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Archiv "Gendiagnostik: Das „1 000-Dollar-Genom“" (25.10.2013)

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A 2016 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 43

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25. Oktober 2013

GENDIAGNOSTIK

Das „1 000-Dollar-Genom“

Neue DNA-Sequenzierungstechnologien finden ihren Weg in die ärztliche Praxis und verändern zunehmend die Patientenversorgung.

S

chon bald nach der Veröffent- lichung der ersten nahezu vollständigen Sequenz des huma- nen Genoms im Jahr 2001 machte der Begriff „1 000-Dollar-Genom”

die Runde. Dahinter stand die Hoff- nung auf signifikant niedrigere Kosten bei der DNA-Sequenzie- rung. Zugleich erwartete man, dass die umfassende Sequenzierung des menschlichen Genoms rasch Ein- gang in die medizinische Routine- versorgung finden könnte.

Eine Sequenzierung ist für relativ wenig Geld zu haben

Die Vision von damals ist heute auf dem Weg in die Realität. Die Se- quenzierung der zweimal 3,2 Milli- arden Basenpaare eines menschli- chen Genoms in einer für medizini- sche Zwecke ausreichenden Qualität kostet derzeit nur noch etwa 10 000 Euro. Schon ab rund 2 000 Euro lassen sich alle 180 000 humanen Exone se- quenzieren, also jene medizi- nisch relevanten Sequenzberei- che der etwa 23 000 proteinko- dierenden Gene, die zusammen etwa 1,5 Prozent des Genoms ausmachen. Und für weniger als 1 000 Euro ist die Sequen- zierung der Exone von Genen möglich, die für bekannte mo- nogene Erkrankungen verant- wortlich sind. Voraussetzung für all diese Untersuchungen ist im klinischen Kontext das Vor- liegen einer entsprechenden (humangenetischen) Indikation – etwa der Verdacht auf eine monogene Erkrankung, das Vorliegen einer Entwicklungs- störung oder ein Hinweis auf das Vorliegen eines Syndroms.

Der technologische Quan- tensprung in der DNA-Sequen- zierung ist der Entwicklung la- bortechnischer Verfahren zu

verdanken, die alle auf dem Prinzip einer Parallelisierung der für die Sequenzierung notwendigen enzy- matischen Reaktionen in kleinsten Volumina beruhen. Gemeinsam werden sie als „Next Generation Sequencing“ (NGS) bezeichnet.

Gegenüber der klassischen Sanger- Sequenzierung erlaubt NGS eine Kostenreduktion um zwei bis vier Größenordnungen, also um den Faktor 100 bis 10 000! Dieser Preis- sturz hat einen enormen methodi- schen Umbruch in der Humangene- tik in Gang gesetzt.

In der Patientenversorgung bedarf eine NGS-basierte Genomanalyse allerdings neben der rein techni- schen Erzeugung der Sequenzdaten auch einer kompetenten bioinforma- tischen Analyse und der abschlie-

ßenden medizinischen Befundung.

Die ersten beiden Schritte lassen sich heute bereits weitestgehend au- tomatisieren. Der dritte und letzte Schritt, nämlich die versorgungsge- rechte Interpretation der nachgewie- senen Genvarianten, ist dagegen zum zeit- und kostenintensivsten Teil der medizinischen Genomana- lyse geworden. Sie erfordert zwin- gend die Expertise eines Humange- netikers oder eines anderen entspre- chend qualifizierten Facharztes.

Viele Daten – jedoch wenig klinisches Wissen

Nachdem in den vergangenen Jahren die Genome einer Vielzahl von Indi- viduen vollständig sequenziert wor- den sind, zeichnet sich mehr und mehr ab, dass sich kausale geneti-

sche Veränderungen wohl nur bei einem kleinen Teil zukünfti- ger Patienten direkt aus der DNA-Sequenz werden ablesen lassen. Die klinische Bedeutung der überwiegend bei einem Pa- tienten aufgedeckten Varianten wird demgegenüber zunächst unklar sein, da ihr Zusammen- hang mit dem infrage stehenden Krankheitsbild („Geno typ- Phänotyp-Beziehung“) nicht ausreichend wissenschaftlich be- legt ist. Eine umfassende medi- zinische Befundung von NGS- Daten wird also in naher Zukunft schon allein mangels Evidenzba- sis nicht möglich sein.

Um diesem Umstand lang- fristig abzuhelfen, bedarf es umfangreicher und öffentlich zugänglicher Datenbanken, in denen krankheitsverursachende Genvarianten systematisch er- fasst und mit den zugehörigen medizinischen Daten und den jeweiligen Belegen ihrer Krankheitsrelevanz gespeichert werden. Solche Genotyp-Phä-

Illustration: Jane Ades/NHGRI

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25. Oktober 2013 A 2017 notyp-Datenbanken werden sich

nicht allein durch Rückgriff auf be- reits existierende Register oder er- krankungsspezifische Mutationsda- tenbanken erzeugen lassen – zum einen, weil einzelne Genvarianten durchaus erkrankungsübergreifen- de Effekte zeigen können, zum an- deren, weil bestehende Register weder inhaltlich noch EDV-tech- nisch die Anforderungen einer praktisch nutzbaren NGS-Daten- bank erfüllen.

