliziumdioxid ist im sauren Milieu schlechter löslich als im alkalischen Bereich (OS- BORNE et al. 1998b). Männliche Tiere sind häufiger be- troffen als weibliche (LING et al. 1998; OSBORNE et al.
1999b). Röntgenologisch sind Silikatsteine eher als röntgendicht einzustufen (OSBORNE et al. 1983; OS- BORNE et al. 1999b).
1.4.9 Matrixsteine
Konkremente, die zu über 65% aus Matrixmaterial be- stehen, findet man häufiger in der Harnröhre bei männ- lichen Katzen oder Schafen (OSBORNE u. CLINTON 1986). Wahrscheinlich wird das Matrixmaterial vom harnabführenden Gewebe gebildet und in diese galler- tige Masse werden Kristalle aus dem Urin sekundär ein- gelagert (OSBORNE u. KRUGER 1984).
1.4.10 Medikamentensteine
Medikamente, über einen langen Zeitraum oder in einer sehr hohen Dosis verabreicht, können ebenfalls zur Harnsteinbildung führen. Tetrazykline oder Sulfonamide sind zum Beispiel Substanzen, die in Harnsteinen nach- gewiesen werden konnten (OSBORNE et al. 1986b;
OSBORNE et al. 1999c).
1.5 Steinanalysemethoden
1.5.1 Qualitative Analyse
Zu Beginn der Untersuchungen von Harnsteinen wur- den in der Regel chemische Analysemethoden einge- setzt, später auch in Form von Testkits. Der Harnstein, oder ein Teil davon, wird in einem Mörser zerkleinert.
Ein kleiner Teil dieses zerstoßenen Materials wird mit spezifischen Chemikalien versetzt. Ein Farbumschlag weist auf das Vorhandensein bestimmter Elemente
oder Verbindungen hin (LING 1984; RUBY u. LING 1886). Zum Beispiel wird bei dem Harnsteinanalyseset Merckognost® (Firma Merck, Darmstadt) Kalzium titri- metrisch mit Titriplex® III (Ethylendinitrilotetraessig- säure Dinatriumsalz) bestimmt. Als Indikator dient eine Verreibung von Calconcarbonsäure. Oxalat wird nach- gewiesen, indem der Farbkomplex von dreiwertigem Ei- sen mit Sulfosalicylsäure durch Oxalat entfärbt wird. Die Ammoniumbestimmung erfolgt durch die Bildung einer gelben bis braunen Lösung mit Neßlers Reagenz.
Durch Zugabe von Ammoniummolybdat wird bei Vor- handensein von Phosphor Molybdatophosphorsäure gebildet, die durch ein Reduktionsmittel zu Molybdän- blau reduziert wird. Magnesium reagiert in gepufferter Lösung mit 1-Azo-2-hydroxy-3-(2,4-dimethyl-carboxani- lido)-naphthalin-1’-(2-hydroxybenzol-5-natriumsulfonat) zu einem rotgefärbten Komplex. Bei Vorhandensein von Harnsäure wird Molybdatophosphorsäure in gepufferter Lösung zu Molybdänblau reduziert. Die Cystin-Bestim- mung erfolgt, indem es durch Natriumsulfit zu Cystein reduziert wird, welches im alkalischen Milieu mit Ni- troprussid-Natrium eine Rotfärbung liefert.
In Vergleichsstudien zwischen qualitativen und quanti- tativen Analysemethoden wurde nachgewiesen, dass die chemische Analyse mit einer hohen Fehlerrate be- haftet ist. Komponenten, deren Anteile unter 20% betra- gen, werden teilweise nicht erfasst. Silikate und Xanthin können mit diesen Testkits nicht nachgewiesen werden.
Häufig treten falsche negative Ergebnisse bei kalzium- haltigen Steinen auf. Die chemische Analyse erweist sich auch als wenig sensitiv für Urate und Oxalate. Zum Teil werden falsche positive Ergebnisse ermittelt (z.B.
