• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Hemispasmus facialis" (12.10.2012)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Hemispasmus facialis" (12.10.2012)"

Copied!
7
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

ÜBERSICHTSARBEIT

Hemispasmus facialis

Konservative und operative Therapieoptionen

Christian Rosenstengel, Marc Matthes, Jörg Baldauf, Steffen Fleck, Henry Schroeder

ZUSAMMENFASSUNG

Hintergrund: Beim Hemispasmus facialis besteht eine Bewegungsstörung der vom Nervus facialis innervierten Muskulatur. Dadurch kommt es zu unwillkürlichen kurzen oder auch länger anhaltenden Kontraktionen der Gesichts- muskulatur. Die Prävalenz für diese Erkrankung liegt bei etwa 11 pro 100 000 Einwohner. Die lange Anamnesedauer von durchschnittlich 8,2 Jahren im eigenen Patienten - kollektiv sowie die Tatsache, dass mehr als 50 % der Patienten durch eigene Initiative von der operativen Behandlungsmöglichkeit erfuhren, bewog die Autoren, diesen Artikel zu verfassen. Der Beitrag zielt darauf, mehr Aufmerksamkeit für diese Erkrankung zu erreichen.

Methoden: Diese Übersichtsarbeit basiert auf einer selektiven Literaturrecherche und der wissenschaftlichen Analyse des eigenen Patientenkollektivs.

Ergebnisse: Der Hemispasmus facialis wird meist durch eine arterielle Kompression des Nervus facialis im Bereich der Nervenaustrittszone aus dem Hirnstamm verursacht.

Bei 85−95 % der Patienten führt die lokale Botulinum - toxin-Injektion zu einer deutlichen bis mäßiggradigen Be- schwerdelinderung, wobei diese Behandlung in Abständen von 3–4 Monaten wiederholt werden muss. Alternativ be- steht die Möglichkeit der mikrovaskulären Dekompressi- onsoperation mit einer Erfolgsrate von circa 85 %.

Schlussfolgerungen: Die lokale Botulinumtoxin-Injektion ist eine gut verträgliche und risikoarme symptomatische Therapie zur Behandlung des Hemispasmus facialis. Lang- fristige Beschwerdefreiheit lässt sich jedoch nur durch die mikrovaskuläre Dekompression erreichen. Bei diesem Ver- fahren handelt sich um einen relativ risikoarmen Eingriff, der mit einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit einhergeht.

►Zitierweise

Rosenstengel C, Matthes M, Baldauf J, Fleck S, Schroeder H: Hemifacial spasm—conservative and surgical treatment options. Dtsch Arztebl Int 2012;

109(41): 667−73. DOI: 10.3238/arztebl.2012.0667

B

eim Hemispasmus facialis handelt es sich um eine Bewegungsstörung der vom Nervus facia- lis innervierten Muskulatur. Durch diese Bewe- gungsstörung kommt es zu unwillkürlichen kurzen oder auch länger anhaltenden Kontraktionen der Ge- sichtsmuskulatur. Obwohl die Krankheit keine le- bensbedrohlichen Folgen hat, leiden die Betroffenen häufig immens und ziehen sich sozial mehr und mehr zurück. Dieser erhebliche psychosoziale Stress er- fordert eine zeitnahe Diagnostik und Therapie.

Die lange Anamnesedauer von durchschnittlich 8,2 Jahren im eigenen Patientenkollektiv sowie die Tatsa- che, dass mehr als 50 % dieser Patienten durch eigene Initiative von der operativen Behandlungsmöglich- keit erfuhren, hat die Autoren bewogen, diesen Arti- kel zu verfassen. Der Beitrag zielt darauf, mehr Auf- merksamkeit für diese Erkrankung zu erreichen.

In dieser Arbeit werden die klinischen Charakte- ristika der Erkrankung, Differenzialdiagnosen, das diagnostische Vorgehen und die möglichen Therapie- formen erörtert. Neben der etablierten symptomati- schen Therapie in Form von lokalen Botulinumto- xin-Injektionen soll vor allem auf die Möglichkeit der mikrovaskulären Dekompression eingegangen werden, da diese nach wie vor die einzige dauerhafte und kausale Therapieoption darstellt.

Methoden

Diese Übersicht basiert auf einer selektiven Litera- turrecherche und der wissenschaftlichen Analyse des eigenen Patientenkollektivs. In der Literaturrecher- che wurden vorwiegend Studien der letzten 20 Jahre berücksichtigt, die größere Serien mit mehr als 50 Patienten beschreiben.

