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Archiv "Spasmus facialis: Aktuelle Aspekte der operativen und medikamentösen Therapie" (24.11.2000)

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Academic year: 2022

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as Krankheitsbild des Spasmus facialis, auch „Hemispasmus“ fa- cialis genannt, ist geprägt durch das Auftreten unwillkürlicher Kon- traktionen der mimischen Muskulatur auf einer Gesichtsseite. Typischerwei- se beginnen diese im mittleren Le- bensalter. Frauen (14,5/100 000) sind nahezu doppelt so häufig betroffen wie Männer (7,4/100 000) (6).

Meist treten zunächst kurz dauern- de, klonische Zuckungen des M. orbi-

cularis oculi auf, die sich allmählich auf die Wangenmuskulatur und Oberlippe, schließlich auf die gesamte Gesichts- hälfte und das Platysma ausbreiten kön- nen. Auch der M. stapedius kann mit- betroffen sein, was sich subjektiv in nie- derfrequenten Ohrgeräuschen wäh- rend der Zuckungen äußert (36).

Die Kontraktionen treten spontan, einzeln oder in Serien auf, können aber auch durch willkürliche mimische Bewe- gungen ausgelöst werden. Die Zuckun- gen werden von der Umwelt – und even- tuell bei fehlendem Auftreten während der Untersuchung auch vom Arzt – oft als psychogen verkannt; sie persistieren

jedoch auch im Schlaf (51). Bei einem Teil der Patienten kommt es neben kurz dauernden Zuckungen auch zu länge- ren, tonischen Spasmen, während derer das betroffene Auge geschlossen und der Mundwinkel hochgezogen ist. Die Patienten werden dadurch zunächst nur kosmetisch beeinträchtigt, insbesondere tonische Kontraktionen können jedoch die Sicht beeinträchtigen und beim Le- sen oder Autofahren stören (Abbildung 1). Im Laufe der Zeit kann eine leichte Schwäche der vom N. facialis versorgten mimischen Musku- latur hinzukommen. Vorüber- gehende Spontanremissionen für die Dauer von einigen Mo- naten kommen vor, insgesamt ist die Krankheit jedoch lang- sam progredient und heilt spontan nicht aus.

Ätiologie

Analog zur Trigeminusneu- ralgie wird von Janetta und Mitarbeitern eine kontinu- ierliche oder pulsierende vaskuläre Kompression des N. facialis im Bereich der Austrittszone aus dem Hirnstamm als Ursache angesehen.

Hier ist der N. facialis möglicherweise in der Übergangszone von der Oligo- dendrozyten- zur Schwannzell-Um- scheidung besonders vulnerabel. Da- bei komprimiert am häufigsten die A.

cerebelli inferior posterior (10, 20, 23, 33) oder die A. cerebelli inferior ante- rior (7, 69), seltener die Arteria verte- bralis, den N. facialis in der Nähe sei- ner Austrittsstelle aus der Medulla oblongata (Abbildung 2).

Hierdurch kommt es zu einer seg- mentalen Schädigung der Myelin- scheiden (39, 56) und zur Bildung ek- toper Entladungen im N. facialis (40).

Aufgrund fehlender Isolierung be- nachbarter Nervenfasern können Ver- änderungen im extrazellulären Poten-

Spasmus facialis

Aktuelle Aspekte der

operativen und medikamentösen Therapie

Andreas Schulze-Bonhage1 Andreas Ferbert2

Zusammenfassung

Unwillkürliche Kontraktionen der Gesichts- muskulatur, insbesondere der Spasmus facialis, lassen sich differenzialdiagnostisch mithilfe elektrophysiologischer Untersuchungen meist eindeutig zuordnen. Die Therapie des Spasmus facialis erfolgt seit drei Jahrzehnten durch ope- rative Dekompression des N. fascialis. Dieses Verfahren ist in circa 80 Prozent der Fälle lang- fristig wirksam. Seit einigen Jahren ist durch wiederholte subkutane Injektionen kleinster Dosen von Botulinumtoxin eine zusätzliche hochwirksame symptomatische Behandlung möglich. Bei nahezu allen Patienten tritt da- durch eine Besserung der Beschwerden für vier bis fünf Monate ein. Anschließend sind erneu- te Injektionen erforderlich. Die Wahl der Be- handlungsmethode ist von objektiven Ge- sichtspunkten (Alter des Patienten, Nebener- krankungen, Ätiologie, Operationsrisiko, Ef- fektivität der Injektionen) und vom individuel- len Patientenwunsch abhängig. Eine Beratung der Patienten durch Neurologen und Neuro- chirurgen ist für die Auswahl der individuell geeigneten Therapieform wichtig.

