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Archiv "Polkörperdiagnostik für monogene Erkrankungen" (14.08.2009)

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D

ie Polkörperbiopsie mit nachfolgender mole- kulargenetischer Untersuchung haben erstmals 1991 Verlinsky et al. beschrieben (1). Polkörper, ein Nebenprodukt der Reifeteilung der Eizelle, können in vitro mithilfe eines Mikromanipulators nach Er- öffnung der Zona pellucida entnommen werden. Mit- tels Polkörperdiagnostik (PKD) lässt sich ein spezifi- scher Gendefekt im ersten und zweiten Polkörper un- tersuchen und somit eine indirekte Aussage über das Vorhandensein des Gendefekts in der Eizelle treffen.

Voraussetzung für die Durchführung einer PKD ist, dass der Gendefekt, nach dem in den Polkörpern gesucht werden soll, bekannt ist und dass für die Er- kennung des Haplotyps eine Kopplungsuntersuchung unter Einbeziehung der Familie durchgeführt werden kann. Die Polkörperdiagnostik eignet sich darüber hinaus auch zum indirekten Nachweis von numeri- schen und strukturellen chromosomalen Aberrationen der Eizelle.

Die Polkörperuntersuchung bezeichnet man auch als präkonzeptionelle Diagnostik. Eine Auswahl von Eizellen für die In-vitro-Fertilisation ist nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz zulässig, solange diese Auswahl vor Entstehung eines Embryos (im Sin- ne des § 8 des Embryonenschutzgesetzes) stattfindet.

Für Paare mit Kinderwunsch in Deutschland, die Anlageträger von monogenen Erkrankungen sind, stellt die PKD eine Möglichkeit der präkonzeptionel- len genetischen Diagnostik dar (2, 3). In der Mehrzahl der europäischen Staaten wird hingegen die Präim- plantationsdiagnostik (PID), die genetische Untersu- chung des Präimplantationsembryos, favorisiert. Im Gegensatz zur PID erlaubt die PKD nur indirekte Schlussfolgerungen auf die genetische Konstitution der Eizelle. Paternal vererbte (dominante) Erkrankun- gen können nicht diagnostiziert werden. Bei autoso- mal-rezessiv vererbten Erkrankungen kommt es im Rahmen der PKD häufiger als bei der PID zur Verwer- fung von Eizellen, die zu gesunden heterozygoten An- lageträgern geführt hätten (2, 4, 5). Dies ist als ein schwerwiegender Nachteil der PKD zu werten.

Die PKD zur Detektion von numerischen Aneuploi- den sowie von chromosomalen Translokationen wird derzeit an mehreren Behandlungszentren in Deutsch- land angeboten. Die Betreuung von Anlageträgern monogener Erkrankungen bedeutet einen methodisch ORIGINALARBEIT

Polkörperdiagnostik für monogene Erkrankungen

Geburt von drei gesunden Kindern

Georg Griesinger, Nana Bündgen, Diana Salmen, Eberhard Schwinger, Gabriele Gillessen-Kaesbach, Klaus Diedrich

ZUSAMMENFASSUNG

Hintergrund: Für Paare mit Kinderwunsch, die Anlageträger von monogenen Erkrankungen sind, ist die Polkörperdia- gnostik (PKD) eine Möglichkeit der präkonzeptionellen ge- netischen Diagnostik. Die PKD für monogene Erkrankun- gen wird nur an zwei Zentren in Lübeck und Regensburg durchgeführt .

Methoden: Darstellung der PKD-Behandlung anhand von Kasuistiken von Kinderwunschpaaren mit Risiko für eine Vererbung einer monogenen Erkrankung

Ergebnisse: In Lübeck haben seit dem Jahr 2004 neun Paare eine PKD-Behandlung durchlaufen. Drei gesunde Kinder wurden nach PKD für Mukopolysaccharidose Typ I, Incontinentia pigmenti und zystische Fibrose geboren. Eine Entscheidung zur PKD wird trotz der häufig langen Lei- densvorgeschichte der Kinderwunschpaare nicht leichtfer- tig getroffen. Die reproduktionsmedizinische Behandlung und PKD kann eine erhebliche physische und psychische Belastung sein.

