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Archiv "Diskussionspunkt: EG-Richtlinie „Dienstleistungen“: Kompromißvorschlag für die Heilberufe" (04.07.1991)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

DER KOMMENTAR

Diskussionspunkt: EG-Richtlinie „Dienstleistungen"

Prinzip der (modifizierten) Selbstko- stendeckung ohne Vorbehalt und In- teressenideologie überprüft und ge- gebenenfalls in Frage gestellt wer- den. Das Selbstkostendeckungsprin- zip sei ein wesentlicher Grund für Mittelvergeudung, von Unwirtschaft- lichkeit und von Intransparenz. Da- gegen seien leistungsorientierte Fall- pauschalen, Abteilungspflegesätze und mehr Sonderentgelte eine Grundvoraussetzung für eine besse- re Vergleichbarkeit der Kranken- häuser, für mehr Kosten- und Lei- stungstransparenz und eine zielge- rechte Steuerung sowie eine Festle- gung interner Verantwortlichkeits- bereiche.

Diagnosebezogene Fallpauscha- len (DRG), wie sie seit geraumer Zeit in vier Modellkliniken in der Bundes- republik erprobt werden (und zwar in zwei Augenkliniken, in einer Chir- urgischen Klinik und in einer Ortho- pädischen Klinik), gibt das Bundesge- sundheitsministerium offenbar keine (politischen) Realisierungschancen, zumal eine Konzentration und Se- lektion der zu erbringenden Kran- kenhausleistungen befürchtet wird.

Gleichwohl spekulieren einzelne Krankenkassen und deren Verbände zumindest mit einer probeweisen Einführung eines Fallpauschalsy- stems (analog zum Festbetragssy- stem auf dem GKV-Arzneimittel- markt und Regelungen in den USA).

Kein genereller Systemwechsel..

Staatssekretär Wagner sagte vor dem Bonner Kongreß, daß Praktiker und Fachleute von einem generellen Systemwechsel in Richtung der Ab- rechnung fallbezogender Abrech- nungspauschalen oder aufwendungs- bezogener Abrechnungssysteme ab- geraten hätten, da sich diese Entgelt- systeme nicht kurzfristig auf das bun- desdeutsche System der Kranken- hausfinanzierung übertragen ließen.

Zudem seien die Unterschiede in der Ausgangslage der Gesundheitssyste- me in den USA, wo solche Systeme seit neun Jahren praktiziert werden, und der Bundesrepublik Deutsch- land zu groß. Dr. Harald Clade

Kompromißvorschlag für die Heilberufe

Die Europäische Gemeinschaft steht vor einem selbstgefertigen Di- lemma: Obwohl medizinische Be- handlungen selten länderübergrei- fend sind, hat sie sich zum Ziel ge- setzt, die Haftung für Dienstleistun- gen, auch die der Ärzte und Klini- ken, zu vereinheitlichen. Schwierig- keiten bestehen nicht in der Geset- zeslage: In allen Mitgliedsländern der EG setzt die Haftung im Bereich der Medizin voraus, daß der Patient die Fahrlässigkeit des Arztes und seinen Schaden beweist. Große Un- terschiede gibt es im Rechtstatsächli- chen. Während im mittleren Gürtel Europas, nämlich in den Ländern Italien, Frankreich, Deutschland und Benelux, die Arzthaftung sich auf einem relativ hohen Niveau ein- gependelt hat, gelingt es in England und Irland dem Patienten selten, we- gen Fehlbehandlung Schadensersatz zu erlangen. In den südeuropäischen Ländern (Griechenland, Spanien, Portugal) ist die Arzthaftung prak- tisch unbekannt. Jede Vereinheitli- chung hat von diesem rechtstatsäch- lichen Unterschied aufgrund völlig gleicher Rechtslage auszugehen.

Im Januar 1991 hat die EG den Vorschlag einer „horizontalen Richt- linie" vorgelegt, der Verletzungen von Körper, Gesundheit oder Sache durch jede Dienstleistung schadens- ersatzpflichtig macht, es sei denn, der Dienstleistende beweise seine Schuldlosigkeit. Die Verschuldens- vermutung wird an keinerlei beson- dere Voraussetzung, etwa einen Fehler, Unfall und ähnliches ge- knüpft, sondern soll schon mit Kör- perverletzung, Tod oder Sachbe- schädigung eintreten. Würde die Richtlinie geltendes Recht, wären Ärzte und Krankenhäuser verpflich- tet, wegen der Schuldvermutung in großem Umfang Beweismaterial zu sichern, insbesondere extensive Auf- zeichnungen zu machen und jeden Gestorbenen obduzieren zu lassen.