Schlüsselwörter: Spasmus facialis, Dekompres- sionsoperation, Botulinumtoxin

Summary

Hemifacial Spasm: Current Aspects of Sur- gical and Drug Therapy

Involuntary contractions of facial muscles, in particular hemifacial spasm, can be classified according to electrophysiological recordings in most cases. Regarding hemifacial spasm, surgi- cal decompression of the facial nerve root achieves complete relief of symptoms in some 80 per cent of patients. In addition, the repeat- ed subcutaneous injection of small amounts of botulinum toxin has been available for some years. In almost all patients treated this way, a major relief of symptoms can be achieved for a period of 4 to 5 months before repeat injections are necessary. The choice of treatment de- pends both on objective factors (patient age, concomitant diseases, etiology of nerve root compression, surgical risk, and efficacy of botu- linum toxin injections), and on the individual patient wish. Patients should be counselled by both neurologists and neurosurgeons to select the best treatment on an individual basis.

Key words: hemifacial spasm, surgical decom- pression, botulinum toxin

1Sektion Prächirurgische Epilepsiediagnostik am Neuro- zentrum (Leiter: Dr. med. Andreas Schulze-Bonhage) der Universität Freiburg

2Klinik für Neurologie (Direktor: Prof. Dr. med. Dipl.- Psych. Andreas Ferbert) der Städtischen Kliniken, Kassel

Abbildung 1: Patientin mit Spasmus facialis rechts im Ruhe- zustand (a) und wenige Sekunden später während einer to- nischen Kontraktion der mimischen Muskulatur der betrof- fenen Seite (b).

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zial ephaptisch auf Nachbarfasern übertragen werden und so synchrone Zuckungen in von verschiedenen Ästen des N. facialis innervierten mi- mischen Gesichtsmuskeln auslösen (61). Die Entstehung der Zuckungen der fazialen Spasmen verläuft somit scheinbar analog zur Genese der Schmerzattacken bei der Trigeminus- neuralgie, bei der eine Gefäßschlinge

den N. trigeminus irritiert und zu kur- zen, einschießenden Schmerzen im Versorgungsgebiet eines oder mehre- rer Trigeminusäste führt. Als wesentli- che Stütze für diese Theorie gilt der Erfolg einer neurochirurgischen De- kompression.

Gefäßanomalien und assoziierte fa- ziale Spasmen können auch familiär vorkommen (15). Seltene beidseitige – dann asynchrone – Spasmen schei- nen am ehesten durch unabhängige Irritationen beider Nn. faciales aus- gelöst zu sein (59, 65). Außer Ge- fäßschlingen können auch dilatierte Gefäße (60) (Abbildung 3), Angiome und in circa einem Prozent der Fälle andere raumfordernde Läsionen im Kleinhirnbrückenwinkel den Nervus facialis komprimieren und einen Spas- mus facialis auslösen 5, 8, 31, 41, 62, 65). Auch weiter peripher gelegene Läsionen des N. facialis können Spas- men auslösen (44, 57).

Gegen die Theorie einer mecha- nisch bedingten Irritation des Nervus facialis spricht die Häufigkeit enger Anlagerungen von Gefäßen an die Hirnstammnerven bei Nichterkrank- ten (44, 46), das Fehlen komprimie-

render Gefäße bei einem Teil der Pati- enten sowie vergleichbare Erfolgs- quoten operativer Behandlungen bei reiner intraoperativer mechanischer Irritation des N. facialis (1). Anderer- seits zeigen elektrophysiologische Un- tersuchungen, dass – neben einer Läsi- on im Verlauf des N. facialis (27) – ei- ne vermehrte Erregbarkeit der Neuro- ne des Fazialiskerns von wesentlicher Bedeutung ist (30, 45, 49, 50, 52 – 54, 66). Es wird daher auch eine – möglicherweise sekundär zur mechanischen Irritation auftretende – nu- kleäre Genese der Spasmen diskutiert.