Epidemiologie

Zum Krankheitsbild des Hemispasmus facialis lie- gen nur wenige epidemiologische Daten vor. In einer Untersuchung wurden die Daten von Patienten in Olmsted County, Minnesota, aus den Jahren 1960–1984 ausgewertet (1). Die mittlere jährliche Inzidenz lag bei 0,81 pro 100 000 bei Frauen und 0,74 pro 100 000 bei Männern. Die mittlere Präva- lenz betrug dabei 11 pro 100 000 Einwohner in der Gesamtpopulation. Frauen erkrankten mit einer Häu- figkeit von 14,5 pro 100 000 und Männer mit einer Häufigkeit von 7,4 pro 100 000. Damit lag die Ge-

Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie der Universität Greifswald:

Dr. med. Rosenstengel, M. Sc. Matthes, Dr. med. Baldauf, Dr. med. Fleck, Prof. Dr. med. Schroeder

(2)

schlechterverteilung bei 2 : 1. In Deutschland muss deshalb mit einer Prävalenz von 8 000 bis 9 000 Er- krankten gerechnet werden

Vergleichbare Ergebnisse erbrachte eine Untersu- chung aus Oslo, Norwegen (2). Unterschiede ergaben sich jedoch in der Altersverteilung bei den erkrankten Patienten. Lag der Altersgipfel mit der höchsten Präva- lenz in der amerikanischen Studie zwischen 40 und 59 Jahren, ergab die norwegische Untersuchung eine steti- ge Zunahme der Prävalenz mit dem Alter bis auf einen maximalen Wert von 39,7 pro 100 000 in der Gruppe der über 70-Jährigen. Das mittlere Alter bei Erkran- kungsbeginn betrug in der norwegischen Untersuchung 54 Jahre. Nur bei circa 1–6 % aller Patienten mit einem Hemispasmus facialis lag das Alter bei Erkrankungsbe- ginn unter 30 Jahren (3). Im eigenen Patientenkollektiv ist ebenfalls ein häufiges Auftreten bei Frauen zu ver- zeichnen (Frauen 60 %, Männer 40 %) (Tabelle).

Eine familiäre Häufung ist bei dieser Erkrankung sehr selten (4). Die Prävalenz des bilateralen Hemi- spasmus facialis wird mit circa 2,6 % der Fälle ange- geben (5). In der eigenen Serie gab es bisher keinen Patienten mit einer bilateralen Symptomatik.

Klinisches Bild, Differenzialdiagnosen

Der Hemispasmus facialis ist charakterisiert durch progrediente, unwillkürliche, unregelmäßige, kloni- sche oder tonische Bewegungen der vom Nervus fa- cialis versorgten Muskulatur (6). Typischerweise sind diese Symptome streng einseitig lokalisiert. Am Beginn der Erkrankung stehen oft unwillkürliche Zuckungen im Bereich des Musculus orbicularis oculi, die sich dann schrittweise auf andere Teile der betroffenen Gesichtshälfte ausdehnen. In ausgepräg- ten Fällen ist auch das Platysma mitbetroffen (Abbil- dung 1). Beim überwiegenden Anteil der Patienten persistiert die Symptomatik auch während des Schla- fes (6). Fünf der eigenen Patienten klagten zusätzlich über ein „Knacken“ im Ohr, das durch Kontraktio- nen des Musculus stapedius erklärt werden kann.

Die am Hemispasmus facialis erkrankten Patien- ten leiden in erster Linie unter dem damit verbunde- nen psychosozialen Stress. Ausgeprägte Spasmen des Musculus orbicularis oculi können außerdem zu einer Beeinträchtigung des binokularen Sehens füh- ren, das zum Beispiel beim Lesen und Autofahren benötigt wird (7). Akzentuiert wird die Symptomatik oftmals durch psychische Anspannung und beim Sprechen. Bei vielen Patienten tritt nach jahrelanger Erkrankung zusätzlich eine leichtgradige Facialispa- rese auf. Im Gegensatz zur Situation bei anderen Be- wegungsstörungen sind psychopathologische Auffäl- ligkeiten, wie zum Beispiel Angststörungen, bei Pa- tienten mit einem Hemispasmus facialis nicht häufi- ger als in der Normalbevölkerung anzutreffen (8).