Standards für die Klassifizierung der Relevanz von Genvarianten sind bereits vor Jahren von Human- genetikern entwickelt worden. Sie fußen in der Regel auf der Pene- tranz einer Mutation, also auf der Sicherheit, mit der diese Mutation eine bestimmte Krankheit prognos- tiziert. Schätzungen der Penetranz einer Mutation lassen sich zum ei- nen statistisch durch die Untersu- chung einer Vielzahl von Trägern der Mutation gewinnen. Zum ande- ren können Penetranzen auch an- hand zellulärer oder in-vitro-Mo- delle experimentell geschätzt wer- den. Dies wird beispielsweise bei der Klassifikation von Varianten der HIV-Protease hinsichtlich ihrer Sensitivität gegenüber pharmakolo- gischen Protease-Inhibitoren schon lange praktiziert.

Ein Problem besteht jedoch: Die meisten der derzeit verfügbaren, hu- manen Mutationsdatenbanken wur- den primär für wissenschaftliche Zwecke eingerichtet und sind für ei- ne Nutzung in der Patientenversor- gung nur bedingt geeignet. Insbe- sondere fehlt ihnen die für eine ge- netische Diagnostik und Beratung zukünftiger Patienten notwendige, detaillierte klinische Hintergrundin- formation. Wissenschaftlich moti- vierte Kataloge von krankheitsverur- sachenden Genvarianten wurden schon in der Ära der Sanger-Sequen- zierung erstellt (zum Beispiel die Human Gene Mutation Database).

Dies war damals mit vergleichbar geringem bioinformatischem Auf- wand möglich. Allerdings wird die Anzahl neu identifizierter Mutatio- nen durch das NGS in Zukunft so stark anwachsen, dass es eines um- fassenderen Ansatzes mit zeitgemä- ßen Verfahren der direkten Daten-

übermittlung und der (zumindest teilweise) automatisierten Pflege und Qualitätskontrolle der geneti- schen und klinischen Daten bedarf.

Systematische Katalogisierung humaner Genvarianten

Derzeit widmet sich ein weltweites Netz von Bioinformatikern, Sys- tembiologen und Humangenetikern der systematischen Katalogisierung humaner Genvarianten. Neben (vordringlich wissenschaftlich aus- gerichteten) Projekten in Großbri- tannien, den Niederlanden und den USA gibt es auch eine deutsche Ini- tiative, die von der Technologie- und Methodenplattform für die Ver- netzte Medizinische Forschung in Deutschland (TMF e. V.) in Berlin koordiniert wird. Die im Rahmen dieser Initiative geplante Genotyp-

Phänotyp-Datenbank soll systema- tisch benigne und krankheitsverur- sachende genetische Varianten und deren Begleitdaten unter der Ein- haltung der deutschen Datenschutz- bestimmungen speichern und für die Beurteilung zukünftig aufge- fundener DNA-Veränderungen ver- fügbar machen. Sie ist gleicherma- ßen als Ressource für Wissenschaft und Patientenversorgung gedacht.

In langfristiger Perspektive ha- ben die EU-Kommission und die US-amerikanischen National Insti- tutes of Health gemeinsam mit wei- teren Partnern das „International Rare Disease Research Consorti- um“ gestartet, um bis zum Jahr 2020 alle monogenen Erkrankun- gen hinsichtlich der ihnen zugrunde- liegenden molekularen Defekte auf- zuklären (www.irdirc.org). Sollte sich diese Hoffnung tatsächlich er- füllen, so wäre damit ein entschei- dender Schritt der genotypbasierten personalisierten Medizin in die Ver- sorgungswirklichkeit getan.

Ebenso wichtig wie diese bioin- formatischen Anstrengungen ist je- doch das Ausloten der ethischen, rechtlichen und sozialen Rahmen-

bedingungen der Nutzung von NGS-Technologien in der medizini- schen Praxis. Ziel muss es dabei sein, die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen unabhängig vom tech- nologischen Fortschritt zu schützen und bestehende Ängste vor einer

„Genetisierung“ der Medizin bei Patienten, ihren Angehörigen, den Heilberufen und in der Öffentlich- keit auszuräumen. Einen wesentli- chen Beitrag hierzu leistet auf na- tionaler Ebene die derzeit von den Landesärztekammern betriebene Qualifizierung einer großen Zahl von Ärzten für genetische Beratun- gen und Untersuchungen gemäß Gendiagnostikgesetz. So wird si- chergestellt, dass dem durch eine mögliche Einführung des NGS in die Routineversorgung zu erwarten- den, umfangreichen Bedarf an der-

artigen Leistungen angemessen Rechnung getragen wird.

Um die medizinische Befundung von NGS-Daten inhaltlich zu unter- stützen und außerdem für die Soli- dargemeinschaft kosteneffizient zu gestalten, sind im Moment rich- tungsweisende Entscheidungen hin- sichtlich der Schaffung einer deut- schen Genotyp-Phänotyp-Daten- bank und ihrer internationaler Ver- netzung erforderlich. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine solche Datenbank sind in Deutschland wei- testgehend durch das Gendiagnos- tikgesetz und die Datenschutzge- setzgebung abgesteckt. Daher wird es in den kommenden Jahren vor al- lem humangenetischer, epidemiolo- gischer und bioinformatischer An- strengungen bedürfen, um die An- wendung der NGS als wichtigen Teil der personalisierten Medizin in Deutschland auf eine nachhaltige

Basis zu stellen.

PD Dr. med. Arne Pfeufer Helmholtz-Zentrum München Prof. Dr. Michael Krawczak Universität Kiel und TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V.

Ein Problem: Die meisten humanen Datenbanken sind primär für wissenschaftliche Zwecke eingerichtet worden. Für eine Nutzung in der Patientenversorgung sind sie nur bedingt geeignet.

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