Schlussfolgerungen: Für Kinderwunschpaare in Deutsch- land mit monogenen Erkrankungen stellt die PKD eine Al- ternative zur Pränataldiagnostik mit eventuell folgendem Schwangerschaftsabbruch dar. Die Lebendgeburtswahr- scheinlichkeit pro Behandlungszyklus ist mit 30 % als gut zu bewerten. Dennoch durchläuft die Mehrzahl der Paare, bei denen es im Rahmen der Behandlung nicht zu einem Schwangerschaftseintritt gekommen ist, nur einen Be- handlungszyklus und bricht die Behandlung vorzeitig ab.

Dtsch Arztebl Int 2009; 106(33): 533–8 DOI: 10.3238/arztebl.2009.0533

Schlüsselwörter: Polkörper, Präimplantationsdiagnostik, Pränataldiagnostik, In-vitro-Fertilisation, Infertilität

Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Universität zu Lübeck, Lübeck:

PD Dr. med. Griesinger M.Sc., Bündgen, Prof. Dr. med. Diedrich Institut für Humangenetik, Universität zu Lübeck, Lübeck: Dr. med. Salmen, Prof. em. Dr. med. Schwinger, Prof. Dr. med. Gillessen-Kaesbach

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weitaus größeren Aufwand und wird in Deutschland nur an zwei Zentren in Lübeck und Regensburg durch- geführt (2, 5). Das erste gesunde Kind eines Paares mit monogener Erkrankung nach PKD in Regensburg wurde im August 2004 geboren (5), das zweite Kind folgte nur wenig später nach PKD an der Universität Lübeck (6). Jüngst wurden im Deutschen Ärzteblatt Daten aus Deutschland zum sogenannten Aneuploi- diescreening von Eizellen dargestellt (2). Im Folgen- den sollen das Vorgehen zur PKD bei monogenen Er- krankungen erläutert sowie die bisherigen Erfahrun- gen an der Universität zu Lübeck zusammengefasst (Tabelle 1) und anhand von Fallberichten illustriert werden.

Methodik der PKD in Lübeck

Die Beratung und Behandlung von Paaren mit mono- genen Erkrankungen und Kinderwunsch erfolgt an der Universität zu Lübeck in enger interdisziplinärer Kooperation von Reproduktionsmedizinern und Hu- mangenetikern. Vor jeder neu zu etablierenden PKD- Behandlung wird die Zustimmung der zuständigen Ethikkommission eingeholt. Jede PKD erfordert die Durchführung einer In-vitro-Fertilisation und zusätz- lich einer intrazellulären Spermieninjektion (ICSI).

Nach ovarieller Stimulation und Eizellgewinnung werden die Zona pellucida mittels Laser eröffnet und die Polkörper mit einer Mikropipette entnommen (7) (Abbildung). Nach Lysierung der Polkörper müssen individuell für jedes Paar aufwendige molekulargene- tische Voruntersuchungen erfolgen, die dann die Grundlage für die eigentliche PKD darstellen. Die

„Erkennung“ einer Mutation in der Polkörper-DNA erfolgt durch elektrophoretischen Nachweis mehrerer heterozygot vorliegender genetischer Kennsequenzen (Marker), die mit der Mutation eng gekoppelt sind.

Die Marker werden so ausgewählt, dass sie möglichst nah an der Mutation liegen, um die Wahrscheinlich- keit eines Genaustausches (Rekombination) zwischen Kennsequenz und Mutation und damit die Möglich-

keit einer Fehldiagnose, gering zu halten. Eizellen, in deren Polkörpern die untersuchte Mutation vorliegt und die demzufolge Wildtyp-Allele tragen müssen, werden nach erfolgreicher Befruchtung und Entwick- lung in das Embryonalstadium am zweiten oder drit- ten Tag der Präimplantationsentwicklung in die Ge- bärmutter übertragen. Bei Eintritt einer Schwanger- schaft nach PKD wird den Paaren zur Durchführung einer pränatalen Diagnostik geraten, um die Diagnose der PKD zu bestätigen.

