aS-§ARIF AL-IDRiSi
von Mustafa Shakaa, Kairo
Abü ^Abdallah aS-Sarif Muhammad b. Muhammad b. ^Abdallah b. Idris wurde
493/1100 in Sebta (Ceuta) als Sohn einer Famüie geboren, die ihren Urspmng auf
al-Hasan Ibn ^Ali Ibn Abi Tälib zurückführt, einer Fürstenfamüie, die mehrmals die
Herrschaft ausgeübt hatte. Sein Urgroßvater Idris b. Yahyä gehörte zu den Hammä-
diden-Fürsten in al-Andalus und war Herrscher über Mälaga und Umgebung. Er ist
ein direkter Nachkomme von Idris b. ^Abdallah b. al-Hasan b. al-Hasan b. ^Ah, dem
Begründer der Idrisendynastie in Marokko.
Al-Idrlsi war ein hochgebüdeter Mann; er trat als Dichter und Historiker hervor
und verfügte darüber hinaus über Kenntnisse in Botanik und Pharmazie. Vor allem
aber war er Geograph, wohl der bedeutendste muslimische Geograph. Nachdem Al-
Idrisi seine ersten Kenntnisse schon an seinem Geburtsort Ceuta erworben hatte,
begab er sich bald nach Cördaba, dem Zentrum von Wissenschaft und Bildung in der
damaligen Zeit. Der literarische Charakter dieser Stadt prägte seinen Stü als Schrift¬
steller und als Gelehrter. Es sind von ihm auch kurze Gedichte überliefert, die über¬
raschenderweise zu dem Thema ,, Reisen, Freunde, Wandern" Beziehung haben und
so als der beste Ausdruck seiner Persönlichkeit angesehen werden können. Hierzu
gehört u.a. das bei as-Safadi I 164 zitierte Verschen oder auch der Zweizeüer Laß mich umherziehen solange mir ein Schiff oder ein Reittier winkt Doch ein Wunsch oder der Tod zuletzt wird meinem Reisen unbedingt
einmal ein Ende setzen.
Al-Idrisi hat mehrere Werke verfaßt; das wichtigste ist die bekannte Erdbeschrei¬
bung „Nuzhat al-muStäq fi ihtiräq al-äfäq", die er für König Roger II. von SizUien
verfaßt hat. Ein zweites geographisches Werk schrieb er für Rogers Sohn und Nach¬
folger Wühelm I.; es ist unter mehreren Titeln bekannt: ,,Rawd al-furag wa-nuzhat al-muha|" oder „al-Idrisi as-sagir", im Unterschied zu dem obengenannten größe¬
ren Werk. Ein drittes Werk von Al-Idrisi ist der Pflanzenkunde gewidmet: ,Al^ä-
mi'^ li-sifat aStät an-nabät"; in üim beschreibt er 360 verschiedene Pflanzen und nennt ihre Namen in verschiedenen Sprachen.
Salähaddin as-Safadi schüdert in seiner Biographiensammlung das Verhältnis
Al-Idrisis zu König Roger (Rugär oder auch Uggär in der arabischen Überlieferung).
Al-Idrisi wird von Roger aufgefordert, zu ihm zu kommen, um ein Abbüd der Welt
zu konstmieren. Hierfür stellte er ihm Süberbarren im Gewicht von 400000 Dirham
zur Verfügung. Al-Idrisi ließ daraus kugelförmige Schalen in der Form der Sphären
herstellen, gravierte die sieben Klimata mit ihren Ländern, Meeren, Flüssen und an¬
deren topographischen Angaben ein und ordnete sie übereinander an. Hierfür hatte
er nur etwa zwei Drittel des Sübers verbraucht. Roger überließ ihm den nicht ver-
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen
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brauchten Rest und beschenkte ihn darüber hinaus fürsthch. Daim bat er ihn, bei
ihm zu bleiben, indem er ihn daraufhinwies, daß er als prominenter Muslim für sein
Leben zu fürchten habe, wenn er in seine Heimat zurückkehre, nachdem er in frem¬
den Diensten gestanden habe. Als zweites fertigte Al-Idrisi eine große Landkarte aus Papier an, auf der er neben den topographischen Angaben auch die zugehörigen Namen eintmg.
Da Al-IdrisI bei Roger in hohem Ansehen stand, trug er ihm seine Absicht vor,
ein neues geographisches Werk zu erarbeiten, das eine nähere Beschreibung der
topographischen Angaben, die auf der Silberplatte und auf der Karte enthalten sind, darstellen sollte. Das Werk solle nicht allein aufgrund literarischer Quellen verfaßt
werden, sondern Augenzeugen sollten in alle Welt gesandt werden, deren Beobach¬
tungen und Berichte die Grundlagen des Werkes bilden sollten. Roger wüligte ein
und wählte geeignete Männer aus, die zur geographischen Erkundung nach Ost und
West, Nord und Süd ausgesandt wurden.
