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Archiv "Pädiatrie: Rezeptfreie Antihistaminika bergen Risiken für Kleinkinder" (14.09.2012)

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A 1822 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 37

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14. September 2012

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ntihistaminika der ersten Ge- neration (AH1G), die im frei- en Verkauf in Apotheken erhältlich sind, bergen als Hypnotika und Se- dativa für Kinder und Jugend - liche zahlreiche Sicherheitsrisiken.

Ihre Verwendung sollte daher einge- schränkt werden, fordert die Kom- mission für Arzneimittelsicherheit im Kindesalter (KASK) der Deut- schen Gesellschaft für Kinder- und

Jugendmedizin in einem aktuellen Positionspapier.

Antihistaminika der ersten Ge - neration (zum Beispiel Doxyla- min, Diphenhydramin, Dimenhy- drinat [Diphenhydramin-Theophyl- linat], Promethazin) sind als Anti - emetika und – in Kombination mit anderen Wirkstoffen – in Husten- und Erkältungspräparaten weit ver- breitet. Da ihre sedierende Wirkung allgemein bekannt ist, kann man davon ausgehen, dass diese Produk- te ebenfalls zur Beruhigung bezie- hungsweise auch zur Ruhigstellung

außerhalb ihrer Zulassung (off-la- bel use) eingesetzt werden – auch von Haus- und Allgemeinärzten.

Pädiatrische Pharmakologie: Ne- ben der antihistaminischen und an - tiallergischen Wirkung entfalten AH1G zentralnervöse und anticho - linerge (antimuskarinerge) Wirkun- gen. Während die Hemmung des pe- ripheren H1-Rezeptors die allergi- sche Symptomatik unterdrückt, ver-

ursacht die Blockade der zerebra- len H1-Rezeptoren zentralnervöse Symptome. Dadurch tritt bereits bei üblicher Dosierung ein ausgeprägter und langandauernder (> 24 Stun- den) sedierender Effekt ein, der bei älteren Kindern zu Tagesmüdigkeit, Benommenheit, Konzentrationsstö- rungen, bei toxischer Dosis sogar zu Halluzinationen und Krämpfen füh- ren kann. Bei Säuglingen ist dage- gen vermehrt mit zentralen Atem- störungen und – im ungünstigsten Fall – mit einem kardiorespiratori- schen Kollaps zu rechnen.

Die anticholinerge, Atropin-ähn- liche (Neben-)Wirkung ist nicht nur für die erwünschte antiemeti- schen Wirkung, sondern auch für häufig zu beobachtende uner- wünschte Mundtrockenheit, Sekret- eindickung (cave: obstruktive Atem- störung!), Blasenentleerungsstörung, Obstipation, tachykarde Herzrhyth- musstörung (QT-Zeitverlängerung) und unter Umständen für das zen- trale anticholinerge Syndrom ver- antwortlich zu machen.

Nach Angabe der Fachinformati- on sind vor allem Kinder bei ei- ner Dimenhydrinatvergiftung durch eine zentrale Vagusblockade le- bensbedrohlich gefährdet.

Aus diesen Gründen wurden für die Behandlung von Allergien die AH1G weitgehend durch neuere, nicht sedierende H1-Rezeptorant - agonisten ersetzt. Aber wegen der sedierenden, allgemein zentralner- vös dämpfenden und damit auch antiemetischen Eigenschaft sind diese „Altsubstanzen“ weiterhin in verschiedenen Darreichungsformen verfügbar. Für Kinder ab dem sechs- ten Lebensmonat können beispiels- weise ohne Rezept in den Apotheken erworben werden:

Doxylamin als Sedaplus® Saft oder als Mereprine® Sirup zur Be- handlung von Unruhe, Erregungszu- ständen und Schlafstörungen

Diphenhydramin sowie Di- menhydrinat mit der ausgeprägtes- ten antimuskarinergen Wirkung als Emesan® Kinderzäpfchen bezie- hungsweise als Vomex A® Saft und Vomacur/Vomex A® Suppositorien zur symptomatischen Behandlung von Übelkeit und Erbrechen

Doxylamin mit Extrakten von Weißdorn, Mistel, Passionsblume, Hopfen und Hafer in dem (harm- PÄDIATRIE

Rezeptfreie Antihistaminika bergen Risiken für Kleinkinder

Für eine Reihe von Präparaten mit Antihistaminika der ersten Generation fordert die Kommission für Arzneimittelsicherheit im Kindesalter der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin die Rezeptpflicht.

Problembewusst- sein stärken: Ärz- te und Apotheker sollten Eltern ver- mehrt über die möglichen Risiken von Antihistaminika der ersten Genera -

tion aufklären.

