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Archiv "Sucht und Drogen: Fentanyl wird zunehmend missbraucht" (19.09.2014)

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A 1560 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 38

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19. September 2014

SUCHT UND DROGEN

Fentanyl wird zunehmend missbraucht

Die Behandlungsprävalenz mit Fentanyl hat sich innerhalb von zehn Jahren mehr als verdreifacht. Gleichzeitig ist das Opioid immer häufiger an Drogentodesfällen beteiligt.

Vorsicht ist bei dem Wunsch nach Verordnung von Fentanylpflastern geboten.

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eutschlandweit hat sich die Behandlungsprävalenz mit Fentanyl (inklusive Pflastern) im Zeitraum von 2000 bis 2010 mehr als verdreifacht. Hierbei ist beson- ders zu berücksichtigen, dass über drei Viertel der Behandelten die Substanz aufgrund chronischer nicht tumorbedingter Schmerzen erhiel- ten. Gerade für diese Patienten- gruppe liegt aber in der Langzeitan- wendung keine ausreichende Evi- denz vor (1). Im Gegenteil: In der

Langzeitanwendung bei nicht tumor- bedingten Schmerzen scheint es zu einem analgetischen Wirkungsver- lust zu kommen (2).

Europaweit nimmt der Miss- brauch von Fentanyl mit regiona- ler Häufung zu. Laut Europäischer Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht hat Fentanyl, bei- spielsweise in Estland, Heroin unter den intravenös Drogenkonsumie- renden den Rang abgelaufen. Auch

in Finnland oder Schweden gibt es Regionen mit ausgeprägtem Fenta- nylmissbrauch (3). In den USA konnte gezeigt werden, dass bei 75 Prozent der Opiatabhängigen, die in den letzten Jahren erstmals Kontakt mit dem Suchthilfesystem hatten, der Einstieg durch die Verschrei- bung von Opioiden erfolgte (4).

Nachdem begonnen wurde, ge- zielt danach zu suchen – Fentanyl wird als Opioid nicht in den übli- chen Drogensuchtests entdeckt –,

fiel auf, dass beispielsweise in Bayern immer häufiger Fentanyl an Drogentodesfällen beteiligt war. So ist im Zeitraum von 2008 bis 2013 der Anteil von Drogentoten mit Fen- tanylnachweis von 16 (6,5 Prozent) auf 69 Fälle (30 Prozent) angestie- gen mit innerhalb Bayerns deutlich regionaler Häufung. Dies ist aus Sicht der Behörden auf eine unter- schiedliche Handhabung der Ver- schreibungen zurückzuführen.

Fentanyl wirkt etwa 80-mal stär- ker als Morphin, ist stark lipophil und wirkt überwiegend an µ-Opiat- rezeptoren (5). Neben einer Analge- sie führt es dosisabhängig zu re - duzierter Wahrnehmungsfähigkeit, Bewusstseinstrübungen bis hin zu Atemdepression und komatösen Zu- ständen. In Deutschland werden im Rahmen der Schmerztherapie fen - tanylhaltige Pflaster eingesetzt, die Wirkstoffmengen von 1,4 bis 34,65 mg enthalten und in Größenordnun- gen von zwölf bis 150 µg/Stunde den Wirkstoff kontinuierlich freige- ben. Regulär werden die Pflaster auf die Haut geklebt und verbleiben dort für drei Tage. Auch bei ordnungsge- mäßer Verwendung sind nach die- sem Zeitraum noch bis zu 70 Pro- zent des Opioids im Pflaster ent - halten (6). Dadurch können selbst bereits benutzte und unachtsam ent- sorgte Pflaster attraktiv werden, die aus Müllbehältern von Krankenhäu- sern oder Pflegeeinrichtungen ent- wendet werden. Opioidabhängige zerschneiden die Pflaster, kochen diese auf und injizieren die Lösung.

Die kaum kalkulierbare Dosierbar- keit stellt ein großes Problem und damit auch den Hauptrisikofaktor für Drogentodesfälle dar.

Vor der leichtfertigen Verordnung scheinbar sicherer Fentanylpflaster, insbesondere bei chronischen nicht tumorbedingten Schmerzen kann daher nur gewarnt werden. Um an die gewünschte Verschreibung zu gelangen, werden häufig von Sucht- kranken orthopädische Krankheits- bilder angegeben. Geradezu typisch ist die Konstellation: unbekannter Patient, volle Praxis, kurz vor dem Wochenende oder vor Feiertagen.

Die Patienten geben an, dass der Unter den intra-

venös Drogen- konsumierenden

hat Fentanyl, bei- spielsweise in Estland, Heroin den Rang abgelaufen.

Foto: picture alliance

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er Blick in die Morgenzeitung war eher unerquicklich. „Vor- sicht, Klinik“ lautete die Überschrift, und von traumatischen Erfahrungen war die Rede, weil Ärzte sich ledig- lich der Krankheiten, nicht aber der Patienten annehmen würden – die menschliche Medizin sei in deutschen Krankenhäusern ausgestorben. Kritik aus den Medien nehmen wir gerne an, wenn sie berechtigt ist; wer aber bewusst versucht, Keile zwischen Pa- tienten und die Ärzteschaft zu treiben, überspannt den Bogen.

