Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 50½½½½15. Dezember 2000 AA3373
S E I T E E I N S
D
ie erste Überraschung kam aus dem Bekanntenkreis: Das hol- ländische Gesetz über die Sterbehil- fe wurde allgemein begrüßt, ja, es kam der Wunsch, auch in Deutsch- land möge Sterbehilfe durch Ärzte gestattet werden. Hinweise auf den Missbrauch der Sterbehilfe in der NS-Zeit zogen nicht; die Situation heute sei doch eine völlig andere.Das mögen persönliche Zufallser- kenntnisse gewesen sein. Doch so- eben veröffentlichte „Die Woche“
eine Repräsentativumfrage. Danach beantworten 64 Prozent der Bevöl- kerung die Frage „Soll in Deutsch- land die aktive Sterbehilfe erlaubt werden?“ mit JA. Lediglich 29 Pro- zent antworten mit NEIN. Beson- ders hoch (mit 70 Prozent) ist die Zustimmung in Ostdeutschland.
Solche Bevölkerungsmeinungen stehen im Gegensatz zu den von der
Ärzteschaft verteidigten Positionen.
Wenn – was sicher erscheint – die öf- fentliche Debatte über die Sterbe- hilfe weitergeht, könnten die Ärzte in die Zwickmühle geraten, obwohl sie sehr gute Argumente haben, ak- tive Sterbehilfe abzulehnen.
Was ist zu tun?
Spricht man mit alten Leuten, dann kommen im Wesentlichen zwei Argumente zugunsten der Sterbe- hilfe: Zum einen plagt viele Men- schen die Sorge, durch Intensivme- dizin werde ihr Leiden und ihr Le- ben unnötig verlängert. Man möchte stattdessen der Natur ihren Lauf las- sen. Zum anderen wollen alte Men- schen ihren Mitmenschen nicht zur Last fallen und haben deshalb fast panische Angst, Pflegefall zu werden.
Auf diese beiden kritischen Fra- gen, die für Schwerkranke und für Alte oftmals im Zentrum aller Ge-
danken stehen, müssen klare und beruhigende Antworten gefunden werden. Die Bundesärztekammer hat mit ihren Grundsätzen zur ärztli- chen Sterbebegleitung einen An- fang gemacht. Die Menschen müs- sen freilich darauf vertrauen kön- nen, dass Ärzte (und Pflegeperso- nal) auch tatsächlich danach han- deln. Und das „zur Last fallen“? Je- der alte Mensch weiß, dass Pflege extrem teuer werden kann. Auch Besserverdienende können sie viel- fach nicht aus eigenen Mittel be- streiten. Irgendjemand aus der Fa- milie wird deshalb die „Last“ finan- ziell oder durch eigene Pflegelei- stung tragen müssen. Viele tun das, viele sind aber in unserer Singlege- sellschaft überfordert. Gesucht wird eine auch in der Zukunft tragende Lösung. Die Sterbehilfe sollte ei- gentlich keine sein. Norbert Jachertz
Sterbehilfe
Panische Angst
Rehabilitation
Kodifizierung D
ie Bundesregierung hat jetzt kon-krete Schritte unternommen, um das bisher zersplitterte Rehabilitati- onsrecht in einem Sozialgesetzbuch – SGB IX – zu kodifizieren. Der Refe- rentenentwurf aus dem Bundesmini- sterium für Arbeit und Sozialord- nung greift eine Forderung der Ko- alitionsvereinbarung vom Oktober 1998 auf, das Rehabilitations- und Behindertenrecht zu modernisieren.
Die politischen Bestrebungen tragen den Forderungen und Wünschen der meisten Spitzenorganisationen Rechnung, so auch der Bundesärzte- kammer, die zuletzt beim 102. Deut- schen Ärztetag im Mai 1999 in Cott- bus in einem Grundsatzbeschluss darauf drängte, die Selbstbestim- mung und die gleichberechtigte Teil- habe von Menschen mit Behinderun-
gen am beruflichen und gesellschaft- lichen Leben nachhaltig zu fördern.
Mit einer verbesserten Leistungs- transparenz soll der Entwurf einen besseren und direkteren Zugang zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation und der Anschlussre- habilitation garantieren. Außerdem sollen die Sozialhilfeträger in den Kreis der Rehabilitationsträger ein- bezogen und gemeinsame Service- stellen der Rehaträger zur Beratung eingerichtet werden.
So sehr die Ärzteschaft in zentra- len Punkten die Absichten des Ent- wurfs unterstützt, so sehr legt sie Wert darauf, dass noch Elemente eingebaut werden. In jedem Fall müssen die Rahmenvorschriften si- cherstellen, dass die Maßnahmen zeitnah und nahtlos erfolgen können,
unabhängig von der Zuständigkeit des Trägers und den Finanzierungs- modalitäten. Das gegliederte System dürfe nicht angetastet werden. Bei Fragen der Qualitätssicherung müs- se der verfassten Ärzteschaft ein ori- ginäres Mitspracherecht eingeräumt werden, ähnlich wie der ärztliche Sachverstand bei Maßnahmen zur Qualitätssicherung im ambulanten und stationären Bereich in § 137 SGB V einbezogen worden ist. Die Qualitätssicherung müsse einen mul- ti- und interdisziplinären Ansatz ha- ben. Die Qualitätsanforderungen in der medizinischen Rehabilitation und deren Verzahnung müssen so weit wie möglich für alle Träger ein- heitlich und gemeinsam entwickelt und rechtsverbindlich geregelt wer- den. Dr. rer. pol. Harald Clade