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Archiv "Indikation zur Operation bei kongenitalen und neuromuskulären Skoliosen" (29.10.1993)

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(1)

MEDIZIN ZUR FORTBILDUNG

Indikation zur Operation bei kongenitalen und neuromuskulären Skoliosen

Christof Hopfl), Raimund Forste), Henning Stürz 3), Claus Carstens 4), Peter Metz-Stavenhagen 5)

Betrachungen des Progredienzrisikos bestimmter Formen kongenitaler und neuromuskulärer Skoliosen führen zu den folgenden Indikationsvor- schlägen: 1. Bei kongenitalen Defor- mitäten besteht eine erhöhte Skolio- seprogredienz durch ein asymmetri- sches Wachstumspotential bei Halb- und Keilwirbeln sowie einseitigen Synostosen. Vierteljährliche klinische Befunderhebungen und Röntgenun- tersuchungen gewährleisten eine rechtzeitige Intervention der progno- stisch zweifelhaften Fehlbildungen.

2. Skoliosen beim Vorliegen einer Spina bifida mit einem erhöhten Pro- gredienzniveau sollen ebenfalls einer frühzeitigen operativen Versorgung zugeführt werden. 3. Bei Patienten mit Muskeldystrophien und spinalen Muskelatrophien wird ab einem Krümmungwinkel von 20° und einer Vitalkapazität von mindestens 35 Prozent die Operation vorgeschlagen.

4. Bei Patienten mit einer Neurofi- bromatosis Recklinghausen mit pro- gredienten kurzstreckigen Skoliosen und starker kyphotischer Komponen- te besteht eine frühzeitig Operations- indikation. Die Frühspondylodese muß Bestandteil eines interdisziplinären Gesamtbehandlungskonzeptes sein, sie bedeutet eine Chance bei reduzier- tem Risiko und besserem Ergebnis.

1. Einleitung

Kongenitale und neuromuskulä- re Skoliosen unterscheiden sich von den sogenannten idiopathischen Sko- liosen sowohl hinsichtlich der Progre- dienz und der Lokalisation der Krümmung als auch hinsichtlich der häufig erfolglosen konservativen Be- handlungsmöglichkeiten. Aus diesem Grunde sind gesonderte therapeuti- sche Richtlinien erforderlich. Nicht zuletzt sind die Krümmungen in der Anfangsphase nur schwierig zu er- kennen (Abbildung 1). Zur Festle- gung des Krümmungsausmaßes sind standardisierte Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule in zwei Ebenen im Stehen oder Sitzen (bei nicht stehfä- higen Patienten) notwendig, da Auf- nahmen im Liegen nicht das wahre Krümmungsausmaß zeigen und allei- nige ap-Aufnahmen die häufig zu be- obachtende sagittale Deformierung nicht berücksichtigen. Bradford (9) beschreibt die wesentlichen Unter- schiede im Progredienzverhalten der neuromuskulären zu den idiopathi- schen Skoliosen:

„Eine Wirbelsäulenverkrüm- mung tritt mit Beginn der neuro- muskulären Erkrankung oder sehr frühem Lebensalter auf, ihr Pro- gredienzrisiko ist höher. Die Sko- liose verschlechtert sich auch nach dem Wachstumsabschluß. Typisches Merkmal ist der Verlust der Wir- belsäulenbalance mit erheblichem Rumpfüberhang sowie konsekutiver Beckenkippung. Die Lungenfunktion ist in stärkerem Umfang als bei idio- pathischen Skoliosen eingeschränkt.

Andere Organsysteme sind betroffen (zum Beispiel Kardiomyopathien, chronische Erkrankungen der ablei- tenden Harnwege). Eine Operation ist durch den osteoporotischen Kno- chen mit größeren Risiken verbun-

den, Implantatdislokationen werden öfter beobachtet."

Nach Bradford kann mit einer Korsettbehandlung die Progredienz einer neuromuskulären Skoliose bis zum Zeitpunkt der Operation (Mäd- chen: zehn Jahre, Jungen: zwölf Jah- re) reduziert werden, wobei bei zere- bralparetischen Patienten eine derar- tige Behandlung problematisch ist.