Als schwierig bei der Diagnostik des Hemispas- mus facialis kann sich bisweilen die Abgrenzung zu anderen Bewegungsstörungen des cranio-zervikalen Bereichs erweisen. Die Differenzialdiagnosen der Erkrankung umfassen hauptsächlich

TABELLE

Daten aus dem eigenen Patientenkollektiv (insgesamt 110 Patienten mit 116 mikrovaskulären Dekompressionsoperationen, 83 Patienten mit einem Follow- up von mehr als 6 Monaten)

Geschlechterverteilung Frauen

Männer

Durchschnittsalter (Jahre) Frauen

Männer betroffene Seite links

rechts

mittlere Beschwerdedauer (Jahre) Follow-up

vollständig beschwerdefrei Reduktion der Spasmen um > 90 % Reduktion der Spasmen um > 50 % keine Besserung

Komplikationen (bei insgesamt 116 Operationen) permanente Anakusis

persistierender Schwindel temporäre, verzögerte Facialisparese

69 41

(62,7 %) (37,3 %)

72 38

56,6 55,9 57,6

8,1

> 6 Monate (83 Pat.) 69,9 %

13,3 % 10,8 % 6,0 %

> 18 Monate (40 Pat.) 77,5 %

10,0 % 2,5 % 10,0 %

2 % 1 % 3 %

Abbildung 1:

Patientin mit einem ausgeprägten rechtsseitigen Hemispasmus facialis.

Gut zu erkennen ist das mitbetroffene Platysma.

(3)

den Blepharospasmus

die oromandibuläre Dystonie

den Facialis-Tic

hemimastikatorische Spasmen

fokale Anfälle

die Synkinesien nach einer Facialislähmung (6).

Im Gegensatz zur streng einseitigen Symptomatik beim Hemispasmus treten beim Blepharospasmus beidseitig unwillkürliche, meist synchrone, symme- trische Kontraktionen der Augenlider auf. Die oro- mandibulare Dystonie zeigt sich in unwillkürlichen, repetitiven, anhaltenden Muskelkontraktionen, die vor allem den unteren Teil des Gesichtes, den Mund, den Kiefer, die Zunge und den Pharynx betreffen.

Beim Fazialis-Tic sind die Bewegungsmuster kom- plexer, koordiniert, multifokal und wechseln oft zwi- schen rechter und linker Seite. Im Unterschied zum Hemispasmus lassen sich die Tics typischerweise unterdrücken (6). Einfach fokale Anfälle können, wenn sie die Gesichtsmuskulatur betreffen, ebenfalls mit einem Hemispasmus verwechselt werden. Bei hemimastikatorischen Spasmen handelt es sich um schmerzhafte Kontraktionen der Kaumuskulatur. Bei Synkinesien nach peripherer Facialisparese kommt es ebenfalls zu einer gleichzeitigen Aktivierung ver- schiedener vom Nervus facialis versorgter Muskeln.

Typischerweise tritt diese jedoch nur im Rahmen der Willkürmotorik auf.

Die Diagnosestellung eines Hemispasmus facialis bleibt letztlich einem Spezialisten vorbehalten.

Abbildung 2: Die axial geschichtete CISS-Sequenz zeigt eine Schlinge der Arteria cerebelli inferior anterior (Pfeil A), die den Ner- vus facialis (Pfeil B) am Austritt aus dem Hirnstamm komprimiert.

Abbildung 3: Das endoskopische Bild – aufgenommen mit einer 30°-Optik – zeigt den proxi- malen Anteil des Nervus cochlearis (VIII) sowie den Ner- vus facialis mit sei- ner Root Exit Zone (VII), die von einer Schlinge der Arteria cerebelli inferior posterior (PICA) komprimiert wird (gleicher Patient wie in Abbildung 2).

Ätiologie und Pathophysiologie

Ursächlich für den Hemispasmus facialis ist in den meisten Fällen ein ektatisches oder atypisch verlaufen- des Blutgefäß, das den Nervus facialis im Bereich sei- ner Austrittszone aus dem Hirnstamm komprimiert (9).

Pathoanatomisch weist diese sogenannte Root-Exit-Zo- ne einige Besonderheiten auf: Der Nerv ist in diesem Bereich nur von einer dünnen arachnoidalen Membran umhüllt, ein Epineurium fehlt. Weiterhin gibt es zwi- schen den einzelnen Faszikeln keine bindegewebigen Septen. Außerdem findet man hier die Übergangszone

GRAFIK 1

Die Grafik zeigt die Lokalisation der unteren retrosigmoidalen Kraniotomie (Pfeil)

(4)

wie zum Beispiel Schwannome, Meningeome und Arachnoidalzysten (4, 6). Bestimmte Prozesse im Hirn- stamm können ebenfalls das Erkrankungsbild hervorru- fen. Hierzu zählen beispielsweise Gliome, demyelini- sierende ZNS-Erkrankungen wie die multiple Sklerose oder auch Hirnstamminfarkte. Auch nach einer bell’schen Lähmung beziehungsweise durch eine Ver- letzung des Nervus facialis soll die Symptomatik aus- gelöst werden können (4).