Mukopolysaccharidose Typ 1

Die Mukopolysaccharidose Typ 1 ist eine autosomal- rezessive lysosomale Speicherkrankheit, hervorgeru- fen durch eine Mutation des alpha-L-Iduronidase- Gens (IDUA). Häufig liegt eine sogenannte Q70X- Veränderung vor, die eine schwere Verlaufsform der Erkrankung (Morbus Hurler) hervorruft. Durch den Enzymdefekt akkumulieren Dermatan- und Heparan- sulfat in den Körperzellen, was zu einem progredien- ten Krankheitsgeschehen unterschiedlicher Ausprä- gung führt. Die Erkrankung manifestiert sich zumeist im ersten Lebensjahr und führt unter anderem zu Kar- diomegalie, Katarakt, Hydrocephalus sowie ausge- prägter geistiger Retardierung und in schweren Fällen zumeist zum Tod im ersten Lebensjahrzehnt (6, 8).

Fallbericht:Die 34-jährige Frau K. stellte sich mit ihrem blutsverwandten Ehemann (37-jährig) 2004 in der Universität zu Lübeck vor. Das Paar berichtete über ein gemeinsames Kind, welches im vierten Le- bensjahr nach langem Leidensweg an den Folgen ei- ner Mukopolysaccharidose Typ I (Morbus Hurler) verstorben war. Zwei folgende Schwangerschaften (1999 und 2001) wurden nach Pränataldiagnostik bei Nachweis einer homozygoten Mutation (Q70X) aus medizinisch-sozialer Indikation terminiert. Die Ehe- partner waren jeweils heterozygot für die Q70X-Mu- tation und phänotypisch unauffällig. Für die Familie konnte eine PKD etabliert werden. Von 16 Eizellen wurden 16 erste Polkörper analysiert. Für zwei der TABELLE

Bisher in Lübeck durchgeführte PKD-Behandlungen (Stand 11/2008)

Zystische Hämophilie A Mukopoly- Myotone Spinale Incontinentia X-linked Fibrose saccharidose Typ I Dystrophie Muskelatrophie pigmenti Hydrozephalus

Patienten 3 1 1 1 1 1 1

Behandlungs- 3 1 1 1 2 1 1

zyklen mit Eizell- entnahme

Behandlungs- 2 1 1 2 2 1 2

zyklen, in denen zumindest ein Embryo transferiert werden konnte

Schwangerschaft 1 0 1 0 0 1 0

gesunde Kinder 1 0 1 0 0 1 0

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Polkörper brachte die molekulargenetische Untersu- chung kein verwertbares Ergebnis. Acht Polkörper zeigten sich heterozygot, in drei Polkörpern konnte das Wildtyp-Allel für das IDUA-Gen gefunden wer- den, in drei weiteren Polkörpern wurde das mutierte Allel nachgewiesen. Lediglich eine der drei Eizellen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit das Wildtyp-Allel enthalten mussten, ließ sich in vitro befruchten. Frau K. wurde ein Embryo im Vierzellstadium transferiert, und sie wurde schwanger. Die Chorionzottenbiopsie ergab eine heterozygote Q70X-Mutation paternaler Herkunft und bestätigte somit die PKD. Bei vorzeiti- ger Plazentalösung wurde in der vollendeten 30. SSW eine Sectio caesarea durchgeführt. Frau K. wurde von einem gesunden weiblichen Neugeborenen entbun- den. Die weitere kindliche Entwicklung gestaltete sich bis zum heutigen Zeitpunkt unauffällig.

Incontinentia pigmenti

Incontinentia pigmenti (Bloch-Sulzberger-Syndrom) ist eine seltene X-chromosomal-dominante monogene Erkrankung, welche zu einem ektodermalen Fehlbil- dungssyndrom führt. Die Inzidenz wird mit 1 : 40 000 angegeben, mit einer Verteilung zwischen den Ge- schlechtern von 1 : 37 (Männer : Frauen) (9). Für Jun- gen ist der Gendefekt zumeist bereits in utero letal (10). Weibliche Betroffene zeigen eine große phäno- typische Variabilität. Typische klinische Erscheinun- gen sind Pigmentierungsstörungen. Darüber hinaus entwickeln circa 80 % der Betroffenen eine Multior- ganbeteiligung mit dentalen Defekten, Skelettanoma- lien sowie ZNS-Fehlbildungen mit geistiger Retardie- rung. Ursächlich ist ein Rearrangement des Gens, welches den „nuclear factor kappa B essential modu- lator“ (NEMO-Gen) kodiert (11).

