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1.3.1 Nukleation, Initiation

Erster Schritt in der Harnsteinentstehung ist die Bildung eines Nidus. Dieser entsteht durch die Bildung von Ag-gregaten, die zu Beginn nicht mehr als etwa 100 Mole-küle enthalten. Sehr kleine Aggregate befinden sich in einem Gleichgewicht zwischen Aggregation und Disso-ziation. Lagern sich jedoch mehr Moleküle aneinander an und wird eine kritische Größe überschritten, kann das Steinwachstum weiter fortschreiten. Diese erste Phase der Nukleation ist in der Regel von einer Über-sättigung des Harns mit steinbildenden Kristallen

ab-hängig. Der Grad der Übersättigung kann beeinflusst werden durch das Ausmaß der Exkretion der Kristalle, den Harn-pH-Wert und die Anwesenheit von Kristallisa-tionsinhibitoren (OSBORNE u. KRUGER 1984).

Es wird unterschieden zwischen der homogenen und der heterogenen Nukleation. Von homogener Nuklea-tion spricht man, wenn die Bildung des Nidus in einer übersättigten Lösung in Abwesenheit anderer Substan-zen spontan stattfindet. Dieser Nidus ist dann aus iden-tischen Kristallen zusammengesetzt. Von heterogener Nukleation spricht man, wenn sich Kristalle an einer an-deren Oberfläche (Nahtmaterial, Harnkatheter, Zelldetri-tus, andere Kristalle) anlagern und so der Nidus entsteht. Dieser Prozess kann auch in einer metastabi-len, noch nicht übersättigten Lösung stattfinden (OS-BORNE u. KRUGER 1984; SENIOR u. FINLAYSON 1986).

Verschiedene Theorien versuchen zu erklären, wodurch die Nukleation initiiert wird.

1.3.1.1 Kristallisationstheorie

Die Kristallisationstheorie besagt, dass die Steinbildung primär davon abhängig ist, wie hoch die Konzentration an steinbildenden Substanzen ist. Beim Erreichen einer bestimmten Ionenkonzentration wird ein Löslichkeits-produkt überschritten und es kommt zum Ausfall von Kristallen in einer übersättigten Lösung. Das Löslich-keitsprodukt ist dabei sehr stark vom pH-Wert des Harns abhängig, während Druck und Temperatur in der Regel als konstant angesehen werden können (HIENZSCH u. SCHNEIDER 1973; OSBORNE u.

KLAUSNER 1980). Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Löslichkeit oder Sättigungskonzentra-tion nicht immer konstant ist, sondern auch vom Vor-handensein anderer Elektrolyte abhängt (GRÜNBERG 1971). In diese entstehenden Kristalle lagert sich die or-ganische Matrix ein, die in Harnsteinen zu einem be-stimmten Prozentsatz gefunden wird.

Die Übersättigung der Lösung kann auftreten bei einer erhöhten renalen Ausscheidung von Konkrementbild-nern (infolge einer hohen alimentären Zufuhr, durch eine erhöhte glomeruläre Filtration oder tubuläre Sekre-tion oder eine verminderte tubuläre ReabsorpSekre-tion), bei einer negativen Wasserbilanz im Körper verbunden mit einer erhöhten tubulären Reabsorption vom Wasser und damit einer Konzentrierung des Harns oder bei ei-nem entsprechenden pH-Wert, der dass Auskristallisie-ren bestimmter Substanzen unterstützt (OSBORNE u.

KLAUSNER 1980; OSBORNE u. KRUGER 1984).

Diese Erklärung kann angewendet werden bei Zystin-, Urat- und Magnesiumammoniumphosphaturolithiasis.

Auch bei Oxalatsteinen kann diese Theorie die Steinge-nese erklären, wenn eine Hyperkalzurie, Hyperoxalurie oder Hyperuricosurie festgestellt wurde (OSBORNE u.

KLAUSNER 1980).

1.3.1.2 Matrixtheorie

Die Matrixtheorie besagt, dass zur Entstehung von Harnsteinen primär eine organische Steinmatrix vorhan-den sein muss, in die dann sekundär steinbilvorhan-dende Substanzen eingelagert werden vergleichbar mit der Entstehung von Knochenmatrix (FÖRSTER 1988;

KIENZLE 1991). Der organischen Matrix werden kris-tallbindende Eigenschaften zugesprochen (OSBORNE u. KRUGER 1984).

Nach WICKHAM (1982) kommen als Matrixproteine Matrixsubstanz A, Tamm-Horsfall-Mukoprotein, Uromu-koid, Serumalbumin und Alpha- und Gammaglobuline vor. Die Matrixsubstanz A, die aus drei bis vier ver-schiedenen Proteinen besteht, macht den Grossteil (84 – 88%) der gesamten organischen Matrix aus (RESNIK 1977). Sie wird im Nierenparenchym gebildet und ist im Urin erkrankter Patienten nachzuweisen, wird aber nie-mals bei Personen mit normaler Nierentätigkeit festge-stellt. Auch das Tamm-Horsfall-Mukoprotein, das in der Nierenrinde gebildet wird, ist im Urin nachweisbar. Bei

Urolithiasispatienten ist die Konzentration im Harn je-doch zehnmal höher als bei gesunden Personen (WICKHAM 1982). Zu den Kohlenhydratverbindungen der Steinmatrix gehören unter anderem Glukosamino-glykane. Auffällig ist, dass die Niere und der Urin ge-sunder Individuen hauptsächlich Chondroitinsulfat als Glukosaminoglykankomponente enthält, in Harnsteinen jedoch ausschließlich andere Glukosaminoglykane wie Heparansulfat oder Hyaluronat nachgewiesen werden, welche scheinbar die Harnsteinentstehung unterstützen ( WAKATSUKI et al. 1985; SUZUKI et al. 1994).