In der eigenen Serie von 102 Patienten ließ sich außer bei zwei Patienten eine klare Kompression der Root- Exit-Zone als Ursache des Hemispasmus lokalisieren.

Diagnostik

Entscheidend für die Diagnosestellung eines Hemi- spasmus facialis ist das klinische Bild. Als ergänzende Verfahren kommen bei der Diagnosefindung die Elek- tromyographie (EMG) (13) sowie die Magnetresonanz- tomographie (MRT) zum Einsatz. Zum Ausschluss pathologischer Veränderungen im Kleinhirnbrücken- winkel, wie zum Beispiel Tumoren oder Hirnstamm - läsionen, ist ebenfalls die MRT hilfreich. Zur Darstellung einer möglichen vaskulären Kompression eignen sich besonders gut hochauflösende T2-gewichtete Sequenzen, wie zum Beispiel eine axial geschichtete CISS-Sequenz (CISS = „constructive interference in steady-state“), da sie Bilder mit hohem Kontrast zwischen Liquor, Nerven und Gefäßen liefern (Abbildung 2).

In den meisten Fällen wird die Kompression durch die Arteria cerebelli inferior posterior (PICA) oder die Arteria cerebelli inferior anterior (AICA) hervorgeru- fen. Seltener sind die Arteria vertebralis (VA) oder eine Kombination dieser Arterien ursächlich. In sehr selte- nen Fällen kann die Kompression auch durch ein venö- ses Gefäß verursacht werden.

Therapie

Da es sich beim Hemispasmus facialis um eine Erkran- kung mit einer relativ niedrigen Inzidenz und Prävalenz handelt, fehlen große Untersuchungen, die die mögli- chen Therapiearten randomisiert und kontrolliert mitei- nander vergleichen. Unbehandelt besteht die Sympto- matik lebenslang, wobei im zeitlichen Verlauf häufig eine Progredienz der Gesichtsspasmen, sowohl in der Intensität und Häufigkeit als auch der Ausdehnung, zu verzeichnen ist. Eine Behandlungsindikation besteht dann, wenn sich der Patient durch die Erkrankung in seiner Lebensqualität beeinträchtigt fühlt oder funktio- nelle Einschränkungen, wie zum Beispiel des Gesichts- feldes, bestehen.

Die Behandlungsmöglichkeiten des Hemispasmus facialis reichen von einer einfachen Wärmeanwendung über die medikamentöse Therapie und Botulinumtoxin- Injektionen bis hin zur mikrovaskulären Dekompressi- onsoperation.

Medikamentöse Behandlung

Bei der medikamentösen Therapie des Hemispasmus facialis werden unter anderem Carbamazepin, Clo- nazepam und Baclofen sowie neuere Antikonvulsiva zwischen zentraler (oligodendroglialer) und peripherer

(schwann‘scher) Myelinisierung (10). All diese Beson- derheiten führen letztlich zu einer erhöhten Vulnerabili- tät und damit gesteigerten Anfälligkeit für Reize, wie zum Beispiel eine Kompression.

Zur Pathogenese des Hemispasmus facialis durch ei- ne vaskuläre Kompression gibt es verschiedene Theo- rien. Nach der „peripheren“ Hypothese kommt es im Bereich der Root-Exit-Zone zu ephaptischen bezie- hungsweise ektopischen Erregungen. Die ephaptische Erregungsleitung wird charakterisiert durch ein patho- logisches Übergreifen von Impulsen zwischen benach- barten Nervenfasern (10–12). Als ektopische Erre- gungsleitung bezeichnet man das spontane Entstehen von Nervenimpulsen im Bereich der Kompressionsstel- le. Im Gegensatz dazu geht die „zentrale Hypothese“

von einer Übererregbarkeit des Facialis-Kerns im Hirn- stamm aus (10, 11). Das relativ hohe durchschnittliche Alter bei Erkrankungsbeginn lässt sich dadurch erklä- ren, dass es im Laufe des Lebens zu progredienten ekta- tischen Veränderungen und Elongationen an den Gefä- ßen im Kleinhirnbrückenwinkel kommen kann. Dies ist besonders häufig bei Patienten mit einem arteriellen Hypertonus. Erst mit der Zeit entsteht so ein Kontakt zwischen Gefäß und Nerv, der die Kompression hervor- ruft. Man nimmt an, dass dies wiederum zu einer foka- len Demyelinisierung führt, die die oben genannten elektrophysiologischen Vorgänge begünstigt.

