• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Radiojodtherapie: Indikation, Durchführung und Risiken" (12.11.1993)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Radiojodtherapie: Indikation, Durchführung und Risiken" (12.11.1993)"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Radiojodtherapie

V

or fünfzig Jahren haben Hertz et al. die erste Radiojodthera- pie in den USA durchgeführt.

Seitdem sind weltweit mehre- re Millionen Schilddrüsen-Patienten erfolgreich mit dieser Methode be- handelt worden. 1-131 (Halbwertzeit 8 d) emittiert Betastrahlung mit Energien von etwa 610 und 810 KeV, die in Gewebe eine mittlere Reich- weite von nur 0,5 mm aufweist. 95 Prozent des Therapieeffektes der Radiojodtherapie beruhen auf der Wirkung dieser Betastrahlung, wäh- rend die restlichen fünf Prozent der Gammastrahlung von I-131 zuge- schrieben werden. Diese durchdrin- gende Gammastrahlung hat eine Energie von 360 KeV und eine mitt- lere Reichweite in Gewebe von 6,3 cm; sie läßt sich im Gegensatz zur Betastrahlung gut von der Körper- oberfläche aus nachweisen.

Indikationen - Kontraindikationen

Die Radiojodtherapie hat ihre Indikationen bei der Behandlung gut- und bösartiger Schilddrüsener- krankungen (Tabelle 1). Unter den gutartigen Krankheiten ist zunächst die in der Regel chronisch rezidivie- rend verlaufende immunogene Hy- perthyreose vom Typ des M. Base- dow zu nennen. Während in den USA etwa 85 Prozent der Patienten mit dieser Form der Schilddrüsen- überfunktion frühzeitig mit Radiojod behandelt werden, beträgt der Anteil radiojodbehandelter Patienten in Buropa nur etwa 35 Prozent, wobei die Indikation meist erst nach länger- dauernder (erfolgloser) thyreo-

statischer Vorbehandlung gestellt

wird. Der großzügige Einsatz der Ra- diojodtherapie in den USA beruht in erster Linie auf den dort sehr libera- len Strahlenschutzbestimmungen

Indikation, Durchführung und Risiken

Christoph Reiners

Die Radiojodtherapie stellt bei der Behandlung der Basedow-Hyperthy- reose und der funktionellen Autono- mie der Schilddrüse eine nebenwir- kungs- und risikoarme Alternative zur Operation dar. Sie sollte häufiger eingesetzt werden; dabei sind beim M. Basedow höhere Energiedosen im Zielvolumen anzusetzen als bisher allgemein üblich. Die Nebenwirkun- gen beschränken sich auf eine gele- gentlich auftretende, harmlose Strah- lenthyreoiditis. Die Radiojodtherapie des Schilddrüsenkarzinoms trägt nach der Thyreoidektomie dazu bei, daß rund 80 Prozent oller differenzierten popillären und follikulären Karzino- me heilbar sind.

(Aktivitäten bis zu ein GBq 1-131 können ambulant verabreicht wer- den). Demgegenüber behindern in der Bundesrepublik Deutschland die hier besonders strengen Auflagen des Strahlenschutzes und die be- schränkte Verfügbarkeit von Thera- piebetten eine der klinischen Bedeu- tung der Radiojodtherapie adäquate Indikationsstellung.

Häufiger als die immunogene Form der Hyperthyreose ist im deut- schen Jodmangelgebiet die funktio- nelle Autonomie. Besonders vorteil- haft kann die 1-131-Therapie bei den multifokalen und disseminierten For- men der funktionellen Autonomie sein. In Anbetracht der beschränkten Kapazität an Therapiebetten werden

Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin (Direktor: Prof. Dr. med. Christoph Reiners}

der Universität- Gesamthochschule Essen

A1-2996 ( 44) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 45, 12. November 1993

in der Regel Patienten mit hyper- thyreoter Stoffwechsellage bevorzugt behandelt; gelegentlich findet die Radiojodtherapie aber auch bei (noch) euthyreoter funktioneller Au- tonomie Anwendung. Als besonders

"therapiewürdig" sind in diesem Zu- sammenhang ältere Patienten mit ta- chykarden Herzrhythmusstörungen zu nennen. Ein anderer Ansatz zur Indikationsstellung geht von der Masse funktionell autonomen Gewe- bes aus: bei einem "Autonomie-Vo- lumen" von mehr als etwa 10 ml wird die I-131-Therapie auch bei euthyreoter Stoffwechsellage emp- fohlen.

