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Archiv "Staatsanwaltliche Ermittlungen nach Propofol-Narkosen: Unerwünschte „Nebenwirkungen“" (09.10.2009)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 41

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9. Oktober 2009 A 2031 STAATSANWALTLICHE ERMITTLUNGEN NACH PROPOFOL-NARKOSEN

Unerwünschte „Nebenwirkungen“

Der Einsatz von Propofol hat für Ärzte bisweilen ungeahnte rechtliche Folgen, weil die Patientinnen sexuelle Fantasien entwickelt haben.

throskopischen Operation am linken Knie. Der Anästhesist verabreicht der jungen Patientin eine Vollnarko- se mit Propofol. Der Eingriff ver- läuft regelgerecht, die Patientin kann am frühen Nachmittag nach Hause entlassen werden. In der Fol-

gezeit wirkt sie gegenüber ihrem Umfeld stark verändert; nach und nach vertraut sie sich ihrer Mutter an, welche mit ihrer Tochter zur Po- lizei geht. Dort erklärt sie, der Anäs- thesist habe sie nach der Operation sexuell missbraucht. Sie schildert glaubwürdig, sie sei aus der Narko- se „daran aufgewacht“, dass der Arzt sie intim berührt habe. Sie ha- be sich dagegen nicht wehren kön- nen. Die Polizei leitet die Anzeige an die Staatsanwaltschaft weiter, die gegen den Anästhesisten ein Ermitt- lungsverfahren wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs wider-

Sexualbezogene Halluzinationen – die Nebenwirkun- gen nach der Ein- nahme von Propofol im Aufwachraum sind in der nationa- len und internatio- nalen anästhesiolo- gischen Literatur beschrieben.

standsunfähiger Personen (§ 179 Strafgesetzbuch [StGB]) eröffnet.

Die als Zeugen vernommenen Pra- xisangestellten und der Operateur weisen den Vorwurf gegen den An- ästhesisten empört zurück – müssen aber einräumen, sich an die konkre- te Patientin nicht erinnern zu kön- nen. Auch geben sie an, dass die Be- treuung des Aufwachraums „im Großen und Ganzen“ durch den An- ästhesisten allein geleistet werde.

Medienberichte führen zur Ausgrenzung des Arztes

Der Vorwurf des sexuellen Miss- brauchs ist wie kaum ein anderer geeignet, den Arzt in Beruf, Gesell- schaft und Privatleben auf massive Weise zu stigmatisieren und auszu- grenzen. Der öffentliche und priva- te Druck auf den beschuldigten Arzt und seine Familie erhöhen sich noch, wenn etwa wegen einer spek- takulären Fallgestaltung das Me- dieninteresse erwacht und die Er- mittlungen durch eine öffentliche Berichterstattung begleitet werden.

Darüber hinaus stehen schon in der Phase des Ermittlungsverfahrens mit der Verhängung eines vorläufi- gen Berufsverbots oder der Anord- nung des Ruhens der Approbation Maßnahmen im Raum, die zu einer wirtschaftlichen Existenzbedrohung führen können. Insofern stellt das Ermittlungsverfahren – unabhängig vom Ausgang – eine schwerwie- gende Beeinträchtigung dar.

Im Fall einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs widerstands- unfähiger Personen nach § 179 StGB droht dem Arzt nicht nur eine Frei- heitsstrafe von bis zu zehn Jahren, sondern auch der Widerruf der Ap- probation, die Einleitung eines be- rufsgerichtlichen Verfahrens, die Entziehung der kassenärztlichen Zu- lassung oder die Geltendmachung von zivilrechtlichen Forderungen. ►

G

elegentlich treten in der an- waltlichen Praxis Fälle auf, in denen sich Ärzte im Anschluss an Propofol-Narkosen staatsanwalt- schaftlichen Ermittlungen und ei- nem ungeheuren Verdacht ausge- setzt sehen: Patientinnen erheben den Vorwurf der sexuellen Belästi- gung oder gar des sexuellen Miss- brauchs durch den Arzt im Auf- wachraum. Die von den Patientin- nen in logischer Abfolge sehr plas- tisch und überzeugend dargestellten (vermeintlichen) „Erlebnisse“ las- sen sich indes auf eine in der natio- nalen und internationalen anästhe- siologischen Fachliteratur beschrie- bene Nebenwirkung dieses Narko- semittels zurückführen: Unter der Wirkung von Propofol können sich zum Teil lebhafte sexuelle Fanta- sien entwickeln, die bei den Patien- tinnen den Eindruck eines authenti- schen Ereignisses hervorrufen.

