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Archiv "Luftrettung in Kenia: Hilfe aus dem Himmel" (18.05.2001)

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T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 20½½18. Mai 2001 AA1311

C

aptain Moran beginnt mit dem Landeanflug. Durch die Cockpit- scheiben ist bereits das staubige Flugfeld zu sehen. Eine Elefantenherde blockiert die Landebahn. Doch die Ma- schine muss in jedem Fall runter. Der Pilot drückt die Cessna tiefer, Akazien wischen an den Fenstern vorbei. In ein paar Metern Höhe schießt das Flugzeug

über die Elefantenherde hinweg. Jim Moran zieht den Flieger hoch und zwingt ihn in eine enge Linkskurve. Der Backbordflügel scheint die ockerfarbe- ne Erde des Samburu National Reserve zu berühren. Die Elefanten räumen das Feld. Nach einer Platzrunde vor dem Panorama der abendlichen Savannen- landschaft Nordkenias setzt der Busch- pilot die Propellermaschine unbescha- det auf.

Viel Zeit zum Durchatmen bleibt nicht. Neben den beiden Safari-Bussen am Ende der Piste liegt ein blutüber- strömter Mann im Staub. Martha und Alice, die beiden Krankenschwestern an Bord, sind sofort bei ihm. Es ist ein britischer Tourist, der sich, von Depres- sionen geplagt, über eine Klippe stürz- te. Schürfwunden und Knochenbrüche hat er erlitten, es besteht Verdacht auf

Schädelbasisbruch. Während Martha eine Infusion vorbereitet, überprüft Alice die Vitalfunktionen. Atmung sta- bil, Blutdruck zufriedenstellend, Puls schwach, aber regelmäßig. Unter den Augen des Mannes haben sich blau- schwarze Blutergüsse gebildet. Seine Kleidung ist verschmutzt. Aber er ist wieder ansprechbar. Ja, er hat starke Schmerzen.

Die Elefanten stehen siebzig Meter entfernt am Rand des Flugfeldes. Das Leittier fächelt nervös mit den Ohren.

Captain Moran treibt zur Eile an. In zwei Stunden schließt der Wilson Air- port in Nairobi. Die Trage wird ins Flugzeug gehievt. Während die Maschi- ne zum Start rollt, erhält der Patient ei- ne Sauerstoffmaske und wird an den Herzmonitor angeschlossen. Das Flug- zeug beschleunigt und löst sich vom Bo-

Luftrettung in Kenia

Hilfe aus dem Himmel

Die Fliegenden Ärzte von Ostafrika retten seit mehr als 40 Jahren das Leben anderer – und riskieren dabei mitunter das eigene.

Captain Moran im Einsatz: Notfall im Saburu Na- tional Reserve

Überall, wo die Fliegenden Ärzte landen, er- regen sie Aufsehen.

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den. Meter um Meter steigt es in den Abendhimmel. Zwischen Kumuluswol- ken glühen die Gletscher des 5 190 Me- ter hohen Mt. Kenya auf. Dann wird auch die Cessna von der schwarzen Nacht verschluckt. Nach der Landung in der Millionenstadt Nairobi wird der Verletzte vor dem Hangar der Fliegen- den Ärzte in einen wartenden Kran- kenwagen umgeladen. Das zuckende Rotlicht verschwindet in der Nacht. In- nerhalb weniger Stunden aus der wilden Savanne in die modernste Klinik Ostafrikas – nur dank dieser schnellen Rettungsaktion der Fliegen-

den Ärzte überlebte der engli- sche Patient.

Lediglich zwanzig Minuten vergehen im Regelfall zwi- schen dem Auffangen eines Notrufes aus dem Äther bis zum Start einer Hilfsmaschine der Fliegenden Ärzte vom Wilson Airport. Die Verstän- digung zwischen Outback, dem Land ohne Telefonleitun- gen, und der Leitstelle der Flugrettung in Nairobi erfolgt durch 120 – teils solarbetrie- bene – Funkstationen. Jede von ihnen ist eine Masche im unsichtbaren Hilfsnetz, das ganz Ostafrika überzieht. Die medizinischen Außenposten können über Funk sogar drin- gend benötigte Arzneimittel bestellen oder bei komplizier- ten Fällen von Spezialisten fachlichen Rat erhalten. Und da sich Notfälle selten an Dienststunden halten, ist der Funkraum der Flugrettung rund um die Uhr in Bereit-

schaft. Rund 500 solcher „Feuerwehr- einsätze“ jährlich fliegen die Flying Doctors of East Africa, beinahe die Hälfte der transportierten Patienten sind Touristen. Zwischen 700 und 800 Landepisten werden angeflogen. Das Einsatzgebiet reicht von Äthiopien bis hinunter nach Malawi und Sambia: eine Fläche, größer als Mitteleuropa – und deutlich wilder. Die Bandbreite der Notfälle in den letzten Monaten spricht für sich: Tellerminenverletzungen, Schuss-, Schnitt- und Stichwunden, Gasexplosionen, Malariainfektionen, Wildunfälle und Schlangenbisse, aber