Bei älteren Patienten mit nicht zu großer euthyreoter Struma kann die Radiojodtherapie auch ohne Vorliegen einer funktionellen Auto- nomie zur Strumaverkleinerung zum Beispiel dann indiziert sein, wenn Kontraindikationen gegen eine Stru- maresektion vorliegen. Wie oben be- reits erwähnt, werden aber bei der bestehenden Bettenknappheit meist zunächst hyperthyreote Patienten der Radiojodtherapie zugeführt.

Bei den malignen Schilddrüsen- erkrankungen folgt die Radiojodthe- rapie beim follikulären Karzinom un- abhängig vom Tumorstadium obligat der Thyreoidektomie. Lediglich beim papillären Karzinom kann im Stadi- um pT1 auf eine I-131-Therapie ver- zichtet werden. Fakultative Indika- tionen für die Radiojodtherapie kön- nen sich unter Umständen bei den primär nicht radiojodspeichernden Karzinomtypen ergeben ( onkozytä- res, medulläres, anaplastisches Kar- zinom), wenn Hinweise auf papillär oder follikulär differenzierte und da- mit möglicherweise I-131 aufneh- mende Tumoranteile vorliegen.

~ Eine absolute Kontraindika- tion für die Radiojodtherapie stellt die Gravidität dar. Vor der therapeu- tischen 1-131-Applikation muß eine

(2)

Schwangerschaft wegen der hohen Strahlenbelastung des Feten, die ins- besondere nach Beginn der Schild- drüsenanlage in der zwölften Woche zum Tragen kommt, sicher ausge- schlossen werden.

..,_. Relative Kontraindikationen sind bei den gutartigen Schilddrüsen- krankheiten große Strumen (insbe- sondere mit ausgeprägter Tracheal- einengung) und kalte Knoten (Mali- gnomverdacht!). Kontraindikationen sind im Gegensatz zum früher prakti- zierten Vorgehen vom Lebensalter des Patienten nicht ableitbar. Beim Schilddrüsenkarzinom gibt es außer dem rasch progredient verlaufenden anaplastischen Karzinom, bei dem ohne Zeitverzögerung eine perkuta- ne Bestrahlung durchgeführt werden sollte, keine speziellen Kontraindika- tionen.

Medikamentöse Vorbehandlung

Bei hyperthyreoter Stoffwechsel- lage ist in sehr leichten Fällen eine Vorbehandlung vor der Radiojodthe- rapie nicht erforderlich. Milde Ver- laufsformen der Hyperthyreose kön- nen vor der I-131-Therapie mit Pro- pranolol symptomatisch behandelt werden, während bei allen ausge- prägtereD Formen der Hyperthyreo- se eine thyreostatische Vorbehand-

ZUR FORTBILDUNG

Tabelle 1: Radiojodtherapie der Schilddrüse: Indikationen

benigne

...

Morbus Basedow hyperthyreot ... funktionelle Autonomie hyper-/euthyreot

(fokal!disseminiert)

... endemische Struma euthyreot

maligne ... follikuläres Karzinom Indikation

... papilläres obligat

Karzinom > pT2

... papilläres Karzinom pT1 Indikation

... onkozytäres Karzinom fakultativ

C-Zell-Karzinom anaplastisches Karzinom Jung als Monotherapie mit Thiam-

azol eingeleitet werden sollte (Tabel- le 2). Im Gegensatz zu früheren Empfehlungen braucht eine niedrig dosierte Thiamazol-Therapie (maxi- mal 20 mg/d) vor der Radiojodthera- pie wegen der allenfalls geringen Be- einflussung der I-131-Kinetik nicht abgesetzt zu werden.