Harnsäure bei zystinhaltigen Harnsteinen) (OSBORNE et al. 1983; BOVEE u. McGUIRE 1984; LING 1984; OS- BORNE et al. 1986e; RUBY u. LING 1886).
Ein weiterer Nachteil der chemischen Analysemethode ist, dass hier nicht zwischen den Variationen der Ver- bindungen unterschieden werden kann. Der kristalline
Aufbau von Harnsteinen wird nicht berücksichtigt (LING 1984; OSBORNE et al. 1986e).
1.5.2 Quantitative Analyse
Genauere Ergebnisse zur Steinzusammensetzung er- hält man mit optischen und anderen physikalischen Un- tersuchungsmethoden, die jedoch stets eine aufwendigere instrumentelle Ausstattung verlangen.
Bei der flammenphotometrischen Analyse werden die zu bestimmenden Atome durch thermische Energie einer Acetylen-Sauerstoff-Flamme in den angeregten Zustand versetzt und die Intensität des bei der Rück- kehr in den Grundzustand emittierten Lichtes definierter Wellenlängen bestimmt. Der umgekehrte Effekt wird bei der Atomabsorptionsspektrophotometrie ausge- nutzt. Die zu untersuchende Analysensubstanz wird durch Erhitzen in der Flamme verdampft und eine Dis- soziation der Atome im Grundzustand herbeigeführt.
Durch den Strahl einer Emissionslinie der zu bestim- menden Atomart gehen die Atome in den angeregten Zustand über und kehren nach kurzer Zeit unter Ab- gabe eines diffusen Fluoreszenzlichtes wieder in den Grundzustand zurück. Der nicht absorbierte Teil der eingestrahlten Anregungsenergie wird in einem nachge- schalteten Empfängersystem registriert.
Zur optischen kristallographischen Analyse wird die Öl- immersionsmethode mit dem polarisierten Lichtmi- kroskop eingesetzt. Licht, das einen Kristall passiert, wird durch die kristalline Struktur entsprechend opti- scher Gesetze verändert. Diese Veränderung des transmittierenden Lichtes kann gemessen werden und wird optische Konstante genannt. Jede Substanz hat eine eigene definierte optische Konstante. Für die Un- tersuchung wird eine kleine Menge Probenmaterial auf eine Reihe von Objektträgern gebracht und mit ver- schiedenen Ölen, dessen unterschiedlicher Brechungs- index jeweils bekannt ist (ein Öl pro Objektträger),
bedeckt. Die Proben werden unter polarisiertem Licht untersucht und mit den Brechungsindizes bekannter Substanzen verglichen. Mit dieser Methode ist es mög- lich, vorhandene Substanzen zu identifizieren und zu quantifizieren (LING 1984; RUBY u. LING 1986; NEU- MANN et al. 1994).
Eine weitere Methode zur Identifizierung von Harnstein- komponenten ist die Röntgendiffraktion. Bei dieser Methode werden die inneren Kristallschichten mit mo- nochromatischen Röntgenstrahlen beschossen. Diese Strahlen werden durch die Interaktion mit dem unbe- kannten Kristall gestreut und bilden Streumuster, die für jede Substanz unterschiedlich und charakteristisch sind (RUBY u. LING 1886).
Mit Hilfe eines electron microprobe analyzers können Kristalle mit einem Elektronenstrahl beschossen wer- den. Stößt der Strahl auf die Kerne des unbekannten Materials, werden Röntgenstrahlen freigesetzt, deren Emissionsspektrum charakteristisch für jedes im Mate- rial vorhandene Element ist. Die Intensität der Röntgen- strahlen ist proportional zur Konzentration der entsprechenden Elemente (RUBY u. LING 1886).
Bei der Infrarotspektroskopie werden die Infrarot-Ab- sorptionsbanden der Probe bestimmt und mit bekann- ten, charakteristischen Banden verglichen (RUBY u.