Zusätzlich zu den topographischen Angaben beschreibt er in diesem Werk die
landwktschaftliche und industrielle Produktion, die Handelswege und das Ausse¬
hen, die Kleidung und Sitten der Bewohner der verschiedenen Regionen. Zum Ab¬
schluß des Ganzen bearbeitete Al-Idrisi noch einen Atlas mit 70 Detaükarten der
einzelnen Regionen, und wh dürfen wohl mit Recht sagen, daß sein Werk somit das
erste wissenschaftliche geographische Werk darstellt.
Das Werk hat folgenden systematischen Aufbau:
1. Er eröffnet das Buch mit einer Beschreibung der Erdkugel und stellt fest, daß die
Erde kugelförmig ist; sie sei im Weltall freischwebend aufgehängt wie der Dotter :
ün Eiweiß und üir Umfang habe eine Länge von 22 900 Meilen. j
2. Bei der topographischen Detailbeschreibung teüt Al-Idrlsi die Erde nach dem
Vorbüd des Ptolemäus in sieben Klunata.
3. Jedes Klüna teüt er in 10 Teügebiete, die er dann von West nach Ost fortschrei- j
tend abhandelt. '
4. Für jeden dieser Teüe fertigte Al-IdrisI eine Karte an, und zwar in der Weise,
daß man sie alle aneinandersetzen konnte und sie so eine große Weltkarte, aus
70 Einzelkarten zusammengesetzt, büdeten.
Al-Idrisi beendete sein Werk im Jahre 548/1153-54. Ihn ^aldün erwähnt es in
seiner Muqaddima unter dem Titel "Kitäb Rugär". Am vollkommensten sind die Kapitel, die NordafrÜca, Spanien, Sizüien und Italien beschreiben, da Al-Idrisi diese
Länder — wie Kratchkovski feststellte - aus eigener Anschauung kannte. Aber auch j
andere Kapitel ragen heraus. So stellt Minorski, der Bearbeiter des Artikels „Rüs" in | der Dä'irat al-Ma^arif al-Islamiyya fest, daß Al-Idrisi die sorgfältigste Beschreibung
Rußlands nach dem 12. Jh. lieferte. Besondere Beachtung verdient auch das Kapitel
über den Nü. AI-Idrisi gibt als erster Informationen über die Quellen des Nüs und
des Kongo: „Der Nü hat seinen Urspmng bei einem gewaltigen Berg 16 Grad süd- j
hch des Äquators ün vierten Teü des ersten Klimas, Mondberg genannt, dem höch¬
sten Berg der bekannten Erde. An üim entspringen zahlreiche Quellen, die sich in
zwei Seen ergießen. Aus diesen beiden Seen entspringen Flüsse, die in einen einzigen
See münden, der zehn Stationen vom Mondberg entfernt am Äquator gelegen ist.
Aus üim nun fließen zwei Ströme. Der eine fließt geradewegs nach Norden durch |
Nubien und Ägypten; nachdem er Ägypten durchflössen hat, spaltet er sich in meh- '
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rere Arme, die man „Kanäle" (hallg) nennt, die sich dann in das Mittelländische Meer (al-bahr ar-rümi) bei Alexandria ergießen. Das ist der Nil; an seiner Ostseite liegt as-Sa^rd und an seiner Westseite die Oasen (al-wähät). Der andere der beiden
Ströme wendet sich nach Westen und behält diese Richtung bei bis er in den Atlan¬
tischen Ozean (al-Bahr al-Muhit) mündet. Das ist der „Fluß der Schwarzen" (nahr as-Südän) und alle Negervölker (umam) leben an seinen beiden Ufern." Es ist offen¬
sichtlich, daß Al-ldrisi zunächst von den beiden Seen, dem Albert- und dem Ed¬
ward-See, und dann vom Victoria-See spricht, aus dem der Nil seinen Ursprung hat.