1.3.1.3 Inhibitormangeltheorie

Bei der Inhibitormangeltheorie wird davon ausgegan-gen, dass sich im Harn bestimmte Substanzen befin-den, die das Auskristallisieren von Salzen verhindern, so dass das Löslichkeitsprodukt im Harn überschritten werden kann. Fehlen diese Substanzen oder werden sie durch „Inhibitorblocker“ inaktiviert, kristallisieren die Salze in der übersättigten Lösung aus (OSBORNE u.

KRUGER 1984).

Inhibitoren für Kalziumverbindungen sind z.B. Zitrat, Mucopolysaccharide und Glukosamine, Pyrophosphate, Chondroitinsulfat, Ribonukleinsäure und Magnesiumio-nen (SENIOR u. FINLAYSON 1986). Zitrat und andere organische Säuren wirken z.B. als Inhibitoren für die Bildung von Kalziumoxalat und Kalziumphosphat, in-dem sie Chelatkomplexe mit Kalziumionen bilden (OS-BORNE u. KRUGER 1984). Magnesium verdrängt Kalzium an der Oberfläche von wachsenden Kristallen und blockiert so das Kristallwachstum (LONSDALE 1968). Inhibitoren für Struvit-, Urat-, Zystin- und Silikat-ausfällungen wurden bisher noch nicht gefunden (OS-BORNE u. KRUGER 1984).

Keine der drei Theorien scheint eine Allgemeingültigkeit zu haben, sondern es handelt sich um ein Zusammen-spiel mehrerer Faktoren und je nach Steinart rückt eine der Theorien in den Vordergrund (HIENZSCH u.

SCHNEIDER 1973, FOERSTER 1988). Nach OS-BORNE u. KRUGER (1984) spielt für die Bildung eines Nidus jedoch die Ausfällung aus einer übersättigten Lö-sung die wichtigste Rolle. Eine organische Matrix ist für die Ausfällung von Kristallen nicht notwendig und Inhibi-toren scheinen beim Kristallwachstum eine wichtigere Rolle zu spielen als bei der Initiation.

1.3.2 Wachstum

Hat sich ein Nidus gebildet, kann er zu einem Harnstein heranwachsen. Die Wachstumsphase ist von der Fähig-keit des Nidus, sich im Harnsystem zu halten, vom Grad und der Dauer der Übersättigung des Urins und den physikalischen Eigenschaften des Nidus abhängig.

Das Wachstum kann durch Kristallwachstum, Epitaxie oder Aggregation stattfinden (OSBORNE u. KRUGER 1984).

1.3.2.1 Kristallwachstum

Ein Nidus kann durch Kristallwachstum zu einem Stein homogener Zusammensetzung heranwachsen. Voraus-setzung hierfür ist eine übersättigte Lösung. Die Bildung eines Nidus erfordert einen höheren Grad der Sättigung der Lösung als das Kristallwachstum (OSBORNE u.

KRUGER 1984).

1.3.2.2 Epitaxie

Als Epitaxie wird das Wachstum einer neuen Kristallart auf der Oberfläche einer bereits vorhandenen bezeich-net. Die physikalischen Eigenschaften der bereits vor-handenen Kristallart und der wachsenden Kristallart müssen eine passende Anordnung zueinander erlau-ben, so dass epitaxiales Wachstum immer eine regel-mäßige Kristallanordnung hervorruft. Bestimmte Kristallkombinationen begünstigen gegenseitig ihr Wachstum. So fördert ein Nidus aus Mononatriumurat die Anlagerung von Kalziumoxalat, oder Brushit dient

als Nidus für ein weiteres Wachstum von Kalziumphos-phat oder Kalziumoxalat (OSBORNE u. KRUGER 1984).

1.3.2.3 Aggregation

Diese Hypothese des Steinwachstums beruht auf der Annahme, dass eine weitere Aggregation von Kristall-kernen normalerweise durch Anwesenheit bestimmter Substanzen im Urin verhindert wird und so bereits ge-bildete Kristallkerne mit dem Harn ausgeschieden wer-den. Bei Steinbildnern kommt es durch Fehlen oder einer beeinträchtigten Funktion der Kristallisationsinhibi-toren zu einer Bindung von Kristallen, so dass sich grö-ßere Aggregate bilden können. Als Kristallisationsinhibitoren für Kalziumsalze sind zum Beispiel Glukosaminoglykane, Zitrat, Pyrophosphate und Diphosphonate bekannt (FLEISCH 1978).