Diagnostik

Klinik

Das Vollbild der Erkrankung mit klonischen oder auch to- nischen Kontraktionen der mimischen Muskulatur einer Gesichtshälfte lässt eine Blickdiagnose zu. Zu Beginn der Er- krankung können jedoch Spasmen auf ein Unterlid beschränkt sein oder so selten spontan auftreten, dass sie während einer ärztlichen Untersu- chung nicht gesehen werden. Durch Willkürinnervation der mimischen Gesichtsmuskulatur (Spitzen des Mundes, Zukneifen der Augen) lassen sie sich dann oft provozieren. Die Muskelkontraktionen sind schmerz- los, dauern meist kürzer als 100 msec und können während des Schlafs per- sistieren.

Bei der Differenzialdia- gnose muss vor allem das Vorliegen eines Tics, einer Synkinese, eines Blepharo- spasmus und von fazialen Myokymien erwogen wer- den:

❃Abrupte Bewegungen der Gesichtsmuskulatur beim Tic können zeitweise willkür- lich unterdrückt werden. Sie bestehen aus unregelmäßig auftretenden, komplexeren, länger dauernden Kontrak- tionen oft mit Einbeziehung auch vom N. facialis nicht

versorgter Muskeln. Durch die länger als 150 msec andauernde Muskelakti- vität und dem nicht streng halbseiti- gen Verteilungstyp ist eine Differen- zierung vom Spasmus facialis elek- tromyographisch stets möglich.

❃Synkinesen der mimischen Mus- kulatur, die aus verschiedenen Ästen des N. facialis innerviert werden, tre- ten nach idiopathischer oder sekundä- rer peripherer Fazialisparese bei Lä- sionen im Canalis facialis oder nach dessen Austritt aus dem Schädel auf.

Beim Blinzeln kann die Mitkontrakti- on des Mundasts der ehemals pareti- schen Seite wie ein Spasmus facialis imponieren. Meist fehlen jedoch die auf eine Seite beschränkten spontanen Kontraktionen von M. orbicularis oculi und M. orbicularis oris (Grafik).

Die Synkinese beruht auf einer Fehl- einsprossung von Nervenfasern nach Regeneration mit vorausgehender Wallerscher Degeneration des peri- pheren Nervenabschnitts mit in der Regel inkompletter Rückbildung der Parese über einen Zeitraum von drei Monaten bis über sechs Monate (12).

Nach blande verlaufender idiopathi- scher Facialisparese mit reiner Neura- praxie bilden sich keine Synkinesen aus.

❃Ein Blepharospasmus ist durch unwillkürliche Kontraktionen des M.

orbicularis oculi beider Seiten charak- terisiert. Eine Beteiligung anderer mi- mischer Muskeln fehlt in der Regel.

Diese Erkrankung hat als fokale Dys- tonie eine zentralnervöse Genese. Im Gegensatz zum Spasmus facialis sistie- ren die Zuckungen beim Blepharo- spasmus im Schlaf.

Abbildung 2: Schlinge der A. cerebelli inferior posterior (Pfeil) auf der Wurzel des N. facialis (Pfeilspitze; intra- operativer Situs). (Die Abbildung wurde freundlicherweise von Frau Priv.-Doz. Dr. med. Vera van Velthoven, Abteilung Allgemeine Neurochirurgie, Universitätsklinikum Freiburg, zur Verfügung gestellt.)

Abbildung 3: Computertomographische Darstellung einer er- weiterten und nach rechts elongierten A. basilaris bei einem 77-jährigen Patienten mit Spasmus facialis rechts.

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❃Bei den sehr selten vorkommen- den fazialen Myokymien treten un- willkürliche Bewegungen einer Ge- sichtsseite nahezu kontinuierlich in oft rhythmischen Abständen mit einer Frequenz von 0,25 bis 2,5 Hz auf. Die dabei assoziierten Bewegungen sind klinisch weniger heftig als beim Spas- mus facialis oder Blepharospasmus.