Es ist für die Werke der muslimischen Geographen charakteristisch, daß sie in
erster Linie auf persönlicher Erfahmng basieren. Nur wenige verwenden ausschlie߬
lich Informationen aus zweiter Hand bzw. stützen sich im wesentlichen auf literari¬
sche Quellen. Al-IdrisI bedient sich bei der Abfassung seines Werkes einer originel¬
len Methode und geht in der Auswahl seiner Quellen folgendermaßen vor:
1. Er benutzt zuverlässige Quellenwerke, wie al-Mas^üdi's Murüg ad-dahab, al-
Gaihäni, dessen Werk heute als verloren gelten muß, obwohl es Al-IdrTsI vorgelegen
hat, Ibn Hurdadbüi's al-Masälik wal-mamälik, Ibn Hawqals gleichnamiges Werk und
al-CUdris Kitäb Nizäm al-margän fi 1-masälik wal-mamälik, al-YaCqübls Kitäb al-
buldän, Qudämä Ihn Ga^fars Kitäb al-Harä|. Letzteres ist zwar kein geographisches
Werk, sondern ein Buch über die Har^-Steuer. Al-ldrisi benutzt es jedoch wegen
seiner wertvollen Informationen über Poststationen, Postrouten und die Entfer¬
nungsangaben, die darin enthalten sind. Manche Forscher betrachten daher Qudä-
mäs Werk auch als Ergänzung zum Ibn Hurdädbih. Zahlreiche seiner Angaben basie¬
ren auf offiziellen Dokumenten.
2. Für die Abschnitte über Nordafrika, Spanien, Sizilien und Teüe Italiens
konnte er sich auf eigene Anschauung und Erfahmng, die er als Reisender gewon¬
nen hatte, stützen.
3. Al-Idrisi befragte systematisch Reisende, MekkapUger sowie arabische, jüdi¬
sche, griechische und fränkische Kaufleute, um seine Kenntnis der Wege und Stra¬
ßen zu vervollständigen. Beispielsweise hat er seine Angaben über Handelswege imd
Handelsplätze im Gebiet des heutigen Rumänien auf diese Weise gewonnen.
4. Außerdem sandte er mit Hüfe König Rogers Kundschafter aus, die m seinem
Auftrag Informationen über bestimmte Regionen sammelten. Er gab ümen genaue
Anweisungen, auf welche Weise sie Aufzeichnungen machen und Karten anlegen
sollten. Zum Teü wurden sie von Zeichnern begleitet, die die Karten anfertigten.
ASCETIC AND PANEGYRIC POETRY
IN THE EARLY NINTH CENTURY
von Stefan Sperl, London
(Summary)
The paper discusses the antithetical relationships between certain features of the panegyric and ascetic poems of Abn NüwSs and, in particular, Abü 'l-'Atahiya. These are Ulustrated on four different levels:
1. Contrasting juxtaposition within one poem of motifs (rrufäni) of worldly
praise and religious admonishment. Reference is made to a poem cited in deSacy's Chrestomatie Arabe (Paris 1820, vol. I, Arabic text p. 3).
2. Contrastmg treatments of one motif and antithetical pairs of motifs. Exam¬
ples: a) the genealogical notion, in the panegyric proof of the individual's excel¬
lence, is adduced in the ascetic context to Ulustrate the leveUing of all status by death, b) While the panegyric portrays time submitting to the sovreign's power, the
ascetic poem (zuhdiyya) dwells on the destructiveness of time which afflicts king
and people alUce. c) WhUe the sovreign of the panegyric fulfüls the hopes of his sub¬
jects, the ascetic canon portrays all hope frustrated by death.
3. Revaluation of modes (aghrä^). The mode of praise (madih) of the panegyric
mostly occurs in conjunction with other modes, e.g. nasib and atläl: In certain
ascetic poems, these are revalued and integrated into a contrasting context. The un¬
happy love of the nasib is made symbolic of man's misguided and inevitably fms-
trated attachment to the world (al-dunya). The ruined encampment, too, comes to
represent the fate of all earthly existence which ends but in min and destmction.
Thus two modes which in the panegyric function as entities to be counterbalanced
and overcome in the section of praise (cf. S. Sperl, JAL, nr. 8,1977) are made, in
the ascetic context, indicative of the human condition as a whole. The equivalent, in ascetic poetry, of wordly praise, madih, is the passages dedicated to the praise of God where quranic phraseology takes the place of the laudatory formulae of madih.
The sovreign's destmction of his enemy and preservation of his people are mhrored
on a higher plane by God's damnation of the sinners and His reward of the right¬
eous.
4. Stmcture of whole poems. Reference is made to a zuhdiyya (Diwän Abi'
l-'Atähiya, Beimt, 1969, pp. 227 f.) in which the thematic development of the pan¬
egyric ode is mirrored and inverted. A conventional exposition of the a;/37 mode is
foUowed by the depiction of the death and burial of a king in Ülustration of the
destmctiveness of time. The sequence appears in deliberate opposition to a com¬
mon panegyric form in which the atläl section is followed by the praise of a living
monarch. Significantly, the poem ends with the mention of God and the day of
judgement.
xx. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen