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n einem eigentlich recht ungewöhnli- chen Ort in Lübeck stellte sich kürzlich der Kölner Nervenarzt und Psychoanalytiker Dr. med.Hartmut Kraft als Kunst- sammler vor. In der Völ- kerkundesammlung an der Parade präsentierte er seine Sammlung über
„Kopffüßler“ – sicherlich ein auf den ersten Blick höchst ungewöhnliches Sammelthema. Denn nicht Mollusken und anderes Ge- tier sind mit diesem Titel ge- meint, sondern die urtümli- che Darstellung des Men- schen als Kopf mit Beinen.
Für einen Seelenarzt ist die Beschäftigung mit die- sem Urphänomen irgendwie auf der Hand liegend. Wie Kraft erläutert, ist es in der menschlichen Natur ange- legt, eine menschliche Dar- stellung erst einmal mit ei- nem Kopf mit Gesicht und Füßen zu beginnen. So malt das Kleinkind, so malen aber auch demente Patienten und psychisch Kranke.
Enger Bezug zur modernen Kunst Auf diese Zusammen- hänge ist bereits vor einem dreiviertel Jahrhundert der Seelenforscher Hans Prinz- horn aufmerksam geworden.
Sein 1922 erschienenes Buch
„Bildnerei der Patienten“
galt lange als Standardwerk und war vor zwanzig Jahren für Hartmut Kraft Anlaß, selbst mit dem Sammeln zu beginnen. Heute umfaßt sei- ne Sammlung rund 500 Ob-
jekte. In Lübeck zeigt er ei- ne repräsentative Auswahl, wobei das älteste Stück rund 2 000 Jahre alt ist und von den Assyrern stammt, das jüngste von dem Kölner Ob- jekt-Künstler Sery C., das erst für diese Ausstellung vollendet worden ist. Dabei ist die Schau erst die zweite Ausstellung überhaupt, die von Hartmut Kraft zusam- mengestellt worden ist. Die erste wurde 1986 zum 100.
Geburtstag von Hans Prinz- horn gezeigt. Aus gutem Grund, denn Prinzhorns Standardwerk ist für die mo- derne Kunst zu einem ihrer auslösenden Faktoren ge- worden.
Die Verbindung Krafts zur Lübecker Völkerkunde-
sammlung ist auf etwas un- gewöhnliche Weise zustande gekommen. Dort hatte der Arzt vor zwei Jahren anläß- lich einer Schau über den Totenkult in Mexiko ein Bild mit einem Kopffüßler ent- deckt und zu erwerben gesucht. Abteilungsleiterin Brigitte Templin nutzte die- se Verbindung, um Hartmut Kraft zu einer Sonderschau im Haus an der Parade zu er- muntern. Diese gibt nun un- ter dem Titel „Die Geburt
des Menschenbildes“ ei- nen umfassenden Überblick über die Verwendung des Motives der Kopffüßler in der darstellenden Kunst wie in der Lite-
ratur.
Freundliche Wesen
In der Antike glaubte man ernst- haft, daß derartige Fa- belwesen die Randzo- nen der Welt bewohn- ten. Eine Vorstellung, die bis in die Neuzeit eine Rol- le spielte und erst mit der zunehmenden Kenntnis der Erde ihre Bedeutung verlor.
Dafür wurde die Darstel- lung von Gesichtern mit Füßen zu einem beachtli- chen Teil der modernen Kunst. Noch wesentlicher ist sie in der neuzeitlichen Übermittlung von Werbe- botschaften. Erstaunlicher- weise hat sich hier sogar der Aussagewert einer solchen Darstellung radikal gewan- delt. War einst ein solches Wesen etwas Bedrohliches, so werden die modernen Kopffüßler freundlich-fröh- lich dargestellt. Denn ihre Aussage ist fröhlich. Schließ- lich sollen die beworbenen Produkte ge-
kauft wer- den. HS
A-3187
V A R I A FEUILLETON
Kopffüßler
„Die Geburt des Menschenbildes“
Ausstellung einer ungewöhnlichen Sammlung
Die Lübecker Ausstellung „Die Geburt des Menschenbildes“
– zu der Hartmut Kraft als Katalog ein Buch „Die Geburt des Menschenbildes – Die Kopffüßler“ im Salon-Verlag (Muse- um: 38 DM/Buchhandel: 58 DM) mit sechzig Abbildungen
herausgegeben hat – ist bis 31. Mai 2000, dienstags bis freitags von 10 bis 16 Uhr sowie samstags und sonntags von 10 bis 13 und 13.30 bis 16 Uhr, zu sehen. HS
Foto: HS-Kulturkorrespondenz
Peter Gilles: „Der Tod des Kopffüßlers“
Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 49, 10. Dezember 1999 (59)