LING 1886). Dafür wird die zu untersuchende Harn- steinprobe in einem Mörser zerkleinert. Anschließend wird die Probe mit einer inerten Trägersubstanz (Kali- umbromid) in einer Schwingmühle homogenisiert. Aus diesem Gemisch werden Presslinge hergestellt, die dann in den Strahlengang des Infrarot-Spektrometers gebracht werden. Das Spektrum wird aufgezeichnet und an Hand der entstehenden Banden die Harnstein- komponente identifiziert (HESSE u. MOLT 1982).
1.6 Harnsteine bei verschiedenen Tierarten
1.6.1 Fleischfresser
1.6.1.1 Hunde
FINCO et al. (1970) diagnostizierten bei 133 von 30291 Klinikpatienten und in 23 von 2468 post mortalen Fällen Urolithiasis. Sie ermittelten eine Häufigkeit von 0,4% an Urolithiasispatienten. In ihrer Studie waren Phosphat- steine (62 von 73) am häufigsten vertreten, desweiteren wurden cystinhaltige Steine (5 von 73) und Uratsteine (6 von 73) gefunden. In dieser Studie waren mehr weibli- che (92) als männliche (41) Tiere betroffen. Von 32375 Patienten stellten BROWN et al. (1977) bei 920 Tieren Urolithiasis fest und ermittelten somit eine Inzidenz von 2,8%. 438 dieser Fälle wurden chirurgisch versorgt und die gewonnenen Harnsteine analysiert. Mit Abstand am häufigsten traten Phosphatsteine auf (64%), gefolgt von Zystin- (27%), Urat- (5%), Oxalat- (3%), und Karbonat- steinen (1%). Eine Geschlechtsprädisposition konnte nicht festgestellt werden. In einer Untersuchung von 741 Harnkonkrementen beim Hund stellen HESSE und SAN- DERS (1987) fest, dass männliche Tiere doppelt so oft betroffen sind wie weibliche. Am häufigsten traten in ihrer Untersuchung Struvitsteine (> 59 %) auf, gefolgt von Zys- tinsteinen (20,9 %) und Ammoniumhydrogenuratsteinen (3,7 %). 1997 veröffentlichten HESSE et al. die Ergeb- nisse einer Untersuchung von 5706 Harnsteinen vom Hund. Die häufigste Steinart war Struvit (59,5%), gefolgt von Zystin (15,5%) und Kalziumoxalat (14,2%). Als viert- häufigste Komponente wurde Ammoniumurat (6,0%) fest- gestellt. Auch in dieser Studie waren Rüden zweimal häufiger betroffen als Hündinnen. OSBORNE et al.
(1999d) untersuchten von 1981 bis 1997 77191 Harn- steine von Hunden. Magnesiumammoniumphosphat konnte in 49,6%, Kalziumoxalat in 31,4%, Purine in 8,0%, Zystin in 1,0% und Silizium in 0,9% der Fälle festgestellt werden. Damit konnte ein deutlicher Rückgang von Stru-
vitsteinen und eine Zunahme von Oxalatsteinen im Ver- gleich zu einer früheren Studie (OSBORNE et al. 1986d) (Struvit 67%, Oxalat 6,8%) festgestellt werden. In dieser Studie waren 72% weibliche und 28 % männliche Tiere betroffen.
1.6.1.2 Katzen
Bei Katzen kommen neben den Harnsteinen, die primär aus Mineralien mit einem geringen Matrixanteil beste- hen, noch organische Konkremente vor, die im Gegen- satz dazu aus einem grossen Anteil Matrix bestehen, denen kleinere mineralische Anteile beigemengt sind (OSBORNE et al. 1989a). LING et al. (1990) untersuch- ten 150 Harnsteine von Katzen und stellten in 69% der Fälle reine Struvitsteine fest. In etwa 13% handelte es sich um Mischsteine, bei denen Struvit eine Kompo- nente war. 7% der Steine bestanden aus Oxalat, 3%
aus Harnsäure und 2% aus Apatit. 57% der betroffenen Tiere waren weiblich, 43% waren männlich. In einer Un- tersuchung von 9481 felinen Harnsteinen wurden bei 47,6% Struvit, bei 39,6% Kalziumoxalat, bei 6,3% Urate und bei 0,8% Kalziumphosphat festgestellt. 1,4% der Steine waren Matrixsteine (OSBORNE et al. 1996b).