auch „normale“ Fälle wie Nieren- koliken, Epilepsien, Verbrennungen, Geburtskomplikationen, Herzinfarkte und Schädelbrüche finden sich darun- ter. Die meisten Verletzten fordert in- des der chaotische Verkehr auf Ostafri- kas Straßen. Allerdings machen die Luftrettungseinsätze nur rund zwanzig Prozent der Flüge aus. Mehr als doppelt so viele Flugstunden verbringen die fünf Maschinen der Fliegenden Ärzte für die Mutterorganisation in der Luft, die African Medical and Research Foundation (AMREF).

AMREF fliegt mit seinen Ärzte- Teams im regelmäßigen Turnus 40 Buschkrankenhäuser Ostafrikas an.

Bei den mehrtägigen Visiten nehmen die Fachärzte – vom Urologen bis zum Augenarzt – spezielle Untersuchun- gen, Behandlungen und Operationen vor, die von den medizinischen Kräf- ten vor Ort nicht selbst durchgeführt werden können. Die Bilanz dieses so genannten Outreach-Programms: Bis- her wurden mehrere Millionen Patien- ten, viele von ihnen traditionelle

Nomaden ohne festen Wohnsitz, aus der Luft behandelt. Jährlich wird rund 3 000-mal operiert, seit den Anfängen summiert sich die Zahl der Eingriffe auf über 80 000. Dass die Hilfe aus dem Himmel einmal solche Dimensio- nen annehmen würde, war 1957, im Gründungsjahr von AMREF, nicht abzusehen. Heute arbeiten rund 700 Menschen aus 15 Ländern für die Or- ganisation, 51 davon für die Fliegen- den Ärzte. 95 Prozent von ihnen sind Afrikaner. Der Initiator der Fliegen- den Ärzte war Michael Wood, ein bri- tischer Chirurg, der in der Nähe von Nairobi lebte. Hin und wieder wurde der pas- sionierte Flieger mit seinem Flugzeug zu Notfällen in die einsamen Gebiete Kenias gerufen. Wie – so grübelte er auf den langen Flügen – könnte man selbst in entle- genen und dünn besiedelten Landstrichen eine medizini- sche Grundversorgung und ärztliche Notfallhilfe ge- währleisten? Wood wusste aus der eigenen Arztpraxis:

„Wer in Afrika ein guter Doktor sein will, muss sei- nen Patienten aufsuchen.

Man kann nicht warten, bis er zu einem kommt. Bis da- hin ist er längst tot!“

Die ersten Versuche, Ke- nias abgelegene Gebiete mit mobilen Fahrzeugklini- ken zu erreichen, versack- ten im Matsch der Regen- zeiten und ertranken in Ko- sten. Ab 1961 wurden syste- matisch Flugzeuge einge- setzt und erwiesen sich bald als das ideale Transportmittel. Berechnet man sämtliche anfallenden Kosten, war – und ist – Fliegen sogar billiger als Fahren. Und durch die hohe Ge- schwindigkeit und große Reichweiten erschloss sich der Organisation ein riesiges, ansonsten unwegsames Ope- rationsgebiet. Statt Tage auf staubi- gen, heißen und ruckeligen Pisten zu vergeuden, konnten die Ärzte bedeu- tend mehr Zeit auf ihre Arbeit ver- wenden. Und Arbeit ist das einzige bei AMREF, von dem es immer mehr als genug gab.

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A1312 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 20½½18. Mai 2001

Martha und Alice, die beiden Krankenschwe- stern an Bord, sind sofort bei dem Verletzten.

Fotos: Dominique Wirz/Hartmut Fiebig

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120 Projekte hat die humanitäre Or- ganisation mit Hauptsitz in Nairobi so- wie Ablegern in Tansania, Uganda und Südafrika ins Leben gerufen, um jene Lücken zu schließen, die das marode staatliche Gesundheitswesen nicht ab- deckt. Besonderes Gewicht wird von je- her auf die Aus- und Fortbildung von medizinischen Fachkräften gelegt. Da- neben leistet AMREF klassische hu- manitäre und medizinische Hilfe, un- terstützt Hungernde und Flüchtlinge, führt Aufklärungskampagnen – zum Beispiel gegen Aids – durch, propa- giert Familienplanung, or-

ganisiert Impfkampagnen und betreibt medizinische Forschung. Dabei wird auf lokal verfügbare, preis- werte Methoden gesetzt.

Da Vorsorge billiger ist als eine Behandlung, hat sich AMREF beispielsweise auch beim Bau von Trink- wasserbrunnen für 40 000 Menschen engagiert, orga- nisiert Selbsthilfegruppen von Eltern mit behinderten Kindern oder vermittelt al- lein erziehenden Frauen Kredite für Kleingewerbe.