Der Tod im Krankenhaus selbst wä-

re schon eine vermutete Anspruchs- grundlage.

Um den Besonderheiten der Heilberufe Rechnung zu tragen, er- wägt die EG nunmehr, eine von mehreren „vertikalen Richtlinien"

diesem Berufszweig zu widmen. Das Ziel ist, die sonst ohne jeden Anlaß eintretende Verschuldensvermutung einer angepaßteren Regelung wei- chen zu lassen.

• Als mögliches Modell wird hier die sogenannte Basisversorgung erwogen, die auch in anderen Rechtsgebieten, etwa im Straßen- und Eisenbahnverkehr oder bei der klinischen Forschung in Frankreich und Deutschland geltendes Recht ist. Danach wird für einen Fehler oder einen Behandlungsunfall (die noch genauer zu bestimmen wären) eine Ersatzsumme gewährt, die der Höhe nach deutlich beschränkt ist, etwa heute im Verkehrsrecht für den materiellen Schaden im Falle der Tötung jährlich 30 000 DM beträgt.

Meist wird jedoch der Schaden des Patienten noch geringer sein. Dieser Ersatz sollte von privaten Versiche- rern geleistet werden. Schmerzens- geld und hohe Schäden, etwa über 30 000 DM hinaus, sollten nur bei nachgewiesenem Verschulden und nachgewiesenem Schaden ersetzt werden.

• Auf diese Weise könnte ein Doppeltes erreicht werden: Durch die Basisversorgung würde in man- chen Ländern, also insbesondere den südeuropäischen Ländern, zum ersten Mal eine Haftung für Behand- lungsfehler oder, je nach Entschei- dung des Gesetzgebers, Behand- lungsunfälle eingeführt. In den mit- teleuropäischen Ländern der EG würde sich nur wenig ändern, da hier schon heute geringere Forderungen wegen eines Fehlers oder eines Un- falls, der irgendwie mit einem Fehler verbunden ist, regelmäßig von den Versicherern ohne lange Verfahren ersetzt werden.

Der Regelung in den einzelnen Mitgliedsländern sollte die Haftung auf den überschießenden materiel- len Schaden, die Gewährung von Schmerzensgeld und der Übergang Dt. Ärztebl. 88, Heft 27, 4. Juli 1991 (21) A-2357

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der Forderung auf den Sozialversi- cherer vorbehalten bleiben. Freistel- lung von der Haftung durch die Übernahme der Gefahr von seiten des Patienten nach erfolgter Aufklä- rung und die Haftung wegen unter- lassener Aufklärung sollten ebenso Sache der Mitgliedsländer sein.

Schließlich sollten das Prozeßrecht und die Anforderungen an den Be- weis von den Mitgliedsstaaten gere- gelt werden. Die in den einzelnen Ländern der EG unterschiedliche Haftung für Funktionsmängel medi- zinischer Maschinen (zu hohe Rönt- gendosen, explodierendes Narkose- gerät) könnte europaeinheitlich ei- ner objektiven Haftung unterworfen werden. Voraussetzung wäre das fehlerhafte Funktionieren der Ma- schine. Eine Enthaftung müßte bei sorgfältiger Pflege und regelmäßiger Wartung eintreten. Die Maschinen- haftung zu vereinheitlichen, ist schon deshalb geboten, weil die Haftung des Lieferanten der Maschinen in ei- ner Produkthaftungsrichtlinie seit 1987 festgelegt ist.

Die Leistungen sollten von pri- vaten Versicherern erbracht werden, die sowohl für die Grundversorgung als auch aufgrund besonders ausge- stalteter Verträge am besten in der Lage sind, Ersatzansprüche wegen eines Fehlers oder (je nach Gesetz- gebung) eines Unfalls beispielsweise aufgrund Verschuldens zu beurtei- len. Viele Details dieses Planes müß- ten noch genauer bestimmt werden.

Jedenfalls würde er, was die Basis- versorgung angeht, gleiche Rechts- verhältnisse in Europa herstellen, während der Rechtszustand für hohe Schadensersatzsummen und für Schmerzensgeld dem einzelnen Staat überlassen bliebe. Für die Bundesre- publik Deutschland würde sich nur dann etwas ändern, wenn nicht mehr der Fehler, sondern schon der Be- handlungsunfall zur Basisversorgung führt. Aber auch insoweit wird es sich um den Ersatz von Nebenschä- den handeln, wie die Probandenver- sicherung im Bereich der klinischen Forschung lehrt, nämlich Infektio- nen, Stürze usw. Bei der eigentlichen Behandlung durch den Arzt sind Fehler und Unfall ohnehin oft iden- tisch: Wird der Patient mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus einge-

liefert und ist er nicht zu retten, so fehlt es ebenso am Verschulden wie am Fehler wie an der Kausalität ebenso wie am Unfall. Wie sich die Bilder gleichen!