1.6.2 Wiederkäuer
Die Urolithiasis beim Wiederkäuer ist stark fütterungs- abhängig. Die Bildung von Harnkonkrementen findet bei beiden Geschlechtern statt, jedoch findet man die kli- nisch relevanten Fälle in der Regel beim männlichen Tier, da hier auf Grund anatomischer Besonderheiten eine Prädisposition zur Harnröhrenverlegung vorliegt (KIMBERLING u. ARNOLD 1983; KÜMPER 1994; RO- SENBERGER 1994). Bei Weiderindern werden ver- mehrt silikat- oder kalziumhaltige Harnsteine beobachtet, während Tiere in der Intensivmast oder Stallhaltung vermehrt phosphathaltige Konkremente bil- den (KIMBERLING u. ARNOLD 1983; BEHRENS 1987;
ROSENBERGER 1994; BOSTEDT u. DEDIÉ 1996).
WENKEL et al. (1998) untersuchten in einer retrospekti- ven Studie 31 Harnsteine vom Schaf, drei Harnsteine von der Ziege und einen Stein eines Rindes. 24 Schafe (77,4%) hatten Struvit-, fünf Tiere (16,1%) Apatit- und zwei (6,5%) Schafe Kalziumphosphatkonkremente. Bei den Ziegen wurden Kalziumoxalatsteine gefunden und das Rind hatte einen Struvitstein. BELLENGER et al.
(1981) beschreiben zwei Fälle von Urolithiasis beim Ziegenbock, die durch Struvitsteine verursacht wurden.
1.6.3 Pferd
Harnsteine beim Pferd enthalten Kalziumkarbonat als Hauptkomponente, welches am häufigsten in der Form von Kalzit vorliegt (HOLT u. PEARSON 1984; DeBO- WES et al. 1984; KANEPS et al. 1985; NEUMANN et al. 1994). Als weitere Komponenten werden oft Magne- sium, Ammonium, Phosphat und Oxalat gefunden (De- BOWES al. 1984; KANEPS et al. 1985; NEUMANN et al. 1994). DIAZ-ESPINEIRA et al. (1997) untersuchten 20 Proben von Harnkonkrementen beim Pferd und fan- den neben einem hohen Anteil Kalzium auch Magne- sium, Natrium, Kalium, Eisen, Kupfer und Mangan vor.
Phosphate, Sulfate und Silikate waren in dieser Unter- suchung als Nebenkomponente häufig nachweisbar.
Hengste und Wallache sind auf Grund der anatomi- schen Unterschiede zwischen männlicher und weibli- cher Harnröhre häufiger betroffen als Stuten (DeBOWES et al. 1984; HOLT u. PEARSON 1984).
1.6.4 Schwein
Die Urolithiasis hat bei Schweinen nur eine sehr ge- ringe klinische Relevanz. Es kommt zwar zur Bildung von Harnsediment aus Struvit oder Kalziumphosphaten, seltener auch von Kalziumkarbonat oder Urat, jedoch entstehen nur in Einzelfällen bei Ebern Komplikationen durch Harnsteine (PLONAIT u. BICKHARDT 1997).
SMYTH et al. (1986) berichten von einer Untersuchung an Nieren von geschlachteten Schweinen, bei denen in 0,8 bis 2,4% Harnsteine gefunden wurden. WENKEL et al. (1998) untersuchten vier Harnsteine vom Schwein und wiesen bei drei Tieren Kalziumkarbonat und bei ei- nem Tier Struvit nach.