Die Orthesentherapie ist häufig durch die Entstehung von Druckstel- len bei Patienten mit Sensibilitätsstö- rungen (Spina bifida) erschwert.

Winter (61) betont als Ziel der Kor- settherapie den Zeitaufschub bis zum Erreichen des operationsfähigen Al- ters.

Die rechtzeitige operative Be- handlung neuromuskulärer Skolio- sen ist das Verfahren der Wahl. Lu- que (39) empfiehlt bei der Operati- onsplanung die Beachtung folgender Prinzipien: Eine dreidimensionale Korrektur der Skoliose und der „pel- vic obliquity" ist zur Wiederherstel- lung der Wirbelsäulenbalance erfor- derlich. Die Wirbelfusion muß im ge- samten Bereich der Deformität durchgeführt werden, unabhängig davon, ob diese in der Frontal- oder der Sagittalebene zu finden ist. Be- gleitende operative Maßnahmen, wie zum Beispiel die Durchtrennung kontrakter Weichteile oder von Ossi- fikationen, erleichtern eine wirksame Korrektur.

Orthopädische Universitätsklinik Mainz (Direktor: Prof. Dr. J. Heine)

2) (Komm. Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Aachen

3) Universitätsklinik Gießen (Direktor Prof.

Dr. med. Henning Stürz)

4) Orthopädische Universitätsklinik Heidel- berg (Direktor: Prof. Dr. H. Cotta) 5) Deutsches Skoliosezentrum, Bad Wil-

dungen (Chefarzt: Dr. med. Peter Metz- Stavenhagen)

Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 43, 29. Oktober 1993 (37) A1-2845

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2. Vorschläge zur frühzeitigen

Operationsindikation

Der Arbeitskreis Skoliose der DGOT hat sich in den vergangeneo Jahren zum Ziel gesetzt, dem gestie- genen Wissen um die "natural histo- ry" von kongenitalen und bestimmten neuromuskulären Skoliosen Rech- nung zu tragen. In Anlehnung an die schon veröffentlichten Texte der

"Neueinteilung der Empfehlung zur

gutachterliehen Bewertung von Per- sonen mit Skoliosen" (30) sowie der

"Empfehlung zur sportlichen Betäti- gung von Patienten mit idiopathi- schen Skoliosen" (31) sollen die Vor- aussetzungen für eine adäquate Be- urteilung und zeitgemäße Behand- lung erleichtert werden (Tabelle).

Die Winkelangaben beziehen sich auf das Meßverfahren von Cobb (13).

2.1 Kongenitale Skoliosen Kongenitale, angeborene Fehl- bildungsdeformitäteil entstehen durch Störung der Formation, Seg- mentation oder Fusion während der dritten bis sechsten Embryonalwo- che. Begleitende Mißbildungen im Bereich der ableitenden Harnwege, der Extremitäten sowie des zentralen Nervensystems und des Herzens sind häufig (5, 60). Die Gefahr der Sko- lioseprogredienz durch ein asymme- trisches Wachstumspotential, insbe- sondere bei Halb- und Keilwirbeln sowie einseitigen Synostosen (Abbil- dung 2), ist gravierend (25, 28). Be- handlungsziele sind die Beseitigung des pathologischen Wachstumspo- tentials, die Korrektur einer beste- henden Deformität sowie die Beseiti- gung oder Verhütung drohender neurologischer Funktionsdefizi te.

Zur Planung einer eventuellen operativen Maßnahme gehört die Beachtung der Begleitmißbildungen, wobei beim Vorliegen einer Fehlbil- dungsdeformität eine sorgfältige Dia- gnostik mit neurologischem Status,

er,

NMR und eventuell Myelogra- phie gehört. Konservative Behand- lungsmaßnahmen wie Umkrüm- mungsbandagen und Ortbesen kön-

Tabelle: Indikationen zur rechtzeitigen Operation bei bestimmten Formen kongenitaler und neuro- muskulärer Skoliosen.

ZUR FORTBILDUNG

Abbildung l: Die Rückenonsicht eines l Ojährigen Patienten mit einer spinalen Muskelatrophie zeigt einen leichten Rumpfüberhang nach links, verbun·

den mit asymmetrisch ausgeprägten Toillendreiek- ken. Den kosmetisch wenig auffälligen Verände- rungen liegt eine Skoliose von 40° zugrunde.

nen nur eine beschränkte Korrektur sekundärer Deformitäten ober- und unterhalb der mißgebildeten Ab- schnitte bewirken.

