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Archiv "Hedwig Ewer, geborene Brandt (1890–1978): Kampf um die Existenz" (27.02.2009)

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A392 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 9⏐⏐27. Februar 2009

T H E M E N D E R Z E I T

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ls Frau während der Zeit des Kaiserreichs in Deutschland Medizin zu studieren und danach auch noch als Ärztin zu arbeiten, er- forderte einige Hartnäckigkeit und war nicht ohne die Überwindung von Widerständen zu bewerkstelli- gen. An einer deutschen Universität konnten sich Studentinnen erst ab Ende des 19. Jahrhunderts immatri- kulieren, in Preußen ab 1908 (1, 2).

Noch lange nach der Zulassung zu den Universitäten wurden Frauen bei ihrer Ausbildung systematisch benachteiligt. Wollten sie beispiels- weise nach bestandenem Staatsex- amen, bevor sie eine Praxis eröffne- ten, praktische Erfahrungen als Assis- tenzärztinnen in einer Klinik sam- meln, so fanden sie oft nur schwer Professoren, die sie annahmen (3).

Einige Professoren wollten keine Frauen unterrichten

Auch Hedwig Ewer, die am 6. März 1890 in Dobrilugk, Kreis Luckau, als Tochter des Amtsrichters Fried- rich Brandt geboren wurde, musste während ihrer Ausbildung zur Ärz- tin solche Erfahrungen machen. Sie

wuchs in Berlin-Schöneberg auf, wo sie das örtliche Mädchenreal- gymnasium besuchte und 1909 ihr Abitur bestand. Ebenfalls in Berlin nahm Hedwig Ewer 1909 ein Medi- zinstudium auf. Nach drei Semes- tern wechselte sie zunächst nach Kiel, weil, wie ihr Sohn noch 1983 aus Erzählungen der Mutter wusste, einige Professoren sich weigerten, Frauen zu unterrichten (2, 4). Nach zwei Semestern in Kiel studierte sie in Marburg, dann erneut in Berlin und schließlich in Jena, wo sie mit Beginn des Ersten Weltkrieges im August 1914 ihr Staatsexamen ab- solvierte. Gleichzeitig erhielt sie ihre Approbation als Ärztin. Dabei handelte es sich um eine „Notappro- bation“, wie sie zu Kriegsbeginn al- len examinierten Medizinstudenten und -studentinnen erteilt wurde, da- mit diese ohne Verzögerung für den Militärdienst oder an der „Heimat- front“ zur Verfügung standen. Vor dem Hintergrund des wachsenden Bedarfs an ärztlichen Fachkräften für den Krieg, besserte sich die berufliche Situation für Ärztinnen 1914 insgesamt. Vor allem junge

Ärztinnen erhielten Zugang zu As- sistentenstellen, die vorher überwie- gend mit männlichen Kollegen be- setzt worden waren (5). Hedwig Ewer fand so nach Abschluss ihres Studiums eine Anstellung als stell- vertretende Assistentin an der medi- zinischen Universitätsklinik in Jena.

Dort promovierte sie 1915 im Fach- bereich Chirurgie und Geburtshilfe mit einer Arbeit „Über Hernienbil- dung in Laparotomienarben“ (6).

Danach nahm sie eine Stelle im Ber- liner Krankenhaus am Friedrichs- hain an. 1918 wechselte sie an das Kinderkrankenhaus in Berlin-Rum- melsburg. Zu Kriegsende drohte ihr dort für kurze Zeit die Entlassung.

Sie sollte ihre Stelle für einen männ- lichen Kollegen, der aus dem Mi- litärdienst an die alte Arbeitsstätte zurückkehrte, frei machen. Dieser Kollege setzte allerdings durch, dass Hedwig Ewer ihre Anstellung behielt. Es handelte sich dabei um ihren späteren Ehemann, den Berli- ner Kinderarzt Hermann Ewer (4).