Ätiologisch liegt oft eine pontine Läsion im Rahmen einer multiplen Sklerose oder eines Ponsglioms zu- grunde.

Elektrophysiologische Zusatzuntersuchungen

Ein Spasmus facialis kann durch elek- trophysiologische Untersuchungen nachgewiesen werden (14, 43). Regi- striert man die Aktivität des M. orbi- cularis oculi und M. orbicularis oris beidseits synchron mit Oberflächen- elektroden, treten im Elektromyo-

gramm spontan isolierte, streng syn- chrone „burst“-Entladungen einer Dauer von circa 20 bis 100 msec über den beiden Muskeln der betroffenen Seite auf (Grafik Teil a).

Bei Lidschlägen wird der M. orbicu- laris oris der erkrankten Seite bei fort- geschrittener Symptomatik synkine- tisch mitbewegt. Im Gegensatz dazu findet man beim Blepharospasmus länger dauernde bilateral synchrone Kontraktionen der Mm. orbicularis oculi. Auch Willkürinnervationen (zum Beispiel im Rahmen einer disso- ziativen Störung) dauern über 100 msec an und können durch die EMG- Registrierung ausgeschlossen werden.

Bei der Registrierung motorischer Einheiten mit Nadelelektroden lassen sich – im Gegensatz zum Blepharo- spasmus – oft unphysiologisch hohe Frequenzen der Entladungen nach- weisen (26). Die Aktivierung des Ner- vus facialis kann auch durch Stimulati-

on des Nervus trigeminus hervor- gerufen werden (Blinzelreflex, Gla- bellareflex). Bei Auslösung eines Blinzelreflexes durch elektrische Rei- zung des ersten Trigeminusasts (N. su- praorbitalis), „Blinkreflex“, erfolgt beim Gesunden eine bilaterale Kon- traktion des M. orbicularis oculi, während der M. orbicularis oris nicht aktiviert wird. Bei Patienten mit Spasmus facialis erfolgt auf der be- troffenen Seite eine Mitaktivierung des M. orbicularis oris (32, 37) (Grafik Teil b).

Bildgebende Diagnostik

Mit hochauflösenden MR-Schichtauf- nahmen und -Angiographien lassen sich nach Gadolinium-Enhancement in manchen Fällen Gefäße an der Ein- trittszone des N. facialis nachweisen (25, 28).

Radiologisch kann das Vorliegen ei- nes „Gefäß-Nerven-Konflikts“ jedoch weder als Ursache bewiesen noch aus- geschlossen werden. Hauptnutzen der bildgebenden Verfahren (Schädel-Com- putertomographie [CCT] und Kern- spinresonanztomographie [MRI]) ist daher der Ausschluss eines Kleinhirn- brückenwinkeltumors oder anderer Raumforderungen als Ursache für den Spasmus facialis. Bei entsprechendem Verdacht sollten durch Röntgenauf- nahmen des Schädels auch ein M. Pa- get (21) oder kraniozervikale Über- gangsanomalien (4) ausgeschlossen werden. Zusätzlich kann in zweifel- haften Fällen die Parotisloge sonogra- phisch oder kernspintomographisch mituntersucht werden, um eine weiter in der Peripherie gelegene Läsion des N. facialis durch einen Parotistumor zu erfassen.

Therapieprinzipien

Operative Nervendekompression

Wenn eine Nervenkompression durch eine Gefäßschlinge an der Wurzel- eintrittszone des Nervus facialis in den Hirnstamm als ursächlich für die Genese des Spasmus facialis angese- hen wird, ist eine kausale Therapie durch Ablösung der Gefäßschlinge a) Fortlaufende 4-kanälige EMG-Registrierung der

Aktivität beider Mm. orbiculares oculi und oris mit Oberflächenelektroden bei einer Patientin mit Spasmus facialis links. Es treten spontane Bursts einer Dauer von 20 bis 30 msec in den Mm. orbicu- laris oculi und oris der betroffenen Seite auf. Mus- kelkontraktionen dieser geringen Dauer können nicht willkürlich gesteuert werden.

b) Elektrisch ausgelöster Blinkreflex bei einer Pa- tientin mit Spasmus facialis links. Nach Stimulati- on der N. supraorbitalis rechts tritt eine normale Reflexantwort mit R1- und R2- Komponenten in den Mm. orbicularis oculi rechts beziehungsweise beidseitig auf. Im M. orbicularis oris, der bei die- sem Hirnstammreflex normalerweise nicht mitak- tiviert wird, findet man eine pathologische R2- Antwort auf der betroffenen linken Seite.