Eine vierteljährliche klinische Befunderhebung und Röntgenunter-

suchungen der Wirbelsäule in zwei Ebenen bei den prognostisch zweifel- haften Fehlbildungen sind bei den betroffenen Patienten notwendig. Sie gestatten den frühen Nachweis einer Progredienz der Wirbelsäulendefor- mität, die nach der heutigen Auffas- sung eine frühe operative Interventi- on zur Folge haben muß, wobei eine Winkelangabe aufgrund der Komple- xität der verschiedenen kongenitalen Formen nicht sinnvoll ist.

2.2 Skoliosen beim Vorliegen einer Myelomeningozele

Mit der Entwicklung einer Wir- belsäulendeformität muß bei jedem zweiten Patienten mit einer Myelo- meningozele gerechnet werden ( 4, 40, 48, 11). Die Skoliosen stellen da- bei mit 82,5 Prozent den weitaus größten Teil: Kyphosen und Lordo- sen spielen demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle. Pathogene- tisch lassen sich drei Skolioseursa- chen unterscheiden:

~ mechanische Instabilität auf- grund fehlender dorsaler Bogen- strukturen und lähmungsbedingter muskulärer Dysbalance (paralytische Skoliose, etwa 80 Prozent);

~ seitenungleiches Wirbelsäu- lenwachstum aufgrund von Wirbel- fehlbildungen (kongenitale Skoliose, etwa 15 Prozent);

Differenzierte Operationsindikation

IJJJ- Kongenitale Skoliosen:

Frühzeitige Operation der prognostisch zweifelhaften Fälle, regelmäßige dreimonatige Kontrolle

1JJJ- Spina bifida:

Frühzeitige Operation bei überdurchschnittlicher Krümmungsprogredienz

1JJJ- Duchenne-Muskeldystrophie:

Operation bei Krümmungsprogredienz ab einem Winkel von 20° und einer Vitalkapazität über 35 % (Rollstuhlphase)

IJJJ- Spinale Muskelatrophie:

Operation bei Krümmungsprogredienz ab einem Winkel von 20° und einer Vitalkapazität über 35 % (Typ II) bzw. nach Verlust der Gehfähigkeit (Typ 111)

IJJJ- Neurofibromatosis Recklinghausen:

Frühzeitige Operation bei kurzstreckigen Skoliosen mit kyphotischer Komponente ohne Winkelangabe

Ar2846 (38) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 43, 29. Oktober 1993

(3)

Abbildung 2: Bei einer l2jährigen Patientin mit ei- ner kongenitalen Skoliose bei dem Vorliegen von synostosierten Brustwirbeln besteht eine rechtskon- vexe Thorakalskoliose, verbunden mit einer Redu- zierung der Brustwirbelkyphose sowie rechtsseiti- gem Schulterhochstand und SchulterblattvorfalL

..,.. asymmetrische Innervation der vorhandenen Restmuskulatur in- folge von intraspinalen Veränderun- gen, zum Beispiel Hydro- oder Syrin- gomyelie (26, 27, 10) und tethered cord (57) (neurogene Skoliose, Häu- figkeit nicht vollständig geklärt, etwa fünf Prozent).

Die rein paralytischen Skoliosen entstehen zwischen dem fünften und zehnten Lebensjahr (57). Die Wahr- scheinlichkeit der Skolioseentste- hung hängt vor allem ab von dem Pa- tientenalter (2, 47) und der Läh- mungshöhe (11, 61, 57), das Ausmaß des Wirbelbogendefekts ist von ge- ringerer Bedeutung ( 48, 11).