Widerlegen der Vorwürfe ist oft schwierig

Der beschuldigte Arzt befindet sich in einer äußerst ungünstigen Vertei- digungsposition, da meist keine konkrete Erinnerung mehr an die Behandlung der Patientin besteht, sodass ein Widerlegen der belasten- den Vorwürfe nur schwer möglich ist. Es kommt deshalb darauf an, der Staatsanwaltschaft die medizi- nischen und pharmakologischen Zusammenhänge aufzuzeigen und sie von der Haltlosigkeit der Vor- würfe zu überzeugen. Vor allem aber lassen sich im Sinne einer

„Haftungsprophylaxe“ auch Vor- kehrungen treffen, anhand derer solchen unbegründeten, gleichwohl äußerst belastenden Anschuldigun- gen vorgebeugt werden kann.

Ein Fall aus der anwaltlichen Praxis: Eine 15-jährige Patientin unterzieht sich in einer orthopädi-

schen Praxis einer ambulanten ar- Fotos: Fotolia [m]

S T A T U S

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A 2032 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 41

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9. Oktober 2009 Propofol ist als kurz wirkendes,

intravenöses Anästhetikum wegen seiner raschen Wirkung, guten Se- dierung und Verträglichkeit ge- schätzt und wird häufig eingesetzt.

Die Nebenwirkungen bei der Gabe von Propofol findet man in der anästhesiologischen Literatur be- schrieben. So berichtet Canaday von sexualbezogenen Halluzina - tionen, die eine Patientin nach der Einnahme von Propofol im Auf- wachraum hatte. Auch Kent et al.

weisen auf diese Nebenwirkung hin:

„The potential danger of legal ac- tion from patients who have halluci- nated during anesthesia is very real.“ In der Fachinformation der Hersteller über Propofol heißt es ebenfalls: „In der Aufwachphase treten Übelkeit, Schwindel sowie

Euphorie und eine Herabsetzung der sexuellen Hemmschwelle auf.“

Besonders akzentuiert hatte schon vor mehr als zehn Jahren die Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft im Deutschen Ärzteblatt unter der Überschrift

„Sexuelle Fantasien bei kurzen Ein- griffen unter Narkose“ auf die Ge- fahr der Strafverfolgung nach Pro- pofol-Narkosen aufmerksam ge- macht (DÄ, Heft 12/1998).

Die Aussagen der betroffenen Patientinnen weisen übrigens bei der Schilderung der vermeintlichen Geschehnisse charakteristische Über - einstimmungen auf: In dem von Ca- naday berichteten Fall behauptete die Patientin – wie im Fallbeispiel –, sie sei in der Aufwachphase für die Dauer von fünf Minuten miss- braucht worden, dabei aber unfähig gewesen, sich verbal oder aktiv da- gegen zu wehren.

Empfehlung zur Haftungsprävention

Die Verteidigungsposition des be- schuldigten Arztes ist tendenziell ungünstig, weil er sich oft kaum an die Situation erinnert und die Vor- würfe bloß „abstreiten“ kann. Hilf- reich ist es deshalb, wenn der

Nachweis gelingt, dass der Arzt mit der Patientin zu keinem Zeitpunkt der Behandlung allein war. Als vor- beugende Maßnahme ist zu emp- fehlen, bereits bei der Narkose und der anschließenden Überwachung organisatorisch routinemäßig si- cherzustellen, dass eine dritte Per- son ständig anwesend ist, deren Na- me auch in der jeweiligen Patien- tendokumentation festgehalten ist.

