Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 44|
1. November 2013 A 2069W
ann dürfen Patienten gegen ihren Willen behandelt wer- den? Welche Bedeutung haben eine Patientenverfügung und der soge- nannte natürliche Wille? Mit diesen und anderen Fragen beschäftigten sich Anfang Oktober Ärzte, Juristen und Betroffene auf einer interdis- ziplinären Fortbildungsveranstal- tung im Agaplesion Markus Kran- kenhaus in Frankfurt am Main.Der Bundesgerichtshof hatte im Juni 2012 entschieden, dass die be- stehende rechtliche Regelung zur Zwangsbehandlung nicht ausrei- chend sei. Mit dem „Gesetz zur Re- gelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in ärztliche Zwangs- maßnahmen“ hat der Gesetzgeber im Februar die Vorgaben der Rechtspre- chung umgesetzt und im Bürgerli- chen Gesetzbuch (BGB) die Zwangsbehandlung als ultima ratio geregelt. Entsprechende Veränderun- gen in den Landesgesetzen stehen noch aus.
Prof. Dr. jur. Volker Lipp, Georg- August-Universität Göttingen, er- läuterte die Grundzüge dieses Ge- setzes. Wie jede ärztliche Behand- lung setzt eine Zwangsbehandlung voraus, dass sie aus ärztlicher Sicht auch unter der Bedingung ihrer zwangsweisen Durchführung medi- zinisch indiziert ist. Der Arzt habe dem Patienten die Umstände der Behandlung in verständlicher Wei- se zu erläutern, vor allem die Diag- nose, die voraussichtliche gesund- heitliche Entwicklung, die Therapie und die zu ergreifenden Maßnah- men. Diese Pflicht bestehe gegen- über jedem Patienten, auch dann, wenn er einwilligungsunfähig sei (§
630c Abs.2 S. 1 BGB).
Der Arzt müsse unabhängig von der Einwilligungsfähigkeit immer mit dem Patienten sprechen und ihn
über seine Krankheit und die Be- handlung informieren. Dieses Auf- klärungsgespräch sollte an dem je- weiligen Zustand und den jeweili- gen Verständnismöglichkeiten des Patienten ausgerichtet sein. Das weitere Vorgehen hänge dann von der Reaktion des Patienten ab.
Bei Bewusstlosigkeit des Patien- ten entscheidet Lipp zufolge der Betreuer nach §§ 1901, 1901a, 1901b BGB. Wenn der Patient die Maßnahme mit seinem sogenann- ten natürlichen Willen, das heißt bewusst und nicht bloß reflexartig ablehne, handele es sich um eine Zwangsbehandlung.
Das Gesetz lasse eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur dann zu, wenn vorher versucht worden sei, den Patienten von der Notwendig- keit der Maßnahme zu überzeugen.
„Das bedeutet für den Betreuer, dass er sich vergewissern muss, ob der Arzt dieser Pflicht tatsächlich nach- gekommen ist. Ansonsten darf er der Zwangsmaßnahme nicht zustim- men“, betonte Lipp. Der Betreuer müsse auch selbst versuchen, den Patienten für die freiwillige Durch- führung der Maßnahmen zu gewin- nen. Das Gesetz verlange außerdem stets eine gerichtliche Genehmi- gung. „Eine Alleinentscheidung des Betreuers ist auch in Eilfällen nicht vorgesehen“, sagte Lipp. Außerdem sei ein Verfahrenspfleger zu bestel- len, und externe Sachverständige müssten ebenfalls einbezogen wer- den. Damit Unterbringung und Zwangsbehandlung auch weiterhin ultima ratio bleiben, forderte Lipp, Alternativen zu erproben und zu entwickeln. Dazu gehöre vor allem der Ausbau ambulanter Hilfs- und Versorgungsangebote.
Gabriele Slutzky, Richterin am Oberlandesgericht Frankfurt, be- tonte, dass es mit der Neufassung des § 1906 BGB und den Änderun- gen des Gesetzes über das Verfah- ren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit keine materiell- rechtlich abschließenden Entschei- dungen gegeben habe. Im Kern ge- he es – auch im materiellen Recht – um die Bereitstellung einer Verfah- rensregelung vor allem für die ärzt- liche Praxis. Auch Lipp sagte ab- schließend, dass die Zwangsbe- handlung letztendlich immer eine ärztliche Aufgabe sei.
Bereits im Juli hatte die Zentrale Ethikkommission (ZEKO) bei der Bundesärztekammer zu Zwangsbe- handlungen bei psychischen Er- krankungen eine Stellungnahme veröffentlicht (DÄ, Heft 26/2013).
Diese ruft dazu auf, so der ZEKO- Vorsitzende, Prof. Dr. med. Dr. phil.
Urban Wiesing, im Vorwort, „sich der ethischen Prinzipien ärztlichen Handelns bei einer Zwangsbehand- lung von psychisch Kranken zu ver- gewissern“. Auch sie fordert, wie Lipp, der einer der Mitautoren der Stellungnahme ist, dazu auf, den Einsatz von Zwangsbehandlungen sowie mögliche Behandlungsalter- nativen zu überdenken.
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Gisela Klinkhammer
ZWANGSBEHANDLUNGEN
Voraussetzung ist eine medizinische Indikation
Zwangsmaßnahmen sind vor kurzem gesetzlich geregelt worden.
Juristen erläutern, was dies für die ärztliche Praxis bedeutet.
Unterbringung und Zwangsbe- handlung sollten ultima ratio bleiben.
Das fordern Juris- ten und auch die Zentrale Ethikkom- mission bei der Bundesärztekam- mer.
Foto: laif