Bei thorakalem Lähmungsni- veau muß mit einer lOOprozentigen Skolioseinzidenz gerechnet werden ( 40, 2). Diese Rate sinkt kontinuier- lich mit abnehmendem Lähmungsni- veau, allerdings zeigen auch noch fünf Prozent der Patienten mit einer SI-Lähmung eine Skoliose (8). Die mittlere jährliche Skolioseprogre- dienz beträgt bei thorakalen Läh- mungen 3.5°, bei Lähmungen zwi- schen L1 und L3 2.SO, bei Lähmun- gen unterhalb von L4 ist keine stati- stisch signifikante Progredienz nach-

ZUR FORTBILDUNG

Abbildung 3: Bei einem gerade erst 13 Jahre al- ten Patienten mit einer Muskeldystrophie vom Typ Duchenne zeigen sich die überaus charakteristi- schen Merkmale einer Skolioseerkronkung: eine pelvic obliquity mit einer ausgeprägten Lumbal- krümmung.

weisbar (11). Eysel et al. und Vetter et al. (58, 19) fanden hingegen bei einer Analyse der eigenen operier- ten Fälle eine jährliche Progredienz der Skoliose von 6. 7° beziehungs- weise 6.2°. Die reale Progredienz, bezogen auf das Datum der Erstdia- gnose bis zur Operation, betrug 14°

jährlich.

Die Indikation zur operativen Versorgung der Patienten, bei denen eine überdurchschnittliche Krüm- mungsprogredienz vorliegt, ist früh- zeitig zu stellen. In begründeten Fäl- len soll die Operation auch bei einem Skoliosewinkel unter 40° durchge- führt werden, wobei diese prinzipiell nach dem zehnten Lebensjahr ange- strebt wird.

2.3 Skoliosen beim Vorliegen einer spinalen Muskelatrophie oder

Duchenne-Muskeldystrophie Bei über 80 Prozent der Patien- ten mit Duchenne-Muskeldystrophie entwickeln sich unmittelbar nach Verlust der Gehfähigkeit ab etwa dem zehnten Lebensjahr Skoliosen (8). Dieser Zeitpunkt kann jedoch nachweislich durch eine Verlänge-

Abbildung 4: Bei einer 6jährigen Patientin mit ei- ner spinalen Muskelatrophie finden sich seitendif- ferente Taillendreiecke, leichte pelvic obliquity, Lendenwulst links sowie Schulterhochstand rechts.

Tatsächlich liegt eine ausgeprägte Krümmung von nahezu 70° vor.

rung der Geh- beziehungsweise Steh- fähigkeit mit Orthesen, im Regelfall nach mehreren vorausgegangenen Operationen der Kontrakturen der unteren Extremitäten, deutlich hin- ausgezögert werden (52). Skoliosen bei Duchenne-Muskeldystrophie ver- schlechtern sich nach Robin und Brief (51) um 15 bis 30° pro Jahr. Hsu (34) führt aus, daß fast alle Krüm- mungen über 40° progredient sind.

Darüber hinaus sind diese Skoliosen durch eine Vielzahl behandlungser- schwerender Merkmale charakteri- siert: Gravierende Probleme beim Sitzen im Rollstuhl durch die pelvic obliquity (Abbildung 3) und das Bek- kenkamm-Impingement, Kontraktu- ren der unteren Extremitäten, eine progrediente Verschlechterung der Lungenfunktion durch die gleichzei- tig zunehmende Schwäche der Atem- muskulatur sowie eine klinisch rele- vante Kardiamyopathie führen zu ei- ner ingesamt deutlich eingeschränk- ten Lebenserwartung und Lebens- qualität.

Seeger u. Mitarb. (55) und

Ri-

deau u. Mitarb. (50) berichten, daß eine Ortbesentherapie die Progre- dienz der Krümmung nicht aufhalten Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 43, 29. Oktober 1993 (39) A1-2847

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MEDIZIN ZUR FORTBILDUNG

Abbildung 5: 8jähriger Junge mit den Merkmalen einer knickartigen Kyphoskoliose der oberen Brustwirbelsäule. Auffallend sind auch die typi- schen Hautverfärbungen. Neurologische Kompli- kationen sind bei derartigen Krümmungen zu be- fürchten.

kann. Forst und Mortier (22) halten eine Orthesentherapie nur dann für akzeptabel, wenn eine Operation aus medizinischen Gründen unmöglich ist oder die Operation abgelehnt wird. Sitzschalen haben in der primä- ren Therapie der Skoliosen keinen Platz mehr (1, 23). Rideau u. Mitarb.

(50) empfehlen die absolut frühzeiti- ge operative Skoliosebehandlung.