Grafik

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und anschließende Interposition eines Kunststoffschwammes oder autolog transplantierten Muskelgewebes zwi- schen Gefäß und Nerv möglich. Die- se Methode wurde von Gardner und Sava (22) eingeführt, sie wurde von Janetta (33) etabliert und inzwischen an großen Patientenkollektiven vali- diert und den individuellen Positio- nen der irritierenden Gefäße ange- passt (38).

Janettas Gruppe berichtete in einer neueren Übersicht mit langjährigem Follow-up von einem sehr guten Er- folg in 86 Prozent der Fälle bei Befra- gung nach einem Jahr beziehungswei- se 79 Prozent bei Befragung nach zehn Jahren. Bei Reoperation infolge eines unzureichenden Effekts der ersten Operation wurde noch ein sehr guter Erfolg in 61 Prozent der Fälle angege- ben (10).

Besonders gute Ergebnisse werden bei männlichen Patienten mit typi- scher klinischer Symptomatik be- schrieben. Wenn es zu einem erneuten Auftreten von Spasmen kam, erfolgte dies meist innerhalb der ersten beiden Jahre nach Operation. Vergleichbar gute Operationsergebnisse werden auch von anderen Gruppen (38, 63, 69) bei etwas kürzerem Follow-up an- gegeben.

Als Komplikation der Operation trat früher in bis zu 17 Prozent eine Schwerhörigkeit auf, seit Einführung eines intraoperativen Monitoring aku- stisch evozierter Potenziale sank die Häufigkeit jedoch deutlich. Neben diesen Komplikationen kann es zu Fa- zialisparesen, Schluckstörungen und Heiserkeit kommen. Blutungen und schwere Defekte (Hirnstamminfarkt, Kleinhirninfarkt) sind selten (circa 0,3 Prozent), die Operationsletalität liegt bei 0,1 bis 0,2 Prozent (10, 48, 68). An- dere chirurgische Therapieversuche haben demgegenüber an Bedeutung verloren (68).

Konservative Therapie

Zur Minderung ektoper Impulsgene- ration kann wie bei der Trigeminus- neuralgie ein Therapieversuch mit sy- stemisch wirksamen Medikamenten unternommen werden, die hochfre- quente Öffnungen von Natrium-Ka-

nälen unterdrücken (Carbamazepin [3], Phenytoin). Auch die Gabe von Gabapentin scheint wirksam zu sein (9, 55). In mittelschweren oder schwe- ren Fällen ist diese Therapie jedoch in aller Regel nicht ausreichend wirk- sam. Auch der Effekt anderer medika- mentöser Behandlungen (zum Bei- spiel Baclofen [58] oder Pizotifen [24]) ist angesichts der spontanen Schwan- kungen der Schwere der Spasmen bis- lang nicht als ausreichend gesichert anzusehen.

Ein neuerer, hochwirksamer sym- ptomatischer Therapieansatz besteht in der lokalen Infiltration der in den Spasmus einbezogenen Muskeln durch Botulinumtoxin (2, 18, 19, 34).

Botulinumtoxin, ein von Clostridien gebildetes Gift, wirkt bei dieser Vor- gehensweise durch Blockade der Frei- setzung von Acetylcholin aus Nerven- endigungen.

Der Wirkmechanismus besteht in einem enzymatischen Abbau von prä- synaptischen Proteinen der Nervenen- digungen an den motorischen End- platten, die für die Andockung synap- tischer Vesikel an die präsynaptische Membran erforderlich sind (13). Fehlt die Transmitterfreisetzung aus den Endigungen des N. facialis, so werden die von ihm innervierten Muskeln funktionell denerviert; sie können nicht mehr kontrahieren.