Nach wenigen Jahren am Kranken- haus in Rummelsburg heirateten sie und ließen sich 1920 mit einer ge- meinsamen Praxis, er als Kinder- arzt, sie als praktische Ärztin nieder.

Ab Dezember 1932 befand sich ihre Praxis in der Frankfurter Allee 278 in Berlin-Friedrichshain. Inzwi- schen hatten die Ewers eine Familie gegründet, die beiden Söhne Ger- hard und Horst wurden 1922 und 1924 geboren. Die Praxis lebte vor- wiegend von Kassenpatienten. Da- neben wurden auch ärmere Famili- en, die auf die staatliche Wohlfahrt angewiesen waren, betreut. Zum Teil behandelte Hedwig Ewer zah- lungsunfähige Kranke auch kosten- frei (4).

1928 starb Hermann Ewer. Hed- wig Ewer führte die Praxis weiter, doch stellte es für sie keine leichte Aufgabe dar, allein ein Auskommen für ihre beiden Söhne und sich zu er-

HEDWIG EWER, GEBORENE BRANDT (1890–1978)

Kampf um die Existenz

Praktizierende Ärztin und Witwe einer „Mischehe“ – im Deutschland des 20. Jahrhunderts ein schwieriges Berufsleben

Foto:Privat

Hedwig Ewer überwand massive Widerstände auf ihrem Weg, Ärztin

zu werden.

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A394 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 9⏐⏐27. Februar 2009

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wirtschaften. Um etwas Geld hinzu- zuverdienen, übernahm sie im Auf- trag des Groß-Berliner Ärztebun- des, der damals zentralen ärztlichen Standesorganisation in Berlin, die Prüfung ärztlicher Abrechnungen und half bei der Erstellung von Sta- tistiken (4, 7).

Schienen damit zunächst alle größeren Probleme überwunden, so war ihre Existenz 1933 mit der

„Machtergreifung“ der Nationalso- zialisten erneut bedroht. Nun wurde sie nicht mehr vor allem als Frau diskriminiert, sondern aufgrund der nationalsozialistischen Rassenideo- logie. Ihr verstorbener Ehemann galt nach nationalsozialistischen Vorstellungen als Jude. Hedwig Ewer, deren „Abstammung“ im Reichsarztregister mit „deutsch- blütig“ angegeben wird, hatte dem- nach eine „Mischehe“ geführt, ihre beiden Söhne wurden gemäß der

„Nürnberger Gesetze“ von 1935 als „Halbjuden“ beziehungsweise

„Mischlinge ersten Grades“ betrach- tet (8). Bereits im ersten Jahr der nationalsozialistischen Herrschaft bekam Hedwig Ewer die Konsequenz der antisemitischen Ausschaltungs- praxis ärztlicher Standesorganisa- tionen zu spüren. Wie aus einem Be- schwerdeschreiben vom 3. Novem- ber 1933 an das Reichsarbeitsmi- nisterium hervorgeht, hatte ihr kurz zuvor einer der neu eingesetzten kommissarischen Leiter des Groß- Berliner Ärztebundes erklärt, dass sie, weil ihr verstorbener Ehemann Jude gewesen sei, die Prüfung der Liquidationen nicht mehr durch- führen dürfe (7). Hedwig Ewer ver- lor dadurch eine für sie und ihre Familie wichtige Einnahmequelle.

Sie musste auch feststellen, dass ihr Name in einem Verzeichnis „ari- scher“ Ärzte Berlins, die die Städti- sche Krankenversicherungsanstalt 1933 eigens an ihre Mitglieder ver- teilt hatte, nicht aufgenommen wor- den war. Städtischen Angestellten und Beamten, deren Arztbesuche über die Krankenversicherungsan- stalt abgerechnet wurden, stellte die Stadt finanzielle Nachteile in Aus- sicht, wenn sie Ärzte konsultierten, die nicht in dieser Liste verzeichnet waren. Hedwig Ewer forderte in dem genannten Schreiben deshalb,

in das Verzeichnis eingetragen zu werden (9).