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. Dr. h. c. Erwin Deutsch Platz der Göttinger Sieben 6 3400 Göttingen

Wer haftet für Ignoranz?

Ein selbständiger Kfz-Meister, ein biederer, nicht besonders intelli- genter, aber für seinen kleinen Be- trieb ausreichend geschäftskundiger, etwa 50jähriger Mann feiert beim Schützenverein und verläßt das Lo- kal angetrunken, um in seinem Dorf eine kurze Strecke nach Hause zu fahren. Inzwischen ruft einer der Festgenossen die Polizei an, die un- seren Freund zu Hause erwartet und ihm den Führerschein abnimmt. Das geschah im Jahre 1989. Daraufhin stellte unser Freund den Alkohol- konsum gänzlich ein, um seinen Füh- rerschein möglichst bald wieder zu erhalten, was ihm jedoch nicht ge- lingt. Zweimal wird er vom medizi- nisch-psychologischen Dienst abge- wiesen, insbesondere weil die Garn- ma-GT zu hoch sei. Schließlich be- gibt er sich zu einem Internisten, der ohne Schwierigkeit einen Diabetes mit einer deutlichen Fettleber fest- stellt und sich entsprechend gutacht- lich äußert.

Das beeindruckt allerdings nicht den medizinisch-psychologischen Dienst, der weiter auf die Gamma- GT starrt; und da das nach dem in- ternistischen Gutachten etwas wenig ist, formuliert: „Bei der jetzigen kör- perlichen Untersuchung wurden ei- nige Befunde erhoben, die in ihrer Gesamtkonstellation für einen ver- mehrten Alkoholkonsum sprechen (wäßrige Augen, verfärbte Skieren, Gefäßerweiterung)." Der Deliquent ist weder ikterisch noch hat er Ge- fäßerweiterungen — und: was in die- sem Zusammenhang wässrige Augen bedeuten, weiß nur der medizinisch- psychologische Dienst, beziehungs- weise er weiß es nicht. So wird for- muliert, weitere Bedenken ergäben sich infolge der Vorgeschichte. Der

Betroffene solle durch objektive Be- funde nachweisen, daß er keinen Al- kohol mehr trinke .. .

Durch welche Befunde? Und was ist, wenn aufgrund des Diabetes, der bei dem lebensfrohen Mann nicht immer gut eingestellt ist, die Gamma-GT weiter erhöht bleibt?

Das kann der medizinisch-psycholo- gische Dienst allerdings nicht begrei- fen. Er lehnt anderthalb Jahre nach dem Delikt die Wiedererteilung des Führerscheins erneut ab. Rechtsan- waltliche Bemühungen aufgrund ei- nes Gutachtens eines Universitäts- professors können die objektiv fal- schen Befunde nicht aus der Welt schaffen, und das Drama nimmt sei- nen Lauf.

Der Mann ist gezwungen, Aus- hilfskräfte einzustellen, die die Wirt- schaftskraft seines kleinen Unter- nehmens übersteigen, ein Selbst- mordversuch ist das Resultat einer erneuten Ablehnung eines Untersu- chungstermins bei der genannten Dienststelle. Der Verlust des Betrie- bes folgt auf dem Fuße. Die Igno- ranz und Bösartigkeit triumphieren.

Die inzwischen erfolgte Diabetesein- stellung mit Normalisierung aller Werte hat keine Chance mehr für rechtliches Gehör. Der voller Ver- zweiflung dann unter Alkoholeinfluß durchgeführte Selbstmordversuch ist Grund für die Einweisung in eine psychiatrische Klinik.

Ein Mensch, eine Existenz, ein Betrieb — vernichtet!

Eine bewußt herbeigeführte, für unseren Freund ausweglose Situati- on, denn diese zu überstehen, reich- ten weder Intelligenz noch Gemüt.

Der Hohn liegt in der Tatsache, daß es ein medizinisch psychologischer Dienst war, der unseren Freund auf dem Gewissen hat.

Dieses ist leider kein Einzelfall.

Die Ärzteschaft muß sich fragen, in- wieweit sie in der Lage ist, ärztliches Denken und medizinische Kenntnis- se auch bei Behörden oder behör- denähnlichen Dienststellen durchzu- setzen, die in ihrem Namen ärztlich medizinischen Anspruch führen.

Und schließlich: Wo liegt die Haf- tung der Psychologen?

Prof. D. med. P. v. Wichert, Marburg

A-2358 (22) Dt. Ärztebl. 88, Heft 27, 4. Juli 1991

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