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Archiv "Radiojodtherapie: Altersgrenze gefallen" (05.10.1989)

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DEUTSCHES *

101

ler

ÄRZTEBLATT

Radiojodtherapie:

Altersgrenze gefallen

Harald Schicha

ür die Radiojodtherapie gutartiger Schilddrüsener- krankungen wurde in Mit- teleuropa bisher meist eine Altersgrenze von 35 bis 40 Jahren ge- zogen. Während in den USA bei der definitiven Behandlung der Hyper- thyreose die Radiojodtherapie schon seit vielen Jahren an erster Stelle steht und eine Operation eher dann durchgeführt wird, wenn eine Radio- jodtherapie nicht indiziert ist, findet sich in der Bundesrepublik Deutsch- land das entgegengesetzte Verhal- ten. Hier wird eine Radiojodtherapie häufig nur dann in Betracht gezogen, wenn der Patient alt ist, ein erhöhtes Operationsrisiko aufweist oder eine Operation ablehnt.

In jüngster Zeit wird eine defini- tive Therapie der manifesten und la- tenten Hyperthyreose zunehmend in Betracht gezogen. Gründe hierfür sind das hohe Rezidivrisiko nach konservativ-medikamentöser Be- handlung der Hyperthyreose und das hohe Hyperthyreoserisiko nach Jod- zufuhr bei latenter Hyperthyreose (autonomer Struma). Nach thyreo- statischer Medikation einer erstmals aufgetretenen Hyperthyreose be- trägt das Rezidivrisiko sowohl beim Morbus Basedow als auch bei der Schilddrüsenautonomie zwischen 40 und 60 Prozent innerhalb weniger Jahre, bei einer Rezidivhyperthyreo- se sogar um 90 Prozent. Eine defini- tive Therapie ist zumindest bei der Rezidivhyperthyreose indiziert, bei Ersterkrankungen sollte sie je nach Umständen erwogen werden Ein er- höhtes Rezidivrisiko weisen Patien- ten mit Ersthyperthyreose insbeson- dere bei größerer Struma (über 50 Gramm) auf, ferner über 50 bis 60 Jahre alte Patienten mit Autonomie.

Auch Patienten mit „autonomer Struma" und Euthyreose (latente Hyperthyreose) sind nach heutiger Kenntnis einer medikamentösen

Therapie nicht zugänglich. Bei ei- ner Schilddrüsenhormonmedikation droht sogar eine Hyperthyreosis fac- titia. Zudem sind diese Patienten der Gefahr einer jodinduzierten Hyper- thyreose durch Zufuhr jodhaltiger Medikamente oder Kontrastmittel ausgesetzt. Neben einer gegebenen- falls abwartenden Haltung sollte hier immer auch die definitive Therapie- indikation diskutiert werden. Das Ausmaß der funktionellen Relevanz einer „Autonomie" ergibt sich neben Anamnese und körperlichem Unter- suchungsbefund aus dem Verhalten von TSH beziehungsweise TRH-Test und insbesondere der quantitativen Schilddrüsenszintigraphie unter Ba- sisbedingungen und gegebenenfalls unter suppressiver Schilddrüsenhor- monmedikation.

Definitive Therapie der Hyperthyreose und der

autonomen Struma

Eine definitive Therapie von Hy- perthyreose und autonomer Struma ist durch Operation oder Radiojod möglich.

Vorteil der Operation ist der schnelle Wirkungseintritt und die Möglichkeit, eine große Struma voll- ständig zu beseitigen. Von Nachteil ist die Operationsletalität, auch wenn sie mit weniger als 0,1 Prozent nur gering ist, ferner lokale Kompli- kationen wie permanenter Hypopa- rathyreoidimus oder permanente Rekurrensparese, deren Häufigkeit jeweils durchschnittlich ein Prozent beträgt. Passagere Komplikationen sind Wundinfektionen, Nachblutun- gen und passagere Rekurrenspare- sen mit einer Häufigkeit von insge- samt zwischen fünf und zehn Pro- zent. Auch die Wiederholbarkeit des operativen Eingriffs ist einge-

schränkt, da das Risiko lokaler Kom- plikationen bei Zweiteingriffen er- höht ist.