Foto: mauritius images

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14. September 2012 A 1823 los erscheinenden) pflanzlichen

Saft Curatan nach E. Gallner als Se- dativum

Doxylamin, Ephedrin, Dex- trometorphan und Paracetamol in Wick MediNait® Erkältungssirup

Kombinationsprodukte mit zentral wirksamen Substanzen Das ungünstige Nutzen-Risiko-Ver- hältnis der AH1G-Monosubstanzen wird durch die Komedikation mit weiteren zentral-wirksamen Substan- zen (Dextromethorphan, Ephedrin) in Kombinationsprodukten zusätz- lich negativ beeinflusst (CYP2D6- Stoffwechselweg). Erschwerend kommt hinzu, dass der CYP2D6- Metabolismus nicht nur einen deut- lichen genetischen Polymorphis- mus aufweist, sondern im ersten Lebensjahr auch einem funktio - nellen Reifungsprozess unterwor- fen ist. Erwachsenen werden die

„Alt-Antihistaminika“ wegen ihres ungünstigen Nebenwirkungsprofils nicht mehr empfohlen.

Angesicht der vielfältigen offe- nen Fragen zur Pharmakokinetik und -dynamik der AH1G stellt sich die Frage, welche Daten zur Wirk- samkeit und Verträglichkeit die Hersteller beim Abschluss der Nachzulassung im Jahre 2005 dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vorgelegt haben.

In den Jahrzehnten zuvor hatte man aus missverstandener Rück- sichtnahme auf die Durchführung von aussagekräftigen Zulassungs- studien bei Kindern (insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern) verzichtet.

Zum jetzigen Zeitpunkt, in dem die Hersteller nicht mehr in der Pflicht zu stehen scheinen, ist es we- sentlich schwieriger, belastbare Hin- weise oder gar Beweise zur Bedenk- lichkeit dieser Wirkstoffgruppe bei Kleinkindern in Deutschland zusam- menzutragen. Dies gilt vor allem für den missbräuchlichen Einsatz.

Die Ein- bis Dreijährigen sind aus zweierlei Gründen vor AH1G- haltigen Arzneimitteln besonders zu schützen: In dieser frühen Ent- wicklungsphase reagieren Kinder allgemein auf ZNS-wirksame Wirk- stoffe (Morphin, Nikotin, GABAer- ge Antikonvulsiva) gesteigert mit

Atemdepression und Krämpfen, mit

„paradoxen“ Reaktionen wie Unru- he und Erregung sowie mit einer ge- steigerten Neurotoxizität mit Spät- folgen für die weitere zerebrale Ent- wicklung. Erst jenseits des zweiten Lebensjahrs, wenn die von caudal nach rostral fortschreitende zere - brale Entwicklung ihren Höhepunkt überschritten hat, nimmt diese er- höhte Vulnerabilität ab (6).

Zudem sind Ein- bis Dreijährige wegen hoher Prävalenz an Atem- wegsinfektionen (sechs pro Jahr), die meist von Unruhe, Husten und Erbrechen begleitet sind, am stärks- ten mit AH1G-haltigen Arzneimit- teln exponiert. Während die sedie- rende Wirksamkeit gut belegt ist, ist der Nutzeffekt bezüglich der sym - ptomatischen Behandlung der Atem- wegsinfekte wissenschaftlich eher widerlegt. Ähnliches trifft für die Antibiotikaverordnungen zu, die häufig (80 Prozent) nicht indiziert sind. Beide Phänomene werden of- fensichtlich durch die enorme Er- wartungshaltung seitens der unter Druck stehenden Eltern verursacht.

In den letzten Jahren mehren sich die Bedenken vor allem, wenn Kleinkinder AH1G-haltige Husten- und Erkältungsmittel einnehmen.

So wird zunehmend gefordert, auf- grund sorgfältiger Anamneseerhe- bung gezielt toxikologische Unter- suchungen vorzunehmen und neben der unbeabsichtigten auch die be -

absichtigte Überdosierung in Erwä- gung zu ziehen.

In den USA mussten die Centers of Disease Control and Prevention bei den Berichten über Notaufnah- men von Vergiftungsfällen mit Hus- ten und Erkältungsmitteln im Jahr 2008 bei circa 50 Prozent der be- troffenen Kinder unter zwei Jahren als naheliegende Erklärung für die Intoxikation von einer beabsichtig- ten Überdosierung durch den Be- treuer ausgehen.

Zurzeit werden in Deutschland leider aber nur im Ausnahmefall bei plötzlichem Kindstod und ande- ren ungeklärten Todesursachen im Säuglings- und Kleinkindalter to - xikologische Untersuchungen, die auch die AH1G-haltigen-Husten- mittel einbeziehen, vorgenommen;

dies obwohl in einem hohen Pro- zentsatz respiratorische Infektionen mit Hustenproblemen vor dem Tod angegeben werden (7).