Bei den spinalen Muskelatro- phien (Abbildung 4) werden entspre- chend ihrem klinischen Verlauf drei Typen unterschieden, einmal die spi- nale Muskelatrophie Werdnig-Hoff- mann („severe type", Typ I) mit frü- hem Tod im Kleinkindalter, der „in- termediate type" (Typ II) mit Patien- ten, die nie oder nur kurze Zeit geh- fähig sind, sowie die spinale Mus- kelatrophie Kugelberg-Welander („mild type", Typ III) mit unter- schiedlich langer Phase der Gehfä- higkeit. Auch bei dieser Erkrankung führt der Verlust der Gehfähigkeit zu einer Progredienz der Krümmung, die um so geringer ist, je länger die Gehfähigkeit (auch mit Orthesen) erhalten bleibt. Die ausgeprägteste Progredienz weist demnach der In- termediärtyp auf, der eine Ver-

Abbildung 6 a: Bei einem 5 Jahre alten Jungen liegt eine sehr stark ausgeprägte rechtskonvexe Thorakolumbalskoliose mit beginnender pelvic ob- liquity vor. Durch den Beckenschiefstand sind die beiden Taillendreiecke äußerst auffallend seiten- different ausgeprägt.

schlechterung der Krümmung von 8°

jährlich im Mittel zeigt. Auch bei die- ser Krankheitsgruppe kann eine Or- thesentherapie die Entstehung einer Skoliose allenfalls verzögern, nicht aber verhindern (49).

Operationen mit einem mehr- segmental zu implantierenden In- strumentarium sollten ab einer nach- gewiesenen progredienten Krüm- mung von 20° und einer Vitalkapazi- tät von mindestens 35 Prozent durch- geführt werden. Dies ist bei der Du- chenne-Muskeldystrophie zu Beginn der Rollstuhlphase und bei der spi- nalen Muskelatrophie Typ II um das zehnte Lebensjahr gegeben. Noch gehfähige Patienten mit einer spina- len Muskelatrophie Typ III sollten erst nach dem Verlust der Gehfähig- keit operiert werden. Als Kontraindi- kationen gelten eine Vitalkapazität unter 30 Prozent sowie eine klinisch manifeste Kardiomyopathie. Eine operative Versteifung der Wirbelsäu- le sollte möglichst nach dem zehnten Lebensjahr durchgeführt werden, bei der spinalen Muskelatrophie Typ II kann jedoch eine Stabilisierung der Wirbelsäule auch schon zu einem frü- heren Zeitpunkt erforderlich werden.

Abbildung 6 b: Nach der durchgeführten lang- streckigen Spondylodese besteht eine deutlich sichtbare Aufrichtung der Wirbelsäule. Nach der Operation besteht zwar immer noch ein sehr leich- ter Rumpfüberhang, der sich aber noch ausglei- chen wird.

2.4 Skoliosen beim Vorliegen ei- ner Neurofibromatosis Reckling- hausen

Die Neurofibromatose Reckling- hausen ist eine Erbkrankheit, die als universelle Dysplasie aufgefaßt wer- den kann, wobei alle drei Keimblät- ter befallen sind. Hieraus ergibt sich eine Vielzahl von Veränderungen (Phänotyp) der an dieser Krankheit leidenden Patienten (7, 35, 18, 29).

Klinisch auffällig sind die Caf&au- lait-Flecken der Haut und die subku- tanen Knoten (Fibrome). Diese pri- mär gutartigen Nerventumoren, die von den Schwannschen Zellen ausge- hen, können im gesamten Körper auftreten und durch Größe und Druck sekundär bösartig wirken. An den Spinalnerven können sie über die Foramina intervertebralia in den Rückenmarkskanal einwachsen und neurologische Störungen verursa- chen (6, 16, 29, 41).