Fallbericht:Frau L., 36 Jahre alt, stellte sich 2006 gemeinsam mit ihrem 37-jährigen Ehemann vor. Die Ratsuchende zeigte, bis auf Zahndefekte und Hautver- änderungen, keine klinischen Zeichen einer Inconti- nentia pigmenti. Das Paar berichtete über zwei männ- liche Totgeburten in der 21. und 26. Schwanger- schaftswoche (1994/1995). Bei beiden Feten wurde eine Mutation im NEMO-Gen, welche Frau L. trägt, nachgewiesen. Im Jahr 2004 kam es nach Stimulation mit Clomifen zu einer Gemini-Gravidität. Die Cho- rionzottenbiopsie zeigte eine Mutation des NEMO- Gens sowohl beim männlichen als auch beim weibli- chen Feten. Aufgrund der fatalen Prognose für den männlichen und der Unsicherheit über die Ausprä- gung der Erkrankung beim weiblichen Feten ließ die Patientin in der zwölften Schwangerschaftswoche ei- ne Abruptio aus medizinisch-sozialer Indikation durch- führen.

Nach Eizellgewinnung konnten neun erste Polkör- per sowie fünf zweite Polkörper untersucht werden.

Zwei erste Polkörper trugen die Mutation, die zweiten Polkörper enthielten Wildtyp-Allele, sodass geschluss- folgert werden konnte, dass die beiden Eizellen höchstwahrscheinlich das Wildtyp-Allel tragen. Beide Eizellen konnten befruchtet und als Embryonen im

Vierzellstadium transferiert werden. Die Patientin wurde schwanger. Die molekulargenetische Untersu- chung nach Chorionzottenbiopsie konnte die Mutati- on beim Feten ausschließen. Frau L. wurde per primä- rer Sectio caesarea in der 39+2 Schwangerschaftswo- che von einem gesunden Jungen entbunden.

Zystische Fibrose

Die auch als Mukoviszidose bezeichnete chronische Stoffwechselerkrankung wird autosomal-rezessiv vererbt. In Deutschland werden jährlich circa 300 Kinder mit zystischer Fibrose geboren (12). Hervor- gerufen durch eine Mutation des CFTR-Gens („cy- stic-fibrosis-transmembrane-regulator“) kommt es zur Fehlfunktion exokriner Drüsen (13). In Deutsch- land ist die delta-F508-Mutation des CFTR-Gens mit 67 % die weitaus häufigste (12). Die Multiorganer- krankung führt zu einem progredienten Verlust der Abbildung:Entnahme des ersten Polkörpers einer menschlichen Eizelle

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Lungenfunktion, exokriner Pankreasinsuffizienz, Be- einträchtigung des Leberstoffwechsels und männli- cher Infertilität. Durch verbesserte Therapieoptionen konnte die durchschnittliche Lebenserwartung der zuvor meist schon im Kindesalter letal verlaufenden Erberkrankung auf durchschnittlich 37 Jahre gestei- gert werden (14).

Fallbericht: Frau U. (29 Jahre) stellte sich 2006 mit ihrem 38-jährigen Ehemann in der Kinderwunsch- sprechstunde vor. Voruntersuchungen wegen unerfüll- ten Kinderwunsches hatten beim Ehemann eine Azoospermie bei kongenitaler bilateraler Aplasie des Vas deferens gezeigt, welche häufig auf Mutationen im CFTR-Gen zurückzuführen ist. Die molekularge- netische Untersuchung bestätigte den Verdacht einer Heterozygotie für zystische Fibrose mit der Mutation delta-F508 bei Herrn U. Auch die Diagnostik der Ehe- frau ergab eine Heterozygotie für delta-F508. Die Fa- milienanamnese des Paares war hinsichtlich zysti- scher Fibrose unauffällig.