Dies gilt besonders bei Tätigkeiten

des Arztes, die Raum für Fehlinter- pretationen lassen, wie etwa Hand- griffe, mit denen die Patientin bei der Umlagerung vom Operations- tisch, beim Gang in den Aufwach- raum oder bei der Lagerung im Aufwachraum unterstützt wird.

Auch der Körperkontakt zur Beru- higung der Patientin kann fehlge- deutet werden.

Kommt es ungeachtet dieser Vor- kehrungen aufgrund einer Anzeige durch eine Patientin zu staatsan- waltschaftlichen Ermittlungen, so besteht seitens des Arztes in der Re- gel das verständliche Bedürfnis, im Weg einer sofortigen Gegendarstel- lung den unberechtigten Vorwürfen entgegenzutreten. Davon muss dem Arzt dringend abgeraten werden.

Mündlichen, zumeist noch sponta- nen und unbedachten Erklärungen zur Sache gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft wohnt stets die Gefahr inne, dass die Aussagen missverstanden, fehlinterpretiert oder auch nur ungenau protokolliert wer- den. Solche womöglich dann unge- wollt belastenden Aussagen lassen sich erfahrungsgemäß im weiteren Ermittlungsverlauf nur schwer kor- rigieren. Daraus resultiert die Emp- fehlung, stets nur schriftlich – nach Akteneinsicht und nach rechtlicher Prüfung – zur Sache Stellung zu

nehmen. ■

RA Dr. Sebastian Almer, RA Dr. Maximilian Warntjen, Ulsenheimer und Friederich – Rechtsanwälte, München

Die aufsichtsrechtlichen Befugnisse des Bun- desministeriums für Gesundheit (BMG) gemäß

§ 94 Absatz 1 SGB V sind auf eine Rechtskon- trolle beschränkt. Das Ministerium ist nicht berechtigt, die Richtlinienbeschlüsse des Ge- meinsamen Bundesausschusses (G-BA) unab- hängig von einem Rechtsverstoß alleine aus – fachaufsichtlichen – Zweckmäßigkeitserwä- gungen heraus zu beanstanden. Das hat das Bundessozialgericht entschieden.

Die Regelungen im SGB V entsprechen dem Grundsatz, dass die Staatsaufsicht gegenüber Selbstverwaltungsträgern prinzipiell nur auf ei-

ne Rechtsaufsicht begrenzt ist. Für eine weiter- reichende Kontrolle bleibt nur Raum, wenn der Gesetzgeber diese ausdrücklich angeordnet hat. Auch die richterliche Kontrolle unterge- setzlicher Normen beschränkt sich regelmäßig darauf zu prüfen, ob die äußersten rechtlichen Grenzen der Rechtsetzungsbefugnis durch die Normgesetzgeber eingehalten wurden. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn sich die getroffenen Regelungen auf eine ausreichende Ermächti- gungsgrundlage stützen können und die maß- geblichen Verfahrens- und Formvorschriften sowie die Grenzen des dem Normgeber zu-

kommenden Gestaltungsspielraums beachtet worden sind.

Im entschiedenen Fall ging es um die An- wendung der Protonentherapie bei der Indika- tion „Mammakarzinom“ im Krankenhaus. Der Richtlinienbeschluss, wonach diese Leistung nicht erbracht werden darf, beruht nach An- sicht des G-BA darauf, dass die Anwendung der Protonentherapie hier aufgrund fehlender Wirksamkeitsbelege nicht die Kriterien des § 137 c Absatz 1 SGB V erfüllt. Damit hat der G-BA den ihm zukommenden Gestaltungs- spielraum nicht überschritten. (Bundessozial- gericht,Urteil vom 6. Mai 2009, Az.: B 6 KA

1/08 R) RAin Barbara Berner

RECHTSREPORT

Ministerium hat kein Recht auf Fachaufsicht

Es ist hilfreich, wenn der Nachweis gelingt, dass der Arzt mit der Patientin zu keinem Zeitpunkt der Behandlung allein war.

S T A T U S

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