In einem hohen Maße treten dysplastische Veränderungen am ge- samten Skelettsystem auf, wobei sich bei einem Befall der Wirbelsäule in 43 Prozent der Fälle Skoliosen und schwere Kyphoskoliosen entwickeln können (20, 21, 35, 41, 43). Die Ver- Ai -2850 (42) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 43, 29. Oktober 1993

(5)

DIZIN

krümmungen haben einen knickarti- gen Charakter, insbesondere die Ky- phosen (Abbildung 5). Diese führen zu einer hochgradigen Einengung des Spinalkanales, wodurch insbe- sondere verlängernde distrahierende korrigierende Maßnahmen ausge- sprochen gefährlich sind (15, 12, 21, 43, 59). Weiterhin bestehen leichtere Formen, die primär der idiopathi- schen Skoliose gleichen. In der Mye- lographie und im NMR zeigen sich die spezifischen neurofibromatoti- schen Veränderungen (21, 29, 43).

Die Patienten müssen vor der Behandlung darauf hingewiesen wer- den, daß auch nach einer Wirbelsäu- lenkorrektur die dysplastischen Wir- belsäulenveränderungen zunehmen können und eventuell Zusatzeingrif- fe notwendig werden. Sehr wichtig ist die präoperative Diagnostik mit NMR, Myelographie, sorgfältiger neurologischer Untersuchung, Wir- belsäulenganzaufnahmen in zwei Ebenen und in der Wahlebene (12, 43, 29). Durch die Veränderungen (knickartige Kyphose, Einengung des Spinalkanals, paravertebraler Tumor mit Auftreibung der Spinalnerven und Einwachsen in den Spinalkanal) liegt operativ ein erhöhtes neurologi- sches Risiko vor (12, 20, 43, 59). Die -früher beschriebene vermehrte Pseudarthrosenrate wird bei den jetzt vorhandenen mehrsegmentalen Instrumentationsmethoden und ei- ner entsprechenden ventralen Ab- stützung heute nicht mehr gesehen (20, 54, 59, 42, 43).

Bei kurzstreckigen Veränderun- gen mit typischen Knochendestruk- tionen besteht die frühzeitige Indika- tion zur Stabilisierungsoperation, auch wenn keine Progredienz vor- liegt, da die Dyspiasien unabhängig vom Alter fortschreiten können und die gefürchtete Kyphose mit ihren neurologischen Risiken verhindert werden muß. Ist eine solche extreme knickartige Deformität eingetreten (Destruktionsgrad III, Metz-Staven- hagen, 43), dann ist auch eine ventra- le Abstützung der Wirbelsäule erfor- derlich (12, 20, 54, 59, 43). Bei lang- streckigen Krümmungen und weitge- hend erhaltenen Wirbelkörperstruk- turen hingegen besteht eine den idio- pathischen Skoliosen angeglichene Operationsindikation.

ZUR FORTBILDUNG

Abbildung 7: Die Skoliose einer 12jährigen Pa- tientin mit einer spinalen Muskelatrophie weist groteske Ausmaße auf. Durch die Wirbelsäulen- krümmung liegt der linksseitige Rumpf auf dem Beckenkamm auf, freies Sitzen ist kaum noch möglich. Die Patientin muß gehalten werden. Die Operation einer derart ausgeprägten Krümmung ist mit erheblichen Risiken verbunden.

3. Verwendung der verschiedenen

Operationsverfahren

Die Art des Operationsverfah- rens ist von großer Bedeutung für die Patienten, da eine orthesenfreie postoperative Behandlung eine of- fensichtliche Erleichterung für die Patienten und die betreuenden El- tern bedeutet. Das alleinige Harring- ton-Verfahren scheidet aus heutiger Sicht aus Stabilitätsgründen aus.

Als rein dorsal zu implantieren- de Methoden haben sich das Luque- (38) und das CD-Verfahren (15) und weitere mehrsegmental zu implantie- rende Instrumentarien bewährt (Ab- bildungen 6 a—b). Durch die multiseg- mentale Verankerung der Implanta- te ist eine orthesenfreie Nachbe- handlungszeit gewährleistet, die Mo- bilisation erfolgt im Regelfall am dritten bis fünften postoperativen Tag. Die eigenen Erfahrungen zeigen wirksame Korrekturen und eine gute Stabilität der Instrumentation (31, 33).

Eine kombinierte ventrale und dorsale Instrumentation führt zu aus- gezeichneten Ergebnissen bei lumba- len oder mit einer Spina bifida bezie- hungsweise Poliomyelitis assoziierten Skoliosen (2, 17, 24, 36, 43, 49), ver- bunden mit einer reduzierten Pseud- arthrosenrate und einer guten Kor- rektur der Beckenkippung (46).