Weitere, jedoch wesentlich seltenere Ursachen für einen Hemispasmus facialis können alle Arten von Raumforderungen im Kleinhirnbrückenwinkel sein,

Pons V

X XI

IX VII VIII Flocculus

Plexus choroideus Kleinhirn

Hirnstamm GRAFIK 2

Die Grafik zeigt schematisch die anatomischen Verhältnisse im Kleinhirnbrückenwinkel: V = N. trigeminus; VIII = N. cochlearis; VII = N. facialis; IX = N. glossopharyngeus; X = N. vagus;

XI = N. accessorius

(5)

wie zum Beispiel Gabapentin eingesetzt. Der Erfolg ist jedoch meist nur gering, unbeständig und nicht lang anhaltend (6). Daher wird diese Therapie in den meisten Studien als nicht zufriedenstellend bewertet (6, 14) und bleibt der Behandlung von sehr milden Ausprägungsformen der Erkrankung vorbehalten.

Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass einige der eige- nen Patienten unter deutlichen Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Leistungsknick klagten.

Botulinumtoxin

Bei Botulinumtoxin (BTX) handelt es sich um ein Neurotoxin, das die betroffene Muskulatur paraly- siert, indem es die cholinerge Signalübertragung an den präsynaptischen Nervenendigungen irreversibel blockiert (15). Es wird seit den frühen 1980er-Jahren zur lokalen Injektionstherapie des Hemispasmus fa- cialis eingesetzt. Die BTX-Behandlung hat sich seit- dem zum Standard in der symptomatischen Therapie der Erkrankung entwickelt. Bei 85 bis 95 % der Pa- tienten führt diese Behandlung zu einer deutlichen bis mäßiggradigen Beschwerdelinderung (6, 16, 17).

Häufige Nebenwirkungen sind eine temporäre Facia- lisparese (23 %), das Auftreten von Doppelbildern (17 %) sowie eine Ptosis (15 %) (6, 14, 16). Seltener zu beobachten sind Übelkeit, allergische Reaktionen sowie das Auftreten von Antikörpern gegen BTX.

Ein entscheidender Nachteil dieser Therapie liegt in der begrenzten Wirkdauer, weshalb die Injektionen in Abständen von 3–4 Monaten wiederholt werden müssen (6, 14, 17). Es handelt sich hierbei um eine rein symptomatische Therapie. Viele langjährig be- handelte Patienten berichten außerdem von einer Ab- nahme des Wirkeffekts von BTX nach einigen Jahren.

Insgesamt handelt es sich jedoch bei der Botuli- numtoxin-Injektion um eine wenig invasive, neben- wirkungsarme und ambulant durchführbare Mög- lichkeit, die Symptomatik eines Hemispasmus facia- lis effektiv zu lindern.

Für bestimmte Patientengruppen stellt die lokale BTX-Injektion die einzige effektive symptomatische Therapiemöglichkeit dar. Dies ist hauptsächlich dann der Fall, wenn eine operative Therapie nicht in- frage kommt, wie zum Beispiel bei Patienten mit ei- nem hohen Narkoserisiko oder auch bei Erkrankten, bei denen die Symptomatik nicht auf eine vaskuläre Kompression zurückzuführen ist.

Mikrovaskuläre Dekompression

Die mikrovaskuläre Dekompression des Nervus facia- lis ist die einzige kausale Therapiemöglichkeit des He- mispasmus facialis. Ziel der Operation ist es, die der Erkrankung zugrundeliegende vaskuläre Kompression im Bereich der Austrittszone des Nerven aus dem Hirn- stamm zu beseitigen. Der operative Eingriff erfolgt in Allgemeinanästhesie. Um intraoperativ Alterationen des Nervus cochlearis und des Nervus facialis frühzei- tig erkennen zu können, erfolgt die Operation unter kontinuierlichem intraoperativen Neuromonitoring mit Facialis-EMG und akustisch evozierten Potenzialen.

Nach der retrosigmoidalen Kraniotomie (Grafik 1) Abbildung 4: Verschiedene Formen einer vaskulären Kompression.

a: In diesem Fall wird die Kompression durch eine dem Hirnstamm anliegende Vene (V) hervorgerufen. (VII = Nervus facialis, VIII = Nervus cochlearis) b: Hier entsteht die Kompression aus einer Kombination von Arteria vertebralis (VA) und Arteria cerebelli inferior posterior (PICA). (VII = Nervus facialis) c: Die Kompression entsteht hier durch eine Kombination aus Arteria vertebralis (VA), der abgehenden Arteria cerebelli inferior posterior (PICA) sowie der

Arteria cerebelli inferior anterior (AICA).