Denn können sich die Mütter etwas hinzuverdienen, verbessern sich erfah- rungsgemäß auch Ernährungs- und Gesundheitszustand ihrer Kinder.

Schwer zu glauben, dass der Jahres- etat von AMREF – die Fliegenden Ärzte eingeschlossen – nur 15 Millionen Dollar beträgt. Ein großer Teil dieser Gelder stammt von den Beiträgen der rund 30 000 Mitglieder, ein weiterer Löwenan- teil wird von Geberländern aufgebracht.

Daneben hat AMREF aber auch in zwölf nordamerikanischen und europäischen

Ländern Spendenorganisationen aufge- baut, die Gelder sammeln, darunter auch in Deutschland und Österreich.

Inzwischen sind die Helfer vom Him- mel selbst in Not. Seit einigen Jahren drängt kommerzielle Konkurrenz in den Luftrettungssektor. Ohne Erfah- rung und eigene Flugzeuge, aber mit den Werbemillionen internationa- ler Versicherungskonzer-

ne im Rücken, jagen sie den traditionsreichen Flie- gern Mitglieder ab. Als Folge geringerer Spenden müssen AMREF und die Flying Doctors ratio- nalisieren – bisher ein Fremdwort für die ge- meinnützige Stiftung.

Dennoch: Anders als bei den Kommerziellen soll es auch zukünftig

unentgeltliche Transporte in sozialen Härtefällen geben – immerhin ein Fünftel aller Rettungsflüge. Als Tourist hingegen kann man sich für gerade mal 50 Dollar gegen den (Not-)Fall der Fäl- le versichern lassen. Tritt der Ernstfall

nicht ein, hat man zumindest die wich- tige Arbeit der Organisation unter- stützt.

Der Chefpilot Benoit Wangermez steht zwischen den fünf Rettungsflug- zeugen der Flying Doctors auf dem Vorfeld und hat sich den dunkelblauen Fliegerpulli über die Schulter geworfen.

Rein äußerlich entspricht der kleinge- wachsene, wortkarge Franzose nicht

gerade dem Klischeebild vom Buschpi- loten. Was treibt Benoit und seine Kol- legen dazu, täglich das eigene Leben für andere zu riskieren? Geld jedenfalls ist es nicht. Dafür haben die vier Piloten bereits zu viele verlockende Ange- bote von kommerziellen Airlines abge- lehnt. Nach seinen schönsten Erlebnis- sen im Beruf gefragt, erzählt der Fran- zose von der tiefen Be- friedigung, wenn es ge- lingt, ein Menschenle- ben zu retten. Kein Pa- thos schwingt da mit, aber viel zupackende Menschlichkeit. Und dann erzählt er von dem Turkana-Hirten, der von Viehdieben schwer verletzt wurde.

Vier Tage lang trugen ihn seine Verwandten durch die flimmernde Wüste nach Loyangalani, dem nächsten Funkpo- sten, der sofort die Flying Doctors be- nachrichtigte. Die Notoperation in Nairobi war erfolgreich, der Patient, der noch nie zuvor ein Krankenhaus, geschweige denn ein Flug- zeug von innen gesehen hatte, genas. Und was be- deutet ihm das Fliegen?

„Fliegen“, behauptet Be- noit, „Fliegen besteht zu 99 Prozent aus Langewei- le und zu einem Prozent aus Terror.“ Aber wenn er von seiner Arbeit erzählt, klingt das nicht gerade nach langweiligem All- tag. Offenbar gibt es da ein Problem mit einer gemeinsamen Definition von „Routine“. Beiläufig erwähnt er Nachtlandun- gen in wildreichen Nationalparks beim Scheinwerferlicht von aufgereihten Geländewagen und touch downs an ab- gelegenen Sandstränden. Vor drei Jah- ren lief ihm während des Landens ein Zebra in den Propeller, eine Beinahe- katastrophe. Aber beim Erzählen blitzt es verräterisch in seinen Augen. Da ist klar, dass er seine Arbeit zumindest auch wegen der fliegerischen Heraus- forderungen so liebt. Ein Prozent Ter- ror, das offensichtlich sehr schwer

wiegt. Hartmut Fiebig

T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 20½½18. Mai 2001 AA1313

KONTAKT:

AMREF-Deutschland Mauerkircherstraße 155

81925 München Telefon: 0 89/98 11 29

Fax: 98 11 89 Spendenkonto:

Hypovereinsbank, Bankleitzahl: 700 202 70

Konto: 329 488 Die Leitstelle der Flugrettung in Nairobi: In der

Regel vergehen nur 20 Minuten bis zum Start ei- ner Hilfsmaschine.

Alice überwacht den Zustand des Patienten während des Fluges.

Referenzen

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