Bradford (9) hält die kombinierten Operationen bei schweren Skoliosen über 80° und geringer Flexibilität so- wie bei Lumbalskoliosen mit fixierter Beckenkippung für erforderlich. Die ventralen Methoden können nur bei ausreichender Lungenfunktionsfä- higkeit empfohlen werden, da ein transpleuraler Eingriff die Gefahr ei- ner weiteren Verschlechterung der Lungenfunktion in sich birgt.

4. Diskussion

Typisches Merkmal bei kongeni- talen und neuromuskulären Skolio- sen aufgrund einer Spina bifida, ei- ner Duchenne-Muskeldystrophie, ei- ner spinalen Muskelatrophie und ei- ner Neurofibromatosis Recklinghau- sen ist die progrediente Krümmungs- entwicklung, die durch konservativ- orthopädische und krankengymnasti- sche Maßnahmen nicht aufzuhal- ten ist. Erschwerend kommen die progrediente Lungenfunktionsver- schlechterung und das Auftreten ei- ner Kardiomyopathie bei einigen Formen hinzu.

Der Vergleich des mittleren Ausgangswinkels von operierten Pa- tienten mit neuromuskulären Skoli- osen mit dem von Patienten mit idio- pathischen Formen zeigt bei einem vergleichbaren Durchschnittsalter ein wesentlich höheres Krümmungs- ausmaß. Folge der fortgeschrittenen Skoliosen sind eine verlängerte Ope- rationsdauer, ein erhöhter Blutver- lust sowie eine erhöhte Komplikati- onsrate. Berücksichtigt werden muß aber in diesem Zusammmenhang, daß Operationen von neuromuskulä- ren Skoliosen ohnehin mit einem er- höhten neurologischen Risiko ein- hergehen und daß der Blutverlust bei einigen Skolioseformen (beispiels- weise bei der Duchenne-Muskeldy- strophie) deutlich höher liegt als bei idiopathischen Skoliosen.

Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 43, 29. Oktober 1993 (43) A1-2851

(6)

Hinsichtlich der operativen Ver- sorgung der Patienten sollte die Be- handlung in einem Stadium der Sko- liose gewährleistet sein, in dem eine optimale Korrektur der Skoliose mit geringeren Risiken verbunden ist.

Mögliche pulmonale oder kardiale Komplikationen können bei frühzei- tigem operativen Vorgehen ebenfalls reduziert werden. Die korrigierende Wirbelsäulenoperation darf nicht länger als das letzte Behandlungs- konzept verstanden werden, das nur in verzweifelten Situationen ange- wandt wird (Abbildung 7). Die früh- zeitige Spondylodese sollte im Ver- ständnis als das der Erkrankung ad- äquate Verfahren in einem Gesamt- konzept einer interdisziplinären kon- servativen und operativen Behand- lung angesehen werden, das auf- grund einer Optimierung der Sitz- fähigkeit, einer Aufrichtung des

..

ZUR FORTBILDUNG I FÜR SIE REFERIERT/NOTIZ

Rumpfes und einer günstigen Beein- flussung der Atemfunktion eine re- elle Verbesserung der Lebenssituati- on des schwer kranken Patienten be- wirkt.

~~ctres---­

Ärzteblatt

90 (1993) A1-2845-2852 [Heft 43]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über den Verfasser.

An den Beratungen vor der Er- arbeitung des vorstehenden Manu- skriptes beteiligten sich die Mitglie- der des Arbeitskreises Skoliose der DGOT (Deutsche Gesellschaft für Or- thopädie und Traumatologie):

~ Dr. Rolf Daume, Bad Hornburg

~ Dr. Peter Edelmann, Cuxhaven

Uberwachungsintervalle nach endoskopischer Entfernung von Kolonpolypen

Untersuchungen haben gezeigt, daß es nach der ersten Diagnose von Kolonpolypen häufig zum Auftreten weiterer kommen kann. Da diese in ei- nem doch beträchtlichen Prozentsatz maligne entarten können, stellt die weitere endoskopische Kontrolle eine wichtige Methode zur rechtzeitigen Erkennung solcher Neoplasien dar.