Abbildung 5: Nach mikrochirurgischem Lösen des Gefäßes vom Nervus facialis wird eine Teflon- watte zwischen Hirnstamm und Ge- fäß platziert, um die vaskuläre Kompres- sion dauerhaft zu unterbinden.

(VII = Nervus facialis, PICA = Arteria cerebelli inferior posterior)

a b c

(6)

wird der Kleinhirnbrückenwinkel freigelegt. Im An- schluss werden der Verlauf, aber insbesondere auch die Austrittszone des Nervus facialis aus dem Hirnstamm dargestellt (Grafik 2). Um die Stelle der vaskulären Kompression zu identifizieren, ist oft der Einsatz eines Endoskopes hilfreich (Abbildung 3 und 4). Daher wer- den diese Eingriffe in der Einrichtung der Autoren im- mer endoskopisch-assistiert durchgeführt.

Die eigentliche Dekompression erfolgt dann meis- tens durch die Einlage einer Teflonwatte, die zwi- schen Hirnstamm und Gefäß platziert wird (Abbil- dung 5). In komplexeren Fällen – zum Beispiel bei sehr kaliberstarken, arteriosklerotischen Gefäßen – kann es jedoch auch erforderlich sein, das kompri- mierende Gefäß mit einer Teflonschlinge an die harte Hirnhaut hochzunähen, um die Kompression voll- ständig zu beheben.

Die durchschnittliche Erfolgsrate der Operation wird in der Literatur mit 80 bis 88 % innerhalb des ersten Jahres nach dem Eingriff angegeben (14, 18, 19). Dies ist vergleichbar mit den Ergebnissen der eigenen Serie (Tabelle). Im Follow-up betrug die Erfolgsrate (das heißt eine Reduktion der Spasmen um mehr als 90 %) nach 6 Monaten 83 % sowie 87 % nach 18 Monaten.

Bei den Patienten mit geringerer oder keiner Besserung der Symptomatik waren meist ungünstige anatomische Verhältnisse, wie zum Beispiel kaliberstarke Venen oder Arterien, die zwischen dem Nervus facialis und dem Nervus vestibulocochlearis verliefen, oder extrem elon- gierte und ektatische Vertebralarterien bei engem peri- medullärem Raum, die Ursache der Misserfolge. Die Rezidivrate betrug in der eigenen Serie bis zum jetzi- gen Zeitpunkt 4 %, wobei auch dies vergleichbar ist mit anderen Studien (18, 14, 19).

Wie jeder operative Eingriff birgt auch die mikro- vaskuläre Dekompression bestimmte Risiken. Das Hauptrisiko besteht in einer passageren oder perma- nenten Hörminderung bis hin zur Anakusis auf der betroffenen Seite. Die Wahrscheinlichkeit hierfür liegt in größeren Untersuchungen zwischen 1,5 und 8 %, (14, 18–21). Das Risiko für das Neuauftreten einer permanenten Facialisparese wird in der Litera- tur mit 0,7–0,9 % angegeben. Häufiger (in 3–8 % der Fälle [19, 22]) tritt eine verzögerte Facialisparese auf. Dabei ist die Funktion des Nervus facialis initial nach dem Eingriff vollständig intakt. Im Mittel nach circa 12 Tagen kommt es dann jedoch akut zu einer hochgradigen Parese der Gesichtsmuskulatur auf der operierten Seite. Ursächlich damit in Verbindung ge- bracht wurde unter anderem die mögliche Reaktivie- rung eines Herpes zoster. Letztlich konnte die Ätio- logie für diese verzögerte Facialisparese noch nicht identifiziert werden (22). Bei nahezu allen Patienten bildet sich die Symptomatik im Verlauf wieder voll- ständig zurück. Das perioperative Risiko für lebens- bedrohliche Komplikationen im Rahmen einer mi- krovaskulären Dekompression, wie zum Beispiel raumfordernde Blutungen sowie Kleinhirn- und Hirnstamminfarkte, liegt unter 1 % und trat in der Serie der Autoren bisher nicht auf. Abschließend

lässt sich sagen, dass dieses Risikoprofil aufgrund der hohen Erfolgsrate und der damit verbundenen oft dauerhaften Beschwerdefreiheit der Patienten durch- aus vertretbar erscheint.

Resümee

Die lokale Botulinumtoxin-Injektion ist eine gut ver- trägliche und risikoarme symptomatische Therapie zur Behandlung des Hemispasmus facialis. Insbesondere für Patienten mit einem leichten Hemispasmus facialis, die ein hohes Narkoserisiko haben, sowie für Patienten, die einen operativen Eingriff ablehnen, ist dies die The- rapie der Wahl.