Bei subkutaner Injektion beginnt dieser Effekt nach einigen Stunden, eine volle Wirkung ist nach ein bis zwei Wochen erreicht. Die motori- schen Endplatten werden abgebaut, nach Wochen bis Monaten bilden sich jedoch neue Endplatten aus, die mit neu ausgesprossenen Nervenendigun- gen funktionstüchtige neuromuskulä- re Übertragungsstellen bilden (17).

Die Injektion des Toxins erfolgt an vier bis sechs Stellen über dem oberen und unteren Teil des M. orbicularis oculi (Abbildung 4), bei Mitaktivie- rung des M. zygomaticus major in die Spasmen kann eine zusätzliche Injek- tion in die Nasolabialfalte vorgenom- men werden.

Nicht selten kommt es auch zu einer (möglicherweise reflektorischen) Bes- serung der Spasmen im nicht injizier- ten Musculus orbicularis oris, der üb- licherweise von der Injektion wegen

der Gefahr einer Gesichtsasymmetrie schon bei kleinen Dosen ausgespart wird.

In schweren Fällen wird man nach ausführlicher Rücksprache mit dem Patienten von dieser Vorgehensweise abweichen können. An jeder Stelle wird eine Dosis von circa 0,5 ng be- ziehungsweise 20 Units Dysport (oder eine äquivalente Dosis von Botox) ap- pliziert. Die partielle funktionelle De- nervierung der mimischen Muskulatur bewirkt eine erhebliche bis vollständi- ge Rückbildung des Spasmus facialis.

Klinisch kommt es zu einer oft voll- ständigen Rückbildung der Denervie- rung; nach circa drei bis sechs Mona- ten treten wieder unwillkürliche Kon-

traktionen auf. Dann ist eine erneute Injektion erforderlich. Sie weist ge- genüber vorausgegangenen Injektio- nen in aller Regel keinen Wirkungs- verlust auf.

Als Nebenwirkung der Therapie kann es zu einer Schwäche der mimi- schen Muskulatur kommen, die stär- ker und ausgedehnter ist, als er- wünscht. Am häufigsten kommt es zu einer Schwäche des M. levator palpe- brae superioris mit Entwicklung einer partiellen Ptose. Wie die therapeu- tisch erwünschte Wirkung ist auch die gegebenenfalls als Nebenwirkung auf- tretende Muskelschwäche vorüberge- hend und lässt nach einigen Wochen nach. Daneben klagen einige Patien- ten über eine zeitweise verminderte Tränensekretion. Bei genauer Dosie- rung und guter Injektionstechnik tre- ten jedoch nur äußerst selten Neben- Abbildung 4: Typische Injektionsorte für die Be- handlung mit Botulinumtoxin bei Spasmus facia- lis.

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wirkungen auf, die den Patienten sub- jektiv beeinträchtigen.

In der Neurologischen Klinik des Klinikum Kassel wurden im Laufe ei- nes Jahres 25 Patienten erstmalig we- gen eines Spasmus facialis mit Botuli- numtoxin behandelt. Das mittlere Al- ter der behandelten Patienten betrug bei Erstvorstellung 60 Jahre (39 bis 75 Jahre), die Symptomatik hatte bei erstmaliger Vorstellung im Durch- schnitt sechs Jahre bestanden (sechs Monate bis 23 Jahre). Beide Seiten waren gleich häufig betroffen.

Bei allen Patienten traten klonische Zuckungen auf, bei etwa jedem zwei- ten Patienten zusätzlich tonische Kon- traktionen, die bei drei Patienten hauptsächlich für die subjektive Be- einträchtigung verantwortlich waren.

Die Patienten waren zuvor medi- kamentös mit Carbamazepin bezie- hungsweise Botox-Injektionen behan- delt worden.

Die Therapie mit Botulinumtoxin bewirkte bei 24 Prozent der Patienten ein vollständiges Sistieren von Spas- men. Bei weiteren 56 Prozent der Pati- enten führte die Behandlung zu Be- schwerdefreiheit bei einzelnen, gege- benenfalls nach Provokation durch willkürliche Kontraktion der mimi- schen Muskulatur, noch auslösbaren klonischen Zuckungen.

Bei vier Patienten kam es zu einer deutlichen Reduktion der Spasmen- intensität und -frequenz, die Spasmen wurden jedoch von den Patienten noch als subjektiv störend empfunden.