Bei der funktionellen Autono- mie in Form des sogenannten "kom- pensierten autonomen Adenoms"

muß das nicht supprimierte perino- duläre Schildrüsengewebe vor der Radiojodtherapie durch Gabe von Schilddrüsenhormonen blockiert werden. Hierzu eignen sich die Ver- ordnung von 80 bis 100 f.tg/d Liothy- ronin über eine Woche oder 150 f.tg/d

Lovethyroxin über vier bis sechs Wo- chen.

Große Strumen können nach therapeutischer Applikation von I -131 mechanische Komplikationen infolge einer nicht selten auch schmerzhaften Strahlen-Thyreoiditis verursachen. Zur Vorbeugung bietet sich hier die Verordnung von zum Beispiel Nifluminsäure in einer Do- sierung von 1000 mg/d an. Bei bereits bestehender Trachealstenose sollte auf die wirksamere Stereid-Medika- tion zurückgegriffen werden (zum Beispiel Dexamethason zwei bis acht mg/d).

Tabelle 2: Radiojodtherapie der Schilddrüse: Medikamentöse Vorbehandlung

Zur Linderung der Beschwerden infolge der radiogenen Thyreoiditis sollte auch bei der Karzinomtherapie ein nichtsteroidales Antiphlogisti- kum eingesetzt werden, wenn große Schilddrüsenreste bei der vorange- gangenen Operation in situ verblie- ben sind. Kortikoide sind indiziert, wenn zerebrale oder spinale Meta- stasen vorliegen, die - ohne Vorbe- handlung- unter der I-131-Therapie zu Kompressions-Symptomen führen können. Zur Vermeidung einer ra- diogenen Gastritis bei der oralen Verabreichung höherer I -131-Aktivi- täten (mehr als etwa 3 GBq) sollten begleitend Schleimhautschutzmittel und eventuell auch H2-Blocker ein- gesetzt werden. Für eine rasche rena- le und intestinale Ausscheidung des nicht im Schilddrüsen- oder Tumor- gewebe gespeicherten I-131 muß ge- sorgt werden. Hier sind häufig La- xanzien indiziert; zur Anregung der Diurese genügt in der Regel eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr. ..,_.

benigne

...

Hyperthyreose:

- leicht keine Vorbehandlung

-mild Propranolol (60-120 mg/d)

- schwerer Thiamazol (10-20 mg/d)

...

fokale Autonomie:

- "kompensiert" 1 Woche T3 (100 f.tg/d) 4-6 Wochen T4 (150 !J.g/d)

...

große Struma:

- ohne mechanische Nifluminsäure (1000 mg/d) Symptome

- mit Trachealstenose Dexamethason (2-8 mg/d) maligne ... großer Rest Nifluminsäure (1000 mg/d)

(nach Zweiteingriff)

...

Metastasen Dexamethason (2-8 mg/d)

zerebral, spinal

...

Jodkontamination eventuell bovines TSH

(2 X 2,5 E i. m.)

Ar2998 (46) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 45, 12. November 1993

(3)

In Fällen einer möglichen Blockie- rung des I-131-Uptakes in Rest- schilddrüsen- oder Karzinom-Gewe- be durch eine vorangegangene Jod- kontamination (zum Beispiel durch Röntgen-Kontrastmittel) kann ein Versuch der Stimulation der Jodauf- nahme durch Verabreichung von bo- vinem TSH (2 x 2,5 E i.m.) unter- nommen werden.

Aktivitätsbemessung Bei den gutartigen Schilddrüsen- krankheiten wird in Europa die indi- viduelle Aktivitätsbemessung unter Berücksichtigung patientenspezifi- scher Parameter wie Schilddrüsen- beziehungsweise Autonomie-Volu- men, maximale Speicherung und ef- fektive Halbwertzeit des I-131 bevor- zugt. Zur Ermittlung dieser Kenngrö- ßen sind eine Sonographie und ein Radiojodtest möglichst unmittelbar vor der Radiojodtherapie durchzu- führen (Tabelle 3). Die Medikation niedrig dosierter Thyreostatika kann während des Tests fortgesetzt wer- den; bei der "kompensierten" funk- tionellen Autonomie sind Test und Therapie unter Levothyroxin-Sup- pression durchzuführen.