Nach ovarieller Stimulation und Eizellgewinnung standen 15 erste und acht zweite Polkörper für die Diagnostik der delta-F508-Mutation zur Verfügung.

Bei einer Eizelle zeigte der erste Polkörper die Muta- tion delta-F508, der zweite Polkörper den Wildtyp.

Zwei weitere erste Polkörper waren heterozygot für delta-F508. Die zweiten Polkörper zeigten die Mutation. Insofern konnte sichergestellt werden, dass die Heterozygotie in den ersten Polkörpern Folge ei- nes „crossing-over“ während der ersten Reifeteilung gewesen ist. Es konnte gefolgert werden, dass in diesen drei Eizellen das Wildtyp-Allel vorliegen müs- se. Nach Befruchtung wurden zwei Embryonen im Vierzellstadium in die Gebärmutter transferiert. Frau U. wurde schwanger und entwickelte ein schweres, hospitalisierungsbedürftiges ovarielles Überstimula- tionssyndrom. Unter Infusionstherapie und Antiko- agulation waren die Symptome allerdings rasch rück- läufig. Die Analyse der fetalen DNA nach Chorionzot- tenbiopsie schloss das Vorliegen einer delta-F508- Mutation beim Feten aus. Frau U. wurde in der 39+3 Schwangerschaftswoche per primärer Sectio caesarea von einem gesunden männlichen Neugeborenen ent- bunden.

Spinale Muskelatrophie

Die spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine autoso- mal-rezessive, neuromuskuläre Erkrankung, hervor- gerufen durch eine Mutation der telomerischen Regi- on des SMN1-Gens („survival-motor-neuron-gene 1“) (15). Die Veränderung führt zu einer Degeneration des α-Motoneurons im Vorderhorn des Rückenmarks mit progressiver, symmetrischer Muskelschwäche und -atrophie (16). Die SMA tritt mit einer Inzidenz von etwa einem Fall auf 6 000 bis 10 000 Neugebore- ne auf (17). Abhängig vom Alter bei Manifestation und Ausprägung der neuromuskulären Symptome er- folgt die Einteilung in vier Typen. Der SMA Typ I (Werdnig-Hoffmann, infantile Form) manifestiert sich innerhalb der ersten sechs Lebensmonate und

verläuft innerhalb der ersten Lebensjahre letal (16).

Trotz vielversprechender neuer Therapieoptionen gilt die SMA weiterhin als unheilbar (18).

Fallbericht:Die 30-jährige Frau B. stellte sich mit ihrem 34-jährigen Ehemann aufgrund einer Heterozy- gotie für SMA bei beiden Partnern vor. Die Patientin hatte 2003 eine Fehlgeburt in der neunten Schwanger- schaftswoche erlitten, eine humangenetische Untersu- chung des Abortgewebes war nicht erfolgt. Im Jahr 2004 kam es zur Geburt eines Sohnes. Im Verlauf der ersten Lebenswochen fiel den Eltern eine zunehmen- de Muskelhypotonie und eingeschränkte Bewegung ihres Kindes auf. In der sechsten Lebenswoche wurde die Diagnose SMA Typ I gestellt. Das Kind verstarb im sechsten Lebensmonat. Die Familienanamnese von Frau B. ergab, dass ihre Tante mütterlicherseits in einer konsanguinen Ehe zwei Kinder geboren hatte, welche an SMA verstorben waren. Die Mutter der Pa- tientin hatte eine Totgeburt erlitten. Die Famili- enanamnese von Herrn B. wies zwei nicht geklärte Totgeburten der Schwester auf.

Für die PKD standen nach ovarieller Stimulation 22 erste und 14 zweite Polkörper von insgesamt 25 Ei- zellen zur Verfügung. Fünf erste Polkörper zeigten eine Heterozygotie im SMN1. Die dazugehörigen zweiten Polkörper waren hemizygot für das SMN1, sodass mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Eizellen das Wildtyp-Allel vorlag. Allerdings kam es bei zwei- en der zweiten Polkörper zu einem „allele dropout“

bei der PCR, sodass diese Zellen nicht zum Transfer freigegeben werden konnten. Die weiteren Eizellen trugen nach molekulargenetischer Analyse mit hoher Wahrscheinlichkeit die Mutation oder wurden vom Transfer ausgeschlossen, da jeweils nur der erste Pol- körper zur Analyse bereitstand. So konnte bei Hetero- zygotie keine sichere Aussage über den Genstatus der Eizelle getroffen werden. Schlussendlich konnten mit hoher diagnostischer Sicherheit nur drei von 25 Eizel- len zur Befruchtung freigegeben werden. Frau B. wur- den zwei Embryonen im Vierzellstadium transferiert, sie wurde nicht schwanger.

