T H E M E N D E R Z E I T
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A2304 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 34–3523. August 2004
auch erfolgt. Es ist kein System zur fall- individuellen Kostenerstattung. Den- noch wird in der Praxis die einzelfall- orientierte Betrachtungsweise und Er- lösbewertung praktiziert. Patientenbe- handlungen werden zu „Produkten“
und in lukrative und defizitäre „Pro- dukte“ unterteilt. Diese Betrachtungs- weise wird durch den erheblichen öko- nomischen Druck gefördert, der auf den Krankenhäusern und ihren Fach- abteilungen lastet.
Das G-DRG-System sollte daher so konzipiert sein, dass das Potenzial an Fehlanreizen klein bleibt. Es ist inak- zeptabel, dass bei Mehrfachleistungen die schlechter vergütete Diagnose oder Prozedur gruppierungsrelevant ist. So wäre allein die Behandlung von 20 Endokarditis-Patienten jährlich in der Kardiologie des Universitätsklini- kums Münster bei der derzeitigen Gruppierungspraxis mit Mindererlö- sen von circa 60 000 Euro verbunden, noch ohne die Beispiele A bis D zu berücksichtigen. Ein derartiges Un- gleichgewicht kann letztlich in Abhän- gigkeit von der Komplexität des gesamten Patientenspektrums dann die gesamte Abteilung bedrohen.
Eine Anpassung der Gruppierungs- Algorithmen erscheint daher zur Vermeidung von Fehlanreizen not- wendig. Möglich wäre dies durch eine geänderte Reihenfolge in den Ab- frage-Algorithmen. Hier sind ins- besondere die Fachgesellschaften ge- fragt, derartige Probleme in der Grup- pierung zu identifizieren und dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus, Siegburg, zu melden, um den Anpassungsprozess konstruktiv zu unterstützen.
❚Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2004; 101: A 2302–2304 [Heft 34–35]
Anschrift der Verfasser:
Dr. med. Holger Reinecke Medizinische Klinik und Poliklinik C (Kardiologie und Angiologie) Dr. med. Torsten Fürstenberg Holger Bunzemeier
Privatdozent Dr. med. Norbert Roeder DRG Research Group
Universitätsklinikum Münster Albert-Schweitzer-Straße 33 48129 Münster
D
ie frechen Neffen sind wieder zu Besuch. Nachdem meine Be- mühungen, ihnen die Vorzüge des Arztberufs nahe zu bringen, kläg- lich scheiterten (siehe DÄ, Heft 47/2003), versucht nun meine Schwe- ster, die renitente Jugend für eine medizinische Karriere zu begeistern.„Stellt euch vor, wie stolz es macht, anderen zu helfen!“ Die Neffen be- finden sich in einer entwicklungsgeschichtlich äußerst problematischen Phase, daher stellen sie diese Bemerkung sofort infrage. „Ist das wahr, On- kel Thomas?“ Ich winde mich wie eine Strongyloides-Larve im Dünndarm.
„Na ja, nicht so ganz, während der Sprechstunde hat man keine Zeit, stolz zu sein, danach quält einen die Frage, ob nicht irgendein Lapsus unterlaufen ist, irgendeine Ziffer falsch eingetragen oder ob die Arbeitsunfähigkeit zwin- gend begründet wurde . . . “ „Ja, ja“, unterbricht mich die Schwester, „aber stellt euch doch mal vor, welch schönes Gefühl das ist, Leben zu retten! Wie dankbar diese Menschen sind!“ Die Neffenaugen blicken mich inquisito- risch an, meine Antwort gleicht einer Zangengeburt: „Vielleicht . . . für
einen Moment.“ „Was nun, Onkel Thomas, sind sie dankbar, ja oder nein?“
„Zunächst schon, aber danach soll man auch alles andere retten: den Kurantrag, die Medikamentenbefreiung und so weiter.“ „Und wenn du das nicht schaffst, Onkel Thomas?“ „Dann gehen sie zum Nächsten und sagen:
‚Nach anfänglicher Begeisterung wurden wir bitter enttäuscht!‘ “ „Du hast alles falsch gemacht“, unterbricht mich die Schwester, „du hättest auch ein berühmter Wissenschaftler werden können!“ Wieder schauen mich die Nef- fen scharf an. „Na ja, selbst wenn du gute Wissenschaft machst, würden alle anderen ihr Bestes geben, dich schlecht zu reden. Danach machen sich die Statistiker über dich her, um festzustellen, ob deine Forschungen überhaupt mit einem prognostischen Gewinn einhergehen. Wenn du das überstanden hast, rechnen dir die Betriebswirtschaftler vor, dass die Kosten pro gewon- nenes Lebensjahr unermesslich hoch sind. Sollten deine Forschungsergeb- nisse immer noch nicht zur Strecke gebracht worden sein, weist ein Dokto- rand nach, dass vergleichbare Effekte durch Sport und fettarme Diät zu erzielen sind.“ Meine Schwester ist sauer. „Du bist immer so negativ!“
Eilfertig versuche ich, den schlechten Eindruck zu korrigieren: „Nein, nein, ich bin glücklich darüber, dass ich kein Wissenschaftler geworden bin, damit können meine Forschungen erst gar nicht von Be- triebswirtschaftlern zerpflückt werden. Ich bin froh darüber, dass ich nicht stolz auf meine Arbeit bin, sonst käme ich nicht mehr dazu, die Abrechnungsziffern zu überprüfen.“ Der Neffe schaut abschätzig: „Onkel Thomas, du und deine Medizin, das ist total parodi- stisch.“ Ich bin irritiert. „Du meinst wohl masochi- stisch!“ „Ja, das auch!“ Dr. med. Thomas Böhmeke