Vorteil der Radiojodtherapie ist die vollständig fehlende „Invasivität"

mit fehlender Letalität sowie fehlen- den lokalen Komplikationen. Die Therapie kann auch wiederholt durchgeführt werden (fraktionierte Radiojodtherapie). Von Nachteil im Vergleich zur Operation ist der mit sechs bis zwölf Wochen verzögerte Wirkungseintritt. Dies erfordert bei der Hyperthyreose eine überbrük- kende Fortführung der thyreostati- schen Medikation.

Das Auftreten einer postthera- peutischen, meist nur latenten, Hy- pothyreose sowohl nach Operation als auch nach Radiojodtherapie wird heute allgemein nicht mehr als schwerwiegende und unbedingt zu vermeidende Nebenwirkung angese- hen. Jeder Patient muß vor einer definitiven Schilddrüsenbehandlung darauf hingewiesen werden, daß eine lebenslange Nachsorge erforderlich ist. Eine Hypothyreose kann nämlich auch noch nach Jahren oder Jahr- zehnten auftreten. Die Häufigkeit von posttherapeutischen Hypothy- reosen ist sowohl nach Operation als auch nach Radiojodtherapie vom Therapiekonzept abhängig. Steht die Absicht, Hypothyreosen zu vermei- den, im Vordergrund, muß mit ge- häuftem Auftreten von persistieren- den oder rezidivierenden Hyperthy- reosen oder Autonomien gerechnet werden.

Chirurgen und Nuklearmedizi- ner neigen heute eher dazu, die Hy- perthyreose sicher zu beseitigen und dafür gegebenenfalls eine meist nur subklinische Hypothyreose in Kauf zu nehmen. Diese ist durch TSH-Be- stimmung frühzeitig und sicher er- kennbar und dann einfach und ne- benwirkungsfrei durch lebenslange Schilddrüsenhormongabe auszuglei- chen.

Wann Radiojodtherapie, wann Operation?

Strumen werden durch Radio- jodtherapie meist nicht wie bei der Operation vollständig beseitigt, son- dern nur verkleinert, was aber oft Dt. Ärztebl. 86, Heft 40, 5. Oktober 1989 (61) A-2857

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Entscheidungskriterien bei Indikation zur definitiven Therapie

Kriterium Operation Radiojod-

therapie Schwangerschaft

Karzinomverdacht große Struma

hochgradige mechanische Symptomatik Zysten, szintigraphisch kalte Bezirke multiple, szintigraphisch heiße Bezirke kleine oder fehlende Struma

vorangegangene Operation schlechter Allgemeinzustand schwere Begleiterkrankungen Alter < 40 Jahre: Hyperthyreose

Struma Strahlenangst

Operationsangst

* kontraindiziert

ausreicht. Nicht radiojodspeichernde Strumaanteile (kalte Knoten, Zy- sten) werden durch die Radiojod- therapie nicht erreicht.

Hieraus ergibt sich, daß in allen Fällen, bei denen die Beseitigung auch szintigraphisch kalter Schild- drüsenbezirke und/oder die Beseiti- gung oder Verkleinerung einer gro- ßen Struma im Vordergrund steht, die Operation der Radiojodtherapie vorzuziehen ist. Umgekehrt ist die subtotale Schilddrüsenresektion ge- rade beim Morbus Basedow mit klei- ner oder nur leicht vergrößerter Schilddrüse schwierig und mit einer höheren lokalen Komplikationsrate belastet. Steht hier die Beseitigung der Schilddrüsenüberfunktion im Vordergrund, so ist die Radiojod- therapie der Operation vorzuziehen.

Einige weitere, in der Tabelle dargestellte Aspekte sind zu berück- sichtigen:

Insbesondere ist beim Vorliegen einer Gravidität die Radiojodthera- pie absolut kontraindiziert. Auch beim Verdacht auf ein Schilddrüsen- karzinom ist die Operation, auch zur histologischen Klärung, erforderlich.