Das Paar entschloss sich zu einem weiteren IVF-Zyklus. Nach der Eizellgewinnung standen 15 erste und 13 zweite Polkörper für eine PKD zur Verfü- gung. Es wurden vier Oozyten als Wildtyp-Allel-tra- gend diagnostiziert. Der Patientin wurden drei Em- bryonen im Vierzellstadium transferiert. Es konnte keine Schwangerschaft erzielt werden. Das Paar sah sich trotz weiterhin bestehendem starkem Kinder- wunsch aus physischen und psychischen Gründen nicht mehr in der Lage, sich weiteren IVF-Zyklen mit PKD zu unterziehen.

Diskussion

Für Anlageträger monogener Erkrankungen in Deutschland mit Wunsch nach präkonzeptioneller Diagnostik ist die PKD die einzige Möglichkeit eine Schwangerschaft zu erwägen, ohne das große psychi- sche und physische Trauma eines medizinisch indu- zierten Aborts oder eines intrauterinen Fruchttodes

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gegebenenfalls auf sich nehmen zu müssen. Die Fall- berichte sollen zeigen, dass betroffene Paare häufig bereits eine langwährende Erfahrung mit der Erkran- kung und einen langen Leidensweg hinter sich haben und sich nicht leichtfertig für die Durchführung einer PKD entscheiden. Gezeigt wird aber auch, dass sich viele Paare der Belastung durch die aufwendige Be- handlung nicht längerfristig gewachsen sehen und nur einen Behandlungszyklus absolvieren (Tabelle 1).

Dies, obwohl die Wahrscheinlichkeit einer Lebendge- burt pro Behandlungszyklus als gut zu werten ist, nicht zuletzt da die Mehrzahl der Paare a priori normal fertil ist.

Die finanziellen Kosten die für eine Polkörper- diagnostik anfallen, werden in der Regel von den gesetzlichen Krankenkassen im Gegensatz zur präna- talen Diagnostik und medizinisch induzierten Aborten nicht übernommen. Die Durchführung der PKD bei den hier berichteten Fällen konnte durch Forschungs- gelder finanziert werden. Die tatsächlichen Kosten einer Polkörperdiagnostik würden für die betroffenen Paare eine große finanzielle Hürde darstellen, sodass eine „Schwangerschaft auf Probe“ der einzig gangba- re Weg für die Mehrzahl der Paare mit monogenen Erkrankungen bleibt, die sich aus sozialen oder psy- chischen Gründen gegen ein Leben mit einem Kind mit einer schwerwiegenden Erkrankung entscheiden würden.

Paternal vererbte dominante Erkrankungen können durch PKD nicht diagnostiziert werden. Auch kommt es bei der Diagnostik im Rahmen autosomal-rezessi- ver Erkrankungen zum Verwerfen von Eizellen, die die entsprechende Mutation tragen, die aber bei Be- fruchtung durch ein Wildtypallel-tragendes Spermi- um zu nicht von der Krankheit betroffenen Embryo- nen geführt hätten. Dies sind schwerwiegende Ein- schränkungen für die Diagnostik monogener Erkran- kungen mittels PKD.

