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ransdermales Fentanyl ist in Deutschland jetzt zwei Jahre zu- gelassen. Vom Konzept her handelt es sich um eine neue Art der Schmerztherapie: „Schmerzfrei- heit durch ein Pflaster, das alle drei Tage gewechselt wird“. Aufgrund die- ses Konzeptes sind das Drängen der Patienten nach diesem Verfahren„ohne Tabletten“ und die Faszination vieler Kollegen hoch, wobei die Kenntnisse hierüber in vielen Fällen unzureichend sind.
! Im Rahmen von schmerz- therapeutischen Fortbildungsveran- staltungen werden immer wieder großes Interesse, aber auch
große Unsicherheit bezüglich der Anwendung von transder- malem Fentanyl deutlich. Die Auswertung eines Fragebo- gens zu Fentanyl TTS bei schmerztherapeutisch vorge- bildeten und fortbildungsin- teressierten Ärzten (53 Frage- bögen wurden zurückgege- ben, überwiegend Anästhesi- sten) zeigte deutlich: 70 Pro- zent der Ärzte hatten keine praktische Erfahrung mit dem Therapieverfahren. 60 Pro-
zent der Befragten konnten keine An- gaben zur Umstellung von anderen Opioiden machen, von 37 Prozent der Anästhesisten wäre eine Umstellung im falschen Verhältnis erfolgt. Fünf Kollegen wählten einen Umrech- nungsfaktor, der zu Überdosierungen hätte führen können. Die Wirkungs- dauer wurde von 30 Prozent der Be- fragten als zu kurz eingeschätzt. Über die Notwendigkeit der stationären Umstellung herrschte Unklarheit, 18 Kollegen würden die Patienten ambu- lant oder im Rahmen einer Tagesklinik umstellen. Transdermales Fentanyl würde nach dieser Umfrage von weit über 50 Prozent der Kollegen auch bei Nicht-Tumorschmerzen eingesetzt.
! Im Arzneimitteltelegramm (1) wurde erfragt, wie es sich mit der
Umstellung einer gut funktionieren- den Therapie mit retardiertem Mor- phin auf Fentanyl TTS verhält. Es wird darüber Auskunft gegeben, daß die Therapieumstellung stationär er- folgen „soll“; korrekt würde es jedoch heißen „muß“.
! Ärztliche Kollegen berichte- ten in persönlichen Gesprächen von Überdosierungserscheinungen, wenn Pflasterwechsel innerhalb der ersten 24 Stunden erfolgten.
! In einem Fallbericht wird von einer Überdosierung bei einem Pati- enten mit neuropathischen Schmerzen berichtet, dem ein Viertel eines zer-
schnittenen Fentanyl TTS 50 µg/h ap- pliziert wurde (8).
! Es wurde über ein zweijähri- ges Kind mit Überdosierung durch Fentanyl TTS berichtet, nachdem sich das System von der Großmutter, mit der das Kind schlief, auf das Kind übertragen hatte (13).
! Wiederholt kam es zu Anfra- gen, ob Fentanyl TTS im Bereich des schmerzenden Areals appliziert wer- den muß.
Diese Hinweise über die Ausbil- dungsdefizite bezüglich der Anwen- dung von Fentanyl TTS machen es
nötig, nochmals auf die wichtigsten Daten hinzuweisen. Fentanyl TTS gibt Fentanyl proportional zur Appli- kationsfläche ab (25 µg pro Stunde pro zehn Quadrat-Zentimeter). Die Kontrolle der Abgabe erfolgt durch eine „rate-control“-Membran (9).