Langfristige Beschwerdefreiheit lässt sich jedoch nur durch die mikrovaskuläre Dekompression errei- chen, wobei es sich um einen relativ risikoarmen Ein- griff mit einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit han- delt. Allen Patienten mit einer eindeutigen klinischen Symptomatik sollte die Möglichkeit der operativen Be- handlung dargelegt werden, da diese die einzige kausa- le Therapieform der Erkrankung darstellt. Besonders bei jungen Patienten empfehlen die Autoren die baldige Operation, da die eigene Serie gezeigt hat, dass die Er- gebnisse bei Patienten mit lange bestehender Sympto- matik signifikant schlechter ausfallen. Häufig liegt dann schon ein struktureller Schaden am N. facialis vor, der bei der Operation erkennbar wird.

KERNAUSSAGEN

Beim Hemispasmus facialis besteht eine Bewegungs- störung der vom Nervus facialis versorgten Muskulatur.

Dadurch kommt es zu unwillkürlichen, tonischen oder klonischen Kontraktionen der Gesichtsmuskeln, die na- hezu immer auf eine Seite beschränkt sind.

Ursächlich für die Symptomatik ist in den meisten Fäl- len eine Kompression des Nervus facialis im Bereich seiner Austrittszone aus dem Hirnstamm durch ein aty- pisch verlaufendes oder ektatisches Blutgefäß.

Diagnostisch wegweisend ist das klinische Erschei- nungsbild. Sehr wichtig für die Therapieentscheidung ist die differenzialdiagnostische Abgrenzung zu anderen Bewegungsstörungen des kraniofazialen Bereichs. Zur Abklärung einer möglichen vaskulären Kompression oder anderer intrakranieller Ursachen ist die Magnetre- sonanztomographie mit CISS-Sequenz sehr hilfreich.

Die wirksamste symptomatische Therapie besteht in der lokalen Botulinumtoxin-Injektion. Diese führt bei mehr als 85 % der Patienten zu einer deutlichen Linderung der Symptomatik. Als nachteilig bei diesem Verfahren hat sich vor allem die Notwendigkeit einer repetitiven Gabe in Abständen von mehreren Monaten erwiesen.

Die einzige kausale Therapiemöglichkeit mit einer Er- folgsrate von circa 85 % im Hinblick auf eine dauerhafte Beschwerdefreiheit besteht in der mikrovaskulären De- kompressionsoperation.

(7)

Interessenkonflikt

Prof. Schroeder erhielt Honorare und Reisekostenerstattungen für Berater- und Tutorentätigkeit von der Firma Karl Storz GmbH und Co. KG, Tuttlingen.

Die übrigen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 27. 1. 2012, revidierte Fassung angenommen: 12. 6. 2012

LITERATUR

1. Auger RG, Whisnant JP: Hemifacial spasm in Rochester and Olmsted County, Minnesota, 1960 to 1984. Arch Neurol 1990; 47:

1233–4.

2. Nilsen B, Le KD, Dietrichs E: Prevalence of hemifacial spasm in Oslo, Norway. Neurology 2004; 63: 1532–3.

3. Tan EK, Chan LL: Young onset hemifacial spasm. Acta Neurol Scand 2006; 114: 59–62.

4. Yaltho TC, Jankovic J: The many faces of hemifacial spasm:

differential diagnosis of unilateral facial spasms. Mov Disord 2011;

26: 1582–92. doi: 10.1002/mds.23692.

5. Felício AC, Godeiro-Junior Cde O, Borges V, Silva SM, Ferraz HB:

Bilateral hemifacial spasm: a series of 10 patients with literature review. Parkinsonism Relat Disord 2008; 14: 154–6.

6. Wang A, Jankovic J: Hemifacial spasm: clinical findings and treatment. Muscle Nerve 1998; 21: 1740–7.

7. Wilkins RH: Hemifacial spasm: a review. Surg Neurol 1991; 36:

251–77.

8. Scheidt CE, Schuller B, Rayki O, Kommerell G, Deuschl G: Relative absence of psychopathology in benign essential blepharospasm and hemifacial spasm. Neurology 1996; 47: 43–5.

9. Girard N, Poncet M, Caces F, Tallon Y, Chays A, Martin-Bouyer P, Magnan J, Raybaud C: Three-dimensional MRI of hemifacial spasm with surgical correlation. Neuroradiology 1997; 39: 46–51.

10. Nielsen VK: Electrophysiology of the facial nerve in hemifacial spasm: ectopic/ephaptic excitation. Muscle Nerve 1985; 8:

545–55.

11. Møller AR: Vascular compression of cranial nerves: II: pathophysiology.

Neurol Res 1999; 21: 439–43.