Für die fokale Autonomie strebt man bei der Aktivitätsbemessung Dosen im Zielvolumen, also in den funktionell autonomen Herden, im Bereich von 300 bis 400 Gy an. Für die disseminierte Autonomie wird ei- ne Energiedosis von etwa 150 Gy, hier bezogen auf die gesamte Schild- drüse, angesetzt. Bei dieser Verfah- rensweise kann davon ausgegangen werden, daß die funktionelle Auto- nomie in etwa 80 Prozent der Fälle dauerhaft beseitigt wird. Bei etwa 15 Prozent der Patienten wird eine Wie- derholung der Behandlung, mit der mindestens acht Wochen abgewartet werden soll, erforderlich. Nur etwa fünf Prozent der Patienten mit funk- tioneller Autonomie geraten nach der I-131-Therapie in die Hypo- thyreose.

Bei der Basedow-Hyperthyreose setzt man heute deutlich höhere Schilddrüsen-Dosen an als noch vor wenigen Jahren. Es hat sich gezeigt, daß bei Dosen kleiner als 100 Gy in fast der Hälfte der Fälle Wiederho-

Tabelle 3: Radiojodtherapie der Schilddrüse: Dosisermiltlung benigne Sonographie: Volumen

1-131-Test:

I

I

24h-Uptake (ggf. u. Vorbehandlung, ca. 1 Woche vor Therapie) empirisch: HWZeff (Morbus Basedow

L ·

(fokale Autonomie

( euthyreote Struma

4d) 5d) 6d) individuelle Aktivitätsbemessung:

- fokale Autonomie 300-400 Gy 150 Gy 150-200 Gy 150 Gy - disseminierte Autonomie

- Morbus Basedow - euthyreote Struma

maligne 1-131-Test: 24h-Uptake (3-4 Wochen postoperativ)

I ~Reopemtion?

Aktivität:

c:

Standardaktivitäten:

Uptake:

>10%

-Ablation 5-10% 1 GBq

<5%

- Restelimination

3 GBq 3-6 GBq 6-10 GBq - Metastasentherapie

lungen der I-131-Behandlung erfor- derlich werden. Deshalb strebt man besser gleich 150 bis 200 Gy als Ziel- dosis an. Hierbei ist in etwa 80 Pro- zent der Fälle mit einer dauerhaften Beseitigung der Hyperthyreose zu rechnen; die Hypothyreose wird da- bei heute nicht mehr als Ausdruck der "Übertherapie" bewertet. 15 Pro- zent bis 20 Prozent der Patienten be- dürfen einer erneuten I-131-Behand- lung.

Für die euthyreote Struma wer- den in der Regel 150 Gy als Zieldosis angesetzt. Hiermit sind Volumenre- duktionen der Schilddrüse um etwa 30 Prozent zu erreichen. In der glei- chen Größenordnung liegen die Vo- lumenabnahmen bei funktionell au- tonomen und Basedow-Strumen.

Beim Schilddrüsen-Karzinom ist eine individuelle, dosisorientierte Aktivitätsbemessung wegen der gro- ßen Variabilität der Einflußgrößen nicht möglich. Insbesondere bei der Ablationstherapie unmittelbar nach der Operation finden sich in Abhän- gigkeit von der Radikalität des Ein- griffes stark unterschiedliche Volu-