Nur bei einem Patienten blieb eine Injektion ohne wesentlichen Effekt.

Bei acht Injektionen trat eine transi- ente leichtgradige Ptose ohne Sicht- behinderung auf, bei drei Patienten wurde vorübergehend ein Zilienzei- chen ohne Ptose gefunden. Die mitt- lere Wirkdauer bis zur Durchführung der nächsten Injektion betrug 5,6 Mo- nate.

Vergleichbare Ergebnisse wurden von anderen Kliniken mit mehrjähri- ger Erfahrung mit der Injektion von Botulinumtoxin berichtet (11, 16, 47, 67). Nur in sehr seltenen Fällen bleibt die Injektion von Botulinumtoxin bei Wiederholungen aufgrund der Bil- dung von Antikörpern ohne anhalten- den Effekt (35).

Resümee

Nach Diagnosestellung eines Spasmus facialis sollte die Beratung des Patien- ten hinsichtlich der Wahl der Behand- lungsmethode gemeinsam durch Neu- rologen und Neurochirurgen erfolgen.

Ob die hochwirksame symptomati- sche Therapie mit Botulinumtoxin oder die bewährte operative Therapie durch Dekompression des N. facialis im Einzelfall zu bevorzugen ist, hängt von objektiven Parametern wie auch von den individuellen Wünschen des Patienten ab. Jüngeren Patienten mit schwerer Symptomatik wird man eher zu einer Operation raten als älteren Patienten mit höherem Operationsri-

siko, die bereit sind, regelmäßige In- jektionsbehandlungen durchführen zu lassen. Im Falle des – seltenen – Versa- gens einer der Methoden kann die an- dere komplementär eingesetzt wer- den.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A3184–3190 [Heft 47]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser:

Dr. med. Andreas Schulze-Bonhage Sektion Prächirurgische Epilepsiediagnostik am Neurozentrum der Universität Freiburg Breisacher Straße 64, 79106 Freiburg E-Mail: schulzeb@nz.ukl.uni-freiburg.de

Das Erscheinungsbild der HIV-Infek- tion ist in Europa in ständigem Wan- del begriffen. Ursache dieser Ent- wicklung ist die zunehmende Anwen- dung von antiretroviralen Kombinati- onstherapien (Haart, hochaktive anti- retrovirale Therapien) bei HIV-Infek- tionen. Beobachtet wird bei diesem Vorgehen auch ein erheblicher Rück- gang der Inzidenz von Aids-anzeigen- den oder mit Aids verbundenen (Fol- ge-) Krankheiten (Adi, Aids-defining illnesses).

Im Rahmen der „Europäischen Aids-Studie“ an der 52 Ambulanzen aus ganz Europa teilnahmen, zeigte sich, das die Anzahl der dort regi- strierten Adi von 500 im Jahr 1994 auf 92 im Jahr 1998 zurückging.

Die durchschnittliche Zahl der CD4+-Zellen bei Ausbruch einer Adi stieg dabei von 28 Zellen/ml auf 125 Zellen/ml an. Dieser Anstieg hing da- mit zusammen, dass der Anteil der un- ter Intensivtherapie stehenden betrof- fenen Patienten immer größer wurde.

Diejenigen, bei denen eine Aids-Fol- gekrankheit festgestellt wurde, waren im Durchschnitt „gesünder“. Verscho-

ben hat sich dabei der Anteil der ver- schiedenen Folgekrankheiten. So wur- den weniger Infektionen der Retina durch Cytomegalievieren und Er- krankungen, die durch Mycobacteri- um avium hervorgerufen wurden, fest- gestellt. Allerdings erhöhte sich der Anteil von Non-Hodgkin-Lymphom deutlich (1994: 6 Prozent der Erkran- kungen, 1998: 16 Prozent).

Insgesamt kann aber gesagt wer- den, dass die intensive antiretrovirale Kombinationstherapie sich segens-

reich auswirkt. bt

Mocroft A, Katlama C, Johnson AM et al.: Aids across Europe, 1994–98: The EuroSIDA study. Lancet 2000;

356: 291–296.

Dr. J. D. Lundgren, eurosida@inet.uni2.dk

Nutzen der Intensivtherapie bei Aids-Erkrankung in Europa

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