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Archiv "Kinderhospiz in Berlin: Bis zuletzt das Leben genießen" (17.01.2003)

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as Entscheidende sei, „sterbende Kinder und ihre Eltern nicht al- lein zu lassen“. Dass dies einfa- cher klingt, als es ist, verdeutlichte Prof.

Dr. med. Dietrich Niethammer, Direk- tor der Universitäts-Klinik für Kinder- heilkunde und Jugendmedizin Tübin- gen, in seinem Vortrag zur „Sterbebe- gleitung in der pädiatrischen Onkolo- gie“ bei der Tagung der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatolo- gie (GPOH). Denn auch Ärzte hätten Angst davor, Kinder zu betreuen, die zu dem knappen Drittel gehören, die eine Krebserkrankung nicht überleben.

Noch genau war Niethammer ein zehn- jähriges Mädchen im Gedächtnis, das Anfang der 70er-Jahre auf der Kinder- station lag und bis zu seinem Tod mit niemandem mehr sprach, nicht mit den Eltern, nicht mit den Ärzten, son- dern alle nur unverwandt ansah. „Wir

fürchteten dieses Zimmer“, erinnerte sich der Arzt an eine Zeit, in der die Lehrmeinung herrschte, mit den Kin- dern keinesfalls über ihre Diagnose zu sprechen.

Doch seine jahrzehntelange Erfah- rung mit sterbenden Kindern zeige:

„Die Kinder wissen oft schon vor uns, dass sie diesen Weg gehen werden.“ Für Geschwister und Eltern sei es ein schwer erträgliches Signal, wenn ein krankes Kind plötzlich seine Spielsa- chen verschenke, weil es diese „nicht mehr braucht“. Das „Prinzip der Offen- heit und des Nicht-Lügens“ gebiete es jedoch, mit dem Kind zu jedem Zeit- punkt ehrlich über alles zu sprechen, auch dann, wenn alle therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.

„Wie geht es weiter? Wie ist sterben?

Tut das weh? Bin ich allein? Was ist nach dem Tod? Wird man mich vergessen?“

Das Kind muss die Möglichkeit haben, drängende Fragen zu besprechen. Viel mehr als ausweichendes Antworten hel- fe ihm, wenn der Arzt von seinen Erfah- rungen mit sterbenden Kindern berich- tet oder der Vater mit ihm gemeinsam Fantasien zum Leben nach dem Tod ent- wickelt. Ein anderes Beispiel: Ein acht- jähriger Junge hatte beschlossen, dass nach seinem Tod jedes seiner vier Ge- schwister an seinem jeweiligen Geburts- tag ein Geschenk bekommen sollte – von seinem Ersparten. Er wurde aber sehr traurig, als ihm einfiel, dass sein Geld nach einer gewissen Zeit nicht mehr für die Erinnerungsgeschenke rei- chen würde. Die Mutter beruhigte ihn mit dem klugen Versprechen: Er würde weiter Taschengeld erhalten und so das Konto niemals leer sein.

Kinder wollen zu Hause sterben. Sie wollen nicht allein sein. Dabei bräuch- ten die Familien und die niedergelasse- nen Ärzte durch die Fachklinik Unter- stützung, betonte Niethammer – insbe- sondere im Hinblick auf die Schmerz- kontrolle. In Tübingen werden die ent- lassenen Kinder weiterhin regelmäßig in die Ambulanz einbestellt, oft sogar von der Klinik aus betreut. Die Eltern beruhige die Gewissheit, Tag und Nacht anrufen zu können. Das Kind könne sich darauf verlassen, dass man alles dafür tun werde, Schmerzen und bela- stende Symptome so gering wie möglich zu halten, und dass es jederzeit seine P O L I T I K

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A80 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 317. Januar 2003

Pädiatrische Onkologie

„Wie ist sterben?“

Todkranke Kinder wissen um ihren Zustand und haben drängende Fragen. Doch ehrliche Gespräche kosten auch Ärzte Überwindung. Die häusliche Palliativversorgung ist unzureichend.

Kinderhospiz in Berlin

Bis zuletzt das Leben genießen

Das erste Hospiz mit Plätzen für zwölf Kinder, Jugendliche und junge Erwach- sene aus Berlin und Brandenburg ist Mitte Dezember im Bezirk Pankow eröffnet worden. Es ist die vierte Ein- richtung dieser Art in Deutschland.

„Die Kinder sollen ihre letzten Wochen und Monate genießen, denn Sterben ist auch Lebenszeit“, sagte Jürgen Schulz bei der Eröffnung. Dazu sollen ein Bewegungsbad, Spielmöglichkeiten im Garten und die Öffnung des Hauses für Familie und Freunde der Kinder bei- tragen.

Schulz ist Vorsitzender der Björn Schulz Stiftung und „Vater“ der Berli- ner Hospizidee. Dafür setzt er sich ein, seit sein Sohn Björn 1982 an Leukämie starb. Er und zahlreiche Helfer sammel- ten rund 755 000 Euro, um das Hospiz zu verwirklichen. Mit dem Geld wurde nun ein Haus von der Jüdischen Gemeinde Berlin günstig angemietet und umge- baut. Dort wurden jüdische Waisenkin- der betreut, bevor die Nazis sie 1942 de- portierten.

Die Björn Schulz Stiftung fördert seit längerem Nachsorge- und Rehaeinrich- tungen für blut- und krebskranke Kin- der, Beratungsstellen und Gesprächs- kreise. Seit mehreren Jahren unterstüt- zen ihre „Familienbegleiter“ Betroffene im Alltag. Weitere Informationen unter Telefon: 0 30/39 89 98 50.

Jährlich überleben in Deutschland etwa 540 Kinder die Krebserkrankung nicht.

Foto:epd

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Ängste mit jemandem teilen könne.

Von selbst komme dann irgendwann

„die Zeit, wo alles gesagt ist. Dann kann man miteinander schweigen.“

Jährlich überleben in Deutschland et- wa 540 Kinder die Krebserkrankung nicht. 60 Prozent von ihnen sterben im Krankenhaus. „Die Mehrzahl aller Fa- milien krebskranker Kinder hat in der Lebensendphase keinen Zugriff auf eine umfassende häusliche Palliativversor- gung“, so das Ergebnis des PATE-Pro- jekts (Palliativmedizin und -Therapie so- wie ihre Evaluation in der Pädiatrischen Hämatologie/Onkologie). Projektma- nager Stefan Friedrichsdorf, Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Uni- versität Witten/Herdecke, stellte bei der Tagung der GPOH positive Ansätze aus Polen und Großbritannien vor. Das War- schauer Kinderhospiz bietet im Gegen- satz zu deutschen Einrichtungen eine ausschließlich häusliche Versorgung durch ein interdisziplinäres Team an. Im Londoner Richard House gibt es ein

„Abschiedszimmer“, in einer anderen Kinderklinik eine „child death help- line“, eine Telefonseelsorge für Eltern, die ihr Kind verloren haben. Häufig lei- den verwaiste Eltern darunter, dass sich Freunde und Verwandte abwenden.

Leitlinien für Pflege und Symptomkontrolle fehlen

In der Palliativversorgung von Kindern in Deutschland fehlen „standardisierte Leit- linien für die Pflege und Symptomkon- trolle sowie einheitliche Dokumentati- onssysteme“, bemängelte Friedrichsdorf.

Seine Klinik hat deshalb in Zusammenar- beit mit der Universität Witten/Herdecke eine deutsche Übersetzung der WHO- Leitlinien herausgebracht: „Schmerzthe- rapie und palliative Versorgung krebs- kranker Kinder“. Karin Dlubis-Mertens

Literatur

Vestische Kinderklinik Datteln – Universität Witten/Her- decke (Hrsg. der deutschen Ausgabe): Schmerztherapie und palliative Versorgung krebskranker Kinder. Datteln:

2002. (Veröffentlicht von der Weltgesundheitsorganisa- tion 1998 unter dem Titel: Cancer pain relief and pallia- tive care in children).

GPOH (Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hä- matologie)/Kompetenznetzwerk Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (Hrsg.): Von tödlichen zu heilbaren Krankheiten. Die Erfolge der Pädiatrischen Onkologie in den letzten 25 Jahren. 22. November 2002.

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Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 317. Januar 2003 AA81

KOMMENTAR

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er Koalitionsvertrag ist ge- schlossen, das Kabinett steht, die Bundesgesundheitsministe- rin bleibt. „Mehr Qualität und mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen“

heißt die Überschrift über das Kapi- tel zum Gesundheitswesen, und die Kernaussage lautet: „Wir wollen das solidarische Gesundheitssystem er- halten.“

Es bleibt zu prüfen, ob diese Aussa- ge durch den Inhalt des Koalitionsver- trags gestützt wird oder ob es nicht doch Vorstellungen gibt, die das soli- darische Gesundheitssystem infrage

stellen. Eines ist jedoch sicher: Eine grundsätzliche Reform unseres Ge- sundheitswesens oder sogar ein Sy- stemwechsel ist mit dieser Koalitions- aussage nicht zu vereinbaren. Damit wird allen Vorschlägen, die unser Ge- sundheitswesen revolutionieren wür- den, eine Absage erteilt. Evolution statt Revolution – das ist die Devise.

Die gesundheitspolitische Diskussion wird dies zu berücksichtigen haben.

Vier Optionen waren es, deren Verwirklichung einen mehr oder we- niger vollständigen Wechsel im Sy- stem bedeutet hätten:

> Ablösung der Versicherungs- pflicht durch eine Pflicht zur Versi- cherung mit Auflösung der Unter- schiede zwischen Gesetzlicher und privater Krankenversicherung

> Ausdehnung der Versicherungs- pflicht auf alle Bundesbürger ein- schließlich von Beamten und damit Beschränkung der privaten Kranken- versicherung ausschließlich auf die Zusatzversicherung

> Ablösung des Sachleistungs- prinzips in der Gesetzlichen Kran- kenversicherung durch ein durchgän- giges Kostenerstattungssystem

> Einführung eines staatlichen Gesundheitswesens.

Nichts davon wird wahr. Es kann darüber gerätselt werden, ob eine an- dere Bundesregierung, etwa eine Ko- alition aus CDU/CSU und FDP, eine dieser vier Reformoptionen verwirk- licht hätte. Wohl eher nicht. Andere Vorstellungen im Detail wären zu er- warten gewesen, nicht aber die Auf- gabe einer wie auch immer gearteten solidarisch orientierten Gesundheits- versorgung.

Wenn dies so ist, dann wird eine evolutionäre, eine schrittweise Wei-

terentwicklung insbesondere der Gesetzlichen Krankenversicherung auch über die gerade begonnene Le- gislaturperiode hinaus die Richt- schnur des gesundheitspolitischen Handelns sein. Dies bedeutet zwei- erlei:

– Alle Aussagen und Forderun- gen im Koalitionsvertrag müssen dar- aufhin überprüft werden, ob sie in letzter Konsequenz, gewollt oder un- gewollt, über einen Wechsel im Sy- stem hinausgehen, einen System- wechsel bewirken würden.

— Alle Bereiche im Gesundheits- wesen müssen sich wie die Politikbe- ratung aufgerufen fühlen, konkrete und realisierbare Vorstellungen zu entwickeln, mit denen die drängend- sten Probleme unseres Gesundheits- wesens systemkonform und zu- mindest mittelfristig gelöst werden können.

An erster Stelle steht eine scho- nungslose Analyse der gegenwärti- gen Situation unseres Gesundheits- wesens. Im Koalitionsvertrag sucht man diese Analyse, Voraussetzung für ein zielgerichtetes Handeln, ver-

geblich. Fritz Beske

Gesundheitsreform

Keine Revolution

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