mina der Schildrüsen- beziehungs- weise Tumor-Reste. Deshalb ist statt des Anstrebens von Zieldosen, die für die Ablation in der Größenord- nung von 300 Gy liegen, ein pragma- tisches Vorgehen vorzuziehen. Wir führen etwa drei Wochen nach der (fast) vollständigen Thyreoidektomie einen Radiojodtest . durch und be- stimmen den 24h-Uptake-Wert. Liegt dieser unterhalb von fünf Prozent, so können 3 GBq I-131 auf einmal ver- abreicht werden, die in der Regel zur Ablation ausreichen. Bei Speicher- werten zwischen fünf Prozent und zehn Prozent geben wir zur Vermei- dung einer massiven Strahlen-Thy- reoiditis sowie von langen Verweil- dauern unter stationären Strahlen- schutz-Kautelen nur 1 GBq, wobei in der Regel erst die nach etwa drei Mo- naten angeschlossene zweite Radio- jodtherapie zur vollständigen Abla- tion führt. Liegt der 24h-Speicherwert höher als zehn Prozent, so sollte unbe- dingt die Frage der erneuten Operati- on zur Verkleinerung des Schilddrü- sen- beziehungsweise Tumor-Restes ernsthaft diskutiert werden. ~

Ar3000 ( 48) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 45, 12. November 1993

(4)

Zur Metastasen-Behandlung werden Aktivitäten von sechs bis zehn GBq I-131 fraktioniert einge- setzt. Auch hier gilt die Regel, daß - falls irgend möglich - eine operative Verringerung der Tumormasse der Radiojodtherapie vorgeschaltet wer- den sollte. Was die Erfolge der The- rapie des differenzierten Schilddrü- senkarzinoms betrifft, so kann festge- halten werden, daß rund 80 Prozent dieser Tumoren bei Anwendung des üblichen multimodalen Therapiekon- zepts- bestehend aus Operation, Ra- diojodtherapie und TSH-suppressi- ver Levothyroxin-Medikation - heil- bar sind.

Risiken

Bei den Nebenwirkungen und Risiken der I-131-Therapie ist zwi- schen Früh- und Späteffekten zu un- terscheiden (Tabelle 4).

.... Die frühen Nebenwirkungen beruhen in der Regel auf einer durch I-131 induzierten Entzündung. Die Strahlen-Thyreoiditis tritt relativ sel- ten (in weniger als zehn Prozent) bei der Behandlung gutartiger Schild- drüsenkrankheiten und häufiger bei der Karzinomtherapie auf (etwa 20 Prozent). Der Schweregrad dieser schmerzhaften Reaktion hängt von der applizierten Aktivitätsmenge und der Größe der Schilddrüse bezie- hungsweise des Schilddrüsenrestes ab; zur Vorbeugung sind gegebenen- falls Antiphlogistika einzusetzen.

Als Frühkomplikation der Hy- perthyreose-Therapie wird in der Li- teratur auch die thyreotoxische Krise aufgeführt. Hierbei handelt es sich um eine sehr seltene Nebenwirkung der 1-131-Therapie, die auf einer ent- zündlich bedingten Ausschüttung von Schildrüsenhormonen beruhen soll. Nach aktuellen Umfragen liegt die Häufigkeit einer derartigen Kom- plikation im Promillebereich.

Bei der Karzinomtherapie kann es auch zu entzündlichen Reaktionen in Metastasen kommen, die bei Lo- kalisation im Gehirn oder Rücken- mark ohne prophylaktische Gabe von Steraiden möglicherweise zu ernst- haften Kompressionserscheinungen führen. Auf die radiogene Gastritis, die bei der Karzinomtherapie nach

ZUR FORTBILDUNG

Tabelle 4: Radiojodtherapie der Schilddrüse: Nebenwirkungen und Risiken

benigne früh spät

- lokale Entzündung

- Kompression - Therapieversager - T3ff4-Anstieg (- Hypothyreose)

(Häufigkeit abhängig von der Indikation, der Strumagröße und der therapeutischen Strategie)

maligne früh spät

- lokale Entzündung (20%) - Gastritis (30%)

- Hirnödem, Rückenmark- kompression (selten bei Metastasen)

- Sialadenitis (30%) - passagere Thrombo-

und Leukopenie (25%)

oraler Applikation höherer I-131-Ak- tivitäten ohne entsprechende Pro- phylaxe bei etwa 30 Prozent der Pa- tienten auftreten kann, wurde bereits hingewiesen.