Die PID hat diese Nachteile nicht. Deshalb wird bei vergleichbarem methodischem, finanziellem, zeitli- chem Aufwand und gesundheitlichen Risiken durch die IVF-Behandlung die Polkörperdiagnostik für mo- nogene Erkrankungen in anderen europäischen Län- dern praktisch nicht angewandt (2, 5). Im jüngsten Bericht des „Preimplantation-Genetic-Diagnosis-Kon- sortiums“ der Europäischen Gesellschaft für Repro- duktionsmedizin und Embryologie werden weltweit lediglich 500 Behandlungszyklen der PID für mono- gene Erkrankungen für das Jahr 2005 dokumentiert (19). Auch wenn keine Gewähr dafür besteht, dass al- le PID-Zyklen weltweit vollständig im PGD-Konsor- tium erfasst werden, so scheint es doch so zu sein, dass einer der ursprünglich geäußerten Vorbehalte gegen die PID, nämlich den der ausufernden Anwen- dung, ohne Grundlage ist. Die Autoren der vorliegen- den Arbeit plädieren für Forschungsbemühungen, die die Polkörperdiagnostik einfacher, sicherer, und effi- zienter machen, und für eine finanzielle Unterstüt- zung von betroffenen Paaren, um den Zugang zur Polkörperdiagnostik zu erleichtern.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 5. 1. 2009, revidierte Fassung angenommen: 17. 3. 2009

LITERATUR

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KLINISCHE KERNAUSSAGEN

Es gibt nur zwei PKD-Zentren für monogene Erkrankun- gen in Deutschland.

Bisher sind in Deutschland erst wenige IVF-Behandlun- gen mit PKD durchgeführt worden.

Die Wahrscheinlichkeit einer Lebendgeburt liegt, entsprechend den vorliegenden Zahlen aus Tabelle 1, bei rund 30 % pro Behandlungszyklus.

Die PKD ist aufwendig und unterliegt methodischen Einschränkungen, sodass die Paare kritisch über mögli- che Belastungen und Risiken der Behandlung aufgeklärt werden müssen.

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Anschrift für die Verfasser PD Dr. med. Georg Griesinger, M.Sc.

Universität zu Lübeck und UKL – Universitäres Kinderwunschzentrum Lübeck Zentrum für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein

Medizinisches Versorgungszentrum Ambulanzzentrum des UK-SH GmbH Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck

E-Mail: kinderwunsch@uk-sh.de

SUMMARY P

Poollaarr BBooddyy BBiiooppssyy iinn tthhee DDiiaaggnnoossiiss ooff MMoonnooggeenniicc DDiisseeaasseess——BBiirrtthh ooff TThhrreeee HHeeaalltthhyy CChhiillddrreenn

Background: For prospective parents at risk of transmitting a mono- genic disease, polar body analysis is an option for pre-conception genetic diagnosis. In Germany, polar body analysis is currently per- formed in only two centers (Lübeck and Regensburg).

Methods: The authors present a clinical series of 9 couples at risk for the transmission of a monogenic disease who underwent in vitro fertilization with polar body analysis.

Results: Nine couples have undergone in vitro fertilization with polar body analysis at the center in Lübeck since 2004. Three healthy children were born after polar body analysis for mucopolysaccharidosis type I, incontinentia pigmenti, and cystic fibrosis. The decision to undergo in vitro fertilization with polar body analysis is not easy for prospective parents to take, even though it often follows years of emotional suffering. Treatment with the methods of reproductive medicine in general, and with polar body analysis in particular, can cause considerable physical and emotional stress.

Conclusions: For prospective parents in Germany at risk of transmit- ting a monogenic disease, polar body-based preimplantation diagno- sis is an alternative to prenatal diagnosis and possible termination of pregnancy. The live birth rate per treatment cycle in this clinical series was 30%, which can be considered satisfactory. Nonetheless, most of the couples who did not achieve pregnancy after a first treatment cy- cle dropped out of treatment prematurely and did not go on to a se- cond cycle.

Dtsch Arztebl Int 2009; 106(33): 533–8 DOI: 10.3238/arztebl.2009.0533 Key words: polar body, preimplantation diagnosis, prenatal diagnosis, in vitro fertilization, infertility

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de

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Sechs Gründe, wissenschaftliche Übersichts- und Originalarbeiten im Deutschen Ärzteblatt zu publizieren

1

1.. DDiiee RReeiicchhwweeiittee ddeess DDeeuuttsscchheenn ÄÄrrzztteebbllaatttteess

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Alle Beiträge im Deutschen Ärzteblatt sind im Internet frei zugänglich (open access). Dies gilt für die deutsche und für die englische Fassung.

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