1.6.5 Weitere Tierarten
Bei Frettchen und Nerzen ist die Urolithiasis eine ver- breitete Erkrankung bei Jungrüden, die Struviturolithia- sis infolge einer bakteriologischen Harnwegsinfektion besonders in den Sommermonaten ausbilden (LÖLI- GER 1970; PALMORE u. BARTOS 1987; ZIMMER- MANN u. WITTE 1988).
Auch bei den von WENKEL et al. (1998) untersuchten 229 Harnsteinen von Nerzen handelte es sich in 222 Fällen um Struvitsteine, fünf mal um Struvitsteine mit ei- nem geringen Apatitanteil und um zwei Cystinsteine.
163 der betroffenen Tiere waren Jungrüden mit einem Durchschnittsalter von 11,5 Wochen, die weiblichen Tiere wiesen ein Durchschnittsalter von 46 Wochen auf.
Kleinnager wie Ratten, Mäuse, und Hamster neigen we- niger zur Bildung von Harnsteinen. KUHLMANN und LONGNECKER (1984) stellten bei fünf von 1080 unter- suchten Ratten Struvitharnsteine mit einem Apatitanteil fest.
HUERKAMP und DILLEHAY (1991) beschreiben den Fall eines Harnblasensteins aus Struvit bei einer sechs Monate alten männlichen Maus und SCHMIDTKE und SCHMIDTKE (1976) berichten von einem Harnstein beim Goldhamster, bei dem Magnesium, Kalzium, Phosphat und geringe Mengen Ammonium nachgewie- sen wurden. Von jeweils einem Fall von Urolithiasis beim Chinchilla berichten JONES et al. (1995) und SPENCE und SKAE (1995). In beiden Fällen bestand der Stein aus Kalziumkarbonat.
2 Kaninchen und Meerschweinchen
2.1 Häufigkeit
Kaninchen
In der Literatur werden selten Angaben zur Häufigkeit über das Vorkommen von Urolithiasis beim Kaninchen gemacht, da es sich in den meisten Fällen um Einzel- fallbeschreibungen handelt (Tab. 1). GARIBALDI et al.
(1987) beschreiben 14 Kaninchen mit Hämaturie bei 308 Sektionsfällen. Bei vier von diesen Tieren wurde eine Urolithiasis festgestellt, dies entspricht einer Häu- figkeit von 1,3%. Eine Untersuchung von 651 sezierten Kaninchen ergab eine Inzidenz von 0,3% (MAIER u.
LUTTER 1989).
Meerschweinchen
Bei den im Schrifttum beschriebenen Fällen einer Harn- steinbildung beim Meerschweinchen handelt es sich überwiegend um Fallbeispiele von Einzeltieren (Tab. 2).
PENG et al. (1990) fanden bei der Sektion von 170 Meerschweinchen sechs Tiere mit Urolithiasis, das ent- spricht einer Inzidenz von 3,5%.
2.2 Alter
Kaninchen
Das Alter der in der Literatur beschriebenen Fälle liegt zwischen einem und acht Jahren (Tab. 1). Das Durch- schnittsalter dieser Fälle liegt beim männlichen Kanin- chen bei 4,8 Jahren und beim weiblichen bei 3,6 Jahren.
Meerschweinchen
Die Altersangaben der in der Literatur beschriebenen Fälle bewegen sich zwischen einem und acht Jahren (Tab. 2). Im Mittel liegt das Alter bei 4,5 Jahren, wobei die weiblichen Tiere ein Durchschnittsalter von 4,6 und die männlichen von 4,0 Jahren aufweisen. PENG et al.
(1990) ermittelten bei ihren sechs Fällen im Mittel ein Alter von 30 Monaten (14 – 60 Monate). 20 von FEHR und RAPPOLD (1997) untersuchte Tiere hatten ein Durchschnittsalter von 4,6 Jahren (2 – 8 Jahre).