12. Møller AR, Jannetta PJ: On the origin of synkinesis in hemifacial spasm: results of intracranial recordings. J Neurosurg 1984; 61:

569–76.

13. Wilkins RH: Hemifacial spasm: a review. Surg Neurol 1991; 36:

251–77.

14. Barker FG 2nd, Jannetta PJ, Bissonette DJ, Shields PT, Larkins MV, Jho HD: Microvascular decompression for hemifacial spasm.

J Neurosurg 1995; 82: 201–10.

15. Jitpimolmard S, Tiamkao S, Laopaiboon M: Long term results of botulinum toxin type A (Dysport) in the treatment of hemifacial spasm: a report of 175 cases. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1998;

64: 751–7.

16. Yoshimura DM, Aminoff MJ, Tami TA, Scott AB: Treatment of hemifacial spasm with botulinum toxin. Muscle Nerve 1992; 15:

1045–9.

17. Simpson DM, Blitzer A, Brashear A, et al.: Therapeutics and Technology Assessment Subcommittee of the American Academy of Neurology. Assessment: Botulinum neurotoxin for the treatment of movement disorders (an evidence-based review): report of the Therapeutics and Technology Assessment Subcommittee of the American Academy of Neurology. Neurology 2008; 70: 1699–706.

18. Yuan Y, Wang Y, Zhang SX, Zhang L, Li R, Guo J: Microvascular decompression in patients with hemifacial spasm: report of 1200 cases. Chin Med J (Engl) 2005; 118: 833–6.

19. Dannenbaum M, Lega BC, Suki D, Harper RL, Yoshor D: Microvascular decompression for hemifacial spasm: long-term results from 114 operations performed without neurophysiological monitoring.

J Neurosurg 2008; 109: 410–5.

20. Jo KW, Kim JW, Kong DS, Hong SH, Park K: The patterns and risk factors of hearing loss following microvascular decompression for hemifacial spasm. Acta Neurochir (Wien) 2011; 153: 1023–30.

Epub 2011 Jan 15.

21. Samii M, Günther T, Iaconetta G, Muehling M, Vorkapic P, Samii A:

Microvascular decompression to treat hemifacial spasm: long-term results for a consecutive series of 143 patients. Neurosurgery 2002; 50: 712–8; discussion 718–9.

22. Lovely TJ, Getch CC, Jannetta PJ: Delayed facial weakness after microvascular decompression of cranial nerve VII. Surg Neurol 1998; 50: 449–52.

Anschrift für die Verfasser Dr. med. Christian Rosenstengel Universitätsmedizin Greifswald Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie Sauerbruchstraße

17475 Greifswald

chr.rosenstengel@uni-greifswald.de

Zitierweise

Rosenstengel C, Matthes M, Baldauf J, Fleck S, Schroeder H: Hemifacial spasm—conservative and surgical treatment options. Dtsch Arztebl Int 2012;

109(41): 667−73. DOI: 10.3238/arztebl.2012.0667

@

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Zu letzteren zählen vor allem die Betablocker, die auch 20 Jahre nach ihrer Einführung (Timolol war der erste dieser Wirkstoffe) eine zuverlässige Komponente des thera-

der Wahl, da eine hohe Strahlensen- sibilität zu erwarten ist. Als Alterna- tive zur perkutanen Bestrahlung hat sich die interstitielle Brachytherapie, Abbildung 1:

Bei 21 Prozent aller Patien- ten, bei denen zunächst ausschließ- lich eine endoskopische Sphintero- tomie durchgeführt wurde, mußte zu einem späteren Zeitpunkt eine Cho-

Eine Arthrodese in 0 Grad Extensionsstellung bei kosme- tischem Bedarf und im Falle funktio- neller Überlegungen in 20 Grad Flexion durch Schrauben oder Kir- schner-Drähte

Teilweise zu beobachtende ga- stro-intestinale Blutungen mit Ei- weißverlusten , die einer konserva- tiven Therapie nicht zugänglich sind , können ebenfalls eine

Kliniken mit weniger als sechs Ösophagektomien pro Jahr hatten eine Krankenhausmortalität von 16 Prozent im Vergleich zu 4,8 Prozent für die Kli- niken mit mehr als sechs

Aktivität beider Mm. orbiculares oculi und oris mit Oberflächenelektroden bei einer Patientin mit Spasmus facialis links. Es treten spontane Bursts einer Dauer von 20 bis 30 msec

Sollte es beim jungen aktiven Patienten zu einem subtotalen oder totalen Verlust des Meniskus kommen, ist insbesondere im lateralen Kompartiment bei Auftreten eines