Mit ihrer Beschwerde hatte sie nur teilweise Erfolg. Die Neben- tätigkeit als Prüferin beim Groß- Berliner Ärztebund blieb ihr weiter- hin verwehrt, zur Behandlung von Mitgliedern der städtischen Kran- kenversicherungsanstalt wurde sie jedoch wieder zugelassen. Die Be- gründung lautete, dass Ende 1933 das Vorgehen gegenüber Ehepart- nern von Juden abgemildert worden sei, und „das Nichtariertum der Großeltern des Ehegatten nicht mehr Anlass zum Ausschluss sein soll, in das ,Verzeichnis der von der Krankenversicherungsanstalt zuge- lassenen, in Berlin (und Vororten) ansässigen Ärzte‘ aufgenommen“

zu werden (4, 10).

Kollegen riefen zum Boykott der Praxis auf

Damit wurden ihr von offizieller Seite bei der Ausübung ihrer Praxis erst einmal keine weiteren Steine in den Weg gelegt. Dafür aber mach- ten ihr, wie der Sohn schilderte, Kollegen in der Umgebung das Le- ben schwer, indem sie zum Boykott der Praxis aufriefen und verbreite- ten, Hedwig Ewer sei Jüdin. Ein SA-Mann, der über ihrer Wohnung eine Praxis als Heilpraktiker eröff- net hatte, fing nach Angaben des Sohnes „mitunter Patienten, die zu Mama wollten, im Treppenhaus

ab“ (4, 11). Zusätzlich musste sie mitansehen, wie ihre beiden Kin- der, da diese als „Mischlinge“ gal- ten, zunehmenden Repressionen durch das nationalsozialistische Regime ausgesetzt waren. Der älte- re Sohn Gerhard schloss sich, so die Überlieferung durch einen En- kel, einer Widerstandsgruppe an, woraufhin Hedwig Ewer ihn aus Angst, ihm könne etwas zustoßen, ins Ausland schickte (4). Der jün- gere Sohn Horst durfte eigenen An- gaben zufolge 1941 zwar noch das Abitur ablegen, als „Mischling“

erhielt er jedoch weder einen Studi- en- noch einen Ausbildungsplatz,

ihm waren lediglich „untergeord- nete Tätigkeiten“ gestattet. 1943 nach Schlesien „dienstverpflich- tet“, das heißt im Sinne der Kriegs- wirtschaft zu einem Arbeitseinsatz beordert, wurde er dort später ver- haftet und in das Zwangsarbeits- lager Billroda, das 1944 als Außen- lager des Konzentrationslagers Buchenwald errichtet wurde, ge- bracht. In einem Kalisalzbergwerk und beim Bau von Bahngleisen musste er Schwerstarbeit leisten (12). Hedwig Ewer konnte erst bei ihrem Wiedersehen im Juli 1945 sicher sein, dass ihr Sohn überlebt hatte. Dies war nicht selbstver- ständlich, wie das Schicksal vieler Verwandter und Bekannter der Familie zeigt. Erschütternde Auf- zeichnungen des Sohnes über Ver- folgung, Verhaftung, Misshand- lung, Deportation, Tod und Selbst- mord von Onkeln, Tanten und Freunden machen dies deutlich (4).