2.3 Geschlechtsverteilung
Kaninchen
Bei Auswertung der beschriebenen Fälle aus der Litera- tur (Tab. 1) kann man feststellen, dass männliche Ka- ninchen häufiger betroffen sind als weibliche. PUMP (1993) beschreibt neun Fälle, von denen sechs Tiere männlich sind.
Meerschweinchen
Beim Meerschweinchen finden sich in der Literatur dop- pelt so viele Beschreibungen von Urolithiasisfällen beim weiblichen Tier wie beim männlichen (Tab. 2). Bei den von PENG et al. (1990) untersuchten Tieren handelte es sich um fünf weibliche und ein männliches Tier, FEHR und RAPPOLD (1997) hatten fünf männliche und 15 weibliche Tiere in ihrer Untersuchung.
Tabelle 1: Literaturangaben über Urolithiasisfälle beim Kanin- chen
m = männlich, w = weiblich, OP = Operation, Patho = pathologische Untersuchung, Eutha = Euthanasie
AutorAn- zahlGeschlechts- verteilungAlter (Jahre)Lokalisa- tionHauptsymptomeDiagnostikTherapie MAIER und LUTTER (1989)32m; 1w7; 7; 52xBlase; 1xNiereTenesmus; Zystitis; Kachexie; Diarrhoe; angesp. AbdomenRöntgenZystotomie; Niere: Eutha MAYRHOFER und PFEIL (1985)1m2UrethraKot-/Harndrang; Apathie; gerötete, schmerzhafte, ödematöse PerinealregionSondierung; RöntgenEutha (Rup- tur) PUMP (1993)96m; 3w3-81xNiere; 5xBlase; 2xGriess; 2xUrethra trüber o. blutiger Urin; Harndrang; Inkon- tinenz; Kolik; Apathie; Inappetenz; Diar- rhoe; Penisschwellung
RöntgenZystotomie; Antibiose; manuelle Entfernung SCHMIDTKE und SCHMIDTKE (1976)22m?; 32xUrethra Hämaturie; Harndrang; Apathie; Inappe- tenz; schmerzhafte Palpation RöntgenOP WHARY und PEPER (1994)1w2Blasen- sedimentverschmutzter PerinealbereichPalpation; RöntgenEutha GREENE (1988)1m5Urethra Lethargie; AnorexieRöntgenOP; Cloram- phenicol GARIBALDI et al. (1987)44w1-44xBlaseHämaturie; Gewichtsverlust; Anorexie Patho GARIBALDI und PEC- QUET GOAD (1988)1w4NiereGewichtsverlust; Anorexie; DiarrhoeRöntgenEutha LEE et al. (1978)1mAdultNiere; UreterAnorexie; Gewichtsverlust Palpation; PathoEutha LECK (1988)1m1BlaseHämaturie; Lethargie; GewichtsverlustPalpation; RöntgenOP TALBOT und IRETON (1975)1wAdultBeckenOP SCHMIDTKE und SCHMIDTKE (1977)1mUrethra Pollakisurie; Lecken; PräputialödemOP SEN (1976)1w4UreterHarnabsatzstörung; InappetenzPalpation; RöntgenEutha ROBBINS (1982)31m; 2w3xBlase
Tabelle 2: Literaturangaben über Urolithiasisfälle beim Meer- schweinchen
m = männlich, w = weiblich, OP = Operation, Patho = pathologische Untersuchung, Eutha = Euthanasie
AutorAnzahl (n =) Geschlechts- verteilungAlter (Jahre)LokalisationHauptsymptomeDiagnostikTherapie GASCHEN et al. (1998)1m5HarnleiterPolyurie,-dipsie; Apathie; Inappetenz Röntgen; Ul- traschallOP KALLAB und GRIES (1992)1w2UrethraUmfangsvermehrungPalpationUltraschall; lokale Antibi- ose LaBONDE (1996) 1m3Lethargie; Anorexie; Ge- wichtsverlustRöntgenOP; Antibi- ose OKEWOLE et al. (1991)BlasePatho PENG et al. (1990)65w; 1mØ 30 Mo- nate SPINK (1978)1wErwach- senBlase; Ureter; NiereHämaturie; VerstopfungRöntgenEutha SCHMIDTKE und SCHMIDTKE (1983)2m1xBlase; 1xUrethra FEHR und RAPPOLD (1997)205m; 15w2-87xBlase; 13xUrethraHämaturie; Inappetenz; Abmagerung; Diarrhoe; Schmerzen; Umfangsver- mehrung Palpation; Röntgen; Ul- traschall
OP STUPPY et al. (1979)1m4BlaseHämaturie; weicher Kot; SchmerzhaftigkeitRöntgenOP; Antibi- ose
2.4 Lokalisation
Je nach Lokalisation des Steins spricht man von Nie- ren-, Harnleiter-, Harnblasen- oder Harnröhrensteinen.