Meist wird dem Patienten empfohlen, einJahrnach Entfernung des Polypen erneut eine Kaloskopie durchführen zu lassen, die Untersuchungsintervalle sind jedoch teilweise sehr variabel.

Bisher gibt es noch keine klinische Un- tersuchung, die die Effektivität ver- schiedener Kontrollintervalle über- prüft. Dieses Ziel hat sich die hier vor- gestellte Studie gestellt.

Sie geht der Frage nach, ob Nachuntersuchungen nach drei Jah- ren zur Erkennung neuer Polypen nicht genauso effektiv sind wie solche bereits nach einem Jahr. Hierzu wur- den 1418 Patienten, bei denen erst- mals ein Kolonpolyp diagnostiziert und endoskopisch entfernt worden war, in zwei Untersuchungsgruppen eingeteilt. 699 Patienten wurden be- reits nach einem Jahr und dann wie-

der drei Jahre nach der ersten Unter- suchung kaloskopiert Die 719 Pa- tienten der zweiten Gruppe wurden erst drei Jahre nach Entfernung des ersten Polypen erneut endoskopiert.

Beide Gruppen waren bezüglich Al- ter und Geschlecht, sowie Histologie, Größe und Dysplasiegrad des ent- fernten Polypens identisch.

41,7 Prozent der Patienten der Gruppe mit zwei Untersuchungen in- nerhalb von drei Jahren und 32 Pro- zent der Patienten mit nur einer Nachuntersuchung nach drei Jahren hatten erneut Kolonpolypen. In bei- den Gruppen fanden sich 3,3 Prozent mit höhergradiger Dysplasie und Ma- l igni tä tsverdach t.

Die Autoren schließen, daß Ko- loskopien nach einem größeren In- tervall zur Entdeckung neuer Poly- pen genauso effektiv sind wie frühere Nachuntersuchungen bereits ein Jahr nach Polypektomie. Die Häufigkeit maligner Entartungen nehme da- durch nicht zu. Die routinemäßige Nachuntersuchung erst drei Jahre nach Polypektomie ist somit für die Patienten angenehmer und für das Gesundheitswesen ökonomischer als A1-2852 ( 44) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 43, 29. Oktober 1993

~ Dr. Peer Eysel, Mainz

~ Prof. Dr. Holger Hähne!, Berlin

~ Prof. Dr. Jochen Heine (Vorsit- zender des Arbeitskreises), Mainz

~ Prof. Dr. Horst Hirschfelder, Er- langen

~ Priv. Doz. Dr. Alfred Karbowski, Mainz

~ Dr. W erner Lack, Wien

~ Dr. J ohannes Püschel, Vogtareuth

~ Prof. Dr. Erich Schmitt, Frankfurt a. M.

~ Prof. Dr. Kurt-Joachim Schulze, Dresden

Anschrift für die Verfasser

PD Dr. Christof Hopf Leitender Oberarzt der

Orthopädischen Universitätsklinik Mainz

Langenheckstraße 1 55101 Mainz

häufigere Kontrollen in kürzeren Ab- ständen, bei gleicher Effektivität, was die rechtzeitige Erkennung von ma- lignen Entartungen betrifft. mrl

Winawer, S. J., A. G. Zauberet al.; Ran- domized comparison of surveillance in- tervals after colonoscopic removal of newly diagnosed adenomatous polyps.

N. Eng!. J. Med. 1993; 328: 901-906.

Dr. Winawer, Gastroenterology and Nu- trition Service, Memorial Sloan-Kette- ring Cancer Center, 1275 York Avenue, New York, NY 10021

Therapie der

Herzinsuffizienz mit ACE-Hemmern

In dem Beitrag von H. Drexler, Deutsches Ärzteblatt 90 (1993) A1

2316-2325 (Heft 36) hieß es, vom Bundesgesundheitsamt seien bisher nur die Substanzen Captropril, Ena- lapril und Lisinopril zur Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz zu- gelassen. In der Zeit zwischen An- nahme und Drucklegung dieser Ar- beit wurden jedoch noch weitere Prä- parate für diese Indikation zugelas- sen: Quinapril (Accupro®, Gödecke/

Parke-Davis) und Perindopril (Co- versum® 4 mg, Coversum® Cor 2 mg,

ltherapia). mwr

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