Hedwig Ewer hatte ihre Berliner Praxis in der Frankfurter Allee 278, die nun im sowjetisch besetzten Teil der Stadt lag, bis Kriegsende weiter- geführt. Im Dezember 1949 erhielt ihr Haus, das sich nun auf dem Staatsgebiet der neu gegründeten DDR befand, die neue Anschrift Stalinallee 377. Hedwig Ewer blieb zunächst in der DDR und gab 1956, im Alter von nunmehr 66 Jahren, ih- re Praxis schließlich auf (13). Vier Jahre später – nicht lange vor dem

Bau der Berliner Mauer am 13. Au- gust 1961 –, verließ sie Berlin und siedelte mit ihrem Sohn Horst, der inzwischen geheiratet und selbst ei- ne Familie gegründet hatte, nach Westdeutschland über. Ihre letzten 18 Lebensjahre verbrachte Hedwig Ewer in der ostfriesischen Stadt Nor- den. Sie starb am 29. September

1978 (4). I

Dr. phil. Judith Hahn Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Institut für Geschichte und Ethik der Medizin E-Mail: hahnjf@web.de

Nun wurde sie nicht mehr vor allem als Frau diskriminiert, sondern aufgrund der nationalsozialistischen Rassenideologie.

Literatur und Quellennachweis im Internet: www.aerzteblatt.de/lit0909

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 9⏐⏐27. Februar 2009 A1

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LITERATUR

1. Bleker J: Vorspiel: Deutsche Ärztinnen mit ausländischem Doktorgrad 1871–1901.

In: Bleker J, Schleiermacher S: Ärztinnen im Kaiserreich. Lebensläufe einer Genera- tion. Weinheim 2000; 29.

2. Burchardt A: Blaustrumpf – Modestudentin – Anarchistin? Deutsche und russische Medizinstudentinnen in Berlin 1896–1918.

Stuttgart Weimar 1997; 37f.

3. Ziegeler B: Weibliche Ärzte und Kranken- kassen. Anfänge ärztlicher Berufstätigkeit von Frauen in Berlin 1893–1935. Wein- heim 1993; 11ff.

4. Brief eines Sohnes Hedwig Ewers vom 2.2.1983. In: Dokumentenmappe Hedwig Ewer, Dokumentation „Ärztinnen im Kai- serreich“ von Jutta Buchin, Institut für Ge- schichte der Medizin, Charité – Univer- sitätsmedizin Berlin.

5. Eckelmann C, Hoesch K: Ärztinnen – Emanzipation durch den Krieg?. In: Bleker J, Schmiedebach H-P (Hrsg.): Medizin und Krieg. Vom Dilemma der Heilberufe 1865–1985. Frankfurt/Main 1987; 161ff.

6. Brandt H: Über Hernienbildung in Laparo- tomienarben. Med. Diss. Jena 1915.

7. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 057, Nr. 1700, Bl. 40f.

8. Karteikarte Hedwig Ewer, DVD Reichsarzt- register, Berlin 2004.

9. Landesarchiv Berlin, A Rep. 005-06, Nr. 13, Bl. 37 sowie A Pr. Br. Rep. 057, Nr. 1700, Bl. 40f.

10. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 057, Nr. 1700, Bl. 42.

11. Diese Aussage konnte durch weitere Re- cherchen bestätigt und präzisiert werden.

1937 befand sich in der Frankfurter Allee 278 eine naturheilkundliche Praxis, die Oswald Granzow betrieb. Berliner Adress- buch 1937: unter Benutzung amtlicher Quellen, Berlin 1937.

12. Diese Angaben des Sohnes weisen darauf hin, dass er bei den damaligen Gustloff- Werken im Bergwerk Rastenberg unweit Billrodas zur Zwangsarbeit eingesetzt wur- de. Wolf Gruner: Arbeitseinsatz. In: Benz W, Graml Hm Weiß H (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. München 1997;

369f. sowie www.weimar-rastenberger- kleinbahn.de/Teilkali.htm.

13. Auskunft der Schwiegertochter Christa Ewer vom 3. 12. 2007 und vom 19. 12. 2007.

LITERATURVERZEICHNIS HEFT 9/2009, ZU:

HEDWIG EWER, GEB. BRANDT (1890–1978)

Kampf um die Existenz

Praktizierende Ärztin und Witwe einer „Mischehe“ – im Deutschland

des 20. Jahrhunderts ein schwieriges Berufsleben

Referenzen

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