Hoher Prozentsatz von

„Under-Reporting“

Diese toxikologische Unterbewer- tung mag auch dadurch bedingt sein, dass diese leicht verfügbaren OTC-Produkte als harmlos betrach- tet wurden und werden. In der Tat liegt in Deutschland nur wenig be- lastendes Datenmaterial vor. Es ist aber davon auszugehen, dass neben der geringen toxikologischen Unter- suchungsrate in der Rechtsmedizin auch mit einem hohen Prozentsatz von „Under-Reporting“ bei den für Arzneimittelsicherheit zuständigen Institutionen zu rechnen ist (1–5).

In Frankreich sind AH1G -haltige Arzneimittel wegen des ungünsti- gen Nutzen-Risiko-Verhältnisses für Säuglinge und Kleinkinder bereits kontraindiziert (8). Und in den USA ist der Vertrieb von AH1G- haltigen Kombinationsprodukten ge- gen Husten- und Erkältungskrank- heiten bei Kindern unter vier (sechs) Jahren eingestellt worden.

Diese Vorgehensweise sollte auch in Deutschland erfolgen.

Prof. Dr. med. Hannsjörg W. Seyberth für die Kommission für Arzneimittelsicherheit im Kindesalter der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/3712

Steigerung des Problembewusstseins und der UAW- Melderate bei Ärzten, Apothekern und Eltern durch Aufklä- rungsinitiativen in Fachzeitschriften und der Laienpresse.

Kooperation zwischen den Zulassungsbehörden, Arzneimittelkommissionen, Gerichtsmedizinern, Giftin - formationszentralen, Kostenträgern und Arzneimittelher- stellern zur Erstellung einer besseren Datenlage in Deutschland.

Erfassung der AH1G-Umsätze ähnlich wie bei der KiGGS- Erhebung, die ergab, dass in den letzten Jahren der Antibiotikaverbrauch bei Kindern gestiegen ist.

Erweiterung der Fachinformation, Begrenzung der Packungsgröße und Rezeptpflicht für Kinder/Jugendliche.

Vor Vollendung des dritten Lebensjahr sollten alle AH1G- haltigen Arzneimittel nur noch nach einer gründli- chen Nutzen-Risiko-Abwägung von Kinder- und Jugend- ärzte verordnet werden können.

MASSNAHMENKATALOG

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LITERATURVERZEICHNIS HEFT 37/2012 ZU:

PÄDIATRIE

Rezeptfreie Antihistaminika bergen Risiken für Kleinkinder

Für eine Reihe von Präparaten mit Antihistaminika der ersten Generation fordert die Kommission für Arzneimittelsicherheit im Kindesalter der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin die Rezeptpflicht.

LITERATUR

1. Baker AM, Johnson DG, Levisky JA, Hearn WL, Moore KA, Levine B, Nelson SJ: Fatal diphenhydramine intoxication in infants. J Forensic Sci 2003; 48: 425–8.

2. Vennemann B, Bajanowski T, Karger B, Pfeiffer H, Köhler H, Brinkmann B: Suffoca- tion and poisoning—the hard-hitten sode of Munchausen syndrome by proxy. Int J Legal Med 2005; 119: 98–102.

3. Wingert WE, Mundy LA, Collins GL, Chmara ES: Possible role of pseudoephendrine and other over-the-counter cold medications in death of very young children. J Forensic Sci 2007; 52: 487–90.

4. Rimsza ME, Newberry S: Unexpected infant death associated with use of cough and cold medications. Pediatrics 2008; 122:

318–22.

5. Dart RC, Paul IM, Bond GR, Winston DC, Manoguerra AS, Palmer RB, Kauffman RE, Banner W, Green JL, Rumack BH: Pediatric fatalities associated with over the counter cough and cold medications. Ann Emerg Med 2009; 53: 411–7.

6. Seyberth HW, Kauffman RE: Basics and dy- namics of neonatal and pediatric pharma- cology. Handb Exp Pharmacol 2011; 205:

3–49.

7. Findeisen M, Vennemann M, Brinkmann B, Ortmann C, Röse I, Köpcke W, Jorch G, Ba- janowski T: German study on sudden infant death (GeSID): design, epidemiology and pathological profile. Int J Legal Med 2004;

118: 163–9.

8. Report of Commission nationale de phar- macovigilance at Afssaps, Mai 2010;

ansm.sante.fr/var/ansm_site/storage/origi nal/application/

18773e236e1d85d687a28d6e2f44878d.

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