Aufgrund der relativ starken An- reicherung von I -131 in den großen Kopfspeicheldrüsen kann es bei der Therapie des Schilddrüsenkarzinoms auch zu einer Strahlen-Sialadenitis kommen. Zur Vorbeugung dieser Komplikation, die ansonsten bei et- wa 30 Prozent der Karzinom-Patien- ten auftritt, ist durch reichliche Flüs- sigkeitszufuhr und gustatorische Sti- mulation (zum Beispiel Zitrone) für einen ständigen Speichelfluß zu sor- gen.

Bei der hochdosierten Karzi- nomtherapie beobachtet man bei et- wa 25 Prozent der Patienten auch vorübergehende Thrombo- und Leu- kopenien, die in der Regel keine be- sonderen Interventionen erfordern.

..,.. Von den Spät-Nebenwirkun- gen ist zunächst die Hypothyreose nach I -131-Therapie insbesondere der immunogenen Hyperthyreose zu erwähnen. Heute ist man allerdings der Auffassung, daß eine derartige

- Sieca-Syndrom (20%) - Lungenfibrose ( < 1%) - Leukämie ( ca. 1%) - Zweitmalignome (?) - hypothetisch:

Infertilität mutagene Effekte

Hypothyreose nicht als Nebenwir- kung, sondern vielmehr als Beweis des sicheren Erfolgs der Therapie im Sinne der dauerhaften Beseitigung der Hyperthyreose zu werten ist.

Analog bewertet man ja heute auch die Hypothyreose nach Operation ei- ner Basedow-Struma.

Eine für den Patienten unange- nehme, manchmal jedoch nicht ver- meidbare Spät-Komplikation der Karzinomtherapie mit hohen kumu- lativen I-131-Aktivitäten ist das Sie- ca-Syndrom infolge der radiogenen Sialadenitis. In der Literatur werden vereinzelt Fälle von Lungenfibrosen nach Radiojodtherapie wegen eines Schildrüsenkarzinoms berichtet.

Derartige Strahlenfibrosen können aber nur bei der Therapie 1-131 spei- chernder Lungenmetastasen auftre- ten; ihre Inzidenz dürfte unterhalb von einem Prozent liegen.

Eine gefürchtete Spät-Kompli- kation der Karzinomtherapie ist die bei hohen Knochenmarkdosen auf- tretende strahleninduzierte Leuk- ämie. Sie tritt bei etwa einem Pro- zent der Karzinom-Patienten durch- schnittlich fünf Jahre nach der I-131- A1-3002 (50) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 45, 12. November 1993

(5)

Therapie auf; ihre Inzidenz ist damit gegenüber der Spontaninzidenz um etwa den Faktor 15 erhöht. Demge- genüber ist das Leukämie-Risiko bei der Radiojodtherapie gutartiger Schilddrüsenkrankheiten nicht ge- steigert.

In der Literatur findet sich auch eine Studie, die über eine gering er- höhte Inzidenz von Harnblasen-Kar- zinomen als Spät-Komplikation der I-131-Therapie des Schilddrüsenkar- zinoms berichtet. Diese Beobachtung wird von anderen Autoren nicht be- stätigt. Hervorzuheben ist auch, daß die Inzidenz des Mammakarzinoms nach Radiojodtherapie wegen eines Schilddrüsenkarzinoms nicht erhöht ist. Für die I-131-Therapie gutartiger Schilddrüsenkrankheiten läßt sich aus umfangreichen Follow-up-Studi- en ableiten, daß ein erhöhtes Karzi- nomrisiko nicht besteht.

Abschließend soll kurz auf mög- liche Einflüsse der Radiojodtherapie auf die Reproduktionsfähigkeit und auf theoretisch denkbare mutagene Effekte eingegangen werden. Diese sollen anhand der bei der Karzinom- therapie zu berücksichtigenden — im Verlauf zur Hyperthyreose-Therapie hohen — Gonadendosen diskutiert werden. An dieser Stelle sei erwähnt, daß die Gonadendosis bei der Hyper- thyreose-Therapie mit 20 mGy in der gleichen Größenordnung liegt wie bei einer Urographie!