Dies berührt nicht die Notwendig- keit von Radiojodtherapien nach to- taler Thyreoidektomie beim Schild- drüsenkarzinom, um Schilddrüsen- restgewebe und gegebenenfalls ra- diojodspeichernde Metastasen zu beseitigen.

Die Risiken der Radiojodthera- pie ergeben sich aus Strahlenwirkun- gen. Durch die Radiojodtherapie werden entweder die gesamte Schilddrüse oder einzelne autonome Bezirke einer gewünscht hohen Strahlenwirkung von 80 bis 400 Gy ausgesetzt. Aufgrund umfangreicher Langzeitbeobachtungen gilt es heute als gesichert, daß ein erhöhtes Schilddrüsenkarzinomrisiko nach Radiojodtherapie nicht besteht.

Das geringe Letalitätsrisiko in- folge Schilddrüsenoperation stellt ein Risiko dritter Ordnung dar (Inzi- denz 1:103). Dieses Risiko ist real und tritt gegebenenfalls sofort ein.

Das Letalitätsrisiko nach Radiojod- therapie infolge eines strahlenindu- zierten (extrapolativ berechneten) Malignoms ist als Risiko vierter Ord- nung noch geringer (Inzidenz 1:10 4).

Dieses Risiko ist nur berechenbar

und wird mit einer Latenz von Jahr- zehnten erwartet.

Die mit der Radiojodtherapie verbundene unerwünschte Strahlen- exposition des übrigen Körpers (zum Beispiel Knochenmark und Gona- den) beträgt bei mittlerer Dosierung 0,01 bis 0,03 Gy. Ein erhöhtes Leuk- ämie- oder Karzinomrisiko wurde in- folge Radiojodtherapie bisher nicht festgestellt. Auch ein erhöhtes gene- tisches Risiko konnte selbst nach we- sentlich höheren Strahlenexpositio- nen bisher nicht beobachtet werden.

Extrapolativ berechnet, beträgt es nach Radiojodtherapie mit mittlerer Dosis um 0,02 Prozent gegenüber dem natürlichen Risiko von fünf bis zehn Prozent.

Die Gonadenstrahlenexposition nach Radiojodtherapie liegt im Be- reich röntgendiagnostischer Maß- nahmen des Magen-Darm-Kanals oder des Beckens. Aus diesem Grun- de wird ein Festhalten an der Alters- begrenzung für die Radiojodtherapie der Hyperthyreose des Erwachsenen nicht für sinnvoll gehalten. Somit ist das Risiko infolge Radiojodtherapie bei gutartigen Schilddrüsenerkran- kungen unabhängig vom Alter nicht höher, sondern niedriger als das der Operation. Das genetische Risiko ist vernachlässigbar klein.

Die Kommission für Hormonto- xikologie der Deutschen Gesell-

schaft für Endokrinologie hat inzwi- schen empfohlen, die Altersgrenze für die Radiojodtherapie der Hyper- thyreose des Erwachsenen fallenzu- lassen. Dieser Empfehlung hat sich die Sektion Schilddrüse der Deut- schen Gesellschaft für Endokrinolo- gie angeschlossen. Für Kinder ist die Radiojodtherapie der Hyperthyreose weiterhin eine Ausnahme.

In der Tabelle sind Kriterien an- geführt, die eine Kontraindikation für die Radiojodtherapie darstellen oder die entweder für oder gegen ei- ne Operation beziehungsweise eine Radiojodtherapie bei manifester Hy- perthyreose oder autonomer Struma mit latenter Hyperthyreose spre- chen. Bei einem kleineren Teil der Patienten ergeben sich eindeutige Indikationen in der einen oder ande- ren Richtung. Bei der verbleibenden Mehrzahl von Patienten können die- se nach Beratung durch den Arzt selbst mitentscheiden, welcher The- rapie sie den Vorzug geben möchten.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Harald Schicha Institut für klinische und experimentelle Nuklearmedizin der Universität zu Köln

Joseph-Stelzmann-Straße 9 5000 Köln 41

A-2860 (64) Dt. Ärztebl. 86, Heft 40, 5. Oktober 1989

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