Um die Funktion dieser Membran zu erhalten, darf diese nicht verletzt wer- den, das heißt die Pflaster dürfen nicht zerschnitten werden. Erste Se- rumspiegel werden nach zwei Stun- den nachgewiesen. Das Plateau wird in der Regel nach 8 bis 16 Stunden er- reicht. Nach Entfernung des Pflasters beträgt die Halbwertszeit aufgrund des Hautdepots durch- schnittlich etwa 16 Stunden (Tabelle 1)(2, 3, 9). Es stehen vier verschiedene Größen zur Verfügung (Tabelle 2). Wer- den Dosierungen von mehr als 2,4 mg pro Tag benötigt, so können mehrere Pflaster kombiniert werden. Auf- grund der Applikationsfläche wird im klinischen Alltag eine obere Grenze für die transdermale Therapie wahr- scheinlich bei etwa 200 cm2 liegen, das heißt bei der Ap- plikation von fünf großen Pflastern.
Das entspricht einer oralen Äquiva- lenzdosis von etwa 800 Milligramm Morphin.
Zulassungsbeschränkung
In Deutschland bestehen zwei wichtige Zulassungsbeschränkungen für die Anwendung von Fentanyl TTS, die bei der Therapie unbedingt Beachtung finden müssen:
! Zulassung nur für die Thera- pie von Tumorschmerzen.
! Die Ersteinstellung auf trans- dermales Fentanyl muß stationär er- folgen.
Transdermales Fentanyl muß als stark wirksames Opioid, das nicht
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(50) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 10, 7. März 1997
KURZBERICHT
Neue Alternative in der Tumortherapie
Richtige Anwendung von Fentanyl TTS entscheidend
Barbara Donner Michael Strumpf Roman Dertwinkel Michael Zenz
Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Schmerztherapie (Direktor: Prof. Dr. med. Mi- chael Zenz), Berufsgenossenschaftliche Klini- ken Bergmannsheil, Universitätsklinik Bochum Tabelle 1
Eigenschaften von Fentanyl TTS
Abgaberate 25 µg/10 cm2/h
Wirkungseintritt 12 Std. (1–31 Std.)
Wirkungsdauer 48–72 Std.
Abklingzeit 16 Std. (2–22 Std.)
Umstellung
von Morphin oral 100 : 1 von Fentanyl i. v. 1 : 1
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Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 10, 7. März 1997 (51) invasiv appliziert wird, auf Stufe III
des WHO-Stufenschemas angesiedelt werden. Eine validierte Umrechnung der Vortherapie auf Fentanyl TTS exi- stiert bisher nur für die Vortherapie mit oralem Morphin und Fentanyl i. v.
(4, 16):
! mg orales Morphin/Tag : mg Fentanyl TTS/Tag = 100 : 1.
! Fentanyl i. v.: Fentanyl TTS = 1 : 1.
Über eine Umstellung von einer subkutanen oder rektalen Vormedi- kation liegen keine Erfahrungen vor.
Es ist zu beachten, daß in eine solche Umrechnung weitere Faktoren – zum Beispiel, daß die rektale Bioverfüg- barkeit von Morphin etwa 18 Prozent höher ist als die orale (15) – eingehen können.
Für die Titrationsphase sollte dem Patienten ein schnell verfügbares, stark wirksames Opioid zur Verfügung ge- stellt werden. Schmerzreduktion und Einnahme dieser Zusatzmedikation müssen beim nächsten Pflasterwechsel für eine mögliche Dosissteigerung berücksichtigt werden. In der Lang- zeittherapie hat der Patient mit Hilfe der „escape medication“ die Möglich- keit, intermittierende Schmerzspitzen zu kupieren. Diese Medikation eines stark wirksamen Opioids „bei Bedarf“
ist jedoch nicht als unkritisch zu be- trachten. Sie birgt prinzipiell die Ge- fahr der psychischen Abhängigkeit.
Der Patient muß über die Eigenschaf- ten dieser Bedarfsmedikation aufge- klärt werden, und die Einnahme muß überwacht werden (Protokoll des Ver- brauchs).