Was die Frage der Infertilität nach der Radiojodtherapie des Schilddrüsenkarzinoms betrifft, so ist festzustellen, daß die Gonadendosis selbst bei Applikation höchster ku- mulativer I-131-Aktivitäten in der Größenordnung von 30 GBq, wie sie manchmal bei metastasierten Karzi- nomen verabreicht werden müssen, unterhalb der Sterilisations-Schwel- lendosis liegen (etwa 1,5 Gy für den Mann und 3 Gy für die Frau). Es ver- wundert somit nicht, daß es in der Li- teratur keine Berichte über Fälle von Infertilität nach Radiojodtherapie gibt.

Mutagene Effekte ionisierender Strahlen sind bisher beim Menschen nicht bewiesen worden. Im Sinne des

„konservativen" Strahlenschutzes überträgt man jedoch üblicherweise die Erkenntnisse aus Tierexperimen- ten auf den Menschen, um auch ge-

ringe, hypothetische Risiken abschät- zen zu können. Die bei der Radiojod- therapie des Schilddrüsenkarzinoms für mittlere kumulative Aktivitäten von 10 GBq auftretenden Gonaden- dosen von etwa 0,5 Gy führen rein rechnerisch zu einer Zunahme aller insgesamt möglichen vererbbaren Störungen um 15 Prozent, das heißt, daß sich die Spontaninzidenz von rund sechs Prozent hypothetisch auf sieben Prozent erhöht. Alle Studien, bei denen die Nachkommen von ra- diojodbehandelten Patienten unter- sucht wurden, haben jedoch keinen Hinweis auf eine erhöhte Inzidenz genetischer Störungen ergeben.

Schlußfolgerungen

Die Radiojodtherapie wird in Deutschland aufgrund der strengen Strahlenschutzauflagen bei Patienten mit gutartigen Schilddrüsenkrankhei- ten zu selten eingesetzt. Sie stellt bei der Basedow-Hyperthyreose und der funktionellen Autonomie eine ne- benwirkungs- und risikoarme Alter- native zur Operation dar. Die Ener- giedosis im Zielvolumen ist nach heutigen Erkenntnissen beim M. Ba- sedow höher anzusetzen (150 bis 200 Gy) als bisher üblich. Eine niedrig dosierte thyreostatische Vorbehand- lung beeinflußt das Ergebnis der Ra- diojodtherapie nicht. Als einzige re- levante Nebenwirkung kann es bei der I-131-Therapie gutartiger Schild- drüsenkrankheiten zu einer medika- mentös leicht beherrschbaren Strah- lenthyreoiditis kommen

Die Therapie des Schilddrüsen- karzinoms mit sehr viel höheren I-131-Aktivitäten ist naturgemäß mit einer höheren Nebenwirkungsrate verbunden. Neben akut entzündli- chen Reaktionen im Schilddrüsen- rest oder in Metastasen sind hier eine Gastritis oder Sialadenitis in Be- tracht zu ziehen, gegen die Vorbeu- gungsmaßnahmen ergriffen werden sollten. Als gravierende Spätkompli- kation der hochdosierten Radiojod- therapie kann eine strahleninduzier- te Leukämie bei etwa einem Prozent der Schilddrüsenkarzinom-Patienten nach einer Latenzzeit von etwa fünf Jahren auftreten. Nach Radiojodthe- rapie wegen gutartiger Schilddrüsen-

krankheiten ist nicht mit einer erhöh- ten Leukämie-Inzidenz zu rechnen.

Während einer Schwangerschaft ist eine Radiojodbehandlung wegen des hohen teratogenen Risikos abso- lut kontraindiziert. Mit einer Inferti- lität nach I-131-Therapie ist wegen der vergleichsweise geringen Gona- dendosen nicht zu rechnen. Die Un- tersuchungen an den Nachkommen radiojodbehandelter Patienten erge- ben keinen Hinweis für mutagene Ef- fekte.