Eigentlich beendet ja die Freude an der Arbeit den aufgekommenen Ärger

schnell: Wundkontrolle auf der Inten- sivstation, anschließend Frühbespre- chung und Röntgendemonstration, dann eine kurze Morgenvisite und schließlich der Gang in den OP: Be- reits um 8 Uhr morgens ist man so auf die Patienten, ihre Wünsche und Sor- gen fokussiert, dass für andere Ge- danken einfach kein Platz mehr im Kopf ist. Aber heute ist Sonntag, keine Sprechstunde, keine Operationen, kein Studentenunterricht – da ist dann doch Zeit zum Grübeln.

Es stimmt, der Klinikalltag hat sich durch die Vorgaben der Politik massiv verändert, und Krankenhausromantik vom Typ Schwarzwaldklinik gibt es schon lange nicht mehr. Aber obwohl es unter Ärzten nur wenige schwarze Schafe – wie übrigens sonst auch überall – gibt, werden gerade wir Ärz- te gern in Sippenhaft genommen, selbst wenn ihnen der schizophrene Spagat zwischen ordentlicher Patien- tenversorgung und Erfüllung von Zu- satzaufgaben überwiegend sehr gut gelingt. Akteure der Gesundheitswirt- schaft, wie etwa Ökonomen, Controller und Zertifizierer, müssen nämlich ebenfalls zufriedengestellt werden. Sie alle überfrachten uns mit Anforderun- gen und Aufgaben, die so weit vom

Wunsch des Patienten nach emotio- naler ärztlicher Zuwendung wegführen wie der Medaillenspiegel vom saube- ren, dopingfreien Sport. Wir haben ei- ne Hochleistungsmedizin geschaffen mit viel Licht, aber auch viel Schatten.

Und eines ist uns allen klar geworden:

Das ständige Streben nach mehr Ef- fektivität wird Sinn und Zweck unserer eigentlichen Tätigkeit zerstören.

Uns Ärzten ist die Bürde auferlegt worden, eine riesige Maschinerie auf- recht zu erhalten, von der viele profi- tieren. Damit das Räderwerk störungs- frei läuft, wurden um uns herum – so- wohl in den Kliniken, als auch in den

Praxen – zahlreiche Kontrollinstru- mente installiert. Schon lange er- schweren es etliche Reglementierun- gen dem Mediziner, seinen Arbeits - alltag individuell auszugestalten, und eine charismatische Persönlichkeit ist heute weniger gefragt als eine Zusatz- qualifikation zum Gesundheitsökono- men. Aber zu einer Metamorphose vom Arzt zum austauschbaren Dienst- leister darf und wird es trotzdem nie kommen.

Denn nicht mit der Verwaltung, sondern nur mit seinem Arzt baut der Patient eine der stärksten emotionalen Verbindungen auf, die zwischen Men- schen möglich ist: Er schenkt ihm sein Vertrauen. Es ist ausschließlich das Privileg des Arztes, diese Verbindung mit dem Patienten einzugehen. Und es ist das Privileg des Arztes genau das zu tun, was nicht nur Sinn und Zweck seiner eigentlichen Tätigkeit ist, son- dern letztlich auch ihm selbst immer wieder Freude bereitet: das Vertrauen des Patienten nicht zu enttäuschen.

Dies sollte uns an jedem neuen Ar- beitstag, egal was in der Zeitung steht, klar sein.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Zahnärztlichen Zeitschrift (DZZ) 2014; 69(5): 241

KOMMENTAR

Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Klaus-Dietrich Wolff, Klinikum rechts der Isar, TU München

Privileg des Arztes

sonst verordnende Arzt kurzfristig nicht erreichbar sei und nun drin- gend Fentanylpflaster benötigt wer- den. Zum Beweis wird oft eine leere Originalpackung vorgelegt.

Um im Rahmen der Opioidthera- pie die beiden wichtigsten Ziele, nämlich die adäquate Behandlung von Schmerzpatienten sowie das gleichzeitige Verhindern von Miss- brauchsfällen durch Opioidabhängi- ge zu verfolgen, kann die Beachtung der folgenden Punkte hilfreich sein:

Vor der Verordnung von Opioi- den sollten nach Möglichkeit Vor- befunde herangezogen werden, die auf ein chronisches Schmerzpro- blem hinweisen.

Eine Schweigepflichtsentbin- dung gegenüber dem sonst behan- delnden Arzt, gegenüber der Apo- theke, bei der die Rezepte einge- löst werden und der Krankenkasse, um Mehrfachverordnungen von ver- schiedenen Ärzten auszuschließen.

Eine orientierende körperliche Untersuchung muss vor Verordnung eines Opioids erfolgen. Dabei ist auf etwaige Einstichstellen an den typischen Orten, mögliche Operati- onsnarben und die Plausibilität des Beschwerdebildes zu achten.

Werden unbenutzte Pflaster in der Praxis zurückgegeben, so sind diese zu vernichten.

Die Verordnung der kleinstmög- lichen Packungseinheit an einen bislang unbekannten Patienten kann dann zu rechtfertigen sein, wenn die Angaben plausibel und zum Erschei- nungsbild und Untersuchungsbe- fund des Patienten passen. Grund- sätzlich können auch einzelne Pflas- ter verschrieben werden (7). Zudem sollte der eigentliche Behandler über die Verordnung im Rahmen der Schweigepflichtsentbindung infor-

miert werden (8).

Dr. med. Beate Erbas Bayerische Akademie für Sucht- und

Gesundheitsfragen Prof. Dr. med. Norbert Wodarz Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg, Bayerische Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen

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Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit3814 oder über QR-Code

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