Wirkungsdauer
Die Wirkungsdauer von trans- dermalem Fentanyl beträgt in der Regel 72 Stunden (7). Bei einem Teil der Patienten kann aber ein 48stündi- ger Pflasterwechsel erforderlich sein (etwa 25 bis 40 Prozent) (5, 11, 16). In kürzeren Abständen sollte das trans- dermale System nicht gewechselt wer- den, um ansteigende Serumkonzen- trationen zu vermeiden (7). Löst sich ein Fentanyl TTS ab, so sollte es an der gleichen Stelle mit Pflaster erneut fixiert werden. Innerhalb der ersten 24 Stunden sollte Fentanyl TTS nicht gegen ein neues Pflaster ausgetauscht
werden. Durch die „Priming dose“
könnte es dann zu Überdosierungen kommen.
Nebenwirkungen und Hautverträglichkeit
Die Nebenwirkungen sind im we- sentlichen die bekannten Nebenwir- kungen von Opioiden. Die Inzidenz an Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Müdigkeit und andere unterscheidet sich in den meisten Studien nicht von der Vortherapie, die in der Regel mit Morphin erfolgte. Es existieren zu- nehmend Hinweise, daß die Obstipa-
tion unter der transdermalen Thera- pie im Vergleich zur oralen Mor- phintherapie geringer ausgeprägt sein könnte (4, 10, 12, 16).
Als besondere Nebenwirkung muß bei der transdermalen Applika- tion die Hautverträglichkeit berück- sichtigt werden. Wegen der unter- schiedlichen Hautdicke sollte die Applikation von transdermalem Fentanyl vorwiegend am Oberkör- per oder auf der Außenseite der Oberarme erfolgen. Die Applikati- onsstellen sollten regelmäßig ge- wechselt werden, damit sich die Haut von der Okklusion durch das Pflaster erholen kann. Areale, die vorbe- strahlt sind, aktive Hauterkrankun- gen oder Verletzungen aufweisen, müssen von der Applikation ausge- nommen werden, da an diesen Stel- len die Funktion des Stratum corne- um erheblich verändert sein kann, so daß die transdermale Resorption un- kalkulierbar wird.
Hautreaktionen unter dem Pfla- ster werden intermittierend bei einem Großteil der Patienten beobachtet.
Meistens handelt es sich jedoch nur um eine Rötung, die sich in den ersten Stunden nach Entfernung des Pfla- sters zurückbildet. Juckreiz, Ödem, Papeln oder Pusteln sind seltene Ne- benwirkungen. Generalisierte Haut- erscheinungen sind bisher nur in zwei Fällen beschrieben (6, 14).
Fazit
Fazit für den klinischen Alltag:
Unter Berücksichtigung der spezifi- schen Eigenschaften der transderma- len Applikation (unter anderem in- taktes Pflaster, unversehrte Haut, Wirkungsdauer 48 bis 72 Stunden) stellt Fen- tanyl TTS eine Alter- native zur Therapie von Karzinomschmer- zen dar, die auf Stufe III des WHO-Stufen- schemas einzuordnen ist. Die Dosistitration muß sorgfältig erfol- gen. Schnell wirksame Opioide müssen dem Patienten zur Titration in der Einstellungspha- se und für Schmerz- attacken zur Verfügung stehen, wo- bei vor dem unkritischen Gebrauch dieser Medikation zu warnen ist. Die Zulassungsbeschränkungen (Karzi- nomschmerz, stationäre Umstellung) für Fentanyl TTS und die besonde- ren Eigenschaften des Therapiekon- zeptes sollten unbedingt beachtet werden, um nicht durch Fehlanwen- dung Patienten zu gefährden.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-598–599 [Heft 10]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.
Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Barbara Donner Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Schmerztherapie Berufsgenossenschaftliche Kliniken Bergmannsheil
Universitätsklinik
Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 44789 Bochum
KURZBERICHT/FÜR SIE REFERIERT
Tabelle 2
Fentanyl-TTS-Systeme
Abgaberate Fentanyl-Gehalt Größe
[µg/h] [mg/Tag] [mg] [cm2]
25 0,6 2,5 10
50 1,2 5 20
75 1,8 7,5 30
100 2,4 10 40