Deutsdies Arzteblatt

90 (1993) A 1 -2996-3003 [Heft 45]

Literatur

1. Becker, W.; Hohenberger, W.; Wolf, F.:

Nebenwirkungen und Risiken bei der Ra- diojodtherapie gutartiger Schilddrüsener- krankungen. Nuklearmediziner 13 (1990) 273-280

2. Eilles, Chr.: Radiojodtherapie des diffe- renzierten Schilddrüsenkarzinoms. Nukle- armediziner 14 (1991) 19-25

3. Glinoer, D.; Hesch, D.; Lagasse, R.; Laur- berg, P.: The Management of Hyperthy- roidism due to Graves' Disease in Europe in 1986. Acta endocr. (Kbh.) 127 (1987) 969-980

4. Leisner, B.; Grotefendt, M.: Radiojodthe- rapie der Struma mit Euthyreose. Nukle- armediziner 13 (1990) 257-261

5. Moser, E.; Kreisig, Th.; Mann, K.; Dagres, E.; Blattmann, H.: Radiojodtherapie bei M. Basedow: Vergleich von Ergebnissen aus Freiburg und München. Nuklearmedi- ziner 13 (1990) 251-256

6. Puskäs, C.; Sciuk, J.; Schober, 0.: Somati- sche Risiken der hochdosierten Radiojod- therapie. Nuklearmediziner 13 (1990) 295-304

7. Reiners, Chr.: Aktuelle Gesichtspunkte zur Radiojodbehandlung der Hyperthy- reose vom Typ des M. Basedow. Akt.

Endokr. 10 (1989) 125-132

8. Reiners, Chr.: Die Radiojodtherapie der funktionellen Autonomie: Indikationen, Ergebnisse, Risiken. AMA 17 (1990) 66-69

9. Reiners, Chr.: Stochastische Risiken der I-131-Therapie des Schilddrüsenkarzi- noms. Nuklearmediziner 14 (1991) 44-51 10. Schicha, H.: Radiojodtherapie der immu- nogenen Hyperthyreose — Nuklearmedizi- nische Aspekte. Internist 29 (1988) 577-579

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Christoph Reiners Direktor der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin der Universität

— Gesamthochschule — Essen Hufelandstraße 55

45147 Essen

Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 45, 12. November 1993 (51) A1-3003

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Ausmaß der Umverteilungsprozes- se zu erlangen, fordert die PKV, daß die gesetzlichen Krankenkas- sen vom Gesetzgeber veranlaßt werden, eine getrennte' Rech-

Nach Auswertung der Literatur- daten ist die Inkontinenz meist Folge einer oder mehrerer der ersten vier der genannten Faktoren.. Nur

Alle DIskus- sionspunkte kann ich hier gar nicht anführen, aber der Boden spannte sich weit: die un- günstigen Sprechstundenzeiten, das Fehlen von Ubergangsvor- lesungen in

(3) Weiß der Behandelnde, dass eine vollständige Übernahme der Behand- lungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist oder ergeben sich nach den Umständen hierfür hinrei-

Wenn die Risiken für eine operative Therapie zu groß sind und eine Radiojodtherapie oder Sklero- therapie aufgrund des unzureichen- den Allgemeinzustandes des Patien- ten

An der Wahrnehmung beim Essen und Trinken ist auch der Geruchssinn massgeblich beteiligt, so wird beispielsweise bei Schnupfen das Essen anders wahrgenommen.. Der vorliegende

In der Tabelle sind Kriterien an- geführt, die eine Kontraindikation für die Radiojodtherapie darstellen oder die entweder für oder gegen ei- ne Operation beziehungsweise eine

Die Finanzbehörden sind viel- mehr an den Billionen inter- essiert, die seit Jahren auf Schweizer Konten still und heimlich vor sich hin rentie- ren, ohne dem Kaiser das