Zusätzlich gibt es noch den Begriff des Harngries, der eine sandartige Ablagerung von Harnkristallen in der Harnblase beschreibt. Grundsätzlich können bei Kanin- chen und Meerschweinchen alle Arten von Steinen vor- kommen.
Kaninchen
Beim Kaninchen werden in der Literatur am häufigsten Harnblasensteine beschrieben. Dies scheint beim weib- lichen Tier die vorherrschende Lokalisation für Urolithen zu sein. Beim männlichen Kaninchen werden Harnröh- rensteine genauso oft beschrieben wie Harnblasen- steine. Im Gegensatz dazu liegen beim weiblichen Tier keine Beschreibungen für einen Harnröhrenstein vor.
Nierensteine und Harnsediment diagnostiziert man bei beiden Geschlechtern gleich häufig (Tab. 1).
Meerschweinchen
Aus Tabelle 2 ist ersichtlich, dass beim Meerschwein- chen Harnblase und Harnröhre die am häufigsten be- schriebenen Lokalisationen für Harnsteine sind.
Zusätzlich werden Harnleitersteine beschrieben. Harn- röhrensteine kommen in der Regel beim weiblichen Tier vor. SPINK (1978) berichtet von dem Fall eines Meer- schweinchens, das zusätzlich zu Harnsteinen in Blase und Ureter auch noch einen Stein in der Niere gebildet hatte.
2.5 Harnsteinzusammensetzung
Kaninchen
Hauptbestandteil der Harnsteine bei Kaninchen sind
Kalziumkarbonat und Kalziumphosphat. Sie bilden bei den in der Literatur beschriebenen Fällen (Tab. 3) mit wenigen Ausnahmen mindestens eine Komponente des Harnsteins. Kalziumkarbonat kommt im Verhältnis zwi- schen 30% und 100% vor. Die Angaben für Kalzium- phosphat liegen zwischen 10% und 80%. Kalziumoxalat wird als dritthäufigste Harnsteinkomponente beschrie- ben und hat einen Anteil von 20% bis 100%. Seltener findet man als Komponente in Harnsteinen von Kanin- chen Struvit.
SCHMIDTKE und SCHMIDTKE (1976) beschreiben zwei Fälle von Urolithiasis beim Kaninchen. Diese Harnsteine waren aus einer Kalzium-Magnesium-Phos- phatverbindung zusammengesetzt. Nur GREENE (1988) beschreibt einen Fall von einem Harnröhren- stein, der zu 100% aus Kalziumoxalat bestand.
Meerschweinchen
Kalziumkarbonat kommt beim Meerschweinchen als häufigste Harnsteinkomponente vor (Tab. 4). Desweite- ren werden Kalziumphosphat, Kalziumoxalat, Struvit und allgemein Kalzium, Magnesium und Phosphat als Komponenten angegeben.